Johann Ludwig Tieck
Der wiederkehrende griechische Kaiser
Johann Ludwig Tieck

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Tief im Walde, wo ein klarer Quell über den grünen Rasen floß und murmelte, saß Ferdinand schon lange im Sinnen verloren. Sein Auge erfreute sich an den Lichtern, die durch das funkelnde Buchenlaub spielten und hin und wieder an den weißen Stämmen zitterten. Die Vögel des Frühlings sangen noch und ein sanfter Wind bewegte sich flüsternd in den vielfach erregten Blättern. Hin und wieder, wo der Wald lichter war, schimmerten Hütten, deren Rauch in der Ferne friedlich in die Höhe stieg, zuweilen rasselte das dürre Buchenlaub und unterbrach den Gesang der Vögel und des Waldes, wenn ein Reh hindurchhüpfte und leicht den Abhang hinauf tanzte. Neben Ferdinand lag ein Blatt, das er jetzt aufnahm, um zu vollenden, was er schon vorher angefangen hatte.

    Wie der Quell so lieblich klinget
Und die zarten Blumen küßt,
Wie der Fink im Schatten singet
Und das nahe Liebchen grüßt.

    Wie die Lichter zitternd schweifen
Und das Gras sich grüner freut,
Wie die Tannen weithin greifen
Und die Linde Blüthen streut, –

    Also ist mein Sein und Leben,
Allenthalb ihr süßes Bild,
Ihrem Dienste ganz ergeben,
Grüßet sie mich sanft und mild.

    In der Linde süß Gedüfte,
In der Tannen Riesellaut,
In dem Spiel der Sommerlüfte,
Glänzt sie hell als Frühlingsbraut.

    Wo sie hinblickt, wachsen Blüthen,
Wo sie hindenkt, tönt der Wald,
Nachtigall will ihr vergüten,
Und ihr Liebeslied erschallt.

    Aber Waldton, Vogelsingen,
Duft der Blüthen, haltet ein,
Licht verdunkle! nie gelingen
Kann es, mit ihr wett zu seyn.

    Wer den süßen Blick empfunden,
Sieht nicht mehr nach Waldesgrün,
Denn er freut sich süßer Wunden,
Daß im Glück sein Herz so kühn,

    Daß die Blicke dort ersprießen,
Und aufwächst ein Blumenwald,
Lieb' und Sehnsucht Wort' ergießen,
Wie ein Ton in Himmeln schallt:

    Selig, wen einst ihr Gemüthe
In Gedanken liebend faßt,
Der schläft süßer, als in Blüthe,
Der ist eines Engels Gast;

    Wem sie ihren Kuß will gönnen,
Der stirbt wohl den schönsten Tod,
Spricht, ihr braucht nicht mehr zu brennen,
Rosen, bleich ist euer Roth,

    Hier ist Duft und Farb' und Freude,
Ihr nur Schatten, Wiederhall, –
Ach! mein Traum entfliegt, zum Leide
Dräun die Schatten überall,

    Und die Nachtigall singt Klage,
Und der Wald braust Todtenlied,
Finstrer Abend wird's am Tage,
Und mein Herz ist abgeblüht. –

Ferdinand, nachdem er still das Lied überlesen hatte, konnte es nicht unterlassen, es für sich nach selbsterfundener Melodie zu singen, anfangs leise und nach und nach mit verstärkter Stimme. Er erschrak nicht wenig, als er geendigt hatte, daß er Geräusch hinter sich vernahm, ward aber getröstet, als er den Narren Ingeram erblickte, welcher laut zu lachen anfing. So treffen sich, rief Ingeram aus, die beiden Verliebten in der schönen Einsamkeit des Waldes! Ja, Kind, es ist süß und anmuthig, die Stimme so aus der Brust loszugeben, daß sie auf den Flügeln des Wortes die Wünsche und Gefühle weit hin trage, in das Land der Träume und Ahndungen. Da, weit weg, wo der Hort der Nibelungen liegt und Freund Tristans Rosen wachsen, wo Isot und Sigune sich auf den Wolken der Abendröthe begegnen, kommen nun Eure Seufzer und Gesänge an. Die hohen Herrschaften werden ohne Zweifel das Lied sehr gut aufnehmen, denn sie sind auch einmal jung und verliebt gewesen, und sind sie gerade gnädig und aufgeräumt, so schicken sie mit einem sanften Westwind ein zartes ehemaliges Gefühl ihres Herzens zurück, das Euch dann unter die Nase kräuselt und Euch zu einem neuen Gedichte begeistert: uralte Gedanken, beim Lichte besehn. – Schämt Euch, junger Mann, daß Ihr Eure kostbare Zeit nicht besser anzuwenden wißt.

Wenn Du nun einmal gehorcht hast, erwiederte Ferdinand, so laß auch das Tadeln. Du kennst mein Herz und solltest meine Klage verstehn.

Ei was! rief der Narr mit einiger Hitze: es ist keinem Menschen, mag er auch fühlen, was er will, benommen, verständig, und keiner wird gehindert, närrisch und kindisch zu seyn. Und das, das seid Ihr. Dichtet, wenn es seyn muß, aber nicht so alberne Klagelieder, die nicht aus noch ein wissen.

Und so spricht Der, sagte Ferdinand mit einem Seufzer, der meine ganze Lage kennt? der sich meinen Freund nennt? Arm, ohne Verwandte, mir selbst und allen Menschen unbekannt, der ich nicht einmal weiß, wer ich bin, welche Mutter mich geboren, welcher Vater mich erzeugt hat, ob sie noch leben, ich, der nicht darf auf den Ritterschlag, auf irgend eine Würde Anspruch machen, der so arm ist, wie der elendeste Bettler, wenn die Regentschaft die Hand von mir abzieht. Und dabei dies Gefühl in meinem Busen, diese Leidenschaft für die Herrin des Landes, die mir ferner und unerreichbarer steht, wie der fernste Palast im weit entlegenen Indien, wie der Abendstern über mir: – woher Muth nehmen, Vertrauen fassen, irgend einer Hoffnung Raum geben?

Dichte, Kind, antwortete Ingeram in gutmüthigem Tone, singe alles Leid aus Deiner Brust heraus, singe Dich todt, wenn es seyn muß, wie die Sänger erzählen, daß es der Nachtigall wohl in zu heftigem Wetteifer begegne: nur sei frisch und wohlgemuth, und fasse das Leben selbst vertrauend an seinen beiden warmen Händen, und blicke ihm in die muntern, kräftigen Augen; denn, was die Hauptsache ist, Du bist doch da, jung, stark, kräftig, schön, und darfst in diesen grünen, unerfahrnen Tagen Alles hoffen und erwarten, was an Schätzen nur von den Sternen über uns ausgegossen, an Schicksal und Glück um unsere Erde kreiset. Da geschieht es auch wohl, daß ein recht starkmuthiges Herz durch den Zauber seiner inneren, felsenfesten Zuversicht ein Schicksal aus dem unsichtbaren Kreise herunterzieht, und es sichtbar, lebendig und wirklich macht. Das ist ja schon sonst in der Welt vorgekommen. Habt Ihr dann solch recht blank polirtes Schicksal im Arm, und seid was Besonderes in der Welt, nun dann dichtet nachher zur Abwechselung auch so etwas recht Klägliches und Rührendes, das allen zuhörenden Menschen die Thränen in die Augen treibt. Nur jetzt, so lange Ihr im Elende sitzt, seid lustig und guter Dinge.

Ohne dies Gefühl meiner Liebe bin ich nichts, erwiederte Ferdinand, sie ist mein Bewußtsein, und so wie ich Johanna, mich und mein Herz fühle, muß ich auch verzweifeln. So ist mein Leben selbst in einen Traum zerronnen, und wohin ich blicke, sehe ich Schatten, Nebel, Dunkelheit und Abgründe.

