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Es war im Beginne des Julius, welcher in diesem Jahre mit ungewöhnlicher Hitze eintrat. In Italien ist es schon oft bemerkt worden, daß in diesen heißen Monaten die meisten Untaten und Verbrechen geschehn. Im Norden will man wahrgenommen haben, daß auch bei anhaltender übermäßiger Kälte das Gemüt des Menschen sich verhärtet und der Grausamkeit zugänglicher ist als bei milderem Wetter. – In dem schönen Florenz sah man in allen Häusern und Palästen die Vorkehrung, sich eine anmutige Frische und Kühlung zu verschaffen; viele der reichen Familien bezogen ihre höher liegenden Schlösser im Gebirge, und auch der Hof hatte schon beschlossen, einige der angenehmen Paläste auf dem Lande zu besuchen.
In seinem Palast war der Großherzog Francesco mit Arbeiten beschäftigt. Noch nicht weit in Jahren, fing er doch schon an, stark zu werden. Der Ausdruck seines Gesichtes war milde und freundlich, sein Auge verständig und leuchtend, er affektierte aber gern einen starren, abschreckenden Ernst, wie er in Spanien, wo er lange gelebt hatte, vom Könige und den Ersten des Reiches gesehn hatte, die er sich gern zum Muster nahm, wodurch er seinen italienischen Dienern und Untertanen oft unbequem wurde. Sein Sekretär Malespina stand vor ihm, mit dem er zufrieden schien, indem er wohlgefällig dessen Berichte aus Rom anhörte. Es war ihm nicht unwillkommen, alle die Kleinigkeiten zu erfahren, die ihm sein Geheimschreiber von seinem Bruder, dem Kardinal, mitteilen konnte. Mit Schadenfreude hörte er einige Anekdoten aus dem Privatleben an und von den kleinen Blößen, die sich doch auch im Eifer oder Nachlässigkeit der Mann gibt, der sich am meisten bewacht.
Ein Kammerherr trat ein und meldete den Herzog Orsini von Bracciano. Francesco erschrak sichtlich und sprach halblaut mit dem Ausdruck des tiefsten Verdrusses im Gesicht: »Bracciano? Wo kommt der ungestüme Mann her? Was will er in Florenz? Das ist ja so plötzlich und unvermutet wie ein Donnerschlag aus heiterm Himmel.«
Er winkte dem Edelmann, dieser ging hinaus, die Flügeltüren wurden geöffnet, und in seinem glänzenden Kleide trat der große, starke Fürst mit königlichem Anstande herein. Mit einem von Freude strahlenden Gesicht ging ihm Francesco bis zur Tür entgegen und umarmte ihn herzlich. Der Sekretär aber riß groß die Augen auf und glaubte, der Palast müsse mit ihm versinken, denn dieser eintretende Herzog Bracciano war niemand anders als jener Don Giuseppe, sein Reisegefährte von Rom her. Indem der Großherzog den Fürsten Bracciano zum Lehnsessel führte, entfernte sich Malespina blaß und bestürzt, ohne daß Paul Giordano die mindeste Kenntnis von ihm nahm, als wenn er ihn schon gesehen hätte. Der Sekretär begriff, daß es klüger sei, von jenem Abend zu Rom und der Reise hierher mit diesem vornehmen Begleiter zu keinem Menschen ein Wort verlauten zu lassen.
Nach kurzer Zeit trat auch der jüngste Bruder des Herzogs, Don Pietro, der Wilde, herein. Blaß und abgezehrt, wie er war, so ein irres Feuer auch aus seinem unstet rollenden Auge blitzte, so erkannte man doch die edle Grundgestalt der Mediceer in seinem Angesicht. Er war heftig aufgeregt und sprach von der Schande seines Hauses, er schalt auf die Familie, daß weder Vater noch Bruder sich herbeibemühen wollten, ein Weib, das so öffentliches Ärgernis gebe, zu bestrafen. »Und was soll nun geschehn?« rief er mit zorniger Gebärde. »Denn ich dulde diesen Schandfleck unseres Hauses nicht länger.«
Bracciano sprach von Scheidung, und die Verirrte in ein einsames Kloster zu verbannen. »Um noch mehr Aufsehn zu erregen?« fragte der Prinz, indem er mit dem Fuß heftig auf den Boden stampfte. »Eins ist kürzer und sicherer, ohne Gerichte und Priester zu bemühen.«
»Was sinnst du?« fragte der Herzog.
