Johann Ludwig Tieck
Der wiederkehrende griechische Kaiser
Johann Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

In Gent war in wenigen Tagen Alles beruhigt. Balduin gab den Zünften alte Freiheiten und Vorrechte wieder, die sie schon vor vielen Jahren in den Zeiten der Unruhen eingebüßt hatten. Sie durften ihre Vorsteher selber wählen, die zugleich Mitglieder des kleinern Rathes wurden: fünf, die diese Räthe selber ernannten, waren dann auch im höhern Rath der Edeln zugegen, wenn es Sachen zu entscheiden galt, die die Bürger betrafen. Als dem Fürsten Balduin gehuldigt wurde, war die Stadt in der freudigsten Bewegung, der alte Fürst konnte sich nirgend der Verehrung und der Liebe seiner Unterthanen entziehn, die sich heftig und schwärmerisch äußerte. In einigen Tagen war es nicht möglich, die Bürgerschaft aus diesem Taumel zu wecken, und wo man den Kaiser nur erblickte, entstand ein Auflauf, Jeder wollte im Gedränge seine Hände küssen, wenigstens sein Kleid berühren, und dem gemeinen Volke war Balduin wie eine wundervolle Erscheinung, die den großen Helden und Heiligen zugleich darstellte. Man erzählte sich die seltsamsten Dinge von seinen großen Thaten in Griechenland, von seiner wundervollen Rettung, seinen Reisen, ja selbst von seinem Eremitenleben, und keine so ausschweifende Legende von seiner Buße, seiner Heilkraft, seinen Visionen konnte ersonnen werden, die das Volk nicht beschworen hätte. Auch die Geistlichkeit war erfreut, den großen Mann, von dem sie mehr Schutz und Hülfe erwartete, wieder als Herrn des Landes zu sehen, sie drang heftig auf die Abstellung vieler Mißbräuche, die sich eingeschlichen, auf viele Vorrechte und Besitzungen, die ihr von den Regenten, ja schon früher von Balduin selbst waren entzogen worden. Hier widersprach aber schon der Adel, mit dessen Vortheil sich diese Wiederherstellungen nicht einigen ließen, und Balduin sah bald, wie schwierig es sei, die Zufriedenheit Aller zu erhalten, da Jeder bei diesem sonderbaren Umschwung der Dinge mit den ungemessensten Erwartungen zu ihm kam und selbst das Unmögliche für leicht auszuführen hielt. Er betrug sich aber so würdig und weise, daß Jedermann, in seiner Verehrung bestärkt, von ihm ging, und selbst Diejenigen, die Ursach hatten, unzufrieden zu seyn, ihre Bewunderung laut aussprachen.

Conrad war ernster und tiefsinniger noch, als man ihn sonst schon kannte. Sein Verdruß war groß, daß Johanna, auf eine ihm unbegreifliche Weise, hatte entfliehen können. Er war viel bei seinem kranken Sohne, den man sogleich, nachdem die Ruhe hergestellt und der Brand gelöscht war, in das Schloß eingelegt hatte. Dessen Wunden waren bedeutend, und die Aerzte konnten und wollten keine bestimmte Versicherung seiner Genesung geben. O Geliebtester, sagte der Vater mit Thränen zu ihm, wie muß mich denn dieses harte Schicksal so unvermuthet treffen? Warum konntest Du Deinem Zorn nicht gebieten, daß Du die Wuth dieses rohen Humberkurt erregtest? Sollte denn Alles, Alles, was ich wünschte und sann, nun für Dich und mich verloren seyn? Alle im Lande sollten gewinnen, nur ich allein müßte so schmerzlich Alles einbüßen? Was kann mir Deinen Verlust ersetzen, wenn der Himmel ihn beschlossen hätte?

Das Gefühl, antwortete der kranke Sohn, Recht gethan zu haben, der große Gedanke, daß es Euch gelungen ist, auf so denkwürdige und kluge Weise dem Lande seinen rechtmäßigen Fürsten wiedergegeben zu haben. Die nähere Möglichkeit, die Unterthanen zu beglücken, die gekränkte Geistlichkeit wieder in ihre Rechte herzustellen, den Aebten wiederzugeben, was ihnen entzogen wurde, das Volk wieder zu Ehren zu bringen und den Adel, der so oft geschmäht wurde, von neuem mit seinem alten Glanze zu bekleiden. Und dazu ist Euch die Würde des Stellvertreters des Regenten, des Kanzlers vom Herrn übertragen worden.

Du hättest sehr Recht, antwortete der Vater, wenn die Menschen nur einigermaßen so wären, wie sie seyn sollten. Aber schon vergißt Jeder das allgemeine Wohl, und kaum von der Noth erlöst, die sie Alle bedrückte, denkt Jeder mit übereiltem Eigennutz nur an sich selbst und seine kleinen Vortheile. Es ist wahr, die Geistlichkeit hat uns sehr geholfen, das Volk zu stimmen und diese Entwicklung herbeizuführen; aber dafür verlangt sie nun auch so viel, und so ohne alle Rücksicht, als wenn es nur Priester und Mönche in der Welt geben sollte. Sie werden, wenn sie sich nicht mäßigen können, den Adel und auch den Bürgerstand neuerdings gegen sich empören, denn jedes Recht, sei es wohlbegründet, wenn es sich unbedingt ausbreiten und mit allen seinen nur möglichen Folgerungen herrschen will, wird zur Tyrannei. Der Bürger ist trunken, wild, ihm ist das Tolle, Seltsame willkommen, und er verlangt, daß das Schicksal Becher auf Becher noch seinem wahnsinnigen Rausche nachgießen soll. Erwacht das Volk nun, wie es doch geschehn muß, da nicht immer von neuem die wunderlichen Begebenheiten und Entdeckungen eintreten können, so wird seine Nüchternheit um so widerwärtiger seyn: und wo dann den nächsten Rausch finden, wenn nicht in Kampf und Zorn gegen uns, die es jetzt anbetet? Der Adel meint wieder, er kann nur gedeihen, wenn die anderen Stände gekränkt werden, und so liegt mir und dem Kaiser Sorge und Noth nahe genug. Und Balduin selbst, der Alles in eigner Person sehen, schlichten und abthun will, der seiner Einsicht wie Tapferkeit unbedingt vertraut, – wird er immer dankbar bleiben? Zwar bin ich ihm jetzt der Nächste, er hat mir feierlich für Dich seine Tochter versprochen und so wirst Du, wenn Gott Dich erhält, in Zukunft einst der Fürst dieses Landes. Aber, wenn Du nun dahingehst – auch, wenn Du mir bleibst und Alles sich zum Guten kehrt, wird Balduin niemals auf meine Verleumder hören? Werden die Menschen, denen ich verhaßt bin, nicht in Zukunft Einfluß auf ihn gewinnen? Und wenn uns nur Johanna nicht entrissen wäre! So lange der schändliche Hugo diese mit sich führt, so lange wird er auch noch Anhang im Lande finden. Wäre sie gefunden, so könnte sich Alles, so krank Du bist, sicherer und freudiger beschließen.