Still davon! rief der Kleine ungeduldig: so leere Worte, Schatz, der Du ein verständiges Kind bist, müssen gar nicht über Deine Zunge kommen. Ich will ja nicht, daß Du Deine Liebe, oder Dein Gefühl unterdrücken, oder gar abtödten sollst. Nein, mein Freund, werde, wenn Du es möglich machen kannst, noch verliebter, noch mehr begeistert, das hilft der Jugend auf und macht sie eigentlich erst flügge. Aber, mein geliebtes Naseweischen, diese Herzensliebe braucht eigentlich keinen Gegenstand zu haben, und darum ist es recht gut, daß die liebe Johanna Dir so unendlich ferne steht. Das Lieben selbst, mein Söhnchen, das tiefbewegte Herz, dies begeisterte Gefühl, das Dich über die Erde und ihre Armseligkeiten so hoch hinaufträgt, daß Dir zu Muth ist, als könntest Du alles Edle, die größten Thaten, die unsterblichsten Heldenunternehmungen, und Fürstentümer, Königreiche und Nachruhm nur so wie Kirschen vom Baume pflücken, daß es Dir bedünkt, als müßten Tod und Gefahr Dir schmeichelnd, wie zahme Hündchen, aus der Hand fressen, dies Gefühl, mein Sohn, ist bei diesem Liebesfieber die Hauptsache. Ueberleg' es nur selbst, und zähl es Dir an Deinen fünf Fingern ab. Wie entzückt Du jetzt auch bist, daß ein Händedruck von ihr, wie gar ein Kuß, Dir Zittern und Ohnmacht zuziehen könnte, Heirath und Besitz Dich auf einige Tage, wenn das Alles nämlich von heut zu morgen käme, verrückt machen möchte: nun aber, setzen wir den Fall, bist Du Fürst und die schöne Johanna Deine Frau: – nach einem halben Jahr oder Jahr – denn wenn die Zeit einmal vorüber ist, ist es doch nur immer wie ein Augenblick gewesen – sitzt Ihr Euch Beide gegenüber, sie hat den Schnupfen und Du hast den Husten, sie ist verdrüßlich, weil sie sich gestern mit Dir über den Anzug gestritten hat oder über ein Hoffräulein, Du fühlst Dich verstimmt, weil ein anderer Graf Conrad Dir Händel macht – Beide habt Ihr Langeweile und wollt es Euch nicht gestehn, so kommt Ihr wohl gar darauf, einander Vorwürfe zu machen, daß Ihr Euch weniger liebt, und im Grunde gesteht sich jeder von Euch, daß es so ist: – nun, was ist es dann mit all den heurigen Thränen, Seufzern, Liedern? Nicht wahr, bei der Vorzeit und Vergangenheit müßt Ihr, mit dem besten Willen, betteln, um nur wieder ein kleines Fünkchen von dem Glanz zurückzulocken, der jetzt Dein Auge blendet? Wie anders, voller, größer, herrlicher, lebst Du jetzt, wenn Du Deinen Vortheil nur irgend verstehst! Deine jetzigen Empfindungen und Stimmungen sind eigentlich die Erfüllung, der Inhalt des Lebens, was die sogenannte Wahrheit immer nur mit einer dürftigen Nachahmung Dir unterschieben könnte, um Dich zu betrügen. Jetzt, mein Freund, bist Du im unsichtbaren, aber innigen Brautstande mit allen weiblichen Geistern der Schönheit und Huld, aus allen Büschen und glänzenden Bergen, aus Morgenroth und Abendschein glänzt Dir ein süßes und schalkhaftes Lächeln der Nymphen, neckt Dich aus dem Quell ein sanft flüsterndes Liebeswort, faßt im lauen Wind, in Frühlingsluft die zarteste Hand und fühlt das Pochen Deines Herzens, aus den Blüthen des Baumes weht Dir ein Kuß von Unsterblichen entgegen und Du fühlst den Hauch und die Wärme des holdseligsten Mundes. Dagegen, Du zartes Angesicht, ist ja alle sogenannte Wirklichkeit nur Stümperei und abgeblaßtes Wesen. Und doch willst Du von diesem Zustande geringe denken, und möchtest den ärmeren gegen den reicheren eintauschen? Mit nichten, mein Freund!

Schwatze denn und schwatze, rief der Jüngling erzürnt; – was sollen alle diese Wasserblasen der Thorheit gegen einen ihrer Blicke?

Nun freilich, fuhr der Alte fort, ohne sich in seiner Weise stören zu lassen: die Augen sind gewiß schön, und außerdem hell, und außerdem guckt da aus dem Glanze Etwas uns an, das alle Achtung verdient, denn es ist wohl kein alltäglicher Geist; liebt, schmachtet ein solches wunderliches Wesen und giebt sich einem andern so ganz zu eigen, das ebenfalls nicht zur Spreu der Geisterwelt gehört, so ist das immer schon der Mühe werth, daß ein paar Engel, die gerade keinen Heiligen zu beschützen oder einen Sünder zu bekehren haben, eine müßige Stunde daran wenden, und aus dem Himmelsfenster weit übergelehnt herausschauen, um sich an dem Anblick so süßen Liebesbegegnens zu erfreuen: denn es ist fast, als wenn die jungen Katzen mit einander spielen. Späterhin machen freilich, wie schon bemerkt, Kater und Kätzin etwas feierlichere Amtsgesichter, sie haben dann die Erfahrung schon hinter sich und jenes eben so anmuthige als possierliche Liebesspiel überstanden.

Jetzt stand Ferdinand auf, um sich zu entfernen, aber Ingeram hielt ihn am Aermel fest, indem er ganz ernsthaft sagte: Wenn Ihr also keinen ehrbaren tiefsinnigen Gedanken ertragen könnt, so laßt uns denn zur erbaulichen Abwechselung auch einmal spaßhaft mit einander reden. Was soll Euer ganzes baares, blankes Lieben, mit dem Ihr Euch das Herz so hochmüthig aufbläht, wenn es eben doch nur dazu hilft, daß Ihr Euch die blonden Haare glatter kämmt, als es die übrigen Menschen thun? Ist das Empfinden dieser Art etwas Großmüthigeres, als der Appetit nach gebratenem Fisch, nun, so zeigt es denn auch in That und Handlung. Die Maus würde nicht leicht sich in der Falle fangen lassen, wenn es der Speck nicht thäte, der von innen lockend herausduftet. Mancher Mensch bliebe, wie so viele, ein alltäglicher Handlanger und Dienstbote der Gewöhnlichkeit, wenn nicht vorn an der Schwelle seiner Jugend die Liebe auf ihn wartete, um ihn zu großen Entschlüssen zu befeuern, ihn bei der Hand zu nehmen und dicht an den Rachen der Gefahr hinanzuleiten. Glaubt Ihr denn, die liebe Johanna werde ein ruhiges Leben führen können, ohne Angst, Sorge, Nachstellung? Meint Ihr, sie habe viele Freunde und redliche Herzen, auf die sie rechnen dürfte? Vormund, Adel, Volk, Geistlichkeit, alte Krieger, neue Diener, Räthe, Alles stellt ihr nach und jagt sie wie das Reh. Darum werdet Ihr, auch selbst wenn sie es nicht merken, wenn sie es auch nicht denken sollte, Ihr Freund und Wächter: erspäht die Unfälle, die unterwegs sind, sucht den Verrath, der aus heimlichen unterirdischen Höhlen gegen sie losgelassen wird, aufzufangen und zu vernichten. Kein Mensch steht so niedrig, daß er nicht auch dem allerhöchsten ein Wohlthäter werden könnte. Dazu soll Euch die Liebe, wenn es Ernst mit ihr ist, Flügel anlegen oder einen Panzer umthun. Schärft Euern Geist, weckt Euere Sinne auf, damit Ihr einmal sagen könnt: Dies und Jenes hat sie mir zu danken. Er sang hierauf mit gellender Stimme so plötzlich und unvorbereitend, daß Ferdinand zusammen fuhr:

    Harnisch her! durch Moor und Dämpfe
Geht mein kühner Lauf dahin,
Gebt das Schwert mir, daß ich kämpfe,
Denn es brennt mein freier Sinn!

