Johann Ludwig Tieck
Der wiederkehrende griechische Kaiser
Johann Ludwig Tieck

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Der braune Robert war mit Geheimniß in die Stadt geführt und in das Gefängniß gelegt worden. Graf Hugo hatte ihn gleich am Morgen im Beisein des Sohnes verhört und den alten Krieger starr und unbeweglich in seiner Aussage befunden. Alle Anstalten waren getroffen, daß von der Anwesenheit dieses Meuters nichts verlautbaren konnte, und Hugo hoffte, wenn auch durch peinliche Mittel, noch an diesem Tage ein Geständniß und den Widerruf von Robert zu erzwingen, und so am besten jenem Gerüchte zu begegnen, welches binnen Kurzem nach Gent dringen mußte.

Ferdinand befand sich am Morgen im Zimmer der jungen Fürstin, und auch Ingeram, der von dieser gern gesehen wurde, war zugegen. Johanna schien fröhlich und kindlich ausgelassen, denn eine frühere Dienerin, die sich nach einer andern Stadt verheirathet hatte, war, um sie zu besuchen, nach dem Schlosse gekommen. Ferdinand vermochte es nicht, die Augen von ihrer Schönheit abzuwenden, denn so muthwillig hatte er die Fürstin noch niemals gesehen, er folgte jeder ihrer schnellen und zierlichen Bewegungen, er lächelte, ohne es zu wissen, indem sie lächelnd mit der ältern Freundin scherzte. Endlich erinnerte sich Johanna eines ländlichen Tanzes, den sie in der Kindheit mit Brigitten eingeübt hatte, und diese, ob sie gleich jetzt etwas ungelenk war, mußte sich dazu verstehn, ihn mit Johannen rasch zu hüpfen und in allen Wendungen zu wiederholen. Dann setzte sich die schöne Muthwillige wie beschämt auf ihren Sessel und sagte: Ich thue wohl nicht Recht, mich, da meine Diener anwesend sind, in der Fröhlichkeit so zu vergessen; aber mein Beichtvater und der Regent mögen es mir verzeihn, denn mir ist eben darum heute so wohl, weil ich diesen wackern Hugo und seinen breitschultrigen Sohn seit einigen Tagen nicht gesehen habe, weil ich einmal Nichts von Geschäften vernommen, und man mir alle die altklugen langweiligen, verwickelten und unnützen Sachen verschwiegen hat! Ach! wie beschwerlich muß es doch seyn, einen Mann vorzustellen! Der Geist ist bei den Männern eigentlich niemals zu Hause, das Geschäft ist ihre Seele, und wenn das sich einmal zu Ende neigt, so wissen sie nicht mehr, weshalb sie leben. Aber Ihr, junger Ferdinand, habt eigentlich noch wenig gethan oder zu thun in der Welt, darum schaut Ihr auch noch so munter und frisch aus den Augen. Ihr singt recht hübsch, junger Mann, ich war vorhin auf dem Söller und Ihr wart im innern Hof, da spieltet Ihr die Laute und ein anmuthiges Lied ging Euch leise, aber doch vernehmlich, von den Lippen. Singt es jetzt noch einmal. Es wäre recht schön, wenn Ihr Euch zum Minnesänger machtet, deren wir hier zu Lande nur wenige haben.

Ferdinand wollte Einwendungen machen und sich entschuldigen, aber Ingeram fuhr dazwischen und rief: was Euch der Fürst, Euer Landesvater, befiehlt, müßt Ihr augenblicks thun; ist dieser Herr noch obendrein ein so wunderschönes junges Fräulein, so ist jeder Widerspruch ein Hochverrath und muß mit dem Leben bestraft werden. Warum könnt Ihr in der Einsamkeit das kindische Singen nicht lassen? Da denkt er, kein Mensch hört ihn, und doch geschieht's zuweilen. Die Fürstin, ohne daß Ihr es verlangtet, hat Euch eben recht hübsch etwas vorgetanzt, als wenn sie ein Bauermädchen wäre, und Ihr wollt ihr nichts vorsingen, da sie es wünscht? So singt denn, als wärt Ihr ein großer Herr oder König, Eure Litanei daher.

Ferdinand nahm die Laute von der Wand, stimmte schnell und sang mit leiser, bewegter Stimme:

    O minniglich süße Gedanken,
Wie Blüthen licht an Bäumen
Mit allen Frühlingsträumen
In Abendlüften schwanken:
So ohne Wanken
Gedenkt mein Herz der süßen, sinnigen,
Der tadelsfreien, reinen, minnigen,
Im Traum und Wachen
Seh' ich vor mir die rothen Lippen schalkisch lachen –
O fort von mir, ihr quälenden Gedanken! –

    Nun ist es Nacht und still und sternenhelle;
O Einsamkeit, wie düster, schwer,
Wie ist mein Herz so dumpf und leer:
Da klagt und weint des Bächleins Welle:
Die grüne Stelle,
Wo sonst die bunten Blumen schaukelten,
Und Schmetterling' im Grase gaukelten,
Ist jetzt so dunkel,
Und ernst und zürnend dort der Stern Gefunkel –
O kommt zurück, ihr quälenden Gedanken! –

    Da sind wir! rauscht es aus dem Duft der Linden,
Und nieder fallen Sehnsucht, Schmerz, Entzücken,
Ich muß erschreckt mich bücken,
Da fühl' ich neue Geister, die mich binden;
Wir wissen dich zu finden!
So lachen um mich her die Scherzenden,
Und schütten Wünsche aus, die schmerzenden;
Wohin mich retten
Vor diesem Wahnsinn, Qual, den Liebesketten? –
O fort von mir, ihr quälenden Gedanken! –

    Und was ist Leben, Leiden, Fühlen?
Wenn Liebe nicht regieret,
Den goldnen Scepter führet?
Nie wird sich Sehnen kühlen;
Mögt ihr denn spielen,
Ihr süßen Schmerzen, ihr beseelenden,
Ihr lichten Freudenblick', ihr quälenden,
Als Wohnung bleibe
Mein Herz, glaubt nicht, daß ich euch je vertreibe –
Nur tödtet mich, ihr liebenden Gedanken!

