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Die Rettungsmedaille

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Plötzlich strömte alles auf der Potsdamer Brücke zusammen, ein wildes Rennen und Hasten nach dem Geländer, dabei ein wirres Fragen: Was ist passiert? … Was ist denn los? …

Alles drängte sich dem Wasser zu, im Nu eine vielhundertköpfige Menge. – Die schweren elektrischen Wagen stockten auf der Brücke, die Omnibusse hielten, ein Gewirr und Knäuel von Wagen; auf allen Plattformen reckten die Leute neugierig die Hälse.

– Es ist wer ins Wasser gefallen! …

Und die Wagen entleerten sich zum Teil, denn jeder, der nur irgend Zeit hatte, wollte sehen.

Im Wasser schwamm etwas; einige behaupteten, es sei eine treibende Leiche, aber andere hatten gesehen: wie ein junges Mädchen, das eine ganze Zeit mit dem Taschentuch vor dem Munde am Geländer gestanden hatte, plötzlich ehe jemand es hindern konnte, dort wo das niedere Holzstakett anfing, übergestiegen war und sich mit vorgestreckten Händen in den Kanal gestürzt hatte.

Ein Pack dunkler Kleider tauchte auf und verschwand wieder in dem schwarzen Wasser. Jetzt sah man ein blasses Gesicht, die Augen geschlossen. Der nahe Rettungsball ward losgemacht, zwei- dreimal warf ihn ein Mann aufs Wasser und zog ihn an den stromab treibenden Körper vorbei, aber das Mädchen rührte sich nicht; an der Brücke lösten zwei junge Leute hastig den Rettungskahn, ein die Treppe hinabstolpernder Schutzmann kam zu spät; die beiden stießen den Kahn schon ab, aber vom rudern verstanden sie nicht viel, das eine Ruder glitt in der Hast ins Wasser. Ein Junge von Klingelbolle lief wie besessen zu der Kartoffelzille an der Matthäikirchstraße, um den Schiffer mit seinem Handkahn zu holen.

Jetzt trieb nur noch das blasse Gesicht an der Oberfläche, die Kleider hatten sich voll Wasser gesogen, und der bewegungslose Körper sank tiefer und tiefer.

Die tausend Menschen sahen gespannt, mit angstvollen und neugierigen Augen dem aufregenden Schauspiele zu.

Wieder kreiselte der Rettungsball über die glatte Fläche des Wassers; der ungeschickt gelenkte Kahn war noch immer unter dem Brückenbogen, und das Mädchen schien verloren zu sein. – –

Willy Blankenburg kam vom Tiergarten her durch die Viktoriastraße. Er sah die Menschenmenge, und schob sich gedankenlos ein wenig vor.

Da sah er den versinkenden Körper des Mädchens.

– Erlauben Sie mal! …

Einer fein gekleideten Dame mußte er erst einen energischen Stoß geben; ein junges Mädchen klammerte sich voller Aufregung fest an das Geländer, die schob er bei Seite. Erst als er den Hut und den Rock abwarf, dann das Jackett, gaben sie ein klein wenig Raum. Die Stiefel herunter, das hatte ihm sein Schwimmlehrer immer eingeschärft. Da fiel ihm seine Uhr ein, die warf er mit dem Portemonnaie und dem Schlüsselbund auf die Kleider, dann schwang er sich über das Geländer; das Wasser spritzte bis hoch an die Brüstung, daß die oben die Köpfe abwandten; mit vier, fünf Stößen war er bei dem Mädchen, gerade als der Körper in die Tiefe sank; er holte ihn mit einem Griffe wieder heraus und schüttelte sich, denn das Wasser war eiskalt, atmete tief und nun hielt er die Gerettete über Wasser.

Oben riefen sie:

– Werfen Sie ihm den Rettungsball zu.

Beim zweiten Male erfaßte er ihn, und nun hatte er den einen Arm frei und hielt die völlig Bewußtlose über Wasser. Da nahte endlich der Rettungskahn, von ungeschickten Händen gesteuert – aber früher kam das Boot des Kartoffelschiffers, und nun hoben sie das Mädchen in den Rettungskahn, dann kletterte Willy Blankenburg nach.

– Zeigen Sie mal her! …

Er zog die Riemen an, und an der Landungstreppe fuhr er gewandt, wenn auch mit etwas hartem Stoße an, legte das leblose Mädchen auf den Treppenabsatz, fuhr ihr mit dem Finger in den Mund, unter die Zunge, und fing ohne sich um irgend jemanden zu kümmern Belebungsversuche an.

Ein Arzt kam ihm die Treppe herab zu Hilfe, wo zwei Schutzleute jetzt die nachdrängenden Neugierigen wieder nach oben trieben.

Kopf an Kopf lagen die Menschen über das Geländer des Kanals und der Brücke gebeugt.

Blankenburg und der Arzt brauchten sich nur ein paar Minuten zu bemühen, da kam der Atem wieder; sie regte sich und erwachte aus der Ohnmacht, in die sie wohl beim Hineinspringen in das eiskalte Wasser gefallen war, aber gleich wieder ward sie bewußtlos.

– So! sagte der Arzt, das genügt vorläufig. Nun wollen wir sie erst ins nächste Krankenhaus schaffen.

Oben hatten die Schutzleute schon eine Droschke angehalten, die Kissen umgedreht und Decken darüber gebreitet. Jetzt trugen sie die Ohnmächtige die Treppe hinauf; und während die Menschenmenge wie zusammengekeilt stand und sich fast unter die Räder des Wagens drängte, hoben sie das Mädchen, aus dessen schweren dunklen Kleidern das Wasser troff, hinein.