    Sie nur lieb' ich, sie nur mein' ich,
Die die Schönst' in aller Welt,
Der ich treu bin, das beschein' ich
Auf dem freien Kampfesfeld.

    Wo sind Frevler, wo sind Drachen,
Wo des Löwen Augenblitz?
Brüllt Gefahr aus tausend Rachen,
Dring' ich hin zum Höllensitz.

    Denn ihr Blick that mir ein Grüßen,
Durch den Gruß bin ich gefeit,
Jeder Feind wird weichen müssen,
Und nur Sieg ist jeder Streit.

    Als sie mir die Hand gegeben,
Fühlt' ich mehr als Eisenkraft,
Spiel nur ist's, den Schild zu heben,
Und des Riesen Speeresschaft.

    Drum heran, wer so verwegen,
Wer zum Kampfe nicht verzagt,
Bald muß er den Schwertesschlägen
Muthig stehn, so lang es tagt.

    Und er fällt, er muß erliegen,
Sei er Roland, Oliver,
Ich genug, es zu besiegen,
Käm' ein großes Ritterheer.

    Aber eilt heran zum Streite,
Denn schon glüht das Abendroth.
Morgen früh erjag' ich Beute
Schneller noch dem harten Tod.

    Denn sie geht mir wohl entgegen,
Und giebt mehr als holden Gruß,
Ja mir wird so süßer Segen,
Von dem Mund ein Liebeskuß.

    Dann verlach' ich Ries und Recken,
Und der Drachen wilde Wuth,
Schon mein Blick giebt Tod und Schrecken,
Das ist Liebesübermuth.

Ferdinand lächelte, und Ingeram sagte: seht, Kindchen, das hat auch einmal vor Zeiten so ein verliebter Wicht gedichtet, dem aber die Faust etwas schneller war, um drein zu schlagen. – Aber hört Ihr nicht Gespräch in unsrer Nähe?

Es war schon die Dämmerung im Walde. Wenn man nur meinen schönen Gesang nicht gehört hat, sagte Ingeram ganz leise. – Als sie einem lichteren, aber noch mehr abgelegenen Platz näher kamen, erkannte des Jünglings scharfes Auge die große hagere Gestalt des Grafen Conrad, der mit einem fremden Manne sprach. Das Gespräch wurde aber so leise geführt, daß man hinter den Bäumen nichts verstehn konnte; auch mochten die Beiden nicht näher gehn, um nicht für Lauscher zu gelten. Nach einer Weile entfernten sich Jene, indem jeder eine andere Richtung einschlug, und der kleine Narr sagte nach einer Weile: Wenn mich nicht der Abend zu sehr täuscht, so war der Waldgesell, der mit dem Grafen so eifrig redete, Niemand anders, als der braune Robert, wie ihn alle Menschen wegen seiner Gesichtsfarbe nennen. Er war im heiligen Lande, auch mit dem Kaiser Balduin in Griechenland und Constantinopel, er kam krank und als Bettler vor vielen Jahren aus der Gefangenschaft. Eine Zeitlang galt er am Hofe etwas, denn Hugo und Conrad beschützten ihn, er brachte damals viele Mähren mit, vom Tode des Kaisers, dessen vielen Leiden, wodurch er sich eine Weile bei Vielen wichtig genug machte, denn er vermaß sich, Balduins Vertrauen besessen zu haben, ja er prahlte mit Liebesdiensten, die er dem gefangenen, kranken und sterbenden Kaiser erzeigt hatte. Nachher wurde er weniger beachtet, und man will wissen, er habe sich erst zu den Empörern in Hennegau und endlich gar zu Räubern gesellt. Man sagte ihn todt, dann vernahm man plötzlich, ein frommer Bruder von Francisci Orden habe ihn recht gründlich bekehrt und er habe sich selbst zu einem strengen und heiligen Eremiten gemacht. Das Landvolk, das oft leichtgläubig genug ist, fabelte sogar, daß er Wunder verrichte, und sie schleppten Kranke und Besessene nach seiner Einsiedelei. Nun haben sich die beiden alten Bekannten hier im Walde wiedergefunden, wo sie doch schwerlich, so heilig sie auch seyn mögen, ein Religionsgespräch geführt haben.

Als sie aus dem Walde traten und sich zur großen Straße wendeten, begegnete ihnen ein Zug von Reisenden. Es war der Graf Conrad, dem zur Linken sein Sohn Wachsmuth ritt, zur Rechten der Kaplan seines Hauses, mit welchem der alte Graf ein tiefsinniges Gespräch zu führen schien, denn er bemerkte die beiden Wanderer nicht, als sie vorübergingen und ihn höflich begrüßten. Diener, viele Pferde, noch mehr Maulthiere, mit Gepäck beladen, folgten der Herrschaft.

So haben wir ihm doch wohl Unrecht gethan, sagte Ingeram, indem er sich mit dem Jünglinge der Stadt näherte; er war wohl der im Walde nicht: er scheint ja nun auch Ernst zu machen, die Stadt auf immer zu verlassen, denn er schleppt so vielen Hausrath mit sich.

Er wendete sich mit der größten Freundlichkeit zu Ferdinand, indem er zugleich dessen Hand fahren ließ und sagte: Aber, Freundchen, seht, nun treten wir gleich in die große Stadt, die Bürgerschaft ist in der warmen Abendluft vor den Thüren, der Adel treibt sich auf den Plätzen um; – schämt Ihr Euch nun auch wirklich nicht, mit dem kleinen Ingeram so allen den prüfenden Blicken vorüberzuwandeln? Wenn es im Mindesten ist, so macht mit mir nur gar keine Umstände, denn ich bin es gewohnt, daß das ehrbare Volk nichts mit mir zu thun haben will.

Kleiner Freund, sagte Ferdinand nicht ohne Rührung, Du hast es immer so gut mit mir gemeint, Du warst zu Zeiten mein einziger Trost, ja, ich möchte sagen, Du bist oft wie väterlich mit mir umgegangen, daß es undankbar wäre, wenn ich Deine Rechtschaffenheit und auch Deinen verständigen Sinn nicht immerdar erkennen und Deine Liebe mir ins Gedächtniß rufen wollte.

Väterlich! faßte der Alte das Wort auf: seht, da habt Ihr einmal was Hübsches gesagt. Ihr kennt Eure Eltern gar nicht, habt nie etwas von ihnen gehört, – wie, wenn ich nun am Ende doch Euer wahrer Vater wäre?

Ferdinand trat wie erschreckt einen Schritt von ihm zurück. Ja, ja, sagte der Alte, weniger heiter, so sind nun einmal die Menschen, – was könntet Ihr denn dafür? Vater ist denn doch Vater. Wenn es nun wäre?

Laß uns wieder vernünftig sprechen, brach der junge Mann verlegen ab, und sie traten in die Stadt und deren dämmernde Gassen.