»Hast du so lange in Spanien gelebt«, antwortete jener, »und kannst noch zweifeln? Nur bei der Wahrscheinlichkeit, nicht einmal beim Beweise, daß der Mann vom Weibe beschimpft sei, zeigte sich dort der stets fertige Dolch.«
»Mein Prinz,« sagte Bracciano, »überlegt kühl und ruhig, bevor Ihr zum Äußersten schreitet. Diese Eleonora ist schön und klug, Ihr habt sie vormals geliebt, erspart Euch, ihr und der Welt das Traurige. Gebt der Verleumdung und der Tadelsucht nicht von neuem Gelegenheit, Euer erlauchtes Haus zu verunglimpfen, in welchem das Schicksal schon so oft mit blutigem Finger die glänzenden Blätter seiner Geschichte bezeichnet hat.«
Als der Großherzog in demselben Sinne sprach und Mäßigung anriet, rief Don Pietro im höchsten Unwillen: »Was kann der ältere Bracciano von dem wissen und fühlen, was in meinem jugendlichen Herzen tobt? Sei er doch mäßig, gelinde und phlegmatisch: unsre witzige, übermütige Schwester wird sich so mehr ihres häuslichen Glückes oder ihrer Ungebundenheit erfreuen können. Ihr, Herr Herzog, seid jahrelang abwesend, Ihr seid im Grunde von Eurer Frau geschieden, Ihr denkt und handelt wie ein Italiener, Ihr seid auf jenem Ehrenpunkte nicht so empfindlich: auch gibt Euch die Schwester keine Veranlassung zur Wut und Rache. Und mein fürstlicher Bruder! Er weiß sich doch auch immer auf eine kurze Art Ruhe zu schaffen, wenn ihm jemand im Wege steht. So wenig Ihr, mein gebietender Herr und Bruder, Euch auch um Eure Gemahlin kümmert, so würdet Ihr doch gewiß, wenn ihre Schande so offenbar wäre, dieselbe Bahn betreten, die ich im Sinne habe. Und das ist auch das größte Vorrecht unsers Standes, daß wir nicht, wie die kümmerlichen Menschen dunkler Geschlechter, nach Form und Recht zu fragen brauchen. Lassen wir uns mit diesen ein, so wird der geborne Fürst immer in Nachteil geraten; denn die kleine bürgerliche Schadenfreude und der Neid zwacken an seinem klaren Recht dann so hin und her, daß er auch das Notwendigste endlich nur mit Verdruß und Demütigung erlangt.«
Der Großherzog schien durch sein Stillschweigen diese Aussprüche zu billigen. Das Gespräch nahm eine andere Wendung, und Don Pietro entfernte sich. Der Großherzog sah ihm sinnend nach und schien innerlich zu erwägen, wieviel Gewalttätiges sich schon im Hause der Mediceer ereignet habe, wieviel er selbst veranlaßt und wieviel Tragisches noch im Schoß der Zukunft schlummern möge.
Bracciano beurlaubte sich, indem er sagte, daß es seine Absicht sei, einmal auf seinen Jagdschlössern hier sich zu ergötzen, sich mit der liebenswürdigen Gattin, die er zu sehr vernachlässiget habe, völlig auszusöhnen, sich der Erziehung seines Sohnes zu widmen und durchaus den Hausvater zu spielen: einen Zustand und Charakter. den er in seinem bewegten Leben fast noch gar nicht habe kennen lernen. Der Großherzog lächelte freundlich, aber zweideutig, als wenn er alle diese Reden in einem andern Sinne verstände. Bracciano entfernte sich, um in seinem Palaste die nötigen Befehle zu geben, weil er auf seinem Schloß im Gebirge eine große Jagdlust veranstalten wollte.