Blankenburg hatte schon vorher gebeten, man möge ihm seine abgeworfenen Sachen holen. Hut, Mantel und seine Aktenmappe bekam er wieder; die Uhr und das Portemonnaie waren verschwunden.

Der Arzt und ein Schutzmann saßen schon im Wagen, es blieb ihm nichts übrig, als auf den Bock zu klettern. –

Kaum daß die Menge auseinanderging. Der Wagen wurde von den Andrängenden hin und hergeschoben, dann kriegte der Kutscher endlich freie Bahn, und wenige Minuten später fuhren sie am Krankenhause vor.

Eine Schwester kam gleich, hinter ihr der jourhabende Arzt, und alle sorgten sich voll Eifer um das Mädchen.

Willy Blankenburg blieb auf dem Korridor. Die Kleider klatschten ihm eng am Leibe, er hatte seinen Ueberzieher über die nassen Sachen gezogen, aber es war ihm schrecklich kalt und ungemütlich.

Er hatte den ekligen Geschmack des Spreewassers im Munde und hätte gern um einen Schluck Kaffee oder ein Glas Wein gebeten, aber da sich keine Menschenseele um ihn kümmerte, traute er sich nicht etwas zu fordern.

Mitgefahren war er, weil er hoffte, so schneller aus den klatschnassen Kleidern zu kommen, und dann interessierte ihn, was aus der Geretteten wurde, ob seine That auch den rechten Erfolg gehabt hatte. Der einzige, der sich um ihn gekümmert hatte, war der Schutzmann, der seine genauen Personalien feststellte und durchaus eine Legitimation haben wollte, sich aber schließlich begnügte, Namen und Wohnung von ihm zu notieren. Dabei erfuhr Willy zugleich auf seine Fragen, daß das Mädchen Emilie Hasselfeldt hieß, und in der Steinmetzstraße wohnte, aber vorläufig jede Auskunft verweigerte, weshalb sie ins Wasser gegangen war.

Trotzdem sich Willy Blankenburg höchst überflüssig vorkam, blieb er doch auf dem Flur; er hörte die Stimmen aus dem Zimmer, wohin man das Mädchen geschafft hatte, dann nach fast einer halben Stunde, während allerhand Besucher, und hie und da eine Schwester ohne irgend welche Notiz von ihm zu nehmen, an ihm vorbeigegangen waren, kam ein Arzt aus dem Zimmer.

An den wandte er sich.

– Ach, Sie sind wohl der Bräutigam?

Nein, das war er nicht. Er hatte noch gar nicht gewußt, wen er gerettet hatte.

Ach so! – Na, es ging ihr ganz gut, ein tüchtiges Fieber, eine starke Erkältung, aber sonst lag keine Gefahr vor.

– Aber Menschenskind, Sie sind ja noch in Ihren nassen Kleidern; machen Sie schnell, daß Sie nach Hause kommen. Ich lasse Ihnen gleich eine Droschke holen. Stecken Sie sich ins Bett, lassen Sie sich einen ordentlichen steifen Grog brauen und schwitzen Sie sich aus; sonst holen Sie sich schließlich noch was. Wenn es Sie interessiert, kommen Sie morgen mal vor, um nachzufragen; Doktor Ströbeck! –

Zähneklappernd fuhr er nach Hause. Sein Anzug war zum Teufel, ein noch ganz guter Anzug, den konnte er einfach wegwerfen, so roch er nach Spreewasser. Seine Uhr, das Andenken an den verstorbenen Vater, war auch weg, sein Geld ebenfalls, und nun hatte er sich entschieden gehörig erkältet. Unter der Bettdecke fror er wie ein Schneider. Seine Wirtin war nicht da, und mit dem steifen Grog war es nichts. –

Da lag er nun, zähneklappernd, am hellen Mittag im Bett, und keine Katze kümmerte sich um ihn.

Für einen Lebensretter eine angenehme Situation und ein überaus erhebendes Gefühl. Das war wirklich eine That, die sich lohnte, fremde Leute aus dem Wasser zu holen.

Nach zwei Stunden endlich kam Frau Schierke, und von da an ging es ihm besser; sie machte ihm Thee und Grog, und der schreckliche Hunger, der ihn quälte, konnte endlich gestillt werden.

So söhnte er sich mit seinem Rettungswerke allmählich wieder aus.

*

Am andern Tage, ging er aufs Polizeibureau, um den Versuch zu machen, ob er nicht wenigstens die Uhr wieder kriegen würde.

Der Wachtmeister lächelte ironisch.

Ja, wenn er die Sachen einfach so auf die Erde geworfen hatte, konnte er sich doch nicht wundern, wenn sich ein Liebhaber dafür fand.

Aber sie wollten mal sehen. Er mußte alles genau zu Protokoll geben, irgend welche Hoffnung konnte man ihm aber nicht machen. In der Menschenmenge, die da plötzlich zusammengeströmt war, ließe sich eine Spur nur schwer verfolgen.

Nicht sonderlich erbaut ging er von dannen. Nach dieser Erfahrung verspürte er keinerlei Lust, sich heute nach seinem Rettungswerke zu erkundigen. Er bedauerte fast seine Voreiligkeit. Aber schließlich hatte er einem Menschen das Leben gerettet; und wenn er dachte, wie all die hundert Leute sich blos neugierig zusammengedrängt hatten, aber keiner eine Hand gerührt, so kam er sich kolossal vor.