Die letzten Worte des alten Ingeram, die dieser wie im Scherz ausgesprochen, hatten auf den jungen Ferdinand einen tiefen Eindruck gemacht, einen tieferen, als er sich wohl selbst gestehen mochte. Oft hatte er im Stillen Träume und Hoffnungen gepflegt, wie plötzlich, von da oder dort, sein Vater, ein angesehener, großer Mann, sich melden und ihn aus seiner Dunkelheit hervorziehen würde, und jenen Makel an ihm tilgen, der ihn so leicht in jeder Gesellschaft verlegen machte. Oder, daß unvermuthet, so ersann er die Geschichte, irgend eine Begebenheit es möglich mache, daß seine Mutter, eine Fürstin, aus ihrer Verborgenheit im Glanz erschiene und ihm Namen, Ländereien und eine hohe Stellung in der Welt zuführte, vor Allem aber die angebetete junge Fürstin Johanna, ohne welche ihm auch der größte Thron nur dürftig vorkam. Schlaflos brachte er jetzt die Nacht zu, indem er seine Gedanken auf und ab trieb, und in allen Richtungen sich vorstellte, welche Wirkung es auf sein Schicksal haben könne, wenn Ingeram wirklich sein Vater sei und dieser Umstand sich vielleicht in Kurzem entdecke. Er versank in diesem Gefühl in die tiefste Mutlosigkeit, ja in eine Stimmung, als wenn er sich selber verachten müsse, zugleich aber machte er sich bittere Vorwürfe, daß er sich auf diese Weise seines Vaters wirklich schäme, als wenn diese Vermuthung oder Furcht schon Wahrheit sei. Er lächelte dann wieder über diese zu weit getriebene oder wenigstens voreilige Gewissenhaftigkeit; wenn er aber nachher sein ganzes Leben überdachte und sich erinnerte, wie der sonderbare Alte ihm von je so viele Freundschaft und Zärtlichkeit bewiesen habe, so bekam der eben erst niedergeschlagene Zweifel neue Kraft und er fühlte sich wiederum fieberhaft erhitzt. Er nahm sich endlich vor, bei einigen älteren Räthen, die sich ihm stets gütig gezeigt hatten, nachzuforschen, ob sie ihm nicht über seine Familie etwas Bestimmtes sagen könnten, oder ihm wenigstens Spuren andeuten, denen er nachgehen möchte. Im schlimmsten Falle nahm er sich vor, fromm und ergeben sein Schicksal zu tragen, dem Alten alsdann wahre kindliche Liebe zu zeigen und in irgend einem Winkel der Erde ein vergessenes Leben zu führen, allen Wünschen und Hoffnungen Lebewohl sagend.

Graf Hugo war indessen thätig gewesen. Die Regierung ruhte fast ganz in seinen Händen, denn seine Klugheit hatte sich aller Zügel bemeistert. Durch Freundlichkeit und Schmeicheln bei Einigen, bei Andern durch Drohen und finstern Stolz, bei Jenen durch Herablassung und selbst Spaß, hatte er die Räthe, die ihn hätten beschränken können, nach und nach unthätig gemacht. Johanna, der er sich immer heiter und offen wies, hatte Vertrauen zu ihm gefaßt, und so glaubte er bald seinem großen Entwurfe näher rücken zu können, wenn sein Sohn durch Feinheit und abgemessenes Betragen oder Liebenswürdigkeit ihn nur einigermaßen in seinen Plänen unterstützt hätte, wenn dessen roher Ungestüm ihn nicht von der Prinzessin entfernte, anstatt daß er sich ihr nähern mußte, ihr erst lieb und nach und nach unentbehrlich zu werden. Dagegen war es ihm erfreulich, durch seine klugen Botschafter beruhigende Nachrichten über Graf Conrad zu hören. In vielen Tagen war Hugo, so sehr er sich auch verstellen konnte, über das räthselhafte Betragen und über den Abschied seines alten Gegners so beängstigt gewesen, daß Diejenigen, die ihn näher kannten, durch die erzwungene Heiterkeit hindurch wohl die Unruhe und Verlegenheit des Staatsmannes bemerkten. Wie er aber von mehreren Boten durch Briefe hörte, daß Conrad sich in der That in seine Wälder zurückgezogen habe, daß er nur der Andacht und geistlichen Uebungen lebe, die benachbarten Klöster und Einsiedeleien besuche, sich der Gelage und aller großen weltlichen Gesellschaften enthalte, so wurde seine Heiterkeit, die ihm natürlich war, eine unverstellte. Alles hoffte er beseitigt zu haben und meinte, daß sich Johanna und sein Sohn auch wohl endlich seinen weitaussehenden Plänen fügen würden.

Es war nach einigen Tagen, als auf dem Markt der große, starke Rudolf Ademar, der Vorstand der Schlächtergilde, auf seinen Stab gelehnt, eine Heerde von Hammeln überzählte, welche er eben gekauft hatte. Neben ihm war der Zimmermeister Hattrich, der ihn zum Gange auf das Rathhaus abholen wollte. Als nach einigem Streit mit dem Verkäufer Alles berichtiget war und dieser sein Geld empfangen hatte, sagte Hattrich zu den Bürgern, die sich zusammenfanden: Was meint Ihr zu unserer neuen Regierung, wie gefällt es Euch, da nun Johanna Eure Fürstin ist?

Ich meine, antwortete Ademar, daß keine Veränderung zu spüren ist, daß das Ding eben so hinschleicht wie vormals, und so kein Leben in Gewerbe, Handlung und Handthierung kommen kann. Hole der Satan Alles, wenn der Friede uns eben so theuer zu stehn kommt wie damals der Krieg!

Ihr habt Recht, rief Hattrich schon erzürnt; ist wohl etwas, wie man es uns doch versprach, von den alten Auflagen nachgelassen worden? Und damals sollte doch nur die Noth des Krieges, der Aufruhr vieler Städte, die gar nichts zahlten, den Druck entschuldigen!

Ja, ja, antwortete Ademar, traut nur solchen Versprechungen! damit wird der Bürgersmann immer gekirrt, das weiß ich aus allen Zeiten. In der Jugend lief ich Euch mit meinem Bischen Armuth hinzu, und drängte mich dumm und begeistert durch die Leibwächter, ja gab in meinem Narreneifer noch mehr, als damals der selige umgekommene Balduin zu seinem Kreuzzuge gefordert hatte, so war mein Herz durch alle die schönen Redensarten gerührt worden. – Nach einem Jahr steckten sie mich doch ein, weil ich etwas stark über den Adel gescholten hatte, da war meine Aufopferung, wie sie es vorher nannten, völlig vergessen worden.

Der kleine dicke Kupferschmied, Anton Pustel, hochroth im ausgelaufnen Gesicht, drängte sich jetzt hervor, schlug mit der Faust auf den Tisch des Metzgers und schrie mit heiserer Stimme: Verflucht alle solche Versprechungen und verflucht die Dummköpfe, die ihnen vertrauen! Ich sage Euch, immer geht es noch im Kriege besser her, als bei diesem dummen, langweiligen Frieden. Denn im Kriege, wo sie selber so oft in Noth sind, haben sie nicht so viel Zeit, Plackereien und Scherereien zu ersinnen, mit denen sie uns die Haut über die Ohren ziehn.

Seid's ruhig, Gevattersmänner, rief ein alter Mann in grauem Kittel dazwischen, genießt des Friedens, die Gewerbe blühen, Ihr Alle seid wohlhabend, vielleicht reich; wo es schlimm hergeht, das ist auf dem Lande. Der Bauer ist gedrückt, und wir freien Pächter sind bettelarm. Draußen drückt uns der Adel so sehr, wie Ihr es Euch in den Städten niemals könnt träumen lassen.

Meister Firlunger! rief der Kupferschmied, Ihr schwatzt einmal wieder, wie das Kalb vom neuen Thor. Euch Ketzern, Albigensern, die Ihr die Geistlichkeit schmäht und die Kirchen versäumt und verspottet, sollten es die Herren Richter noch ganz anders weisen. Ihr seid von damals noch trotzig, wo Ihr so leichter Dinge vom Verhöre loskamt. Nehmt Euch aber doch vor dem Scheiterhaufen in Acht, es ist noch nicht aller Tage Abend.

