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– Weshalb ich Wolf Güntersberg nicht geheiratet habe? – Diese glänzendste Partie, die sich mir jemals bieten würde? –
Sie bohrte mit der Spitze ihres hellen Sonnenschirms nervös in dem gelben Kies des Parkweges und lächelte schmerzlich. Dann hob sie die Schultern ein wenig, wie voller Bedauern, und ließ sie achtlos, fast verächtlich, wieder sinken.
– Eine geschiedene Frau! – nicht wahr, wie das häßlich klingt, – und ich habe mich erst scheiden lassen, als ich Wolf kannte, als ich glaubte, ich hätte nun mein Glück gefunden. Aber es war ein Irrtum; und an dem Tage, oder vielmehr dem Abend, als ich das erkannte, habe ich alle Hoffnungen aufgegeben und habe Wolf nicht geheiratet, einzig um meiner selber willen.
Sie schwieg und sah in die Menschen, die an der Bank vorbei jetzt dem Kurhause zustrebten, wo am Waldhange die Nachmittagsmusik zu spielen anfing. Die Leute sahen alle die schöne Frau an, die ich schon kannte, als sie noch am Theater, und damals die Freundin Bodo Wegelebens war, der sie später zur Frau Baronin gemacht hatte.
– Wolf Güntersberg kam in die traurigste Zeit meines Lebens, als ich mit Bodo schon ganz auseinander war. Ich gewann ihn lieb, und liebe ihn noch, wie am ersten Tage – aber heiraten werde ich ihn nicht, obwohl ich seinetwegen den letzten Schritt zur Scheidung unternommen habe; obgleich ich mir damals nichts sehnlicher wünschte, als seine Frau zu werden. Jetzt trage ich es lieber, daß mich alle Welt für seine Geliebte hält und mich verachten zu können glaubt, als von neuem eine Fessel auf mich zu nehmen, die ich nicht zu ertragen vermöchte. – Ich atmete ja auf, als ich des alten Zwanges endlich ledig war. Es war nicht zu ertragen, – und doch hatten wir uns aus Liebe geheiratet, aus unsinniger Liebe, von der ich glaubte, daß die Vergangenheit darüber vergessen, daß alles gesühnt sei durch diese tiefe Empfindung, die uns beide beherrschte. Ich hatte mir nichts schlechtes vorzuwerfen, aber wenn man an der Bühne ist, nicht wahr? … nun fing ich ein neues Leben an, und ich wurde eine ganz andere, bessere, von so guten Vorsätzen beseelt, daß alles gut werden mußte, – und es wurde doch alles so böse.
Wir waren unter fremde Menschen gegangen; in fremder Umgebung lebten wir schon ein ganzes Jahr. Da war ich eines Tages, in guter Laune, des trocknen Tons ein wenig satt; und ging einmal aus mir heraus; ich hatte der Philistergesellschaft gegenüber ein so keckes Ueberlegenheitsgefühl, ich fühlte mich so sicher in der Stellung, die ich mir errungen hatte, daß ich übermütig wurde. Das alte Theaterblut regte sich, ich spielte ein wenig Komödie und freute mich über die Verblüffung der langweiligen Gesellschaft.
Es war eine Réunion, wo nur die Spitzen des Kreises zu finden waren. Man machte mir wie toll den Hof, es wurde flott getanzt, und der Wein that sein übriges; ganz einwandsfrei betrug ich mich wohl nicht – und da gab es die erste Scene. Ich lachte Bodo mit seinen Bedenken aus – aber innerlich gab ich ihm recht, und kurz darauf kam uns das erste Gerücht zu Ohren: wie man an mir zu zweifeln anfing; woher ich eigentlich stamme, und was ich gewesen sein konnte?
Die Neugier verstummte bald wieder, aber Bodo hatte von da ab Angst. Ich gab mir alle Mühe, sie ihm auszureden, mit guten Worten und mit einem tadellosen Betragen, aber die Furcht blieb, – eine nervöse Unruhe, daß er sich nie mehr ohne Herzklopfen in eine Gesellschaft wagte, immer in Sorge: man könne uns die Thür weisen; und nachher, selbst wenn alles gut verlaufen war, ließ er seine Nervosität an mir aus. –
Eines Tages tauchte ein Herr aus Berlin bei uns auf. Da wurde es unerträglich mit ihm. Bodo traute sich kaum mehr aus dem Hause, keinen Schritt durfte ich auf die Straße gehen; schließlich konnten wir eine Einladung zu einem Feste nicht abschlagen – Bodo verlangte: ich solle im letzten Augenblicke wegen Krankheit absagen; aber ich erklärte: dann möge er zuhause bleiben, ich würde gehen. Mochte die Geschichte eben ein Ende finden, so oder so! –
Seine Angst war völlig unbegründet; der Fremdling sah mich zwar prüfend an, als ob er suche, wo er mich schon gesehen haben könne, – aber dann plauderte er arglos mit mir, während mein Mann, wie vom bösen Gewissen gepeinigt, auf der Lauer stand.