Man schwieg und Johanna sah den Jüngling mit einem sonderbaren Blicke an, in welchem man vielleicht Zärtlichkeit, eine süße Betäubung, unbewußten Unwillen und forschende Neugier lesen mochte. Und diese wunderbare Schöne? sagte sie endlich nach langem Schweigen: dürft Ihr sie nicht nennen? Kenne ich sie vielleicht? Redet, wir sind hier unter uns, und Euer Geständniß soll wahrlich nicht gemißbraucht werden.

Ihr befahlt, sagte Ferdinand höchst verlegen, und ich mußte gehorchen: – ich weiß nicht, – o meine Fürstin –

Ingeram, der die Angst seines Freundes sah und befürchten mußte, daß in diesem Augenblick etwas Unziemliches, wohl Unheilbringendes geschehen könne, nahm mit lauter Stimme die Antwort auf und sagte: o edles, schönes Fürstenkind, wie könnt Ihr nur Euern armen Diener in diese Pein versetzen! Seht ihn nur an, er weiß Euch wahrlich nichts zu antworten. Ihr wißt noch gar nicht, wie es um dergleichen Dichter steht. Ihr meint, was sie singen und sagen, müsse irgend mit einer Wahrheit in Verbindung seyn. Nicht im mindesten, denn alsdann wären sie keine Dichter, die nichts Anderes thun, als Lügen und Hirngespinnste aus der klaren Luft aufgreifen. Vom Mond und andern unklugen Gestirnen, so aus den dünnsten und feinsten Sommernächten, von den Gebirgen, wo Melusine und ihre Schwestern verzaubert sitzen, so aus den fabelhaften Gegenden, wo der Nilstrom seinen unbekannten Anfang nimmt, aus allen diesen sammeln sich närrische, alberne Dünste, ganz leichte, unsichtbare Wölkchen, Einfälle, Schnurren, Gedanken, winselnde Träumchen und juckende Thränchen, all' dies Gesindelchen rennt nun in der Atmosphäre um die bevölkerte, beschäftigte Erde herum, und möchte so gern durch das menschliche Gehirn zur Geburt, zu einer Art von Bewußtsein und einem gewissen schwachen Leben gelangen; aber das Zeug mag sich kräuseln und schniegeln, wie es will, und dem Gelehrten oder Priester in die Nase prickeln, die haben zu viel zu thun: abgewiesen! der Staatsrath sitzt da, wie mit einem dicken Brett vor dem Kopf, der Soldat hat den Becher wie einen Helm über Mund und Nase gezogen, dem Handwerker und Bauern liegt der irdische Staub dick im Gehirn – da sitzen nun hie und da die Dichter, mit offnem Maule, haben nichts Vernünftiges zu verrichten, und schaun in den Aether, betrachten den Morgenstern, oder den Zug des Mondes, sehn den Schwalben nach, und denken aus Mondschimmer und Abendroth eine himmlische Kaltschale und Weinsuppe zu brauen. Husch! ist das luftige Gesindel in den Kopf des Spekulanten hineingeglitscht und der begeisterte Mensch nieset zur Vorbereitung zwei oder dreimal und setzt sich ehrbar hin, und dichtet das Zeug nun zusammen, was so ganz dünn ihm vorgearbeitet war. Andere Menschen suchen ihre Nahrung und bürgerliche Handthierung, oder verwalten verständig ihre ererbten Güter, nun findet sich da und dort ein gutes, wackres Weibsen, das auch seine schmucken Pfennige und aufgebauschte rothe Backen hat, als wenn unter jeder Wange ein Pfirsichkern zum Aufknacken läge. Das sieht sich denn und gefällt sich, und heirathet sich, und formirt eine verständige Wirtschaft. Nicht aber so der Dichter. Ihr kennt doch wohl die ganz feinen, kaum sichtbaren Fädchen, die so im Frühling und Herbst gedankenlos durch die Lüfte schweben, dies nüchterne Gespinnst, das sie Fadensommer und noch auf mancherlei Art benennen. Erfahrt nun, fürstliches Wunderbild, daß diese läppischen Faden die ganz groben Stricke, unbeschreiblich dicke Taue, oder Riemen, das grob gearbeitete Lederzeug sind, auf welchen die Liebchen, oder Damen dieser Dichterleute durch die Welt dahinfahren. Schon der eigentliche Wagen ist viel zu fein, um den sterblichen Augen sichtbar seyn zu können. Die Rosse des Zuges sind aus den ersten Frühlingsseufzern fünfzehnjähriger Mägdlein entstanden, die Seufzer, die ihr Hochzeitbett in einer Aurikel ausschlugen, in deren Schwanenstaub der braune Blick eines Jungen war hängen geblieben, der an die Schönheit der Genoveva oder Chrimhilde dachte: aus den beiden also sind jene Pferde des Wagens erzeugt. Die Königin oder Fee sitzt nun in der Pracht aller Unsichtbarkeit, die nur der wahnsinnige Dichter schaut und beschreibt, er streut ihr zum Fußteppich den Abendstern und das feinste blaue Milchlicht des Jupiter und Orion, mit Lindenblüthe und Lilien wird, wie mit Sand, der Fuhrplan ausgescheuert und reingemacht, die saubersten Liebesthränen sind kaum zum Waschwasser und Lauge, die edelsten Wünsche und sehnenden Seufzer kaum zu Besenreis gut genug. – Darum klagt denn der Dichterling auch immer, daß er seine Geliebte, das Bild, das ihm vorschwebt, niemals besitzen könne. Natürlich, wie sollten Beide es auch anfangen?