Don Pietro reisete auch mit seiner Gemahlin und wenigem Gefolge ab. Donna Isabella empfing ihren Gemahl Bracciano mit einiger Verlegenheit, da sie ihn seit Jahren nicht gesehn hatte. Sie verwunderte sich noch mehr über seine freundliche Vertraulichkeit, die sie auch in früheren, besseren Zeiten an ihm vermißt hatte. »Ja,« sagte er, »ich will einmal diesen Sommer ganz mir und meinem Genius leben; mein schönes Jagdrevier in Cerreto habe ich seit zu lange vernachlässigt, auch du siehst dich gern zu Pferde im frischen, kühlen Walde und scheust dich, wahre Heldin, nicht vor dem wilden Eber. Diese schönen Tage sollen uns ungestört von lästiger Gesellschaft dahinfließen: nur wenige Freunde werden uns besuchen und nur Jagdgenossen. Ich begreife selbst nicht, warum ich meine Schlösser hier nicht schon mehr ausgebaut und bequemer eingerichtet habe: geht mir doch mein Schwager, der Großherzog, mit so trefflichem Beispiel voran. Er kann auch freilich bequemer die großen Summen in seinem Pratolino aufwenden, als ich es vermöchte.«
Die Herzogin Isabella befand sich wie in einer neuen Welt. Auf diese Rückkehr ihres Gemahls hatte sie niemals rechnen können: ihre ganze Lebensweise mußte durch dieses unerwartete Ereignis eine andere Einrichtung gewinnen. Sie glaubte den Gemahl und seine Eigenheiten zu kennen, und doch erschien er ihr jetzt in einem ganz neuen Lichte, als wenn sie gewissermaßen jetzt zuerst seine Bekanntschaft machte. Sie ward ängstlich und wollte sich doch ihre Angst, als eine grundlose, ableugnen.
So begab sie sich in den Palast, um von dem Großherzog, ihrem Bruder, Abschied zu nehmen. Sie fand ihn allein in seinem Arbeitszimmer. Er war still und nachdenkend. Die schöne Frau, die fast größer war als der Bruder, umarmte diesen mit Herzlichkeit und empfahl sich seinem Wohlwollen und Schutze. Er antwortete nur wenig, und sie zögerte noch zu gehen und wußte selbst nicht, warum sie zauderte. »Du siehst krank, mein geliebter Bruder,« sagte sie endlich, »blaß und ermüdet.« – »Ich wollte von dir das nämliche bemerken,« antwortete er, »du scheinst aufgeregt, und eine fieberhafte Röte brennt auf deinen Wangen.«
»Werden wir uns fröhlich und gesund wiedersehn?« fragte sie fast weinend im Ton. Sie erschrak vor dem stechenden Blick, den sie aus seinem Auge empfing, doch verschwand dieser scharfe Glanz plötzlich und wich einer sanften Zärtlichkeit in seinem Auge, indem er ihr die Hand drückte und sie zur Tür geleitete. Sowie sie über die Schwelle schreiten wollte, umarmte sie der Bruder noch einmal mit ungewöhnlicher Heftigkeit, er drückte sie lange an sich, indem er zitterte, und entließ sie dann mit dem Ausdruck tiefster Wehmut. Außerhalb dem Vorhang der Tür dünkte es ihr, als höre sie den starken, kalten und verschlossenen Bruder weinen, und sie wollte schon wieder umkehren, aber die Kammerherren und Hofdamen, die sie feierlich umringten, um sie nach den entfernten Gemächern der Großherzogin zu führen, verhinderten sie daran.