Allein ein unangenehmes Gefühl ward er nicht los, denn es blieb bei rechter Ueberlegung ein ziemlicher Unsinn, daß er, der königliche Assessor am Kammergericht und Leutnant der Reserve Willy Blankenburg, ohne auch nur einen Moment an seine gute alte Mutter oder sein Schwesterchen zu denken, sich kopfüber in den schmutzigen Landwehrkanal gestürzt hatte, um ein kleines Geschäftsmädel zu retten, das wahrscheinlich aus höchst triftigen Gründen keine Lust mehr am Leben fand.

Er hatte sich da in eine Privatangelegenheit gedrängt, die ihn im Grunde nichts anging und jemanden gehindert, etwas zu thun, was wahrscheinlich für den eine Art Notwendigkeit war.

Wenn das Mädchen sterben wollte, wie kam er dazu, es zu zwingen, wider Willen weiter zu leben? Es konnte schließlich jeder nach seinem Belieben über sich verfügen. Höchstwahrscheinlich hatte er ihr keinen Gefallen damit gethan; sich selbst hatte er einen guten Anzug zu Schanden gemacht, Uhr und Geld verloren und sich einen ganz netten Schnupfen zugezogen. –

Am Abend las er in der Zeitung: Gestern Nachmittag gegen zwei Uhr sprang ein junges Mädchen in selbstmörderischer Absicht von der Potsdamer Brücke in den Landwehrkanal, wurde jedoch mittels des Rettungsballes und mit Hilfe eines mit seinem Obstkahne in der Nähe vor Anker liegenden Schiffers gerettet und nach dem Krankenhause überführt.

Das war alles. Von ihm kein Wort. Es konnte ihm recht sein; aber eine gelinde Enttäuschung befiel ihn doch beim lesen.

*

Am folgenden Tage ging er beim Krankenhause vor, um sich nach der Patientin zu erkundigen.

Es ging ihr besser, und Fräulein Emilie Hasselfeldt ließ ihn bitten, doch übermorgen wiederzukommen, da sie ihm danken wollte; denn dem Zuspruche der Schwester Agathe war es gelungen, ihr die Selbstmordgedanken auszureden und ihr wieder ein wenig Lebensmut zu machen.

Das kalte Wasser der Spree und der Schreck, als sie hineingesprungen war, ließen sie vorläufig an eine Wiederholung nicht denken. –

Na also. Da kriegte er wenigstens von der seinen Dank.

Auch seine Kollegen hatten von der Geschichte gehört, daß er ein Mädchen gerettet hatte; und infolge seiner Anzeige bei der Polizei wegen seiner Uhr wurde gleichfalls nachgeforscht, und da er doch eine Staatsstelle inne hatte, bei der ein Orden nicht zu verachten war, verwandten sich seine Vorgesetzten für ihn, und eines Tages wurde ihm verraten, daß er für die Rettungsmedaille in Vorschlag gebracht sei und wohl mit Sicherheit darauf rechnen konnte.

Also endlich der Lohn für seine stolze That.

*

Nun hatte er bei Fräulein Emilie auch seinen Besuch gemacht. Noch stark erkältet lag sie auf einem Ruhebette, so daß er von ihr nur die hellblaue Bluse und das blaße Gesicht mit den großen Augen sehen konnte. Dunkeles wuscheliges Haar umschloß den nicht uninteressanten Kopf.

Sie wurde, als er hereinkam und sie ihm die Hand entgegenstreckte, blutrot und Thränen kamen ihr, so daß sie unter Schluchzen sich abwenden mußte.

Die Schwester stand neben ihr und streichelte ihr beruhigend die Wangen. Dann glitt sie lautlos aus dem Zimmer.

Die beiden waren nun allein, aber keiner von ihnen traute sich vor Verlegenheit ein vernünftiges Wort zu reden.

Er erkundigte sich, wie es ihr gehe, wie die Schwestern seien, was der Arzt gesagt habe und wie sie sich fühle. Stockend nur gab sie knappe Antwort.

Dabei sah sie ihn immer von der Seite scheu an, der selbst nicht wagte, ihr voll ins Gesicht zu blicken.

Sie dachte immer: Das also ist der Mann, der ohne Besinnen sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um sie zu retten, der gleich ihr den schrecklichen Sprung von der hohen Böschung in das eiskalte Wasser gewagt hatte, um sie dem Leben zu erhalten.

Ein Gefühl andächtiger Bewunderung und warmer Dankbarkeit quoll in ihr auf, aber sie traute sich nicht, auch nur ein Wort davon laut werden zu lassen.

Er fragte, ob sie Verwandte oder Bekannte in Berlin habe, – da ging sie endlich etwas aus sich heraus.

Das war es hauptsächlich gewesen, was sie getrieben hatte: weil sie so ganz allein stand und keinen Menschen hatte, dem sie sich ein wenig anschließen konnte; sie stand wirklich ganz verlassen in der Welt.

Da hatte sie noch den letzten Menschen verloren, an dem sie ein wenig hing, und die Vereinsamung hatte sie in den Tod getrieben, ein unwiderstehlicher Zwang, der sie nicht zur Besinnung kommen ließ.

Jetzt hatten die Schwestern versprochen, sich ihrer anzunehmen, aber schreckliche Angst hatte sie doch, was mit ihr werden sollte.

Er begütigte sie und sprach ihr freundlich zu, so daß sie dankbar nach seiner Hand griff.

Dann waren sie beide sehr verlegen, und erst die Schwester, die mit einem Tranke wiederkam, enthob sie der immer Peinlicher werdenden Situation.

Beim fortgehen mußte er ihr versprechen, daß er wiederkommen würde.