Schwätzer! sagte Johanna: so wird es Ferdinand gewiß nicht meinen; denn wenn die Poesie auch die Güter dieser Welt veredelt und Das in Klang und Farbe taucht, was den übrigen Menschen stumm ist, so kann doch aus dem todten Fratzenhaften kein Geist und Leben entstehn.

Wenn Euch meine Philosophie und Erklärung der Dichtkunst zuwider ist, sagte der Kleine, so will ich Euch denn lieber selbst Etwas singen. Ihr kennt doch die Geschichte, wie sich einmal die Eule in den Adler verliebt hatte? Ach, gewiß, das war auch recht rührend, und auf diese sonderbare Begebenheit gründet sich nun folgende Klage- oder Trauer-Ode der Nachteule.

    O Nacht, o süße dunkle Nacht,
    So bin ich denn vom Tag erwacht?
    Das Licht verblendet mich nicht mehr,
    Ich schau umher,
    Und seh' von ferne den Geliebten fliegen,
    O weh! O Ju!
Mein sehnend Herz muß ihm erliegen,
Was bist du denn so groß, du Adler, du!

    Einst flog ich durch die finstre Stille,
    Nach Mäusen strebte nur mein Wille,
    Und ohne daß ich wahr es nahm,
    Der Mond schnell kam.
    Da wiegte sich im goldnen Scheine, –
    O weh! Ju! Ju!
Das Riesenthier, das niemals wird das meine,
Wie hass' ich dich, du großer Bengel, du!

    Die Basen alle sticheln nun und necken:
    Du liebst den himmelstürm'nden Recken?
    Ich kann nur klagen, was geschah,
    Und heule Ja! –
    Er aber sitzt im Neste bis zum Morgen –
    Weh! Weh! Ju! –
Dann stiegt er hin zur Sonne, ohne Sorgen. –
Schon vom Gedanken schmerzt mein Auge, Flegel du!

    So klagt denn, Lieder! singe mit, Schuhu!
    Erwacht, ihr heul'nden Vettern, all' im Nu,
    Der Chorgesang weckt auf die stille Ruh,
    Buhu! Buhu!
    Der Liebste aber lacht ob dem Geschrei –
    O weh! Ju! Ju!
Er stiegt so hoch, weil ihm sein Herz ist frei –
Das bricht mir das Genick, du Flattergeist, du! du! –

Er hatte die Zither genommen und sang das alberne Lied mit der ernsthaftesten Miene und mit kreischendem Ton. Dann sagte er: Das, mein Fräulein, war auch einmal sehr denkwürdig, als sich der Frosch in die Nachtigall verliebt hatte, von welchem erschütternden Vorfall eine sehr alte Chronik Meldung thut, die ich drüben in Eurer Büchersammlung gefunden habe. Der arme Leidende singt nun, nachdem aus der Vermählung nichts hat werden können, folgendermaßen:

    Säng'rin, bist voll Trugs,
    So laut auch deine Lied schrein,
    Das hab' ich merket flugs,
    Nun soll im Herzen Fried seyn,
Mein Lohn, daß ich von dir lernt' singen stracks,
Hör' zu und schäm' dich dann! koax! koax!

    Es ist Verdruß hier,
    Und Sumpf so naßlich,
    Es ward kein Kuß mir –
    Gedank! verlaß mich –
Eins ich gewann, mein Stimmchen zart wie Wachs,
Ich sing' mit dir Duett: koax! koax!

    Die Ungetreue hört es,
    Fliegt auf den Baum dort,
    Mein Ohr bethört es,
    Mach' dich, du Traum, fort! –
Doch schrei' nur mit, ich bin nicht stumm, wie Lachs,
Und besser noch, als du, sing' ich: koax! koax!

Dies Liebeslied, fuhr Ingeram fort, soll seitdem bei den hauptsächlichsten Colonien der Frösche zum Angedenken aufbewahrt seyn und die heranwachsende Jugend, sagt man, wird darin instruirt, daß sie den schmelzenden Tonfall und den Wohllaut der Sprache früh inne bekommt.

Johanna war sehr vergnügt, aber Ferdinand machte ein finsteres Gesicht, weil er sich verspottet glaubte. Brigitte lachte laut, denn sie meinte die Gedichte zu verstehen, und eine Dame, die herzugekommen war, stimmte auch in die Freude ein. Doch Ingeram sagte mit gerührter Stimme: So geht es dem Unglück doch immer, daß es Andern zum Spott und Gelächter dienen muß. Und das hat mich unter andern, so viel es möglich war, abgehalten, mich selbst zu verlieben, weil die Schadenfreude gewiß nicht unterlassen hätte, mir mein sogenanntes Aeußere vorzurücken, das nicht zum Minneverkehr passen soll. Als wenn der Geist nicht dabei die Hauptsache wäre! –

Diese Freude und der Scherz wurden plötzlich, unvermuthet und auf die störendste Weise unterbrochen. Ein ungeheures Geschrei tönte durch die Gassen, man hörte Waffen klirren, man tobte selbst im Schloß, auf den Stiegen lief es hin und her, und indem der Andrang und das Lärmen sich vermehrte, und sich Alle im Saale befremdend anschauten, stürzte Graf Hugo bleich und verstört herein, indem er eilig sprach: Der böse Feind ist los, sonst könnte das Gesindel die Sache nicht so schnell erfahren haben. Alle meine Anstalten sind vergeblich gewesen. Sie wollen das Gefängniß aufbrechen, um den Märtyrer, wie sie ihn nennen, zu befreien.

Aber was ist es? fragte Johanna; was ist vorgefallen?