An jenem Abend war es nicht mit ihm auszuhalten. Auf dem Heimwege bekam ich die sinnlosesten Vorwürfe zu hören, – ich, die sich mit Händen und Füßen gegen diese Heirat gesträubt hatte, von der ich schon damals nicht absah, was ich damit gewinnen würde.
Er warf mir vor: ich hätte ihm seine Ruhe und seinen Frieden genommen, ich sei an all seinem Unglück schuld. Wie ein Rasender tobte er daheim, während ich still blieb und mich ohne ein Wort der Widerrede entkleidete. Sein Ton, dieser schneidig klingende Ton, der mir früher so gefallen hatte, verletzte mich, daß ich vor Schmerz hätte aufschreien können. – Aber dann, als er zu Ende war, als er mich mit einer Flut sinnlosester Schmähungen überschüttet hatte – plötzlich wurde er jämmerlich weich; da kam er bettelnd zu mir, da war ich in all der Not sein einziger Trost; da hatte er mich nötig, und er überschüttete mich mit Liebkosungen, die ich kalt über mich ergehen ließ. Nun war er wieder ganz das große Kind, das ich einst kennen gelernt, das um ein gutes Wort, einen freundlichen Blick bettelte; der arme Kerl von früher, der nichts wollte als mir zu Füßen liegen und mir sagen, wie lieb er mich hatte und wie er ohne meine Liebe nicht leben konnte.
Und in meiner Verzweiflung ließ ich ihn gewähren; ich hatte keinen Stolz mehr; ich nahm die Liebkosungen hin, wie ich seine Beschimpfungen ertragen hatte. –
Von nun an wurde es bei uns zur Regel: Erst seine Kränkungen, die ich bald erwidern lernte, so daß wir uns regelrecht zankten – dann lagen wir uns am Schluß zur Versöhnung in den Armen.
Aber eines Tages besann ich mich auf mich selbst, und ich blieb hart. – Da kannte seine Brutalität keine Grenzen. Gleich einem Mädchen, das ein Mann bezahlt hat, und das nicht willig auf alle seine Wünsche eingeht, behandelte er mich, daß ich Furcht vor ihm bekam. Aber diese Furcht war gemischt mit einem brennenden Hasse, einem Hasse, daß ich manchmal Lust verspürte, ihn umzubringen, um mich von diesem Peiniger zu befreien.
Und endlich stand mein Entschluß fest, ich mußte frei werden! – aber beim ersten Worte: daß ich mich scheiden lassen wollte, geriet er in Raserei. Nie würde er einwilligen. Nicht genug, daß ich ihn vor aller Welt bloßgestellt und seine ganze Zukunft vernichtet hatte, jetzt wollte ich ihn wohl ganz unmöglich machen. –
Aber allmählich kam ich immer wieder damit, und er antwortete wenigstens ruhig darauf. Allein er sträubte sich mit aller Kraft dagegen. Mit seiner Familie hatte er sich meinetwegen überworfen, und denen mochte er wohl den Triumph nicht gönnen, daß sie Recht behielten. –
Bei uns im Hause verkehrte ein Bekannter meines Mannes, der vom ersten Tage an mit einer stillen Verehrung sich als mein aufrichtig ergebener Freund erwies.
In der schweren Zeit war Wolf von rührender Sorge um mich. Ihm schüttete ich eines Tages ein wenig mein Herz aus; und von da ab stand er mir bei. Sofort bot er mir Unterkommen bei seiner Schwester an – das lehnte ich vorläufig ab. Ich wollte nicht fliehen; Bodo sollte mich freigeben, denn er trug die Schuld; aber welche Kämpfe kostete es, bis er endlich in die Scheidung willigte.
Ich mag an die Zeit nicht zurückdenken; all das war vergessen von dem Tage, da ich bei der Schwester meines Freundes ein neues, stilles Heim fand.
Ich atmete endlich auf, und das Leben erschien mir in einem so freundlichen Lichte, denn etwas kam hinzu: ich fühlte mich geliebt. Jetzt traute sich Wolf von der Zukunft zu sprechen, mit leisen Andeutungen nur, nachdem sein Benehmen seit Monaten keinen Zweifel gelassen hatte.
Aber ich blieb still und zurückhaltend. Die Scheidung mußte bald ausgesprochen werden.
Der Sommer kam, und mit seiner Schwester ging ich in einen kleinen Badeort Thüringens, wohin er nachkam.
Eines Tages mußte die Schwester auf kurze Zeit zu Verwandten – und wir blieben allein.
Ihre stete Gegenwart hatte doch auf uns gelastet; nun fühlten wir uns ganz frei.
Zwei herrliche Tage verbrachten wir; ein wundervoller Ausflug im Wagen durch sonnige Gebirgslandschaft. Am folgenden Morgen regnete es, und wir waren an das Zimmer gefesselt; aber den Nachmittag saßen wir plaudernd auf der Veranda, und sahen in die nassen Bäume, wie auf den Blättern der feine Regen zusammenlief, um in dicken Tropfen auf das Holzdach zu schlagen.