Er war doch recht bewegt, und den ganzen Tag mußte er an diese Szene denken, sah immer das blasse Gesicht und die großen, dunklen Augen, die ihn zuletzt unausgesetzt stumm fragend angeblickt hatten.

Er hatte sich vorher gar keine Vorstellung machen können, wie sie wohl aussehen mochte, und hatte sie sich ganz anders gedacht. Sie war eigentlich hübsch, ein ganz sympathisches Gesicht, nicht mehr ganz jung, so um die Mitte der Zwanzig; von der Figur hatte er keine Ahnung, ob sie groß oder klein war. Jedenfalls nicht mager, eine ganz hübsche Büste unter der blauen Bluse.

Er wollte an anderes denken, aber es war, als kette ein geheimnisvoller Zwang ihn an dieses blasse Mädchen, das er aus dem Wasser gezogen hatte und das nun infolge seines Eingreifens weiter leben mußte.

*

Er ging wieder zu ihr, und jetzt sprach sie schon viel freier, fast ein wenig keck mit ihm; ganz zutraulich wurde sie und auch er taute auf.

Noch immer sehr matt saß sie in einem bequemen Stuhle, eine Wolldecke über die Kniee gebreitet, obgleich sie wie die Schwester erzählte schon ganz munter im Zimmer herumging; aber mit leichter Koketterie erhob sie sich heute nicht, sondern blieb die ganze Zeit über in ihrem Stuhle sitzen, damit er sie noch als Kranke ansehen sollte.

Ihre Haare hatte sie sich nett frisiert, eine fesche Bluse und der blasse Teint stand reizvoll zu den dunklen Haaren.

Sie hatte auch eine große Neuigkeit zu berichten. Eine vornehme Dame, deren Schwester im Krankenhause lag, interessierte sich lebhaft für ihr Schicksal. Eine alte Baronesse, die allein stand und sie als Gesellschafterin zu sich nehmen wollte. Das wolle sie gern versuchen, und sie freute sich wie ein Kind auf die Stellung, denn dann war sie ja alle Sorgen los; als Gesellschafterin war sie gleich nicht mehr allein.

Was er meine, ob sie sich dazu eignen würde, und ob er ihr rate, diese Stellung anzunehmen. Er redete ihr natürlich zu; die Stellung war entschieden vom Schicksal extra für sie geschaffen.

Nun wurde sie sehr vergnügt, taute mächtig auf und entwickelte die schönsten Zukunftspläne. Alles sah sie im rosigen Lichte: sie würde viel reisen, – darum hatte sie die reichen Leute immer am meisten beneidet, – bekam sicher sehr fein zu essen und konnte sich nett kleiden.

Plötzlich wurde sie still, das Lächeln schwand ein wenig, und ganz leise, fast scheu, fragte sie:

– Werde ich Sie denn je wiedersehen? …

– Aber wenn Sie wollen, Fräulein Emilie, mit größtem Vergnügen!

– Ach, das ist lieb von Ihnen, deshalb hab ich schon ordentlich Sorge gehabt. Nicht einmal recht gedankt habe ich Ihnen, aber jetzt, wo das Leben wieder so lockend vor mir liegt, danke ich Ihnen, daß sie mich zurückgeholt haben, denn nun freue ich mich auf meine Zukunft. Nun müssen Sie aber auch ein wenig mein Freund bleiben, damit ich wen habe, an den ich denken kann. Wollen Sie das sein? …

Und mit einem kräftigen Handschlage besiegelten sie ihren Freundschaftsbund.

*

Sie war aus dem Krankenhause entlassen und hatte ihre neue Stellung angetreten.

In einem langen Briefe teilte sie ihm das mit, und in ihrer wie gestochen aussehenden Handschrift fing sie an ihm zu erzählen, was es neues in ihrem Leben gab; eine wundervolle Handschrift, so klar und sauber, die man ihr nie zugetraut hätte, aber es wimmelte in ihren Briefen von orthographischen und grammatikalischen Schnitzern.

Das Schreiben machte ihr offenbar Spaß, denn ein um den andern Tag erhielt er jetzt von ihr irgend eine Mitteilung, ohne daß er recht wußte, was er darauf antworten sollte, aber er freute sich über ihre Briefe; denn er dachte viel an sie. Merkwürdig, welch einen großen Raum dieses kleine Mädchen in seinem Leben einnahm. So viel hatte er sich nie mit seinem besten Freunde beschäftigt. –

Einmal sprach er sie flüchtig auf der Straße; dann schrieb sie ihm, daß sie am nächsten Donnerstag den ganzen Nachmittag frei habe: Ob er sie vielleicht sehen wolle? es würde sie riesig freuen, als freier Mensch mal aus der Großstadt herauszukommen.

Der Gedanke behagte ihm. Das ließ sich machen, dachte er; und so traf er sich mit ihr, und sie fuhren hinaus in den erwachenden Frühling.

Es war die alte, immer gleiche Geschichte: der Feiertagsdrang, einmal aus der Großstadt hinaus zu kommen ins Freie, das glückliche Vergessen all der beengenden Verhältnisse, die sie in dem großem Häusermeere hinter sich ließen. Ein Spaziergang am Wasser hin, ein Träumen im Grase, unter den sich neu begrünenden Bäumen, die Mattigkeit des Mädchens gegen Abend, die sich schwer auf seinen Arm stützte im Halbdämmer die Heimfahrt, im Coupé aneinander gelehnt als gehörten sie seit langer Zeit zusammen.