Sie traf die kränkelnde Fürstin blaß und erschöpft auf ihrem Ruhebette liegen. »Ich habe schon erfahren,« sagte diese, »wie glücklich du bist, daß du dich mit deinem Gemahl wieder versöhnt hast, du Beneidenswerte. Nur mich verfolgt das Elend in allen Gestalten, und es ist sehr wahrscheinlich, daß ich euch bald verlasse: bin ich doch auch mir und allen Menschen nur zur Last.«
In der Bewegung, in welcher die Herzogin sich befand, küßte sie feurig die Hände der kranken Fürstin. »Du bist gut, geliebte Schwester,« sagte diese; »so wild und leichtsinnig du auch manchmal sein kannst, du liebst mich, ich habe es immer gefühlt, wenn du auch mit jener da, die ich nicht nennen mag, auf einem zu vertrauten Fuße lebst – wohl deinem Bruder zu Gefallen mehr, als weil du sie wahrhaft achten könntest. – Verscherze nun nicht wieder die Liebe und Achtung deines Gemahls; er hat große Eigenschaften, er ist großmütig bis zur Verschwendung, tapfer, ein Edelmann und Fürst in jeder Ader, dabei nicht jähzornig und rachsüchtig, wie es so viele der Unsrigen hier sind.«
Von der Fürstin begab sich Isabella zu Bianka. Sie traf sie in ihrem Ankleidezimmer, beschäftigt, Putz, Kleider und Schmuck zum heutigen Feste auszuwählen. »O Törin!« rief ihr Bianka entgegen, »daß du jetzt schon reisest und nicht das heutige Fest noch abwarten willst. Sieh mich einmal an, ich habe heut zum erstenmal die neue Schminke versucht, die mir der Doktor empfohlen hat: sie ist etwas zu rot, hebt aber dadurch freilich das Feuer der Augen noch mehr hervor. Mein kleiner Francesco ist entzückt von dieser Erfindung. Nicht wahr, er fängt an, recht dick zu werden? Aber es kleidet ihn nicht übel; doch ein anderer Mann wie der Kardinal Ferdinand, der kalte, abgemessene Mensch, der lauersame. Denke! – unser, oder dein Troilo ist verschwunden; er soll wo draußen auf dem Lande krank liegen, aber kein Mensch kann sagen wo. Ich hatte schon so sicher auf ihn gerechnet, daß er mit seinen Späßen unser heutiges Fest beleben sollte. – Hüte du dich nur etwas vor deinem Bracciano: er war hier bei mir, und er gefällt mir gar nicht. Er hat sich in den Jahren, daß ich ihn nicht gesehen habe, recht verändert. So herrisch, gebietend, sich so breit machend: und in seinem hoffärtigen Auge so eine Art Verachtung, selbst gegen mich, als wenn er Kaiser wäre und ihm die Welt gehörte. Diese tückischen, bösartigen Männer, die sich selber alles erlauben und uns armen Weibern dann die kleinsten Schwächen vorrücken wollen! Hast du gehört, wie Pietro, der ungezogene Mensch, gegen seine Frau gewütet hat? Es ist wahr, sie ist etwas zu weit gegangen, die Tolldreiste, und wir alle haben ja auch deswegen jeden Umgang mit ihr abbrechen müssen: aber wer ist er denn, der ausschweifendste aller Menschen? Darf er die Tugend predigen wollen?«
So ergoß sich das herzlose Geschwätz noch eine Weile, dann nahm sie mit gleichgültiger Freundlichkeit von Isabellen Abschied und sagte beim Scheiden: »Ich weiß es, liebe Herzogin, du bist immer meine wahre Freundin gewesen; du hast mir auch immer das Wort geredet, wo es die Gelegenheit gab oder es notwendig war; das werde ich dir niemals vergessen, und es findet sich gewiß eine Zeit und Veranlassung, wo ich dir vergelten und dir auch hülfreich sein kann.« – Sie hüpfte fort, weil eine Schneiderin sie im nächsten Zimmer erwartete.