Man muß nicht gar zu viel denken und sorgen, sagte der erschöpfte Wachsmuth, Ihr müßt dem Glück und Zufall auch Etwas überlassen; und haben sie doch schon so viel für Euch gethan. Wenn ich Johanna noch einmal hätte sehen können, ich glaube, ich wäre ruhiger gestorben. Meine früheren Wünsche stehen jetzt freilich blaß wie Nebel in weiter Ferne von mir weg. Wo mag sie aber seyn? Keiner hat von ihr gehört und Keiner sie gesehn.

Der Vater verließ den Kranken mit schweren Seufzern und fand Balduin sehr verstimmt darüber, daß man die Tochter hatte entfliehen lassen. Die Dienerschaft wurde verhört, aber keiner wußte etwas Bestimmtes zu sagen: wer ist die kleine, mißgestalte Figur dort? fragte endlich der Kaiser im Unwillen.

O Majestät! schrie Ingeram und kroch herbei, um den Mantel zu küssen: so ganz bin ich von meinem gnädigsten Fürsten vergessen worden? O welches Unglück, daß sich mein Beschützer, Ernährer, Wohlthäter, der mich so gütig hat erziehen und unterrichten lassen, meiner nicht mehr erinnern kann und will!

Jetzt kenne ich Dich, sagte der Kaiser mit huldreicher Miene: komm hervor, armer Mann, und sage uns, was Du von meiner Tochter wissen kannst. – Dein Name? Er ist mir entfallen, denn wir haben uns lange nicht gesehen.

Ingeram, antwortete Jener: ach! als Ihr noch Spaß und Lustigkeit brauchen konntet, damals, in Eurer frohen Jugend, ehe Ihr Euch noch mit Kaisertümern und Wallachen und Mamelucken abgabet und in den sauern Reichsapfel bißt, damals habe ich Euch manche vergnügte Stunde verkürzt und gemacht, und Ihr ließet Euch oft herab, über und mit Euerm niedrigsten Diener zu lachen.

Die Zeiten, lieber, guter Narr, mögen auch vielleicht noch wiederkommen, denn auch das Alter ist gern froh.

Hätte ich nur Gelegenheit gehabt, antwortete Ingeram, Eurer Majestät einen neuen jungen Narren zuzuziehen und abzurichten, der mir dann in meinen überreifen, baufälligen Jahren mein mühseliges Geschäft hätte erleichtern können. Aber wir haben seit langer Zeit immer so scharfe Nord-Ostwinde gehabt, daß die feine Narrheit in der zarten Blüthe jedesmal, selbst um Pfingsten noch, erfroren ist, und so werdet Ihr Wunder sehen, wie Euer Reich hier ein so ganz anderes geworden ist, als Ihr es verlassen habt; nichts als Tugend, meine hohe Majestät, Weisheit und Vernunft, so weit Eure huldreichen Blicke nur reichen. Da findet Ihr doch nirgend etwa thörichten Eigennutz oder Dünkel, Habsucht, Unvernunft, Altklugheit, Aberwitz, Aberglaube, oder Hochmuth und Betrug, – seht, majestätischer Herr, Ihr müßt Euch dermalen nun schon ohne alle diese leichten und anmuthigen Zerstreuungen behelfen lernen, wenn Ihr nicht aus Griechenland etwa solche Kunden mitgebracht habt; doch da Ihr lange Eremit wart und mit Euch selber nur umgegangen seid, so habt Ihr auch aus der Fremde nichts eingeführt, und die Moralität wird so überhand nehmen, daß neben diesem Unkraut kein anderes Wurzel fassen kann.

Jetzt genug, erwiederte der Kaiser, verspare die Thorheit auf eine andre Stunde, denn Jedes findet seine Zeit. Kannst Du mir aber Nachricht von meiner Tochter geben, so sei einer Belohnung gewiß.

Pamphilus, der Koch, rief: Kaiserlicher Herr, der tückische Bursche weiß gewiß etwas von ihr, denn er war immer am meisten um die Prinzessin; aber er wird gewiß nichts aussagen, wenn man ihm nicht die Daumenschrauben anlegt.