Ihnen beiden war dies Gefühl neu; und so dachten sie immerfort an diesen ersten Frühlingstag, mit einer Wehmut, die etwas sehnsüchtig berauschendes hatte.

Als sie, das nächste Mal in der Stadt, sich wieder trafen, nahm sie ohne weiteres seinen Arm; – es kannte sie ja niemand, und wie ein Liebespaar schlenderten sie durch die Straßen. Aber er hatte Angst, es könne ihn ein Kollege sehen und ihn hernach aufziehen oder ein Vorgesetzter, der es mißbilligen würde, daß er so am hellen Tage mit einem Mädchen am Arme spazieren ging.

*

Eines Tages überreichte ihm sein Kammergerichtsrat in Gegenwart seiner Kollegen mit einer feierlichen Ansprache die Rettungsmedaille am gelb-weißen Bande.

Die Sache kam ihm unerwartet. Er hatte kaum mehr daran gedacht. Aber freudig erregt war er, und es that ihm wohl, als einer seiner Kollegen laut sagte:

– Das ist die einzige Auszeichnung, auf die einer wirklich stolz sein kann, denn die muß man sich ehrlich verdienen. Ich würde mächtig stolz drauf sein. Wissen Sie, Blankenburg, darum könnte ich Sie beneiden. –

Ehe er zu Tisch und dann nach Hause ging, schrieb er in einer plötzlichen Aufwallung einen Rohrpostbrief an Emmy Hasselfeldt. –

Daheim, vor dem Spiegel, probierte er das Band, es machte sich sehr fein. Weckenstedt hatte recht, das konnte man mit Stolz tragen.

Er war in vergnügtester Stimmung und überlegte noch, was er zur Feier mit dem Abend anfangen sollte, als die Thür aufging und Emmy hereingestürzt kam, ganz aufgeregt:

– Ist es wahr, ist es wirklich wahr? Ach, bitte bitte zeigen, schnell, schnell! –

Nun hielt sie das Ding in der Hand und betrachtete es eingehend. Sie war blutrot dabei.

Dann mußte er es anstecken, sie stand vor ihm, lächelte ihn an, und plötzlich sagte sie:

– Eigentlich bin ich doch die erste Veranlassung dazu, nicht wahr?

Die Thränen standen ihr in den Augen und sie lehnte sich an ihn.

Da faßte er sie um und während sie den Kopf tief senkte und leise sagte:

– Ich danke ja dem Zufall so, daß … sah er sie ganz bewegt an und antwortete:

– Nein, ich habe zu danken.

Und dann küßte er sie, und sie lachte und weinte, und immer wieder fragte sie:

– Ist es denn wirklich wahr, du hast mich ein bischen lieb? – Ich bin ja so glücklich! – Mein Leben gehört dir. Du hast es dir gerettet, und nun kannst du damit machen, was du willst …

Erst wollten sie fortgehen, aber dann erklärte sie: Sie könne jetzt nicht unter Menschen gehen, das mochte sie nicht; und so beschlossen sie, daheim zu bleiben und, da sie sich Zeit genommen hatte, den Abend bei ihm feierlich zu begehen.

Erst gingen sie alles einholen. Seine Wirtin war nicht daheim. Sie kauften das allerfeinste, und dann schickte sie ihn, während sie den Tisch deckte, noch einmal fort. Das Schultheißbier ging doch nicht, und bald kam er zurück mit zwei dicken Flaschen unterm Arm. Er hatte Sekt gekauft.

Da kannte ihr Jubel keine Grenzen. Aus der Tasche holte er zwei Spitzgläser, nicht eben die feinsten, ein paar ganz derbe Sektgläser, die er in einem kleinen Glasgeschäft nebenan gekauft hatte.

Dafür küßte sie ihn halbtot, und sie ließen es sich gut schmecken; bald mußte die zweite Flasche daran glauben, und während sie ein wenig derangiert in der Sofaecke lag erklärte sie plötzlich: Eigentlich verspüre sie gar keine, aber auch nicht die allergeringste Lust zu ihrem alten Drachen zurückzukehren; das war zu dumm. Am liebsten wäre sie einfach dageblieben. Es war zu gemütlich bei ihm. Ach, und der Sekt schmeckte … den hatte sie lange nicht mehr gehabt.

– Prost, mein Junge, stoß mit mir an und hab mich lieb. –

Sie duldete nicht, daß er die Rettungsmedaille, die er im letzten Grunde ihr verdankte, wieder ablegte. Die mußte er nun immer tragen, auch als sie fortgingen, nachdem sie erst ein paar Glas Wasser getrunken, sich das heiße Gesicht lange gekühlt und die zerzauste Frisur einigermaßen in Ordnung gebracht hatte.

Die frische Nachtluft that ihr gut. Da kam sie wieder zu nüchterner Besinnung. Wenn sie nur heute keine Vorwürfe mehr bekam; davor hatte sie solche Angst, daß ihr am Ende die ganze Freude gestört werden könne. In der Stimmung konnte sie das nicht vertragen. Viel lieber wäre sie bei ihm geblieben, aber sie sah ein, daß das nicht gut ging; und so mußte sie wohl oder übel zurück in die Höhle des Drachens.

Vor dem Hause konnte sie sich gar nicht von ihm trennen. Immer wieder gingen sie auf und ab; schließlich, nach langem, zärtlichen Abschied verschwand sie im Hausflur. Er wartete, bis sie oben war und ihm mit der Lampe in der Hand vom Fenster zunickte, dann erst ging er heim.

Aber zuvor nahm er die Rettungsmedaille ab, mit der er auf der Straße hatte gehen müssen, und that sie in die Brieftasche.