Setzt Euch, Fürstin, antwortete Hugo, etwas gefaßter, und erlaubt mir, daß ich mich ebenfalls niederlasse, denn der Schreck hat meine Kräfte erschöpft. Ein Meuter, der eine Empörung anstiften wollte, war eingefangen und geheim bewacht; Keiner sollte von ihm wissen. Wie er vom zweiten Verhör zurückgeführt wird, seh' ich schon das Volk auf den Straßen in Unruhe. Man flüstert, spricht lauter, sie gehn, Andere kommen, und plötzlich stehn die Zünfte und Gewerke unten vor dem Schloß versammelt und wollen den Rebellen haben, oder mit Gewalt das Gefängniß stürmen und ihn befreien.

Und Ihr könnt ihn nicht frei geben? fragte Johanna.

Die Sache ist zu wichtig, antwortete Hugo, denn mit einem Wort (was hilft es, Euch noch die Geschichte verschweigen zu wollen), ein Eremit, ein Betrüger ist in der Gegend von Valenciennes aufgestanden, der sich für Euern Vater, den großen Balduin, ausgiebt, und ich fürchte, wir gehn einem Bürgerkriege entgegen.

Alle fuhren wie entsetzt auf, Johanna ward todtenbleich, dann eben so plötzlich mit Purpur übergossen, sie stammelte zitternd: mein Vater – er könnte leben – Gott, wäre es möglich?

Der allergröbste Betrug! Bei Gott! rief Graf Hugo: darüber seid ganz beruhigt.

Aber dennoch! rief das Fräulein: – o Himmel, welch neues Schicksal breitet sich vor mir aus; welche Welt von ungeahndetem Gefühl, welch Heer von neuen Gedanken bestürmt mich! O Graf wenn – mein Vater, – ich seine Tochter – er wiedergekehrt! –

Nein! nein! schrie Hugo: seid kein Kind, Theure, und laßt Euch nicht von einem Gaukelspiel stören, das nur erfunden ist, um den unwissenden Pöbel zu blenden.

Indem rannte Humberkurt erhitzt und mit rothem Angesicht herein. Sie lassen sich nicht mehr bändigen! rief er: kommt selbst, mein Vater!

Hugo ging mit seinem Sohn, und Johanna begab sich in die innern Gemächer, erschreckt und von schweren Gedanken gequält.

So! so! sagte Ingeram, als er mit Ferdinand allein zurückblieb. Da kriegen wir also ein neues Kapitel im Buch der Richter oder Maccabäer, und ich denke, Ihr werdet nun, junger Mensch, auf eine Zeit die Klagelieder bei Seite thun können.

Welche ungeheure Begebenheit! rief Ferdinand; er selbst zurückgekehrt! Balduin! Er nimmt das Regiment wieder in die Hand, er wird sich meiner erinnern, meine Eltern werden erscheinen –

Seid kein Gimpel, mein guter Hänfling, sagte Jener: – welcher Aetna hätte uns denn diesen längst verweseten Balduin wieder ausgeworfen? Laßt Euch die Sache zum Aufwecker dienen, das sind Chicanen und Spitzbübereien, und nun wird es Prügel aller Art und von allen Seiten setzen. So sehr Euch Humberkurt im Wege ist, müßt Ihr es jetzt doch steif und fest mit Hugo halten, denn dessen eigener Vortheil ist es, Johanna's Rechte zu vertreten.

Aber, wenn es nun doch wahr wäre, – fiel Ferdinand ein – mein Herz sagt mir –

Bindet dem das dumme Maul zu, unterbrach Ingeram, und seid kein kleines Kind: wenn Johanna etwas sagt, so ist es der zu verzeihen, aber Ihr müßt Vernunft annehmen. Nicht wahr, die Vogelscheuche, die sie da draußen aufgegabelt haben, um den Balduin vorzustellen und Unruhen anzustiften, wird nun nichts Eiligeres zu thun haben, als Euch, den Unbekannten, der ohne Namen, ohne Verbindung, ohne Vermögen ist, an seine Brust zu drücken und Euch Hennegau und seine vorgebliche Tochter zu schenken? Auch im Gedichte wäre das dumm.

Jetzt wurde das Getümmel so laut, daß ihre Rede übertäubt wurde. Sie gingen hinaus und fanden im Hofe und auf dem Platze Alles dicht gedrängt voll von tobenden und schreienden Menschen. Graf Hugo, so sehr er sich anstrengte, konnte nicht zu Worte kommen, Humberkurt wüthete, aber vergeblich, die Empörer achteten auf ihn so wenig, wie auf den Vater. Viele von den Gemeinsten waren schon damit beschäftigt, das große Thor und die eisernen Schlösser zu zerbrechen, die zu den unterirdischen Gefängnissen führten. Die Leibwache stand draußen und war vom innern Hofe durch den Andrang der bewaffneten Menge und durch die Bürgerschaaren abgeschnitten, auch waren sie unschlüssig und unthätig, weil sie keine Befehle empfangen hatten. Dazu hatte das Wort, das auch sie erreicht hatte, alle ihre Kräfte gelähmt, Balduin, ihr Herr sei wieder da. Die Frechsten im Volke zauderten nicht, Hugo selbst einen Verräther zu nennen, der aus Bosheit seinen eigenen Herrn nicht anerkennen wolle.

Jetzt fiel die Thür unter den wiederholten Schlägen der Aexte, Balken und schweren Steine, Viele stürzten hinunter. Alles war gespannt und bald darauf trat Robert, der braune, aus dem Kerker an das Licht empor und Alles jubelte. Sie breiteten die Arme nach ihm aus, trugen ihn fort und schrieen: Ja! ja! Dieser ist es, er hat unsern Herrn, unsern Balduin zuerst wieder erkannt! Die Prophezeiung der Seherin ist erfüllt! Die Todten sind wieder da, der große Fürst ist wieder in unser Land gekommen!