Isabella konnte die verschiedenen Betrachtungen nicht loswerden, die sich ihr wider Willen aufdrängten. Wodurch übte diese Capello, die ihr heute fast häßlich erschienen war, diese unbeschreibliche Gewalt, diese alles vermögende, über den Bruder aus? Der Großherzog war klug, nicht so fest wie Cosimo, sein Vater, aber in seinen Angelegenheiten ein starker, unbeugsamer Mann; er war unterrichtet, fein, stolz, er hielt auf seine Würde und suchte seinen Hof prächtig und bewundert zu machen. Es überschlich sie der peinigende Argwohn, daß sie doch auch in mancher Hinsicht dieser Bianka ähnlich sein möchte und daß der stolze, durchaus männliche Bracciano sie dann nicht ganz ohne Grund habe verachten dürfen.
Sie reiseten ab. Der Herzog nahm nur seine Jäger und vertrauten Diener mit, sie einige Kammerfrauen und die alte Amme des Hauses, denn man wollte draußen im Waldschlosse recht einsam und behaglich leben. Es war die Laune des Herzogs, daß er zuzeiten alle Etikette und die Zeichen seines Standes von sich entfernte und dann wieder plötzlich die glänzendste Pracht entfaltete. So wenig konnte er den Zwang der Regel dulden, daß alles dies oft ohne alle Vorbereitung geschah, was die Umgebung wie die Dienerschaft zuweilen in die größte Verlegenheit versetzte.
Wie mit Feierlichkeit empfingen sie in der Wildnis das einsame Schloß und die Diener und Beamten, die dort zur Aufsicht angestellt waren. Als sich Isabella in ihren Zimmern befand und aus ihren Fenstern die Aussicht auf den Wald und die grünen Hügel betrachtete, sagte sie zu sich: »Was ist es nur, daß mir hier aus Bäumen, Wänden und Felsen diese Schauer rieselnd entgegenquellen? Ich war schon sonst hier, aber damals erfreute mich diese Einsamkeit, die jetzt quälend auf mich drückt.«
Sie ritten in den Wald hinein, und der Herzog schien in dieser frischen Natur, die er schon als Knabe geliebt hatte, wie verjüngt. Er scherzte über den sichtbaren Mißmut seiner Gemahlin: ihn ergötzte der kühle Schatten, ihn erquickte das Blasen der Waldhörner, die er von seinem Jägermeister in gewissen Entfernungen hatte aufstellen lassen. »So phantasiert es sich lieblich,« sagte er; »alle wunderlichen Gestalten des Ariost und Bojardo begegnen uns hier; man sieht eine poetische Vorzeit durch die Dämmerung wandeln und geistig schwanken. Nicht wahr, hier müßte es einem Dichter recht wohnlich sein?«
Sie stiegen ab an einer anmutigen Stelle, wo ein kleiner Brunnen, den der Herzog im Walde erschaffen hatte, durch sein rieselndes Geschwätz zur Ruhe einlud. Man genoß hier nur Wein, und Bracciano fuhr phantasierend fort: »Hier gemahnst du mich in deinem Jagdkleide, dem grünen Hut und deiner Schönheit wie die Königin Ginevra, die etwa hier an diesem Zauberbrunnen nach ihrem Lancelot ausschaut. Es fehlen nur die Frühlingsvögel, um mit ihrem sehnsuchtsvollen Gesang das Poetische dieser schönen Stelle zu vollenden. – Nur du hast deinen dichterischen Mutwillen eingebüßt, und ich muß hier allein phantasieren.«
»Du hast in Rom,« erwiderte sie, »oder wo es sein mag, deine Dichterschwingen entfalten lernen, denn früher habe ich dich in solchen Reden und Gleichnissen niemals vernommen.«
Bracciano wurde plötzlich sehr ernst und tiefsinnig; denn ein holdseliges, großes, glänzendes Bild stieg in seiner Imagination auf. Gegen diese Erscheinung war diese, die zu ihm sprach, nur eine geringe, unbedeutende, – und jene, wie fern ihm! Von den Verhältnissen der Welt ihm entrissen. Er und die Herrliche angekettet an dürren Zwang, der in sich selbst weder Kraft, Notwendigkeit noch fesselnde Gewalt zu haben schien. Das ist von jeher den starken Gemütern das traurigste, kläglichste Gefühl gewesen, sich diesen Zufälligkeiten fügen und sich demütig dem Einspruche resignieren zu müssen, den ihr Herz verachtet.