Verleumderische Kerle! schrien mehrere Bauern, die eben über den Platz gingen: wärt Ihr Schelme nur so gute Christen als unser Veit Firlunger! Das lästerliche Volk! Ist so hochmüthig auf seine Bürgermützen und Wämmser!

Die sollte man ihnen ausklopfen, rief ein riesengroßer Bauernknecht und trat mit frecher Miene heran.

Darüber entstand ein Geschrei, die Metzger liefen mit Messern und Beilen herzu, die Bürgerschaft rottirte sich und viele kamen mit Degen und Spießen; die Zahl der Bauern vom Markte vermehrte sich ebenfalls, Knittel, rostige Schwerter wurden geschwungen und ein alter ehrwürdiger Geistlicher konnte sich kaum durch das Gedränge Platz machen, und noch länger währte es, ehe er es durch Winken und Geberden dahin brachte, daß es stille genug wurde, um ihn vernehmen zu können. – Was giebt es, sprach er, was habt Ihr vor, Ihr lieben Bürgersleute? Ihr guten Männer vom Lande, was hat Euch unwillig gemacht?

Der junge Humberkurt war indessen aus dem Palast getreten. Heftig, wie er war, rannte er gleich in den dichtesten Haufen. Was wird es seyn, sagte er mit seiner tiefen, lauten Stimme, als daß es allem diesem Volke zu gut geht? Sie wissen sich vor Uebermuth nicht zu lassen; der Friede hat ihnen schon zu lange gedauert, und sie haben zu viel Fett angesetzt. Geschröpft müssen sie werden, so gehen ihnen die ungesunden Säfte ab und sie kommen wieder zur Besinnung.

Man hatte erst mit Ehrfurcht dem vornehmen jungen Manne, dem Sohne des Regenten, Platz gemacht; aber jetzt schrien plötzlich viele Stimmen durcheinander, indem man sich von allen Seiten dicht an ihn drängte. Bauern und Bürger schienen durch diese Zwischenkunft für den Augenblick vereint zu seyn, denn aus dem allgemeinen Wirrwarr vernahm man einzelne vernehmliche Stimmen: ja, so denkt der Adel! – Der Adel ist unser allgemeiner Feind! – Schlimmer wie Heiden und Ketzer! – Der junge Tyrann hat es schon vom Vater gelernt!– Nieder mit dem trotzigen Bösewicht!

Humberkurt, von allen Seiten gedrängt und gestoßen, von höhnenden, trotzigen Gesichtern umgeben, die alle den bösesten Willen ausdrückten, knirrschte, er stieß Alle, die er erreichen konnte, zurück, er fluchte und schalt, aber seine Stimme ward im Tumult und Geschrei nicht gehört; endlich gelang es ihm durch eine rasche, plötzliche Wendung dennoch sein Schwert zu entblößen – und nun wäre wohl Blut geflossen, wenn nicht ein neuer Tumult und ein höchst wunderbarer Anblick die Aufmerksamkeit aller Gegenwärtigen auf sich gezogen und die ganze Scene verändert hätte. –

Es wälzte sich ein großer Volkshaufen von der andern Seite über den Markt, und aus allen Nebengassen strömten Knechte, Bürger, Weiber und Mädchen herbei, die sich den Ersten anschlossen, welche einer sonderbaren Gestalt folgten, die mit seltsamen Geberden ihnen voran durch die Stadt rannte. Eine alte Frau war es, in Grau, fast wie eine Nonne gekleidet, die laut sang und schrie, und in heftiger Bewegung die Arme weit ausstreckte, indeß die grauen langen Haare ihr im Winde nachflatterten. Die schwarzen Augen waren groß aufgerissen, der Mund schäumte und es war schwer, die abgerissenen Reden, die sie mit keuchender Brust herausstieß, zu unterscheiden. Was giebt es? fragten Viele, indem sich der gedrängte Knäul des Volkes auflösete. – Eine Prophetin! Eine göttliche Wahrsagerin! schrie man von der andern Seite. – Die Alte stand jetzt in der Mitte des Marktes still, als wenn sie ruhen wolle, sah mit den brennenden Augen umher, schlug an die Brust und schrie dann von neuem: Thut Buße! Buße! Der Tag der Vergeltung ist nah! – Buße! Buße! rief das Volk ihr nach. Indessen hatten sich Geistliche und Mönche hinzugedrängt. Alle fragten, Alle wollten wissen, woher diese sonderbare Erscheinung komme und was sie zu bedeuten habe. Ein alter Bauer erzählte, daß das Weib in der Gegend von Valenciennes schon seit lange als eine Heilige gewohnt und die Achtung vieler Gemeinen umher genossen habe. Sie wisse das Zukünftige, könne Krankheiten heilen, halte strenge und unbegreiflich wunderbare Fasten, und sei nun nach Flandern, Brabant und Hennegau gesendet, um die sündigen Völker zur Buße zu vermahnen, damit sie jenem Unglück entgehen möchten, welches sie außerdem betreffen würde. – Ihr Gottlosen! schrie die Alte jetzt mit erneuter Kraft; Ihr Ungläubigen, die Ihr Euch auch nicht bekehrt, wenn Ihr Zeichen und Wunder seht!

Da trat der große Ademar hervor und neben ihm stand der noch längere Bauernknecht, und Ademar fragte: Was wollt Ihr, Weib, was sollen wir thun?

Die Stadt bessern, rief die verwilderte Alte, die Gottlosen nicht unter Euch dulden, Euch zum wahren Glauben wenden!

Und welches ist der rechte? fragte Jener, und wodurch beglaubigt Ihr Eure Rede? Und welches sind die Wunderwerke, die Ihr uns verheißt?

Beichtet! schrie die Alte, krampfhaft bewegt; fallt auf Eure Knie! Glaubt mir, mir, denn der Herr wahrsagt aus meinem Munde. Die Todten kommen wieder! Die Leichen werden Euch predigen! Aber die Feste, die Tänze, die Trinkstuben müßt Ihr lassen; ernst, traurig muß Euer Leben werden, damit die strenge Züchtigung des Herrn Euch vorüber gehe.

Die Todten kommen wieder? rief Ademar, wo, wo sind sie? Bist Du selbst, Du altes, wunderbares Weib, Gespenst oder Leiche?

Ich bin sterblich, wie Ihr, antwortete sie, ich lebe wie Ihr und bin noch nicht gestorben. Aber noch nicht wird dieser Mond sich erneut haben, noch wird die Sichel nicht zu Felde in die Frucht gegangen seyn, daß Ihr das Wunder sehn und mit Händen greifen sollt: ja, die Gestorbenen werden wiederkommen, sie werden Euch von den Gottlosen erlösen und eine neue und bessere Zeit herüberbringen.

Sie ist toll, sagte Humberkurt, die Stadtdiener sollten sie in den Narrenthurm führen. Dort mag sie sich wieder auf die Vernunft besinnen, oder bleiben, wo dergleichen Wahnwitzige hingehören.

Die Diener näherten sich auf einen Wink des Jünglings, und Viele vom Adel, die indessen auch aus ihren Häusern gekommen, andre, die vom Felde mit ihren Dienern zu Pferde wiederkehrten, hatten sich ebenfalls in die zusammengelaufenen Volkshaufen begeben. Führt sie fort! riefen Viele. Aber sogleich umringten die Landleute, die mit der Alten in die Stadt gekommen waren, sie mit Geschrei und Drohen und viele von den Bürgern schlossen sich diesen an. Veit, jener alte Bauer, der mit ihr war, rief: Was? Unsre größte Prophetin, unsre Heilige soll in den Narrenthurm? Ein solcher Rath kommt nur von den Gottlosen. – Von den Gottlosen! schrie der ganze Volkshaufe.