Gnädiger Herr, rief Ingeram, ich bin das unschuldigste Blut, das nur je eine Narrenkappe getragen hat. Ich habe daran Leiden genug, ein Narr zu seyn, und brauche nicht auch noch schlecht zu werden. Wollt Ihr aber gar aus dem Narren einen Märtyrer machen, so bringt Ihr Euch nur selbst ohne Noth in schlechten Ruf. Viele Diener können mir bezeugen, daß, als der große Lärmen Eures glorreichen Einzuges hier losging, ich schon in halb entkleidetem Zustande aus meinem Bette kam, ich suchte Ruhe und Erholung vom Schreck, und allenthalben sprang mir Unruhe, Lebensgefahr und Drangsal entgegen und lief mir in die Arme. Drüben auf der andern Seite des Schlosses fing es gar an zu brennen, was man kaum hat löschen können, und doch liegt nun jener Theil der Burg in Asche. Da habe ich mit den Andern allenthalben in Angst und Noth die Prinzessin gesucht und nirgend gefunden. Verbrannt wird sie hoffentlich nicht seyn, denn in dem Falle hätte man doch wohl ihre holden Ueberreste angetroffen. Es ist etwas Dauerndes, Unvergängliches in uns, Majestät, was die Schlächterzunft Knochen nennt, und das widersteht selbst einem gelinden Feuer.

Führt den Schwätzer fort! rief Balduin.

Aber Ingeram ließ sich nicht so leicht irre machen, sondern fuhr fort: und Pamphilus, mein gnädigster Herr, dieser dicke, aufgelaufene Feueranbeter, hat gar kein Recht, irgend von mir Böses zu reden, denn er selber hat eine schlimme Sache auf dem Kerbholz. Gestern, vor Euerm Regierungsantritt, hat der Wurstmenger mich, den allerunnützesten Menschen, der gewiß Keinem im Wege steht, aus dem Wege räumen wollen, durch ein gewisses feines Pulver, das man im bürgerlichen Leben Ratzengift heißt. Hauptsächlich war es auf einen intimen Freund von mir, den jungen Ferdinand, abgesehen, den Eure Majestät auch hat erziehen lassen, damit er Euch in Zukunft Ehre und Spaß hätte machen können.

Lauter Lügen! rief Pamphilus; ich erbot mich, von dem Gerichte selbst zu essen, wenn es mir ein ungeschickter Küchenjunge nicht aus der Hand gestoßen hätte.

Das Schlimme ist nur, sagte Ingeram ganz ruhig, daß ein sichrer Hund, der größte und übrigens verständigste im ganzen Schloß, der noch obenein beim Streit und ganzen Zank zugegen gewesen und Alles selbst mit angehört hatte, sich aus Gier beikommen ließ (wie die Leidenschaften denn immer verblenden), das so verschüttete Fleischgericht zu verzehren, und auch bald nachher, mit Erlaubniß zu sagen, seinen Geist aufgegeben hat, oder schlechthin krepirt ist. Und daß der Regent Hugo, oder wenigstens dessen Sohn Humberkurt, oder zum allerwenigsten dessen Schildknappe Dietrich mit im Spiele ist, kann ich beschwören, denn von diesem Dietrich hat Pamphilus das Pulver erhalten. Das habe ich mit meinen eignen Augen gesehen.

Die letzte Nachricht war dem Kaiser wichtig genug, um sich näher nach dem Zusammenhange zu erkundigen. Der Knappe Dietrich fand sich unter den Schwerverwundeten, die in der Stadt hatten zurückbleiben müssen. Als Conrad ihn in das Verhör nahm, erfuhr er von ihm, daß Humberkurt auf den jungen Ferdinand schon lange einen Haß geworfen habe, weil er, nach seiner Meinung, mit der Fürstin Johanna zu vertraut und ihr zu dienstfertig gewesen sei. Als Conrad ihm sein Leben und Verzeihung zusicherte, bekannte er, daß der junge Humberkurt ihm allerdings Gift gegeben, um durch dieses den Diener der Fürstin, jenen Ferdinand, der sich im Kriege ausgezeichnet habe, zu tödten.

Diese Aussage ließen Balduin und Conrad öffentlich bekannt machen, damit Hugo und dessen Sohn und Anhang noch verhaßter werden möchten. Wo mag aber dieser Ferdinand geblieben seyn? sagte Graf Conrad alsdann; so sehr wir nach ihm geforscht haben, so wenig will sich irgendwo eine Spur von ihm zeigen. Niemand weiß auch, woher er stammt, wer seine Verwandte sind und ob sie irgendwo leben.

Ingeram, der ebenfalls hinzugekommen war, sagte: Das ist der größte Jammer, daß der junge Mensch fortgelaufen ist und doch wohl den Aufrührern und dem Zuge des Grafen Hugo sich angeschlossen hat, obgleich sie ihn haben so unbescheiden fortschaffen wollen. Das arme junge Blut war immer so unglücklich, weinte wie oft, daß er von seinen Eltern so gar nichts wußte. Die kaiserliche Majestät, so sagten Viele, hat ihn selbst hieher gebracht und in der Kindheit ernähren und versorgen lassen. Aber der edle Balduin hat damals keinem Menschen vertraut, zu welchem Thiergeschlecht oder Wappen, oder zu welcher Zunft das unmündige Knäblein gehörte! »Ach! wenn der große Balduin nur noch lebte!« das war täglich und stündlich seine Litanei: »so könnt' ich doch wohl noch Ritter werden!« Nun thut er im Kriege gegen seinen eigenen Landesherrn Dienste, ficht für Die, die ihn umbringen wollen, und – statt sich seinem erlauchten Beschützer zu Füßen zu werfen, von ihm zu hören, wer er eigentlich ist – rennt er davon und gesellt sich zu den Feinden seines allerhöchsten Wohlthäters. Die Leute wollen immer sagen, der Mensch sei mit Vernunft begabt, diese Sache ist aber offenbar mehr als einfältig.