*

Von nun an kam sie häufiger zu ihm. Immer mehr drängte sie sich in sein Leben, so daß er ihretwegen viele seiner alten Gewohnheiten aufgab und sich von ihr bestimmen ließ.

Sie jammerte über ihre Stellung; mit dem Reisen schien es nichts zu werden, und wenn sie einerseits auch ganz froh war, da sie sonst von ihm hätte fortmüssen, stimmte es sie doch traurig, denn das neue Leben war kaum zu ertragen. Die alte Dame war schrecklich nörgelig und manchmal ganz unleidlich, und sie war es in ihrem Leben nie gewohnt gewesen, jemanden aufs Wort zu gehorchen, vor allem nicht so dumm sich befehlen zu lassen.

Sie fing an, zu widersprechen, keck mitzureden, und war längst nicht mehr das unglückselige Geschöpf, das aus Not und Elend sich hatte retten lassen. Sie konnte mit der Baronin nicht auskommen, und brauchte sich ihrer Meinung nach eine solche Behandlung nicht gefallen zu lassen. Schließlich kam sie überall durch; so viel als sie brauche, behauptete sie, verdiene sie all lange.

Womit, war ihr wahrscheinlich ebenso unklar wie ihrem Freunde, da sie zu nichts Lust zeigte.

Damit er es nur wußte: Wenn das so weiter ging, warf sie eines Tages der Alten einfach die schöne Stellung, auf die sie sich so gefreut hatte, vor die Füße und ging ihrer Wege.

Und so kam es auch. –

*

Eines Tages, als er zum Abendessen heimkam und in sein Zimmer trat, saß sie auf dem Sofa, hatte den Tisch gedeckt und mit Hilfe der Wirtin allerhand gute Sachen eingekauft.

Ihr Koffer stand neben dem Ofen, und sie sprang ihm vergnügt in die Arme, in hellem Jubel, daß sie frei war.

Mit Frau Schierke hatte sie bereits alles abgemacht: sie konnte dableiben, bis sie was anderes gefunden hatte. Die hatte nichts dagegen, freute sich vielmehr der Gesellschaft und hatte ihr schon nach Kräften geholfen.

Er hatte zwar große und schwerwiegende Bedenken, aber dann war es ihm recht und die neue Situation hatte auch sein angenehmes. – Nach ein paar Tagen fragte er sie, ob sie sich auch nach einer Stellung umsehe. Na gewiß! – aber er konnte ihr nicht zumuten, gleich das erste, beste zu nehmen.

Das sah er ein …

Sie hatte ein kleines Hinterstübchen bei seiner Wirtin bezogen, und ihm wurde, ohne daß er gefragt war, die Rechnung für sie beide vorgelegt, eine Rechnung, auf der immer ganz ansehnliche Extraausgaben zu finden waren.

Eines Tages redete er ernstlich mit ihr. Das Bummeln sei zwar eine angenehme Beschäftigung, wofür auch er volles Verständnis habe, aber gar so üppig gehe es ihm denn doch nicht. Dann durften sie eben nicht so viel ausgehen, zumal sie alle Abend ins Theater oder in ein Restaurant wollte; sie langweilte sich zu Hause.

Darüber zankten sie sich zum ersten Male; bald immer häufiger – und eines Tages schrie sie ihn voller Wut ganz sinnlos an:

– Wenn du dich nicht um mich kümmern willst, so hättest du mich eben sein lassen sollen. Wozu hast du mich denn aus dem Wasser gezogen?

Er sah sie ganz erstarrt an und begriff nicht.

Und alle Augenblicke kam sie jetzt damit:

– Für mich wäre es das Beste, ich wäre damals ersoffen. Was habe ich denn nun von meinem Leben! Wer hat dich überhaupt gebeten, mich herauszuholen! Mir wäre tausendmal besser, ich läge unten in der Spree.

Immer wieder verlangte sie Geld. Dies hatte sie nötig und jenes, und er hatte ihretwegen schon beträchtliche Schulden machen müssen. Das hielt sie einfach für selbstverständlich: Ein anständiger Mensch machte eben Schulden!

Einmal war sie acht Tage lang in einem Handschuhgeschäft der Friedrichstraße. Es gefiel ihr ganz gut, denn die Herrenkundschaft war sehr nobel, und obwohl der Alte mächtig aufpaßte, gab es doch manchen Ulk, und die anderen Mädchen wußten viel interessantes von ihren kleinen Abenteuern zu erzählen.

Aber sie konnte das lange Stehen nicht vertragen und noch weniger die schlechte Luft im Laden; der Staub, der von der Straße hereindrang, nahm ihr den Atem, ihr wurde ganz schlecht und sie mußte es aufgeben.

Er hatte sie also wieder ganz auf dem Halse.

– Du brauchst es ja blos zu sagen, erwiderte sie ihm auf seine Vorhaltungen; wenn du mir kein Geld geben und nichts für mich thun kannst, muß ich eben auf die Straße gehen. Da kriege ich gleich was. Wenn du das willst, bitte …

Dann bekam er Angst, denn das wollte er nicht; ihre Worte thaten ihm weh, und aus Mitleid lief er wieder herum und borgte sich Geld zusammen.

Aller Augenblicke drohte sie ihm jetzt mit der Straße, wo das Geld offen lag; und wenn er ihr vorhielt: ein Mädchen, das denke wie sie, sei ein Frauenzimmer, zuckte sie die Achseln und meinte kalt, er zwinge sie ja dazu. – Ein neues Jackett mußte sie auch bald haben, und mit dem alten Hute konnte sie unmöglich länger gehen, das konnte kein Mensch verlangen. Er hätte sie ja nicht abzuhalten brauchen, als sie sich damals das Leben nehmen wollte.