Nehmt sie, sprach Humberkurt, mit lauter Stimme; sie stiftet Unruhe, sie ist Empörerin, der Magistrat darf es nicht dulden, Obrigkeit und Adel müssen die Ordnung erhalten.

Die Diener der Stadt, einige vom Magistrat, so wie der Adel, drangen jetzt auf die Landleute und ihre Prophetin ein, um sich dieser zu bemächtigen, das Geschrei und Toben war allgemein, und es schien, daß der Adel im Fall der Noth gegen die Bauern Gewalt brauchen würde. Nach einer Weile, in welcher die Bürgerschaft sich dem Anschein nach ruhig und parteilos verhalten hatte, sprang Ademar plötzlich vor und schwang sein Beil hoch in die Luft, indem er mit durchdringender Stimme rief: Hieher, Schlächterzunft! Das soll nimmermehr gesagt werden, daß die Edelleute ohne Urtheil und Recht, durch eignen Ausspruch dergleichen ausführen dürfen! Mag das Weib Prophetin oder Verrückte seyn, jetzt haben die Bauersmänner das gute Recht, und wir streiten mit für die allgemeine Freiheit.

Die Schlächter gingen mit ihm zur Partei der Landleute über, und eben so folgten die Kupferschmiede unter ihrem rüstigen Vorsteher. Als die Adligen diesen Erfolg sahen, ritt der Freiherr Tillen, ein Freund des Regenten, durch die Haufen und redete die Mönche und Geistlichen an. Die Bauern, durch ihre Uebergewalt ermuthigt, warfen mit Steinen, schalten, schimpften und schrieen: ja der Adel, die Freiherren, die Großen, das sind eben die Gottlosen, von denen unsre Prophetin geweissagt hat, die wir vertilgen müssen, wenn wir Gott dienen wollen! – Den Adel müssen wir vertilgen! fingen viele von den Bürgern ebenfalls zu rufen an. Humberkurt hatte sich indessen an den alten Abt der Augustiner gewendet, und ihm vorgestellt, daß es seine und seiner Mönche Pflicht sei, das aufgeregte Volk durch Ansehen und Rede wieder zu beschwichtigen und so zur Ruhe und zum Gehorsam zu bringen, daß es sich gefallen lasse, die Prophetin oder Empörerin, die einzig dieses Unheil veranlaßt habe, dem Arm des Gerichtes zu übergeben. Der Abt antwortete aber: Mit Nichten also, mein junger Herr Graf; meine Brüder haben es wohl beobachtet und mir vorgetragen, wie Ihr zuerst durch Eure Uebereilung das Volk aufgeregt und unzufrieden gemacht habt. Auch wissen wir nicht, ob jenes Weib schuldig oder unschuldig sei, und da sie uns so nahe die Erfüllung ihrer Prophezeiung und ein Wunder verkündiget, so wird man versucht, ihr Wesen nicht durchaus sündlich zu glauben, weil der nahe Erfolg sie rechtfertigen oder ihre Thorheit enthüllen muß. Wäre sie ganz Bosheit, sie hätte diese Verheißung nicht hinzugefügt.

So ist sie doch wahnsinnig! rief Humberkurt im höchsten Unwillen; und dies ist Grund genug, die Tolle festzunehmen.

Wir mindestens, sagte der Abt stolz, sind nicht dazu da, Eure Handlanger oder Schergen zu seyn. Er gab den Mönchen einen Wink und ging mit ihnen in sein Kloster zurück, worauf die übrigen Geistlichen sich auch zerstreuten. Viele vom Adel, vorzüglich die Aelteren, zogen sich nun auch stillschweigend zurück, und als das der aufgebrachte Volkshaufe sah, fing er noch lauter zu toben an, und es wäre wohl nicht ohne Blutvergießen geendigt worden, und wahrscheinlich wäre es Humberkurt und hundert seiner Begleiter, wie sie auch bewaffnet waren, übel ergangen, wenn in diesem Augenblick der Entscheidung nicht Graf Hugo auf den Markt gesprengt wäre, der in großer Eil, ohne Diener und Begleitung unter den dichtesten Haufen ritt. Seine Miene war heiter, selbst fröhlich; unbefangen fragte er die Zunächststehenden: Was giebt es, Kinder? Warum seid Ihr so unruhig? Hat irgend wem von Euch Jemand etwas zu Leide gethan? – Die Arme sanken dem Volke nieder, die Schelt- und Schimpfworte verstummten, der lange Knecht, der eben einen ungeheuern Stein in den Haufen der Gegner hatte schleudern wollen, legte diesen sanft, und, wie er glaubte, unbemerkt, zu seinen Füßen nieder. Der Alte erzählte umständlich, und der Graf ließ sich Alles freundlich gestimmt und mit unermüdlicher Geduld noch genauer auseinandersetzen. Das Volk drängte sich immer dichter und dichter, die Bürger sendeten durch ihre Gesellen ihre Mordgewehre in die Häuser und Buden zurück, Alle wurden mit jeder Minute ruhiger, Manche nahmen eine heitre Miene an, Einige lachten sogar laut über die Fragen und Antworten des Grafen, der noch selten so leutselig, lustig und herablassend gewesen war. Er gab den Gemeinen vom Lande, sowie den Bürgern unbedingt Recht, und schloß endlich mit diesen Worten: glaubt mir, meine guten, ehrlichen Freunde und Ihr braven Bürgersleute, ich werde es meinem Sohne scharf verweisen, daß er sich solche Reden und Eingriffe in Eure Rechte angemaßt hat, denn er ist weder Euer Richter noch Befehlshaber. So lange die Frau sich nicht vergeht, weder Mord noch Brand stiftet, oder Religion, Kirche und ihre Heiligen lästert, ist kein Mensch befugt, Hand an sie zu legen. Ist sie vom Geist getrieben, so ist es gottlos, sie hemmen zu wollen; ist es der Böse, der aus ihr spricht, so werden unsere frommen Geistlichen, Aebte und Bischöfe es bald erkennen; und Ihr selbst, liebe Leute, seid viel zu wacker und rechtlich, um Euch zu Bosheit und schlechten Thaten aufhetzen zu lassen. Die alte ehrwürdige Frau gehe also durch die Stadt, oder wohin es sie gelüstet, und Ihr, thätige Handwerker, werdet Euch an Eure Geschäfte, Ihr, rechtschaffenen Bauersleute, in Eure Heimath begeben.

Er grüßte wiederum höflich, indem er den Federhut abnahm und ihn rund herum gegen Alle schwenkte. Das Volk war ganz entwaffnet und die Prophetin sogar verlegen und beschämt. Die Menge zerstreute sich und Ademar, sowie einige der angesehensten Bürger reichten, ehe sie sich entfernten, dem Grafen die Hand, der sie jedem herzlich schüttelte.

Als der Platz leer war, nahm Graf Hugo auch höflich von den Edelleuten Abschied, gab dann sein Pferd einem Diener und entfernte sich mit seinem Sohne vor die Stadt, wo er unter Bäumen lange schweigend mit ihm wandelte.

Ihr habt mich vor allem Volke beschämt! brach endlich der Sohn heraus; und statt die Meuter zu strafen, lobt Ihr sie, macht Euch Freund mit ihnen, und es fehlt nur noch, daß sie für ihre Bosheit und Tücke bezahlt werden.