Ich kann mich des Knaben nicht mehr genau erinnern, sagte Balduin; doch weiß ich, daß ich im empörten Hennegau damals mich verschiedener Kinder erbarmte, deren Eltern bei dem Untergang einiger Städte umgekommen waren. Der Jüngling wird eines von diesen seyn. Ich habe immer für meine Wohlthaten ebenso wenig Gedächtniß, wie für die Beleidigungen meiner Feinde gehabt. –

Bei der feierlichen Huldigung erhielt der Abt Ildefons für sein Kloster alle Freiheiten und Güter wieder, die ihm waren entzogen worden. Conrad ward mit einer großen, reichen Herrschaft belehnt, der braune Robert ward zum Ritter geschlagen und ihm Schloß und Feld eines der Gebliebenen als Eigenthum übergeben. Das alte Weib, das an jenem Tage als Prophetin eine so große Rolle gespielt hatte, ward von den Landleuten wieder in die Stadt geführt, und auf dem Rathhause, wo ein großer Bürgerschmaus gegeben wurde, saß sie neben dem redseligen Zunftmeister Ademar. Dieser, so wie Hattrich und Pustel hatten vielerlei Gespräch mit dem Grafen Conrad, und der Bürgerschaft wurde Vieles erlaubt, was bis dahin unerhört war; Aufzüge und Feste wurden ihr gestattet, deren Zulassung sie aus den alten Büchern der Stadt zu beweisen suchte; auch setzte sie es durch, in Gegenwart der Edeln sich ganz als Ebenbürtige dieser betragen zu dürfen.

Viele vom Adel, die eifrig gewesen und zuerst sich dem Kaiser angeschlossen hatten, wurden mit den Gütern mancher Erschlagenen belehnt; oft auch nahm man die Güter Derer, die im Gefolge Hugo's waren. Alle diese wurden von Balduin in den Bann gethan und geächtet.

Der Abt Ildefons warnte, so wie die älteren Geistlichen der Stadt, weil ihrem vorsichtigen Blick die meisten dieser Neuerungen und Vergabungen zu hastig erschienen. Doch beugten sie sich vor der höheren Weisheit des alten erfahrenen Kaisers, dessen majestätische Haltung und kluges Wort jedem Klagenden die Beharrlichkeit nahm und jede Einwendung, die auch gegründet schien, mit Verstand abwies.

Wie sehr auch Manche in der Einsamkeit oder in Gegenwart vertrauter Freunde ihre Unzufriedenheit äußern mochten, so kamen alle Parteien darin laut und öffentlich überein, daß der Schlag, der den braunen Robert zum Edeln und Ritter gemacht hatte, durchaus verschwendet sei, denn dieser Mensch zeigte unmittelbar nach seiner Erhebung den rohesten Hochmuth eines gemeinen Gemüthes und so schlechte Sitte, daß der Adel wie der Bürgerstand ihn vermieden. Als Conrad ihm einige erinnernde Worte freundlich sagen wollte, um ihn auf seinen Beruf und Stand aufmerksam zu machen, war er in seiner trunknen wilden Laune auch gegen diesen unverschämt und behandelte ihn in Gegenwart anderer Ritter so übermüthig, als wenn Conrad von ihm abhängig sei und seiner Gnade bedürfe. Als die Edeln hierauf sahen, daß selbst der Kaiser diesen entarteten rohen Vasallen nicht bändigen könne oder wolle, zeigte sich ein lautes allgemeines Mißvergnügen, und seltsame Gerüchte und Vermuthungen theilte Einer im Geheim dem Andern mit.

Als die Stadt beruhigt und die nöthigsten Einrichtungen getroffen waren, Balduin auch die Huldigung der meisten übrigen Städte seines Landes angenommen, Hugo und seinen Anhang für geächtet erklärt, und seine Ansprüche, seine Geschichte, so wie die Aufforderung an seine Tochter noch einmal bekannt gemacht hatte, rüstete man sich mit einem großen und muthigen Heere zum Aufbruch. Es schien jetzt den Meisten etwas Leichtes, diesen Krieg endigen zu können. Man zog mit den frohesten Erwartungen wohlgemuth aus, und nur Conrad war ernst und finster, weil er seinen kranken Sohn Wachsmuth in Gent zurücklassen mußte. Der braune Robert war einer der vornehmsten Befehlshaber, und eine große Schaar, in dieser auch mancher vom Adel, stand unter ihm.

Ingeram, der auch zurückgeblieben war, besuchte fleißig den kranken Wachsmuth. Dieser sprach mit begeistertem Entzücken von Balduin und dessen wunderbarer Geschichte, und welche seltsame Fügung des Schicksals gerade in dieser Zeit diese Begebenheiten so gelenkt und so wichtige Entdeckungen ans Licht gebracht habe. Ja wohl, sagte Ingeram, ist es eine denkwürdige Geschichte, an der noch unsere Nachkommen in müßigen Stunden sich werden verwundern können. Daß ein Vater, ein Fürst wieder zu Lande kommt, daß man Einen todt sagt, der noch lebt, ist nichts Besonderes, wohl aber, daß unser Herr so Kaiser wird, als wenn man nur einen Grafen von Flandern über die Grenze bringen dürfte, um ihn als griechischen Kaiser verwandelt zurückzuerhalten. Nun hat er Krieg und Tod überstanden, die Knechtschaft beim Bauer und wird Eremit. Verholzt sitzt er in seiner Zelle und wir Alle lassen uns davon nichts träumen, da kommt der braune Robert, der früher manchen Reisenden aus seinen Kleidern geschält hat, und klopft uns mit einem Schlage aus einem verdorrten Einsiedler einen frischen berühmten Landesfürsten und Vater heraus. Unser Balduin selbst findet sich gleich wieder so ins Regieren hinein, als wenn er sich im Walde auf nichts Anderes geübt hätte. Aber vom Kriegführen, Todesnoth, Beten und allen Zermarterungen ist ihm doch das liebe Gedächtniß ein bischen schwach geworden. Kannte er mich doch nicht einmal wieder, denselben Freund, den er ehemals so oft hat peitschen lassen. Konnte sich auf meinen jungen Ferdinand gar nicht besinnen, den er doch damals in die Kost, wenn auch nicht in die Welt gesetzt hat. Lassen alle Leute, die nach Griechenland gehen, ihr Gedächtniß dort, so ist es kein Wunder, wenn die Griechen mehr Verstand als die übrigen Völker haben. Wenn wir nun auch unterdeß zurückgekommen wären, und uns aus Schwachheit auf unsern Balduin nicht mehr hätten besinnen können! Wie nun, wenn sich morgen oder übermorgen der majestätische Mann Eures Vaters nicht mehr erinnern kann? Oder was er so in verschiedenen Stunden gesprochen hat? –