– Herr Gott, so bring dich doch meinetwegen um! es hindert dich ja niemand daran! Ich werde der Letzte sein, der den kleinen Finger rührt.

– Du bist ja sehr liebenswürdig, das muß man sagen; aber den Gefallen thu ich dir grade nicht. Das wäre ja noch schöner! Das glaube ich, sollte dir so passen. Nee, mein Lieber, so dumm sind wir denn doch nicht!

Dann nahm er seinen Hut und lief davon, und ihn graute heimzukommen; er haßte sie, er hätte sie prügeln, hätte sie einfach umbringen mögen; eine ins Fleisch schneidende Fessel hing sie an ihm, und er wußte nicht, wie er sich von ihr frei machen sollte.

Wenn er dann nach langem umherirren wieder heimkam, war sie von bezaubernder Liebenswürdigkeit, als sei gar nichts gewesen, war lustig und schmeichelte mit ihm, wie eine verliebte Katze sich anschmiegend; und all die harten Worte, die er ihr hatte geben wollen, die er, durch die Straßen laufend, laut vor sich hingesagt, waren vor ihrem Lachen vergessen. Mit ihrer Liebessinnlichkeit umgarnte sie ihn, daß er alles vergaß und zu seinen Freunden lief, um für sie und sich Geld aufzutreiben.

Immer toller trieb sie es; – eines Tages war er überzeugt, daß sie ihn betrog. Er hatte sie getroffen, wie sie im vertraulichen Gespräche mit einem Fremden an der Straßenecke sich kokett in den Hüften wiegte.

Das sei ein Bekannter aus früherer Zeit, erklärte sie frech, der immer furchtbar nett zu ihr gewesen; sie glaubte sogar, daß er sie hoffnungslos geliebt und sie sicher geheiratet habe, wenn sie nur gewollt hätte.

Sie wußte schon, was sich paßte: sie konnte den Herrn nicht einfach stehen lassen, als er sie, den Hut bis zur Erde ziehend, ehrfurchtsvoll begrüßte. Sie hatte den Herrn auch sofort verabschiedet, als sie ihn kommen gesehen.

Im ersten Augenblicke hatte sie ihn vorstellen wollen, aber dann hatte sie gedacht: er werde sich wieder ärgern und ihr Gott weiß was für sinnlose Vorwürfe machen. Nun that es ihr leid, denn er hätte sich selbst überzeugen können, was für ein anständiger Mensch das war.

Er schwieg und glaubte ihr nicht; – und dann hatte sie mit einmal lauter billige Quellen für allerhand Gelegenheitskäufe, die ihm höchst verdächtig vorkamen. –

Eines Tages warnte ihn ein Kollege: er solle sich doch mit dem Mädchen ein wenig in Acht nehmen, es werde schon allerhand über ihn geredet. Er konnte sich zu leicht, wenn das so weiterging, seine Karriére verderben.

Täglich fast warf sie ihm in ihrer immer brutaler werdenden Art vor, daß er für sie zu sorgen habe; das sei seine Pflicht als anständiger Mensch. –

Langsam reifte endlich der Plan in ihm, sich freizumachen. Wenn sie nicht ging, – und sie war nicht zu bewegen, trotzdem er so häßlich als möglich sich gegen sie betrug, so wollte er seinerseits das Feld räumen.

Er mußte aus der gemeinschaftlichen Wohnung fort, wo sie ihm unausgesetzt auf dem Halse saß, so daß er zu keiner Arbeit mehr kam und sich in seinem Berufe schon die größten Unannehmlichkeiten zugezogen hatte.

Vorerst galt es diese Trennung durchzuführen. –

Beim ersten Worte, das er fallen ließ, war sie wie rasend geworden und drohte, sich aus dem Fenster zu stürzen.

Also wollte er hinter ihrem Rücken handeln.

Er fing an, seine Sachen zu ordnen, im Schreibtische alles zurechtzulegen, ohne daß es ihr auffiel, damit er in kürzester Frist packen und ausziehen konnte, Offen mit ihr zu brechen oder sie hinauszuweisen, dazu hatte er keinen Mut, denn er fürchtete sich vor jeder Szene mit ihr, wobei sie sich immer als das arme, schwache Weib und ihn als den rohen Patron hinstellte, der ein armes Mädchen verbrutalisierte. Bezahlt hatte er bereits für den Monat, er brauchte also nur die Kündigung zu hinterlassen, – und so wartete er auf den rechten Augenblick, um seinen Plan zur Ausführung zu bringen.

*

Frau Schierke war zur Geburtstagsfeier einer Freundin gegangen; Emmy wollte etwas besorgen und kam erst gegen sieben Uhr abends zurück. –

Als er nach Tisch heimkam, – er hatte mit Emmy im Pschorr gegessen, – holte er seine Koffer hervor und fing in Hast an zu packen; Wäsche und seine Anzüge warf er einfach in den Reisekorb, die Bücher in die beiden Handkoffer. Seit bald einer Stunde war er bei der Arbeit und nahezu fertig.

Er schloß gerade den Reisekorb, als er den Schlüssel draußen im Korridor knacken hörte.

Er lauschte atemlos. Seine Wirtin, die heimkam. Aber nun hörte er Röcke rauschen und rascheln, – hinten die Thür zu ihrem Zimmer ging.