Als Robert hinausgeführt war, erhob sich auf dem Platz ein noch größeres Getümmel; die Gewerke, die Zünfte, die Landleute, die zur Stadt gekommen waren, schienen alle schon von der Begebenheit unterrichtet. Man führte den Befreiten wie im Triumph durch die ganze Stadt, Alles war Fest und Jubel, und Hugo, der mit seinem Sohne verlegen zurückgeblieben war, ordnete die Schaar der Trabanten, sprach zu ihnen und sendete zu seinen Freunden, den Edeln in der Gegend umher, wie in Gent selbst, um mit ihnen bei dieser peinlichen Lage der Dinge einen durchgreifenden Entschluß zu fassen.

Sie versammelten sich nach und nach, und man kam überein, daß es nothwendig sei, sich zu bewaffnen, Zünfte und Gewerke aufzurufen, Krieger zu besolden und sich auf die gefährlichsten Unternehmungen gefaßt zu halten.

Ferdinand war mehr als Alle erschüttert. Er bot sich dem Regenten freiwillig an, ihm in alle Weise, wie er gebieten würde, zu dienen. Die Unruhe in der Stadt war auf das Höchste gestiegen, alle Verhältnisse waren schnell aufgelöst, Keiner wollte sich den Befehlen fügen, und in der Vorstadt, wo das Volk sich versammelt hatte, sprach man dreist von bewaffnetem Widerstände.

Als am Nachmittage die Ritter, die besendet waren, von ihren Schlössern mit ihrem Gefolge anlangten, fing Alles an, eine bessere Gestalt zu gewinnen. Herolde hatten Ruhe befohlen, man hatte ausgerufen, daß der Regent das wunderbare Ereigniß, welches das Land in Bewegung setze, ruhig und unparteiisch untersuchen wolle; man warnte, sich nicht vorschnell und übereilt zur Meuterei aufregen zu lassen, man erinnerte an die frühere Geschichte, wie die Städte sich so oft zu ihrem eigenen Verderben von unruhigen Bürgern und Rebellen haben aufreizen lassen. Die älteren und vernünftigeren der Handwerker gingen bald mit ihren Waffen wieder nach Hause, einige Gilden löseten sich auf, manche vom Landvolke begaben sich in die Heimath. Alle diese wollten es der Zeit überlassen und ruhig abwarten, wie sich die Sache entwickeln würde, aber die Fleischer und Kupferschmiede, von ihren Vorgesetzten aufgemuntert, blieben mit ihren Panieren auf dem Platze halten, sie hatten den braunen Robert in ihre Mitte genommen und drohten mit Brand und Mord, wenn man diesem theuern Manne nur ein Haar kränken wolle.

Es war schon Abend geworden, als sich Trompeten vor dem Thor der Stadt und dann in den Gassen vernehmen ließen. Die Gesandtschaft Balduins und des Grafen Conrad ritt feierlich ein und Hugo versammelte schnell den Staatsrath in der Burg, um zu hören, was sie anbringen würden. In der Stadt schien die Ruhe wieder ziemlich hergestellt, ein dumpfes Schweigen war bemerkbar, welches die Gemüther mehr ängstete, als daß es die Wiederkehr der Ordnung bewiesen hätte, weil man fürchten mußte, daß das Unheil in jedem Augenblick losbrechen würde.

Als man sich im großen Saal des Schlosses versammelt hatte, ward die Fürstin Johanna aus ihren Gemächern gerufen, die, von einigen Frauen und Dienern begleitet, erschien und sich auf dem fürstlichen Thronsessel unter dem Baldachin niederließ. Man sah, daß sie geweint und überhaupt jene ruhige Haltung der Heiterkeit völlig verloren hatte, die sonst ihre Gestalt so edel und erfreulich hervorhob. Hugo saß neben ihrem Sessel, gespannt und unruhig, sein großes Auge hervorgetrieben und leuchtend nach allen Seiten blickend, sein Angesicht war noch röther als gewöhnlich. Humberkurt stand, zornig in sich gedrungen, ohne aufzusehn. Die Räthe, die umhersaßen, waren verlegen, der alte Berthold lächelte vor sich hin, als wollte er zu verstehn geben, er habe diese Begebenheit und noch viel Schlimmeres längst vorhergesehn. Unter den Angekommenen zeichnete sich der Abt Ildefons durch seine Ruhe und Würde am meisten aus, er war der Sprecher der Gesandtschaft, und Wachsmuth drängte sich vor, so sehr es nur schicklich war, um sein Auge an der Schönheit Johannens zu weiden. Humberkurt sah diesen zuweilen verstohlen an, fast ohne den Blick zu erheben.

Ildefons erzählte die Begebenheit, wie sich Alles zugetragen hatte, wie der Kaiser plötzlich sei erkannt worden, an welchen Zeichen, nach welchen Beweisen, wie ungern er dem Dringen des Volkes und nur aus Zwang nachgegeben habe, und wie sehr Einige, am meisten aber Graf Conrad die Wahrheit der Sache bezweifelt. Graf Conrad sei endlich ebenfalls nur durch Gewalt zu bewegen gewesen, sein Schloß und die Einsamkeit zu verlassen, um in Gegenwart von vielen edeln Zeugen die Erzählung des Eremiten und alle Umstände genau zu prüfen. Dieses habe der Graf gethan, und zwar so unparteiisch, ja selbst mit so vorsätzlich erregten Zweifeln, daß alle Gegenwärtigen dadurch wären beleidigt worden. Um so heller aber sei dadurch die Wahrheit erschienen, die sich nun auch Jedermann so klar darstelle, daß nur Derjenige sie leugnen möchte (wie man aber von keinem Freunde des Vaterlandes glauben könne), der sie vorsätzlich nicht erblicken wolle. Dadurch sei auch Graf Conrad selbst, so ungern er zu weltlichen Händeln zurückkehre, bewogen worden, laut und öffentlich zu erklären, der Eremit sei der wahre Balduin. Da dieser Mann, der ungern seine Andacht aufgebe, sich thätig für die Wahrheit erklärt habe, so sei es um so mehr die Pflicht des Regenten, diesem Beispiel zu folgen, und die Regierung, die er bisher so löblich, zur Freude und Erhaltung des Landes geführt habe, in die Hände des Kaisers niederzulegen und dadurch seinen Patriotismus zu krönen. Wie mehr aber müsse sich die eigene, einzige Tochter freuen, einem Vater sich zu ergeben, der ihr mit Liebe entgegentrete: Gehorsam, Dankbarkeit, Hingebung und alle Pflichten des Kindes, sowie ihre Verbindlichkeit zum Staat forderten sie laut und dringend auf, alle unnützen Zweifel oder Einflüsterungen zu beseitigen und sich dem Vater mit unbedingter Liebe in die Arme zu werfen.