Hugo war mit seinem Zuge durch die Landschaft, indessen nicht ohne Schwierigkeit, vorgerückt. In manchen Gegenden fand er offenen Widerstand und mußte sich mit Gewalt Platz machen; in vielen Oertern wagte er nur mit großer Behutsamkeit zu ruhen und dann weiter zu gehn. Hier und da wurde er auch wieder als Freund aufgenommen, und manche Ritter wie Unedle schaarten sich zu ihm, da jetzt der offene Krieg erklärt war und Jedermann glaubte, Partei nehmen zu müssen. Gewann er manche Freunde und Theilnehmer, so schadete es ihm wieder, als Conrad und Balduin jene Vergiftung Ferdinands bekannt machten, eine Nachricht, die fast allenthalben Glauben fand. So rückte er langsam vor, bald fechtend, bald freundlich aufgenommen, und Alle warteten nur auf den Tag, an welchem ein zweites Treffen das Schicksal des Landes entscheiden würde.

Am meisten war Hugo darüber erzürnt, daß es ihm nicht gelungen war, Johannen mit sich zu führen. Er mußte vom eignen Sohne viele Vorwürfe darüber hören, daß er zu wenig Vorsicht angewendet habe, und daß nur seine Unachtsamkeit jenen nächtlichen Ueberfall des Feindes habe gelingen lassen. Auch Tillen war fast mit seinem Freunde entzweit, und Hugo hatte bei seinem Anhange durch diese Begebenheit Vieles von seinem frühern Ansehn eingebüßt.

Langsam näherte man sich dem festen Mons. Hugo glaubte nicht eine andere Stellung nehmen zu können, um dem übermächtigen Feinde irgend die Stirne zu bieten. Das wohlbewahrte Schloß, die Stadt mit allen Anstalten der Verteidigung versehen, die treuergebnen Unterthanen, und die Provinz selbst, die sich ganz gegen Balduin erklärt hatte, Alles zusammengenommen bestimmte ihn und seine Freunde im Rath, hieher sich zu wenden und von diesem Punkt aus ihr Recht mit aller Anstrengung gegen ihre Gegner zu vertheidigen. –

Noch größere Schwierigkeiten fand Johanna auf ihrer Flucht. Im Anfang gelang es Ferdinand, sich auf Nebenwegen mit seiner kleinen Anzahl durch Wälder und kleine Dörfer zu schleichen. Sie brauchten weniger Vorsicht, da man in diesen Gegenden in den ersten Tagen von den großen Vorfällen in Gent noch nichts erfahren hatte. Aber bald war der Ruf von der Eroberung der Stadt, von der Abwesenheit der Fürstin durch das Land erschollen, die Einwohner waren aufmerksam und aufgeregt, und es gehörte Klugheit und List dazu, sich jeder Frage zu entziehen, oder sie zu beantworten und die Reise fortzusetzen. Der Zug, so Wenige und so gut beritten sie auch waren, konnte sich wegen Johanna's Schwäche und Zartheit nur langsam bewegen. Sie war unvorbereitet und plötzlich in dieses Schicksal geworfen, sie fürchtete jede Stunde von den eigenen Unterthanen als Gefangene gewaltthätig behandelt zu werden, dann mußte sie zittern, ob sie nicht von einer streifenden Partei, die Conrad aussenden möchte, eingeholt würde. Wieder fiel es ihr ein, wie selbst diese Flucht ihrem Rufe schaden und von Bösgesinnten eine üble Auslegung erleiden könnte. In der stillen Nacht kamen ihr auch wohl Zweifel, ob nicht Balduin dennoch der wahre, und ihr Vater sei. So von Gedanken bestürmt und von Empfindungen aller Art, fühlte sie sich wohl am Abend so matt und krank, daß sie glaubte, am Morgen nicht weiter reisen zu können. Aber die Notwendigkeit, der Drang der Umstände gaben ihr wieder neue Kraft, um Alles, was ihr entgegenstand, mit Heldenmuth zu besiegen, so daß ihre Begleiter sie bewundern mußten, daß sie ohne Pflege, ohne weibliche Bedienung, wohl bei schlechtem Regenwetter, so freien Muth, ein so freundliches Auge und allen Glanz der Schönheit frisch behielt, ohne zu zagen und sich von allen diesen Mühseligkeiten beugen zu lassen.