Im Nu war er an seiner Thür, riegelte zu und stand lauschend. Sie war offenbar noch einmal zurückgekommen.

Emmy trällerte lustig vor sich hin. Sie ging in die Küche, er hörte das Klappern von Töpfen, dann kam sie zurück, vor sich hinsummend.

Er stand an der Thür, als sie an den Griff faßte; dann drückte sie fester, mit dem ganzen Körper dagegen.

– Nanu, was ist denn das? sagte sie laut zu sich selbst, und rackelte nervös am Schlosse.

– Willy! rief sie, Willy, so mach doch auf.

Dann stieß sie gegen einen Schirm, der polternd umfiel.

– So mach doch auf, Willy; was soll denn das? Er kämpfte krampfhaft mit einem Hustenreize.

– Willy, du hast wohl wen bei dir? … Auf der Stelle machst du auf, oder es giebt ein Unglück.

Er antwortete ihr nicht; und nun hörte er, wie sie in ihrem Zimmer verschwand aber gleich wieder kam.

– Machst du nicht sofort auf, dann passiert was!

Er überlegte: Er mußte ihr ja doch öffnen. Also schob er entschlossen den Riegel zurück.

Sie riß die Thür auf, und ihre Augen irrten suchend durch das Zimmer.

– Du bist allein? Ich dachte, du hättest wen bei dir.

Dann sah sie die Koffer stehen.

– Was sollen denn die Koffer? Willst du verreisen?

Er drehte sich um und sah sie fest an. Aber ihm wurde unheimlich zu Mute, als er ihr verzerrtes Gesicht sah und ihr jetzt antwortete:

– Ja, ich muß verreisen.

– Du mußt verreisen??

– Ja, mein Bruder ist krank.

– Dein Bruder soll krank sein? Und deshalb willst du mit einemmale fort? … Vor zwei Stunden wußtest du doch noch nichts davon! –

– Das ist ja gleich, ich muß eben abreisen.

– Das ist nicht wahr, – und ich sage dir: du wirst nicht reisen.

Sie stand vor ihm mit zusammengebissenen Zähnen:

– Du wirst nicht reisen.

– Willst du mich vielleicht daran hindern?

Er ging an den Tisch, nahm seinen Hut, denn jetzt war ihm alles gleich, und wollte an ihr vorbei.

Sie trat ihm in den Weg.

– Wo willst du hin?

– Eine Droschke holen, was geht's dich an!

– Was mich das angeht? Und ich – ich … was ist mit mir?

– Du bleibst eben hier, oder thust, was du magst.

– Du willst mich also einfach sitzen lassen?

– Was heißt das, sitzen lassen; du bist es doch, die einen hinaustreibt. Du giebst doch keinen Moment Ruhe und Frieden.

– Du hast dich also einfach drücken wollen, hinter meinem Rücken davonschleichen? Das sieht dir ähnlich!

– Wenn es mir ähnlich sieht, dann ist es ja gut, und es braucht dich nicht weiter zu überraschen.

– Ich lasse mir das aber nicht gefallen!

– Was willst du denn thun, liebes Kind? … Willst du dich vielleicht wieder umbringen? Geniere dich nicht!

– O nein, du wirst schon sehen. Ich rate dir im guten: versuch es nicht, hier aus dem Zimmer zu gehen.

– Mach' dich nicht lächerlich; du thust wahrhaftig, als hätte ich Gott weiß was für Verpflichtungen gegen dich

– Du hast vielleicht keine, was? …

– Nicht daß ich wüßte. Du hättest dir ja eine Beschäftigung suchen können, ich dächte, ich hätte wahrhaftig genug für dich gethan.

– Und jetzt soll das also aus sein?

– Ja, glaubst du denn, ich könnte dich mit deiner Faulheit bis an dein Lebensende durchfüttern? Thue was, dann brauchst du mich nicht mehr. Ich bin froh, wenn ich für mich selber sorgen kann.

Sie sah ihn jetzt wutentstellt, mit ganz bösen Augen an:

– Du gehst nicht aus dem Zimmer! Du bleibst hier!

– Sieh doch, wie du befehlen kannst!

– Du bleibst hier!! …

Er wollte sie von der Thür, wo sie die ganze Zeit gestanden hatte, bei Seite schieben, da hob sie die Hand – und er sah seinen Revolver, den er vorhin vergebens gesucht, und den sie ihm früher schon einmal fortgenommen hatte.

Er schlug ihren Arm zur Seite.

– Laß die dumme Komödie. Darauf fall ich nicht mehr hinein.

– Du bleibst hier! schrie sie.

– Nein! erwiderte er ruhig, und faßte nach der Thürklinke. …

Ein kurzer, scharfer Knall – dann ein zweiter – er taumelte zurück, – und sein letzter Blick traf ihr entsetztes Gesicht, wie sie Halt suchend mit den Händen hinter sich tastete.

Draußen ging die Thür.

– Frau Schierke! – Frau Schierke! –! –

Sie schrie es in ausbrechender Angst. Dann, von Entsetzen getrieben, rannte sie an der erschrockenen Wirtin vorbei, die Treppen hinunter, indeß das Hilfegeschrei der Frau Schierke die Hausbewohner zusammenrief. –

*

Zwei Tage später stand in den Zeitungen die schwarzgeränderte Anzeige »einer schmerzgebeugten Mutter, die den plötzlichen Tod ihres hoffnungsvollen Sohnes, Willy Blankenburg, Königlicher Assessor am Kammergericht, Leutnant der Reserve und Inhaber der Rettungsmedaille, tieftrauernd beklagte.«


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