Johanna sah abwechselnd den Redner und den Grafen Hugo an, auf dessen Gesicht der Ausdruck des Zornes unverkennbar war. Dieser erhob sich jetzt und sprach mit lauter Stimme: Wahrlich! ein unendlich klug angelegter Plan, ein weitumfassendes Gespinnst, das der Listige loben müßte, wenn es nicht in sich selbst, durch seine eigene Last zerrisse. Wir sollen jetzt, nach zwanzig Jahren, plötzlich auf das Wort eines Abenteurers und eines unzufriedenen vornehmen Ränkespinners glauben, Balduin lebe noch. Auf diese Lüge hin, die sich als solche jedem Unbefangenen sogleich verkünden muß, sollen wir Waffen, Schätze, Schlösser, Städte, Unterthanen und den Stuhl des Reiches, ja unsere erlauchte Fürstin selbst dem hergelaufenen, unbekannten Rebellen in die Arme schleudern, daß er nach Willkühr mit Allem verfahren könne. Und mir, da es meine heilige Pflicht ist, alles Dies zu beschützen, den echten edeln Sprossen aber des großen Hauses gegen Unheil zu wahren eben zumeist mir obliegt, mir will man etwas zur Gewissenssache, zur unerläßlichen Schuldigkeit machen, mich diesem groben Betrug zu fügen. Daß der listige, heuchelnde Conrad an der Spitze der Verschwörung steht, erklärt den Verständigen am besten, wie es damit gemeint sei. Er, der immer nur den Eingebungen seines Hochmuthes und der Herrschsucht folgte, er, der es nicht vergeben konnte, daß Adel, Rath und Volk mir die Regentschaft übertrug, er hat dies Gespinnst gewoben, um das Letzte, das Verderblichste zu seinem Vortheil zu versuchen. O ja, der Hinterlistige, er hat sich zwingen lassen, er hat dem Aufruhr widerstanden, er hat nur der Gewalt nachgegeben. Diesen Zeitpunkt hat er klug erwählt, als die jugendliche Herrin selber die Zügel der Regierung ergriffen hat, im Wahn, sie würde mir ihr Vertrauen entziehn und in unerfahrener Jugend, fürchtend, geschreckt, den Verräthern nachgeben. Aber er irrt, sie kennt, sie vertraut meiner Tugend und unerschütterlichen Redlichkeit, alle Guten im Lande, alle Tapfern werden auf unsere Seite treten und der Arglistige wird in seiner eigenen Schlinge hängen bleiben. Wäre es möglich gewesen, wäre es nur denkbar, daß unser Balduin noch auf Erden wandle, daß er in sein Land zurückgekehrt sei, – wie, im Walde, an der Grenze des Gebietes würde er seit fast zehn Jahren unbekannt, unbesucht gelebt haben? Nicht der Staat, die Unterthanen, die Liebe zur Tochter hätten ihn hiehergeführt? Dort, in der Entfernung hätte er sich zu erkennen gegeben? Warum nicht, auch nach so langer Verzögerung, hier, in seinem geliebten Gent? Nicht zu mir, seinem Freunde, wäre er (und warum nicht mit dem Grafen Conrad) hergeeilt, um alle Zeichen, alle Umstände, daß er es sei, wahrhaftig zu machen? Hier, wo seine Tochter, ich, der Rath und Alle aus dem Archiv, aus früheren Briefen und Verordnungen, aus alten Erinnerungen und Denkmälern, ja aus jedem Sessel und Fenster dieser Zimmer die Wirklichkeit erkennen mochten? Wie schlau hat er diese Prüfung vermieden, weil es der Verschwörung nur darum zu thun ist, nicht das Land zu beglücken, sondern Conrad und seinem Anhang zur Regierung zu verhelfen, die Prinzessin zu verrathen und sich in den Raub der Güter und der Herrschaft zu theilen.