Ferdinand verehrte seine angebetete Heldin wie eine Erscheinung aus einer höhern Welt. Er war auf diesem Zuge in allen seinen Sinnen trunken, da er sich bewußt war, daß sie ihm ihre Rettung zu danken hatte, da ihr sonderbares Verhältniß sie so nahe verbunden, da er sie immer sah, sie stets bediente, mit ihr Rath pflog, von ihr unzertrennlich war, und dieses sein höchstes Glück zugleich Pflicht und Tugend sich nennen durfte. Ihre Empfindung zu ihm war sonderbar gespannt und ihr Betragen ungleich, selbst widersprechend. Seit jener wunderlichen Scene, in welcher sie sich gegenseitig fast ohne Worte erklärt und verstanden, hatte sich eine ängstigende Unruhe ihres Herzens bemächtigt. Sie konnte nicht begreifen, wie sie zu jener Hinneigung sich hatte bewegen lassen, sie konnte sich selbst nicht deutlich erinnern, was geschehen sei und welche Worte gesprochen wurden; sie fühlte aber, daß jener Augenblick ihr tiefstes Dasein aufgeregt und erschüttert hatte; daß von ihm eine neue Epoche ihres Lebens beginne. Gern hätte sie jenen Vorfall vernichtet und von neuem erlebt, um ihn besonnener zu richten, das Passende zu sprechen und das Unziemliche zu vermeiden. Sie hatte sich vorgenommen, fremd gegen Ferdinand zu thun, sobald sie ihn wiedersehn würde, um in ihm, wo möglich, die Erinnerung dieses Begegnens auszulöschen, als sie ihm plötzlich so vertraut nahe geführt wurde, daß sie ihm Rettung und Freiheit zu danken hatte. Sein zärtliches Bemühn, seine Sorgfalt um sie, sein freundliches und tröstendes Gespräch machten, daß sie ihren Vorsatz vergaß und mit der heitersten Lieblichkeit sein Vertrauen erwiederte. Dann wieder fiel ihr plötzlich das Seltsame und Abentheuerliche ihrer Lage ein, und sie erzwang ein fremdes Betragen, eine spröde Zurückgezogenheit und kaltes, gleichgültiges Gespräch. Sah sie dann Ferdinands Trauer, so fühlte sie, wie sehr sie ihm Unrecht that, und war schnell wieder mit jugendlicher Unbefangenheit freundlicher als je.

An einem Abend, als sie in die Herberge gekommen waren, sagte Ferdinand: wie wird mir seyn, wenn ich wieder ohne Euch leben muß? Wenn Ihr wieder in Hugo's Gesellschaft seid, und ich nur dann und wann einen flüchtigen Blick Eures Auges gewinne? Und was wird in Zukunft Euer, was wird mein Schicksal sehn? Welche Leiden stehen Euch vielleicht bevor, welches Verderben wartet vielleicht meiner?

Mein Freund, mein einziger Freund, wie ich wohl sagen darf, erwiederte sie, ich weiß nicht, wie ich zu Euch sprechen, wie ich von mir selbst denken soll. Alle Wahrheit, alle durch mein ganzes Leben hindurch angewöhnte Ueberzeugung ist mir entschwunden, das Unglaublichste ist mir ganz nahe getreten und mein inneres Herz ist in sich selbst entzweit. Denn entweder bin ich eine frevelnde Tochter, die ihrem höchsten Glück und ihren heiligsten Gefühlen, abentheuernd, eigenwillig entflieht; oder ich bin von verrätherischen Netzen umzogen, die mich noch schlimmer verwickeln, die mich vielleicht erwürgen mögen. Die Landschaft, die Edeln und Priester laufen alsdann einem frechen Lügner zu, mein Wohl und meine Gefühle, ihre eigenen Pflichten mit Füßen tretend. Und kann ich wissen, was der listige Hugo noch spinnt, was sein frecher Sohn noch unternehmen wird? Oft, wenn wir durch den Morgennebel zogen, dachte ich es mir als ein Glück, wenn ich eine Bäuerin wäre, die jetzt zu Markte ritte, nur von den nächsten Pflichten, den natürlichsten zum Wirken, zur Dankbarkeit, zur Liebe aufgefordert. Von armen Eltern gepflegt, deren Alter ich tröstete, mit Garten, Feld und Vieh bekannt, Getreide, Kohl und Blumen erziehend, die kleine Habe bewachend, am Sonntage geputzt in der Kirche betend, und so eng umzäunt, daß so wenig großes Glück wie Elend mich treffen konnte. Welche liebliche Bestimmung, wenn der Himmel sie mir beschieden hätte!

Ferdinand seufzte und sagte dann bewegt: Immer ist mir in diesen Tagen die Geschichte des ersten Balduin im Sinne gewesen; jener kecke Krieger, der so frohen Muthes die Tochter des Königs von Frankreich raubte. Er wagte damals weit mehr, als wenn wir jetzt, für diese Zeit von allen Verhältnissen abgetrennt, ein stilles Thal im fernen Gebirge suchten, um, die ganze Welt vergessend, mehr als Das zu besitzen, was Ihr eben so lieblich schildertet.

Und mein Land? antwortete sie; dann noch mehr dem Raub und der Bosheit preisgegeben? Und ich stets bereuend, daß ich meinen hohen Beruf, den der Himmel mir auferlegte, so wenig erkannte? Täuschen wir uns nicht, treuer Freund, über unsere Herzen. Ich würde immerdar unglücklich seyn, wie es Jeder ist, der seinen Beruf verkennt und sich ihm gewaltsam entzieht. Und wie würdet Ihr Euch erscheinen, wenn Ihr Euch sagen müßtet, daß Ihr zunächst mein und das Unglück meines Landes verschuldet hättet? Ihr seid viel zu gut und treu, viel zu edel, um einem einzigen Gefühl, einem schwärmendem Traum Alles ganz opfern zu dürfen, was Euch die Verhängnisse noch vorbehalten haben. Wohl mögt Ihr noch Unglück erleben, aber mir dünkt, auch Thaten warten Eurer, mir scheint, Ihr sollt noch Großes ausrichten. Und Einiges ist Euch schon zugefallen, Ihr seid so glücklich gewesen, Begebenheiten auf edle Art zu lenken und auszuführen, wie Ihr es noch vor einigen Wochen nicht denken durftet. Hätte Euch nun damals schon irgend ein Bürgermädchen, eine junge Dirne auf dem Lande oder am Hofe so gefesselt, daß Ihr Euch nicht von ihrer Seite hättet erheben mögen, wie stünde es dann um mich, und wie wäre Euch selbst zu Muth? Aber wie es auch komme, Freund, Theuerster, Bild meiner Jugend, was ich künftig leiden mag, wie ich mich vielleicht opfern muß, zu Euch will ich immerdar mit dieser dankbaren Liebe aufschauen, die mich jetzt in Eurer Gegenwart beglückt. Dies Andenken, Euer Blick und Wort wird künftig den Inhalt meines Lebens ausmachen. Außer Allem, was ich Euch zu danken habe, ist noch ein süßes, ewig lebendes Gefühl im Heiligsten meines Herzens für Euch, das sich niemals verdunkeln wird. Seid Ihr denn nicht eben so glücklich wie ich, wenn Ihr es wißt, daß Eure Seele ganz der meinigen gehört?