Die Dämmerung kam früh; eine nervöse Spannung herrschte zwischen uns, etwas erwartungsvolles, eine seltsame Bangigkeit.
Sie war von mir nur zu berechtigt, denn plötzlich verließ ihn all seine ruhige Besonnenheit: er hatte dieselben flackernden Augen, die ich kannte, dieses verhaltene Zittern in den Händen, die nach etwas zu greifen schienen.
Eine schreckliche Angst befiel mich. Er durfte mich nicht anrühren; ich fühlte: dann war alles aus. Wenn wir uns später heirateten, sollte nichts vorgefallen sein; nicht aus einem Verhältnisse heraus wollten wir uns vereinen. Ich wußte, wie das war. Diesmal sollte es anders sein. So leidenschaftlich ich ihn liebte, ich war zurückhaltend gewesen, wie das keuscheste Mädchen es nicht mehr sein konnte.
Und nun waren wir allein, ungestört; und ich sah, wie er nach mir verlangte, ich fühlte, wie schwach ich war; ich hatte Angst, fürchterliche Angst, und die gab mir die Kraft ihm zu wehren.
Er bat, er flehte, – dann ward er ungeduldig, und da … da hatte er das Gesicht wie mein Mann, ganz dasselbe Gesicht, derselbe wütende Aerger des Mannes, dem eine Frau sich weigert; und die Wut sprach aus ihm, und dann sagte er, was ich erwartete: ganz dasselbe, fast mit denselben Worten. Es lief auf das gleiche hinaus: ich solle mich nur nicht zieren und dumm thun, ich sei doch verheiratet gewesen – das sei beinah komisch wie ich ihn zum Narren halte; und endlich, als ich immer kälter wurde, in kaum verhaltener Wut die erste Andeutung: daß mein Leben vor meiner Heirat mir kaum die Berechtigung gebe, so die Prüde zu spielen. –
Da erstarrte mir das Blut, meine Hände, die ihn abwehrten, sanken herab; – trotz seines gekränkten Mannesstolzes, dieser Brutalität des Mannes, der sein Ziel nicht gleich erreicht, dem das Weib nicht auf den ersten gnädigen Wink blindlings gehorcht, sah er das – und er erschrak.
Und da lag er mir zu Füßen, wie umgewandelt, umklammerte meine Kniee und bettelte um Verzeihung. Ich durfte nicht auf ihn hören, er war ja sinnlos, ich mußte vergessen, was er gesagt hatte. Es sei ja alles nicht wahr, was er gethan, was er gesprochen hatte.
Ich aber kannte all diese Reden zur Genüge.
Das also war mein sentimentaler, fast ein wenig weichlicher Freund, der mich keusch anbetend verehrte, der zu mir emporsah wie zu etwas heiligem, unnahbaren.
Brutal und roh in seiner Gier begehrte er mich, und geriet in thörichte Wut, als ich mich nicht gleich wegwerfen wollte, – ganz wie der andere, dem ich eben erst entflohen war.
Da lag er nun weinend mir im Schoße, unglücklich wie ein Kind.
Ich aber war unglücklicher; nur daß ich keine Thränen finden konnte. Es war etwas in mir zerbrochen.
Ich suchte ihn zu beruhigen, aber er war so fassungslos, daß nichts mit ihm anzufangen war. In den wildesten Selbstanklagen erging er sich, und immer wiederholte er: Wie recht ich thue, wenn ich nichts mehr von ihm wissen wolle; und immer die Versicherung seiner Liebe und daß er ohne mich nicht leben könne. –
Und als er dann gehen wollte, gebrochen traurig und ganz verzweifelt, da war ich es, die ihn zurück hielt. Nun hatte ja alles keinen Sinn mehr. Es war alles gleich.
Unser Leben wäre noch schlimmer geworden als die Qual, der ich eben entronnen war. Alle meine Zukunftsträume vergingen da; und mir blieb nichts, als wenigstens den Augenblick festzuhalten.
Und so hielt ich ihn denn zurück.
Eben noch hatte ich mich mit allen Kräften gewehrt, – nun war ich es, die den Freund nicht lassen wollte. –
An jenem Abend ward ich, aber ohne jede innere Anteilnahme seine Geliebte, weil ich ihm nicht mehr sein konnte; hoffnungslos gab ich ihm, was er vorher so wild begehrt, weil er nicht besser war als irgend ein anderer Mann. Aber allen seinen Bemühungen nachher, daß ich ihn heiraten solle, habe ich in der Erinnerung an diese Stunde den Widerstand entgegengestellt, der mir zu unserer beider Glück notwendig schien.
Deshalb bin ich seine Geliebte geworden, – und lieber nehme ich die Verachtung aller Welt auf mich, als gesetzlich gefesselt die herrische Rohheit mein Leben lang erdulden zu müssen, mit der er mir an jenem Abend meine ganze Zukunft zerschlagen hat.