Ein lautes Murren erhob sich unter den Fremden. Es ward still, als Johanna aufstand und sagte: So jung, so unerfahren ich bin, so wenig fähig, mich in diesem Augenblicke zu sammeln, so erwartet man doch hier einige Worte aus meinem Munde, und ich will versuchen, meine Gedanken zu ordnen und meine Gefühle zu beherrschen. Denke sich Jeder, der einen Vater hatte oder früh verlor, in meine Lage, und er wird meine Verwirrung begreifen und entschuldigen. Ohne Vorbereitung, unerwartet, wie ein Donner aus heiterm Himmel, ist dieses Ereigniß vor mir niedergestürzt. Ich bin in der entsetzlichen Lage, wenn ich leichtgläubig bin oder nur zu rasch meinem Herzen folge, das seit meinem erwachten Bewußtsein einen geliebten Vater sucht, mich einem Abenteurer, einem Lügner mit meiner ganzen Liebe hinzugeben, dessen Betrug um so abscheulicher ist, weil er mein Herz und mit ihm das Heiligste in der Natur täuscht und mißbraucht, die Liebe, das Vertrauen des Kindes. Aller andere Raub der Güter und der Ehrenstellen ist gegen diesen Diebstahl verzeihlich zu nennen. Oder, eben so schrecklich! er ist mein wahrer Vater, und ich sein Kind – so ist jeder Widerstand Frevel, der seine Seele zerschneidet, und diese wenigen Worte, die ich eben sprach, sind schon die abscheulichste Sünde. Was also thun? Wie mich regieren? Ich erinnere mich, daß weise Männer mir oftmals erzählten, wie sehr mein Vater in seiner Jugend dem großen Könige Frankreichs, Philipp, verbunden war, obwohl sie auch zuweilen stritten und entzweit waren. Aber meinen ältern Räthen ist es bekannt, daß, als Balduin, mein Vater, sich zu jenem verderblichen Kreuzzuge rüstete, er vorher lange und oft mit Philipp von Frankreich vertraute Gespräche bei verschlossenen Thüren führte. Ich hörte sonst wohl, daß Balduin damals, als wenn er sich zum Tode bereitete, dem Könige sein ganzes Herz eröffnet habe. Philipp ist zwar verschieden, aber noch lebt sein Sohn, so krank und hinfällig er auch ist, der achte Ludwig. Laßt uns, meine Freunde, von dieser wie von jener Partei, die zugegen sind, diesem Könige die Sache übergeben, daß seine Weisheit sie entscheide, denn wahrscheinlich hat der Sterbende dem Zurückgebliebenen doch Manches und wohl auch hierüber Etwas vertraut. Benutzen wir noch diese Zeit, da der kranke König vielleicht auch bald seinem Volke genommen wird, und Rath wie Hülfe uns alsdann noch ferner liegen.

Hugo sah im Kreise umher und erwiederte dann mit mehr Fassung, als seine erste Rede gezeigt hatte: Vergönnt mir, erhabene Fürstin, so sehr ich die Klugheit dieser Jugend, den reifen, frühen Verstand bewundern muß, über diesen wichtigen Punkt, der den ganzen Staat betrifft, anderer Meinung zu seyn. Es ist nicht unbekannt, wie gefährlich es wird, den Nachbar, der schon mächtiger ist, in die inneren Interessen zu ziehn. Immer hat Frankreich die Oberhoheit, die es vor alten Zeiten ausübte, auf Flandern wieder geltend machen wollen. Der schlaue König, der eben so listig als fromm ist, würde dieses Richteramt sogleich benutzen, wahrer Regent und Herrscher zu werden. Diese Verhältnisse, diese Furcht waren es ja, die uns schon so oft zum Bündniß mit dem unbeständigen England trieben. Und dann – sehn wir es denn nicht, daß viele Herren von der Geistlichkeit diesen neuerfundenen Balduin beschirmen? Wird er nicht schon aus dieser Ursache ihn leichter, als er sollte, für den wahren Balduin erkennen?

Der Abt erwiederte zornig, den Regenten unterbrechend: Auch wir, Herr, lehnen diese Entscheidung und Vermittlung ab, denn das hieße eingestehen, daß wir an unserm sonnenklaren Rechte noch zweifelten. Dem umsichtigen Könige, wenn er einmal gewinnen wollte und die Verwirrung benutzen, dürfte es wohl vortheilhafter dünken, einen weisen, tapfern Regenten, den die ganze Welt als Helden rühmt, verdächtig zu machen und ihn wo möglich von der Herrschaft zu entfernen, als dem großen, entschlossenen Manne den Stab wieder in die Hand zu geben. Gewinnen kann er nur, wenn er Euch bestätigt, da es ihm und Euch alsdann wohl leichter wird, ein junges, unerfahrnes Fräulein zu beherrschen und zu verwirren.

Johanna ward vor Scham und Verdruß roth und sagte dann: So folgt einem zweiten Gedanken, den ich Euch jetzt vorlegen will. Allerdings kann jener Mann, der sich Balduin nennt, nur hier in Gent auf das genügendste ausweisen, ob er Namen und Macht in Anspruch nehmen dürfe. Hier können meine Räthe, mit Hülfe aller Briefschaften und Beweise, die Sache am besten erörtern. Er selbst muß diesen Ausweg wünschen, weil er hier im Schlosse Briefe, Bücher, bei vielen Greisen Erinnerungen findet, die sein Recht deutlich und klar bestätigen werden.

So ist es, fuhr Hugo fort, er komme ruhig und ohne bewaffnete Freunde und entziehe sich einer friedlichen Untersuchung nicht.

Jetzt trat Friedrich, der junge heftige Ritter, hervor, und rief mit lauter Stimme: Und in die Hände seiner Verräther und Mörder, sollte sich der wundersam gerettete Fürst geben, nur um hier, in seinem Hause um so gewisser den Untergang zu finden?

Hugo sprang von seinem Sitze auf, aber der Abt trat ihm ruhig entgegen: So ist es, sagte er feierlich, habt Ihr doch schon deutlich genug ausgesprochen, daß Ihr uns und unseren erhabenen Fürsten für Verräther haltet. Was hättet Ihr noch zu schonen, wenn der edle Mann erst in Eurer Gewalt wäre? Und müßte er sich nicht schämen, sein Leben und seine Ansprüche von Euerm neidischen Urtheil abhängig zu machen?

Erlaubt mir, meine Freunde, rief Wachsmuth, der sich nicht länger zurückhalten konnte, so jung ich bin, auch einige Worte. Wie nur ist es möglich, daß sich nicht alle Stimmen dahin vereinigen, unsere edle Fürstin, deren Jugend jetzt so wenig durch Rath unterstützt wird, dahin zu stimmen, ihren Vater anzuerkennen? Ist dies nicht ihre erste und nächste Pflicht? Jeder, scheint es, vergißt über sich selbst das Allgemeine und Höchste. Aber Euer Herz, schönste Johanna, sollte erwachen und alle jene Plane der Eigennützigen verwerfen und durchreißen, die Euerm wahren Glück entgegentreten. Würdigt uns, Verehrteste, in unserer Gesellschaft zu Euerm Vater zu reisen, und Alles löst sich so auf die gelindeste und freundlichste Weise.

