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Die Herbstsonne war schon ganz fahl. Ich war mit dem Gärtner dabei, die Rosen für den Winter einzubinden. Im Wege lagen Bündel Stroh und Haufen dunkler Wachholderbüsche, mit denen die Beete gedeckt werden sollten. Ich war eifrig bei meiner Arbeit, als von jenseits der Ligusterhecke eine lustig klingende Stimme mich aufsehen ließ.
– So fleißig noch im Garten? Morjen, morjen, darf man einen Augenblick zu Ihnen herein?
– Aber ich bitt schön, Professor, kommen Sie nur. Ruhig, Hektor was ist denn los?
Der Professor klinkte sich selbst die Gartenthür auf und kam, den grauen Hut schwenkend auf mich zu, stellte sich, die Hände in den Paletottaschen neben mich, staunte wie geschickt ich meine Strohseile knüpfte und plauderte vergnügt von Gott und der Welt.
Er war ein ganz anderer geworden, vergnügt und lebenslustig, seit er vor einem halben Jahre geheiratet hatte. All die Eigenheiten seines Junggesellentums, die er sich in seiner Einsamkeit angewöhnt hatte, waren wieder abgestreift. Er kleidete sich jugendlicher, sein Gang war elastisch und sein altes Lachen klang wieder ganz hell, wie es sich für einen Mann, der erst an der Schwelle der Vierzig stand, ziemte.
Er nahm den Hut ab und fuhr sich mit der schlanken Hand über das kurzgeschorene, leicht ergraute Haar. Mir kam er stattlicher als je vor, und der Zug von Güte, der in seinem ganzen Wesen lag, paarte sich mit männlicher Energie.
Ich sagte ihm, während ich an meinen Strohmännern bastelte, wie vortrefflich er aussähe. Ganz geschmeichelt lächelte er vor sich hin; freilich, er hatte es gut, sein Leben hatte wieder Inhalt und Zweck bekommen, seit er geheiratet hatte, seit Ida Grauhof ihm ein so behagliches Heim bereitete. Und ein breites, sonniges Lachen verschönte seine etwas harten Züge.
– Davon kann man ja vorher keine Ahnung haben, wie ganz anders das Leben einen ansieht, wenn man nicht mehr alleine zwischen seinen kahlen vier Wänden sitzt, sondern im behaglich warmen Neste eine liebe Frau schaltet und waltet.
Und nun sang er ein Loblied auf seine Ida, so herzlich aufrichtig, so voll inniger Liebe, daß mir kalt und warm wurde.
Dabei kam er natürlich auf seinen Freund Gerhard zu sprechen: was das für ein prächtiger, treuer Mensch war, und wie nett doch diese Kameradschaft zwischen ihm und Ida sei, die schon von Kindheit her bestand. Ein wirklich männlicher Charakter war das, nicht solch ein moderner Windbeutel, sondern ernst in seiner Arbeit, sicher und fest in allen Anschauungen, und prächtig ließ sich mit ihm plaudern.
Es gab nichts gemütlicheres als die Abende, wenn Gerhard zu ihnen kam; wenn sie dann zu dreien um den Tisch saßen, Ida mit einer Handarbeit, meist ziemlich still, nur daß sie ab und zu aufblickte und eine ihrer guten Bemerkungen in die Unterhaltung warf.
Ja, er hatte es ausgezeichnet getroffen: ein gutes Weib und einen lieben Freund dazu, – denn Gerhard war sein Freund geworden, er liebte ihn wie seinen Bruder, wie er sich vorstellte, daß er einen Bruder geliebt hätte, wenn er nicht immer allein in der Welt gewesen wäre.
Das Alleinsein hatte nun aufgehört, er hatte sein Glück gefunden, ein Glück, das für alle Zeiten fest stand.
Ich vermochte ihm kein Wort zu entgegnen, und doch hätte ich ihm gern zugerufen: höre auf mit deinen Lobpreisungen, denn du thust mir weh. Du weißt ja nicht, was ich weiß.
Aber ohne sich zu unterbrechen, schüttete er sein übervolles Herz aus.
Und dabei mußte ich immer an den Abend zuvor denken, als ich die beiden, Gerhard und Ida in der Dämmerung getroffen hatte, bei einem Spaziergange draußen, wo im Felde vereinzelt die Neubauten der Villen sich erhoben, – wie die beiden dort Arm in Arm sich aneinander schmiegten, alle Augenblicke stehen blieben, um sich zu küssen und lachend weiter in die Nacht gingen. –
Und jener andere Abend aus alter Zeit kam mir ins Gedächtnis, als Gerhard aufgeregt in später Stunde zu mir gestürzt kam, um mich anzuflehen, ich möchte doch am andern Morgen gleich bei Idas Eltern vorsprechen, um mich unauffällig nach ihr zu erkundigen, denn an jenem Tage hatte er sie von seiner Thür gewiesen, um sich von ihr frei zu machen.
Aus ihrer Jugendfreundschaft und der kameradschaftlichen Vertraulichkeit heraus hatte sich ein ernsthaftes Verhältnis entwickelt, bei dem sie sicher glaubte, daß Gerhard sie nach allem was vorgefallen heiraten würde; aber er dachte gar nicht daran, diese Konsequenz aus seiner Handlungsweise zu ziehen.
Er hatte selbst kein Vermögen, wie konnte er daran denken, ein armes Mädchen zu heiraten. Das war Blödsinn. Und dann besaß er ja bereits, was unter anderen Umständen eine Heirat ihm erst gewährt hätte.