Bezahlt sollen sie werden, erwiederte der Vater in der finstersten Laune, nur, wenn die Gelegenheit gereift ist, nicht jetzt, nicht heut, wo Du durch Unbesonnenheit, Stolz und heftigen Trotz fast Deinen Tod, beinah das Verderben der Stadt herbeigeführt hättest. Diese Deine finstre unbändige Gemüthsart macht mir mehr als das Volk und alle meine Feinde zu schaffen, sie erregt das Unglück, sie fordert es heraus, und doch sind Dir von der Natur keine Waffen geworden, es zu bekämpfen oder zu vertreiben. Soll es immer so fortwähren, daß ich nur dazu da bin, Deine Uebereilungen wieder gut zu machen? Soll ich sehen, daß Dir in meiner Gegenwart einmal von einem Hufschmiede der Kopf gespalten wird? Wärst Du lieber dem Wachsmuth ähnlich, den zu verachten Du die Miene annimmst, Du würdest meinen Absichten mit dieser sanften und unbestimmten Art nicht so entgegenarbeiten. Und heute muß ich nun die Erfahrung machen, daß der Boden, auf welchem ich mein Gebäude aufführen will, morsch und locker ist, daß eigentlich Alles anders steht, als ich mir eingebildet, daß ich bis jetzt noch wenig, oder nichts gewonnen habe.

Wie meint Ihr, Vater? fragte der Sohn. Was ist denn heut geschehen, als was schon oft geschehen ist? daß das Volk hier weder im Frieden noch im Kriege Ruhe halten kann? daß der Pöbel thöricht ist? daß sich Armseligkeiten und Unvernunft zeigen? Immer haben sie den Adel gehaßt, und darum sollten wir eben mehr zusammenhalten, um ihnen die Spitze bieten zu können.

Du siehst, mein Sohn, antwortete der Vater, Alles nur sehr oberflächlich. Ich hatte gehofft, das Volk sei endlich mehr beruhigt, der Haß gegen den Adel sei gestillt, der alte Zank der Zünfte, Gewerbe und Familien vergessen. Regen wir selbst ohne Noth und mit armseliger Eitelkeit diese Zwiste und Bosheit wieder auf, so sollten wir uns freilich nicht verwundern. Ich habe aber heute auch gesehen, daß der Adel allerdings nicht zusammenhält, daß Viele und sehr Bedeutende zurückwichen und Dich und die Unsrigen dem Volke preisgaben; das geschah aber nur, als sie sahen, wie die Geistlichkeit so unverholen sich gegen uns und für diese liebe Prophetin erklärte. Alles, begreife ich nun wohl, hängt mehr und inniger zusammen, als Dein seichter Verstand es fassen kann. Auch ohne Dein Hineintappen wäre wohl dieser Tumult entstanden, der mir sehr lehrreich ist. Nicht durch eigne Dummheit und ungefähren Aberwitz rennt dies alte Weib mit ihren tollen Reden durch das Land: sie ist abgerichtet und abgesendet, sie veranlaßt nur, daß das Volk, Geistlichkeit und Adel seine Stimmung zeige; dies ist nur Prolog und Einleitung zu viel wichtigern und größern Ereignissen. Ist dies Weib aber abgesendet, von wem kann dann Alles wohl herrühren, als nur von ihm, meinem alten und unversöhnlichen Feinde, dem listigen Heuchler, der seit einigen Jahren die Larve der Frömmigkeit angelegt hat? Ich glaubte wirklich, so thöricht sicher war ich schon geworden, der verkleidete Pfaffe sei ruhig auf seinen Schlössern, aber ich sehe mit Beschämung meine übereilte Zuversicht und muß nun meine Wachsamkeit verdoppeln. Und leider kann ich noch nichts thun, ich kann nicht in die Luft hinein kämpfen, der Streich muß erst fallen, bevor ich ihn zurückschlagen kann.

Der Sohn stand still und betrachtete jetzt verwundert seinen Vater, dessen Antlitz Kummer, Sorge, Mißtrauen, Verdruß und Zorn, alle finstern Leidenschaften auf das Widerwärtigste ausdrückte, von dem jede Spur der Heiterkeit und des frohen offenen Sinnes verschwunden war, wodurch er sonst immer am meisten die Menschen zu täuschen und zu gewinnen pflegte. Endlich sagte Humberkurt: erstaunt nicht, mein Vater, daß ich Euch mit dieser Verwunderung betrachte, als würde ich Eurer zum ersten Male ansichtig, oder als trüget ihr irgend ein seltsames, niegeschautes Merkmal im Angesicht. Ihr mögt mich wohl mit Recht tadeln, daß ich mein Leben zu leichtsinnig und unbesonnen führe, daß ich es bis jetzt zu wenig gelernt habe, als Staatsmann zu handeln und alle meine Launen und Gemüthsbewegungen künstlich weitaussehenden Planen zu opfern; zu lachen, wenn ich weinen, und zu trauern, wenn ich in Freude toben möchte. Es mag nöthig seyn, so traurig es ist! ja selbst der Ehrgeizige möchte sich in manchen kühleren Stunden fragen, ob der Preis und das errungene Ziel wohl aller jener Opfer werth seyn möchten. Aber Ihr, mein Vater, der Weise, der Bedächtige, Ihr seid offenbar in Klügeleien, Angst, Sorge und tiefsinnigen Planen zu Grunde gegangen. Ihr verbindet jetzt das Allerfernste mit dem Allernächsten, in einem vorüberfliegenden Geier seht Ihr, wie die Heiden es thaten, die Vorbedeutung großer Begebenheiten. Ein so krankes Auge, mein Theuerster, wenn ich es mit Recht so nenne, kann auch wohl das Ersprießliche weder finden noch anwenden. Ja, es fragt sich selbst, ob nicht nach vielfältiger Uebung am Ende gar eine Kunst entstehe, die das Zufällige und Gleichgültige in ein planvoll Listiges, das Unbedeutende in etwas höchst Wichtiges verkehrt. Sollten an diesem künstlich erregten Schwindel nicht auch schon Plane gescheitert und verständige Männer und Regenten zu Grunde gegangen seyn?

Deine sonst richtige Bemerkung, erwiederte Hugo, trifft hier nicht zum Ziel. So viel ist deutlich, unser Kampf ist noch nicht zu Ende. Von woher der Gegner kommen wird, muß sich bald entscheiden, denn nie wirst Du mich überreden, daß Das, was wir heut erlebten, ein Spiel des Zufalls war. Ich will den Augustinern ein silbernes Crucifix widmen, wenn es sich zeigt, daß mein Freund Conrad nicht diese Maschine in Bewegung gesetzt hat, wenn er in seinem Walde ruhig bleibt. Sollte ich die Nachricht von seinem Tode erhalten, so möchte ich dem kostbaren Kreuze noch Gold und Edelsteine anheften lassen.

Als sie zur Stadt zurückgingen, begegnete ihnen der kleine Ingeram. Sieh! rief Graf Hugo, diesem unansehnlichen Knirps hast Du heute eigentlich Dein Leben zu danken. Er brachte mir Nachricht und erzählte mir Alles, als die Sache schon recht schlimm geworden war. Ich beeilte mich auf seinen Rath und kam eben noch zur rechten Zeit. Kleiner Narr! rief der Graf den Thoren herbei: laß Dir vom Haushofmeister Deine Belohnung abreichen.