Zu Eurem Vortheil! schrie jetzt Humberkurt, der seinen Zorn nicht länger bemeistern konnte. Wir kennen ja auch die Abreden, Plane und nichtsnutzigen Verhandlungen. Der arme Bettelbruder wird Euch gern die Braut, die ihm gleichgültig seyn kann, zuwerfen, um die Grafschaft zu besitzen, oder sich diese nachher, so theuer als es ihm gefällt, von Euch und Euerm herrlichen Vater abkaufen zu lassen.

Nichtswürdiger! rief der empörte und verletzte Wachsmuth, seiner nicht mehr mächtig; diese schändliche Lüge hat Euch zum Tode gezeichnet und mein Schwert soll dieses Wort in Eure Brust zurückstoßen. Bekannt ist es ja, was Euer Vater, Hugo, thut und schon gethan hat, um die Schönste und Unglücklichste ihres Landes Euch geneigt zu machen.

Himmel und Erde! schrie Humberkurt; Bube! Nichtsnutziger! da liegt mein Handschuh, wenn Du es wagst, ihn aufzunehmen, das Pfand, das Siegel, das Dich dem Tode verzeichnet!

Wachsmuth wollte erwiedern, doch Hugo's donnernde Stimme fuhr dazwischen, erst den Sohn und noch stärker Wachsmuth scheltend. Aber Johanna erhob sich, vom edelsten Zorn verschönert, und sagte mit zitternder Stimme: Zu diesem widerwärtigen Gezänk gemeiner Leidenschaften bin ich herberufen worden? Jeder sagt, daß er mich ehre und liebe, und ich werde von Jedem beschimpft! Bin ich ein Spielball, den man nur hin und wieder werfen darf? Bin ich ein Raub, über dessen Besitz die Räuber sich entzweien? So tief bin ich noch nicht gesunken, und wenn Graf Hugo meine Würde nicht vertreten kann, wenn jene Widersacher, die in meines Vaters und meinem Namen zu handeln vorgeben, mir nicht mehr Achtung zuwenden mögen, so muß ich anderswo Hülfe suchen.

Ohne irgend Jemand zu grüßen, entfernte sie sich schnell mit edelm Anstande. Hugo, der diese Wendung nicht erwartet hatte, war verwirrt, Wachsmuth hatte im Zorne schon den Saal verlassen und Humberkurt wollte ihm eben folgen, als der Vater ihn mit starkem Arm zurückriß. Als sich Alles, ohne Absicht, wie es schien, im Saal durcheinander bewegte, trat Ferdinand bescheiden zu Hugo und sagte: Warum, verehrter Herr Graf, habt Ihr den Vorschlag der Fürstin so unbedingt von der Hand gewiesen, die große Sache in die Hand des Königs von Frankreich zu legen? Mir schien dieses die weiseste, wenn nicht die einzige Auskunft. Sendet Boten zu diesem einsichtsvollen Herrn, bevor das ganze Land durch Unruhe, Krieg und Zwiespalt zu Grunde geht.

Junger, unbekannter Daniel, sagte Hugo höhnisch, putzt lieber das Gefäß Eures kleinen Degens in müssigen Stunden, wenn Ihr doch Arbeit wünscht und Euern Geist gern anstrengen mögt.

Humberkurt lachte, aber Ferdinand sah Beide mit festem und ruhigem Auge an: Herr Regent, sagte er männlich, es ist jetzt ein Zwiespalt, wo jeder Dienst, auch des Geringsten, mit Dank angenommen werden sollte. Es ist Zeit, die Klinge des Schwertes zu schleifen, und für die gute Sache der Fürstin werde ich es am heißesten Tage gebrauchen, ohne weiter an diese Eure unpassende Rede zu denken.

Er verließ mit vielen Andern den Saal. Doch Hugo sagte, zu seinem Sohne gewendet: er hat nicht Unrecht, der Bursche. Der Krieg ist da. Aber daß Du so unnütz einsprachst, so unbesonnen, werde ich Dir nicht vergessen. Die Unmündigen haben heute im Rath überhaupt das Feld behauptet, wir wollen sehen, ob es im Kampf und der Feldschlacht eben so seyn wird. Dir aber verbiete ich bei meinem Zorn, bei meinem Fluch, diesen Wachsmuth jetzt aufzusuchen. Die Zeit wird sich finden, ihm dies nebst andern Dingen zugleich zu vergelten. Jetzt sind aber viel wichtigere Sachen zu bedenken.

So war der feierlich versammelte Rath, ohne irgend Etwas zu entscheiden, aus einander gegangen. Die Gesandtschaft reisete zurück und Balduin und seinem Gefolge entgegen. Noch mehr Edle und Bürger aus der Stadt vermehrten den Zug. Der braune Robert ward mitgeführt und als der Entdecker des großen Fürsten von Allen geehrt.

Hugo berieth sich mit seinem Freunde Tillen. Er sammelte den Adel der Stadt und des Landes um sich her, die Männer, die immer zu seiner Partei gehalten hatten und Feinde Conrads waren. Seine Kundschafter ermittelten Viele in der Bürgerschaft, die sich aus Haß gegen die Geistlichen ihm gern anschlossen, und selbst Landleute, die von den Priestern oft waren Ketzer und Albigenser gescholten worden, zeigten sich willig, seiner Fahne zu folgen. Die Stadt Gent schien indeß, nach dem Abzug der Aufwiegler, ruhig.



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