Gewiß, er hatte sie geliebt; aber wie alles gekommen war, daran trug sie den größeren Teil der Schuld. Aus freien Stücken, weil es sie reizte ein wenig auf verbotenen Wegen zu wandeln, war sie in seine Junggesellenklause gekommen. Sie kam in aller Kameradschaftlichkeit immer wieder, und sie spielten beide so lange mit dem Feuer, bis es zu spät war.
Trotzdem dachte er nicht im entferntesten daran, sie zu heiraten. Sie mußte wissen, was sie that; sie hatten frei genug über alle Dinge des Lebens gesprochen, und er hatte ihr gegenüber keinerlei Verführungskünste angewandt. Er war es gewesen, der gezaudert und gezögert hatte, während ihr Temperament ihn mit fortgerissen hatte.
Wie? er sollte mit einem langen, von Sorge und quälender Arbeit erfüllten Leben die paar Augenblicke flüchtigen Genusses bezahlen, die er ebensogut ihr, wie sich selbst verschafft hatte? – Das fiel ihm nicht ein, es wäre zu blödsinnig gewesen. Er hatte andere Mädels genug; und für ihn war es kein Geschenk, das ihm der Himmel bescherte. Nee, so dumm war er nicht, sie deshalb gleich zu heiraten! …
Wochenlang quälten und zankten sie sich herum, bis sie eines Tages erklärte: sie lasse nicht von ihm, sie gehe nicht mehr zurück ins Haus ihrer Eltern; eher nähme sie sich das Leben.
Er redete ihr gut zu, er suchte sie zu überzeugen, wie thöricht und sinnlos das war; aber sie hörte nicht auf ihn. Sie saß einfach im Zimmer und wollte nicht fort. Da hatte er sie, die mit aller Kraft sich wehrte, fortgezerrt, mit Gewalt drängte er sie hinaus, und dann hatte er hinter ihr die Thüre zugesperrt, gegen die sie mit ihren schwachen Fäusten wie toll wütete.
Endlich mußte sie doch wohl gegangen sein; und ganz aufgeregt kam er zu mir, in Heidenangst, daß sie irgend eine Dummheit begehen würde.
Da sollte ich nun raten und helfen. Er quälte mich: ich solle gleich zu ihr hingehen. Aber dazu verspürte ich nicht die geringste Lust. Außerdem gönnte ich ihm von Herzen, daß er die Nacht in der Angst der Ungewißheit verbrachte.
Ich sagte ihm offen, was für eine Meinung ich von ihm und seiner Handlungsweise hatte; aber das empfand er in seiner Aufregung garnicht. Da mich die Geschichte indeß interessierte, ging ich am anderen Morgen, um mich nach ihr umzusehen. Ganz so schlimm war es nicht, als er gefürchtet hatte. Sie befand sich nicht gut, und ich bekam sie nicht zu Gesicht.
Als ich zu ihm kam, um ihm Bescheid zu bringen, hatte er bereits einen jammervollen Brief von ihr erhalten; allein er gab ihr keine Antwort. Er war ihrer überdrüssig geworden; und als sie einsah, daß er völlig für sie verloren war, ergab sie sich gebrochen in ihr Schicksal; und sie standen kühl und fremd zu einander. –
Eines schönen Tages erzählte er mir, wie der Professor Halberstadt zu ihr ins Haus komme und sich lebhaft für sie interessiere. Sie mußte wohl jede Hoffnung in bezug auf Gerhard aufgegeben haben, denn eines Tages verlobte sie sich mit dem Professor.
Von da an war Gerhard wieder sehr nett zu ihr, und äußerlich schien zwischen ihnen die alte Freundschaft hergestellt zu sein.
Dann heiratete sie. Wir waren beide auf der Hochzeit. Gerhard war gereizt nervös, und dieser Zustand dauerte noch einige Zeit an.
Ida hatte sich tadellos gehalten, und es schien als sei alles frühere vergessen, so jungfräulich bräutlich schritt sie zum Altar. –
Als sie von der Hochzeitsreise zurückgekommen war, erschien Gerhard eines Tages bei mir, furchtbar vergnügt. Er konnte sich vor Uebermut kaum lassen; aber trotzdem ich ihn für verrückt erklärte und ihn drängte, zu erzählen, – es war nichts aus ihm heraus zu bringen. Er fand blos alles furchtbar ulkig und verriet, daß Ida ihm was sehr drolliges erzählt haben mußte. Die Männer seien zu dumm, meinte er, die merkten nie was, wenn sie verliebt waren. –
Da stand jetzt der gute Professor vor mir, schwärmte von seiner Frau und pries den treuen Freund: und er hatte gar keine Ahnung, wie die beiden zu einander standen. Er dachte sich nichts, wenn sie daheim zusammen aus einem Buche lasen, und wenn Gerhard die junge Frau bei all ihren Besorgungen begleitete. Er war ihnen niemals begegnet wie ich neulich Abend. Harmlos vertrauend, strahlend vor Stolz erzählte er von seinem Glücke.
Ich war im Begriff ihm zuzurufen:
– Aber das ist ja alles Unsinn! die beiden betrügen dich aufs schmählichste; sie verdienen nicht, daß du auch nur den kleinsten guten Gedanken für sie hegst!
Doch wozu sollte ich ihm seinen blinden Glauben nehmen, und die beiden andern mit unglücklich machen.
Wie konnte auch ein Mann einem andern gegenüber seine Frau und den Freund so loben?
Er aber stand da, mit sorglos behaglichem Lächeln, sah mir zu, wie ich schweigend meine Rosen aufband; und immer neue gute Seiten entdeckte er an den beiden, und redete und redete von seinem vermeintlichen Glücke, um das sie ihn täglich hinter seinem Rücken bestahlen. –