Ja, ja, sagte Ingeram, der sich in possierlichen Sprüngen herbeimachte: ich bin heute Staatsrath geworden, weil ich Euch den trefflichen Rath zur rechten Zeit gegeben habe. Es ist ein großer Vortheil, Graf, wenn man so kleiner Statur ist wie ich. Ich lief ihnen immer zwischen den Beinen durch und hörte Alles mit an, und sie sahen mich nicht einmal. Nachher lief ich eben so fort und zu Euch hin, und Keiner vermißte mich. Wenn Ihr mich also auch nicht zum Staatsrath aufnehmen mögt, so könnt Ihr mich mindestens zum Staatsboten gebrauchen, oder zum unsichtbaren Kundschafter, denn das Gesicht des thurmhohen Bauernlümmels war wenigstens von dem meinigen so weit entfernt, daß ich von unten, aus meinem tiefen Standpunkt, nicht entdecken konnte, ob er eine lange oder kleine Nase haben mochte; sein Blick reichte auch gewiß so tief zu mir nicht hinunter, denn einmal hätte er mich beinah todt getreten, weil er mich nicht sah, er bückte sich, weil er glaubte, da ich ihm am Bein vorbeisprang, es sei ihm am Schuh etwas losgegangen, und ich mußte mich sehr behende davon machen, sonst hätte er mich in die Schuhbänder hineingenestelt. Nachher, als schon Alles anfing besser zu werden, hatte das große Vieh einen Stein in der Hand, mit dem man oben die breite Straße ganz hätte zudecken können, von Haus zu Haus hinübergelegt, den wollte der Bauernriese auf mich packen, und ich hätte dann todt dagelegen wie die Aegyptischen Könige unter ihren Pyramiden, und der Fels hätte als ewiges Denkmal da gestanden. Poetisch angesehen machte die neue Prophetin keinen hübschen Anblick, auch habe ich es noch nie erlebt, daß die Strohmänner in den Erbsen die Krähen oder Sperlinge herbei gescheucht hätten: aber mit den Menschen-Sperlingen hat es freilich eine andere Beschaffenheit. Je mehr eine Creatur ächte Vogelscheuche ist, je mehr sehen sich begeisterte Freunde und Anhänger auf das gräuliche Bild. Sie können den Ewigen, von dem sie reden, nicht im Schönen und Herrlichen erkennen, da müssen sie sich denn bittend und bettelnd an das Grausal wenden, daß es für Geld und gute Worte ihr Gott werden möge. Nicht wahr, meine gnädigen Herren, es bleibt unbegreiflich? Denn wenn es auch nicht Jedem erlaubt ist, nach Corinth zu gehen, so sollte man doch denken, nicht bloß der verlorene Sohn würde sich beim Kalbsbraten im väterlichen Hause besser als bei den Trebern da draußen befinden.

Schwatze, mein Sohn, sagte Hugo freundlich, heute mag Dir schon manches unnütze Wort hingehn.

Was habt Ihr, antwortete der Kleine, doch immer und immer wieder gegen die unnützen Worte? Wo sind denn die rechten, die nützlichen? Da fallen so oft vom Berg herunter die großen vierkantigen Steine in den Waldstrom und Forellenfluß. Das rennt nun mit den Wellen hinüber und zankt und grollt mit dem Stein, schmeichelt ihm dann wieder, plätschert und lügt ihm vor, wie hübsch er da so niedlich und friedlich läge, keinem Wassertropfen im Wege. Krähen und Nachtigallen setzen sich oben auf, singen und krächzen und lassen beim Weiterfliegen etwas zurück, das der nächste Regen wieder herunterspült. So rollen Wogen und Frühlinge und Jahrhunderte über die Bursche hinweg und der Ururenkel findet nun runde, allerliebste Steinchen, so kuglig und glatt, wie sie der Drechsler nicht schöner aus Elfenbein drehen könnte. Er bringt sie den Kindern zum Spielen mit, und die ganze Familie freut sich am Naturwunder. Ist es denn unbillig, zu verlangen, daß Worte, die das Kind schon über Zähne und Lippen laufen läßt, mindestens so ein achtzig Jahre gewaschen, geklatscht, gewogen, gezwitschert, gestoßen, geklemmt und gehobelt werden müssen von Erziehern, Sprachmeistern, Priestern, Layen, Höflichkeit, Begeisterung, Furcht, Schmeichelei, Zorn und allem geistigen Gethier und moralischen Spülwasser, um aus Unnützem endlich zu Nützlichem zurecht gemeißelt zu werden? Und wenn es nun endlich dahin gekommen ist, so schnappt das Maul auf immer zu, der Geist macht sich aus dem Staube und weder schlechtes noch gutes Wort wird mehr vernommen. – Meint Ihr nun, daß Gebet, Betrachtung und Pfaffheit unsern Grafen Conrad schon aus seiner rauhen Mundart in einen süßen Engelsschall hinübergewaschen und übersetzt haben?

Weißt Du vom Grafen Conrad etwas? fragte Hugo hastig.

Nichts weiter, als daß ich nichts von ihm weiß, wie das so oft der Fall ist, antwortete der Kleine: aber das ist bei manchen Leuten schon immer ein Vortheil und gutes Gerücht. Wo nichts brennt, ist, Gottlob, nichts zu löschen, von Bremsen spricht man nur und weiß von ihnen, wenn sie stechen. Wenn er sich nicht bloß so duslig anstellt, so ist der Mann wirklich fromm und zu loben: aber bei allen seinen großen und ausgezeichneten Talenten, die ihm die Weltgeschichte nicht absprechen kann, haben doch selbst seine Schmeichler niemals eine Anlage zur Dummheit an ihm entdecken können, und es wäre viel, wenn er noch in seinen alten Tagen so außerordentliche Fortschritte in einer ganz neuen Wissenschaft machen sollte. Auch muß der Mensch wohl zur Dummheit, wie zur Poesie, geboren seyn, sonst wird er es nie weit darin bringen. Darum mein' ich nun, Graf Conrad, so hoch ich ihn auch sonst schätze, werde sich in seiner neuen Laufbahn als wahrer Pfuscher und Stümper beweisen, und ich will ihn dann brav auslachen, weil er mir, ohne innern Beruf, in mein Handwerk greift.

Siehe doch, sagte der Vater leiser zum Sohn, spricht nicht selbst der Blödsinn auf seine Weise Dasselbe aus, was ich Dir vorhin sagte? Und Du willst jene Zweifel und Bedenken nicht sehn und finden, die doch so nahe liegen?

Erniedrigt Euch nicht selbst so sehr, antwortete unwillig der Sohn, Euch mit Euren Gedanken in denselben Turnierplan zu begeben, in welchem dieser unsinnige Schwätzer herumschwärmt, der wohl sein eignes Kollern nicht versteht. Wer sich selbst nicht versteht, wie soll der Plan oder Geist eines Andern fassen?

Der Narr hatte nur die letzten Worte gehört und rief jetzt: Wißt Ihr auch, Junker, was Ihr jetzt gesprochen habt? Sich verstehn! Soll denn der Mensch das? Ist es ihm denn wohl von Freunden zu wünschen, die es gut mit ihm meinen? Denkt nur an den Goldfuchs von neulich! Der war überritten und zu früh und noch heiß in den kühlen Stall gebracht. Am folgenden Tage wolltet Ihr ihn brauchen; ja, seht, da hatte sich das Vieh verstanden, und konnte und wollte sich nicht mehr spazieren reiten lassen. Ei bewahre, wenn man sich erst verstanden hat, so ist es mit dem Lied am Ende, wie mit Dem, dessen Magen nichts mehr verdauen kann. Wir essen auch in Fleisch und Brod und Zugemüse nicht lauter Nahrung hinein, auch Hülse, Futteral und Degenscheide mit: die Verdauung würde auch leiden, wollten wir Alles, was man unnütz nennt, hinwegläutern und sublimiren. Nein, Junker, nur im Irrthum steckt für uns Menschen die Wahrheit, sie scheidet sich, wer sonst nur noch essen kann, wohl von selber aus. Lauter Wahrheit speisen wollen, sich immer verstehen wollen, die eigne, uns so dick und groß nachschleppende Narrheit nicht sehen, die doch der Leib unserer Weisheit ist: – ach! Junker, ich möchte gar nicht so leben, wenn ich auch könnte.

Du! sagte Humberkurt, ihn von oben kurz ansehend: schwatze hier den Bäumen vor, und keinem menschlichen Ohr.

Er ging mit dem Vater eilig nach der Stadt zurück und Ingeram schüttelte sein weises Haupt, so daß die Schellen an der Mütze erklangen, und sagte: Ja wohl läßt die Weisheit ihre Stimme hören auf den Gassen und Niemand achtet ihrer.



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