Ferdinand sah sie lange an. Ja! rief er ans, welch ein Elender wäre ich, wenn ich Euch nicht verstände, und süßen, himmlischen Worte sich nicht wie Seligkeit mir um Geist und Seele legten? So werden weinende Kinder von der liebenden Mutter zum Schlaf eingesungen, wie alle Wünsche dieses Lebens vor Euren Tönen so einnicken, wie die Blumen zur Nacht ihre Kelche schließen. Ist aber nicht alle Himmelsseligkeit, auch diese Entzückung des Gemüthes, Alles nur Traum, Schatten, so lange wir als Sterbliche in dieser Dämmerung wandeln, wir selbst nur verkörperte Schatten? Ach! was will Sehnen und Hoffnung, Wunsch und Liebe? Nein, das Irdische, Vergängliche nicht; aber eben so wenig das Unsichtbare, Unvergängliche. Dorthin dringt der süße Ton der Liebe nicht mehr, von jener unersteiglichen Mauer wird auch der zarteste Seufzer, der innigste Blick, der lieblichste Reim hinweggewiesen. Dort kennen sich die Lichter der stillbrennenden Augen nicht länger, da gilt kein Gleichniß mehr, kein Bild, die ernste Wahrheit ohne Farbe und Gewand schaut sich nun klar und ewig unermüdet an, und wir fassen, wir wünschen diesen Zustand nicht: am wenigsten der Liebende, der es ja am innigsten fühlt, wie hier sich irdisch lieblicher Trug und Wahrheit, Schatten und Licht, kosender Scherz und heiliger Ernst, alle unbegreiflichen Widersprüche so innig binden und sich durchdringen, daß es Lästerung wäre, sagen zu wollen: hier ist Erde und hier beginnt der Himmel. O Johanna, kann denn die Liebe etwas anders seyn, als irdisch, zeitlich? Sie wäre ja sonst nicht ewig, wenigstens hätten wir kein Unterpfand für dieses unverstandne Wort, wenn wir es nicht im Blick, im Händedruck, in jeder Nähe, in der leisesten Berührung des geliebten Wesens lesen könnten. Ja, Theure, der Himmel ist in die Erde gedrungen, und der aufblühende Frühling dieser beiden Welten ist die Liebe, und in ihrem Duft und Glanz siegprangt der Himmel in den Kräften der Erde, das Ewige könnte sich ohne das Zeitliche, das Licht nicht ohne den Schatten offenbaren. Und Ihr wollt doch glauben, das Eine sei geringer als das Andere, oder gar verderblicher Natur?

Ja, Liebster, antwortete sie, daß das Leben nur Wehmuth sei, ohne echte Gegenwart und nur Traum der Vergangenheit und Schatten der Zukunft, und daß wir uns auch in der Liebe nie ganz besitzen und finden, hat mir immer schon wie eine trübe Wolke vorgeschwebt. Aber was wollen zuletzt diese träumenden Gedanken von uns?

Süßestes Bild, sagte Ferdinand scheu erröthend, wenn Ihr mir Eure schöne Hand reicht und ich ihren Druck empfinde, so sind es nicht zwei Gerippe, die zehn Stäbe in einander flechten, die unsichtbare Ewigkeit durchzuckt mich und webt in meiner Seele. Was neulich geschah, war nur ein unbewußtes Wunder, aber, wenn Ihr dem Armen als reichste Gabe ein Almosen spenden wollt, das ihn auf Lebenszeit beglückt, so erlaubt mir jetzt noch einen, den ersten und letzten Kuß. Dies Andenken sei alsdann der unerschöpfliche Schatz meines Daseins.

Sie antwortete nicht, aber ihre Lippen berührten sich wieder, blieben lange aufeinandergepreßt, und als sie jetzt den liebevollsten Kuß auflöseten, warf er sich in einen Sessel, indem Thränenströme seinen Augen entflossen und ein krampfhaftes Schluchzen seine Brust so heftige bewegte, als wenn es sie zerbrechen wollte. Gerührt, wie sie schon war, theilte sich ihr diese schmerzvolle Stimmung mit und sie weinte ebenfalls.

So geschieht uns nun, sagte sie, als Beide wieder mehr beruhigt waren, daß wir das Seltsamste und Abentheuerlichste erleben müssen, Empfindungen, von denen die wenigsten Menschen wohl nur eine Vorstellung haben mögen. Und so tritt in unsere Flucht und Rettung, in diesen gefahrvollen und mühseligen Zug wie von selbst das Gedicht eines alten Sängers herein, und Mährchen und Wahrheit, Wunder und Gewöhnliches verbinden sich so, daß wir diese Tage niemals vergessen können. – Aber ist Euch nicht auch beigefallen, daß wir vielleicht besser für uns sorgten, wenn wir sogleich das französische Gebiet zu erreichen strebten? Wenn ich selbst persönlich Hülfe beim König Ludwig suchte? der Zug ist freilich weiter, vielleicht noch gefahrvoller. Kann ich aber von Hugo, so wie sich Alles gestaltet, Glück und liebevolle Aufnahme erwarten? Wird er nicht immerdar mehr an sich selber, als an mein Wohl denken?

In der Nähe von Mons, erwiederte Ferdinand, wollen wir uns entschließen. Sind wir erst dort, so können wir leicht fränkisches Land erreichen. Wenn Ihr aber auch nicht selbst nach Paris geht (was Euch zu lange aufhalten, und wenn Euer Zug bekannt würde, wie er dann doch müßte, Euern Feinden Gelegenheit gäbe, Eure Absicht zu vereiteln), so kann ich, wenn Ihr in Mons bleibt, um so schneller zum Könige eilen und Euch um so früher die erwünschte Hülfe bringen. –

So bewegte sich der Zug der Grenze immer näher, und es gelang ihnen wirklich, allen Nachstellungen zu entgehen. Die Bauern in den Dörfern, wo sie rasten mußten, hielten Johanna für eine reisende Dame, die ihren Gemahl in Frankreich aufsuchen wolle. Die streifenden Parteien stießen auf die Reisenden nicht, oft aber, wenn Ferdinand von ihnen hörte, wußte er ihnen mit großer Klugheit auszuweichen. Nur selten gestört oder gehemmt kamen sie so in die Nähe des festen Mons. Hier war die Landschaft allenthalben in Feindschaft gegen Conrad entbrannt, Alle waren eifrig für Hugo, und Balduin galt Jedem nur für einen frechen Betrüger. Indem sie gegen Abend aus einem dichten Walde traten, durch dessen verwickelte Fußpfade sie sich gearbeitet hatten, kam ihnen eine Reiterschaar, weit zahlreicher, als die ihrige, entgegen. Es war unmöglich, umzukehren, mit entblößten Schwertern, auf Alles gefaßt, ritten sie Jenen entgegen, die rasch auf sie zusprengten. An ihrer Spitze war bald Humberkurt zu erkennen, und er seinerseits hatte die Gestalt der Johanna auch schnell unterschieden. Ohne zu grüßen, zu fragen, ohne irgend eine Bezeigung der Höflichkeit stürzte er gleich auf Ferdinand zu, indem er mit rauher Stimme schrie: Ha! Jungfrauenräuber! treffen wir uns endlich hier? – Der bin ich nicht! rief ihm Ferdinand entgegen; ich überliefere Euch hier die Fürstin, die ohne mich sich in der Gewalt Conrads befinden würde.

Johanna wollte sprechen, aber der Wüthende vernahm in seinem Zorn nichts: Du lügst! rief er; auf, Leute, herbei, nehmt ihn gefangen oder haut ihn nieder! – Er stürzte mit dem Schwerte auf Ferdinand ein, so heftig und in solcher Eil, daß der Jüngling sich kaum vor diesem unvermutheten Angriff schirmen konnte. Sie kämpften heftig, doch plötzlich entfiel dem schäumenden Humberkurt das Schwert, weil Ferdinand ihn am Arm verwundet hatte. Humberkurt wich zurück, und ohne Johanna zu beachten, rief er seinem Gefolge von neuem, doch die Reisigen Ferdinands setzten sich zur Wehr, den einen Angreifenden stieß der Jüngling vom Rosse, dann schwenkte er noch einmal grüßend die Hand nach Johanna, gab seinem Pferde die Sporen und verschwand im nahgelegenen Walde. Seine Begleiter blieben auf dem Felde zurück.

Jetzt erst ward es der Fürstin möglich, sich mit den Wüthenden zu verständigen. Daß ich Euch freiwillig entgegen ging, und daß diese meine Gefährten der Reise sich so ruhig halten, beweiset, daß wir als Freunde nahen, sagte sie. Ohne Ferdinand wäre ich nicht aus Gent gekommen, so war das Schloß von allen Seiten bestürmt.

Aber Humberkurt antwortete: Wenn er Euch auch, wie Ihr behauptet, errettet hat, so ist er doch zugleich Euer Entführer! Warum nicht erfuhren wir längst, daß Ihr zu uns kommen wolltet? Und wo ist er jetzt hin, der Bösewicht? Wenn er ein gutes Gewissen hatte, so konnte er bleiben und sich meinem Vater zeigen.

Hugo kam ihnen aus der Stadt entgegen und war höchlichst erfreut, die Fürstin wiederzusehen und in seinem Schutze zu haben. Er ließ sich ihre wunderbare Rettung, ihre Reise und Alles, was Ferdinand für sie gethan hatte, erzählen. Er lobte den kleinen Ingeram, der so klug und vorsorglich Alles eingerichtet hatte, tadelte aber wieder bitter diesen, so wie Ferdinand, ja Johannen selber, daß keiner ihm von den Anstalten der Bürger und der nahen Gefahr Anzeige gemacht habe.

In der Stadt war beim Einzuge der jungen Fürstin ein allgemeines Frohlocken. Die versammelten Krieger, so wie die Bürger waren in lauter Freude, Musik erklang, Lieder wurden gesungen, die ganze Nacht hindurch ward unter Jubel und Tanz, Gesang und Trinkgelagen hingebracht.

Hugo sagte zum Sohn: Immer bist Du rasch und unbesonnen! Nie verständig, nie Deine Plane im Auge! Wie bitter hat Dich der Knecht Dietrich in Gent verklagt! – Daß aber Ferdinand, so brav er war, und Dich rettete, doch gegen uns nichts Gutes im Sinne hat, daß wir Johanna weniger vertrauen dürfen als je, daß der junge, abentheuernde Laffe ihr Herz gewonnen hat, von allen diesen Dingen bin ich jetzt fest überzeugt.



 << zurück weiter >>