Plötzlich fuhr er auf, und sie ritten nach der Wohnung zurück. Als es finster geworden war, erhob sich ein Sturm und Gewitter. Der Wind brausete furchtbar durch die Waldung, die alten Stämme schüttelten sich, und die brechenden Zweige krachten zum Erschrecken. Dann kam ein starker, sausender Regen, und ihm folgten Blitze und brüllende Donnerschläge. Man setzte sich zum Abendessen, die Herzogin zagend, der Mann frohen Mutes, denn ihn ergötzte stets bis zu lauter Freude dieser Aufruhr in der Natur.
Ein alter Kammerdiener, der aus Florenz kam, ließ sich noch am späten Abend melden. »Wer sendet dich? Was willst du?« rief ihm Bracciano entgegen.
»Vergebt, mein gnädiger Herr,« antwortete der Alte, »daß ich so naß und triefend vor Euch erscheine: es ist aber die Nachricht nach der Stadt gekommen, daß auf dem alten Schlosse der Mediceer, dort in Cafaggiolo, die Dame Eleonora plötzlich verschieden ist.«
»Wie?« rief Isabella und ward totenbleich.
»Woran ist sie, so jung noch, gestorben?« fragte Bracciano ganz ruhig.
»Am Herzklopfen,« sagte der alte Diener; »der Prinz Pietro ist selbst in größter Eile mit dieser Trauerbotschaft nach der Stadt geritten. Er selber ist aber gar nicht traurig, sondern wüst und wild wie immer. Deshalb wird auch schon allenthalben laut geschwatzt und vielerlei erzählt: und er selbst soll gar nicht einmal widersprechen, sondern gleichsam durch sein Stillschweigen alles zugeben: daß er sie nämlich im einsamen Zimmer mit eignen Händen erwürgt oder erdrosselt habe, um sie wegen ihres schlechten Lebenswandels zu bestrafen. Es ist aber immer hart und grausam, eine solche Rache zu nehmen.«
»Gewiß,« sagte Bracciano, »ebenso unverzeihlich als unnatürlich. Sie hat zwar aller Sitte Hohn gesprochen und den erhabenen Namen der Mediceer sowie das Haus Toledo geschändet; aber der Prinz hat dennoch wie ein Ruchloser gehandelt. Freilich war es unverzeihlich, daß sie als Mann verkleidet in dunkler Nacht durch die Stadt lief, mit Jünglingen im vertrauten Verkehr war, sich zu Sklaven und Sklavinnen mit leichtsinniger Vertraulichkeit herab erniedrigte, maskiert in fremde Häuser ging, um unzüchtige Szenen zu belauschen und ihre Freude an ihnen zu haben; – alles dies war unverzeihlich: – aber ermorden! mit eignen Händen! – Dadurch hat der Prinz sich selbst auf Lebenszeit gebrandmarkt. Das ist die verruchte spanische Sitte jener blinden Eifersucht und verabscheuungswürdigen Rache, die in unserm Italien niemals einheimisch werden sollte.«
Er verabschiedete den Alten und befahl ihm, sich umzukleiden, ein Abendessen zu genießen und sich zeitig niederzulegen, damit er nicht erkranke. Es geschah so. – Isabella saß wie vernichtet an dem Speisetische. Das Zimmer ward ihr zu enge, und doch zwang sie sich zu genießen, was der Gemahl ihr mit scheinbarer Freundlichkeit vorlegte.
»Denkwürdige Begebenheiten!« sagte er nach einer Weile; »so wütet die Leidenschaft und das heiße Blut immerdar in unsern großen Häusern. Wie einfach war die Lebensweise des alten Cosmus, jenes ehrwürdigen Vaters des Vaterlandes, wie rein und edel steht jener große Lorenzo Magnifico da! Aber nun mit dem Herzog Alexander brechen Untaten und Unglück herein. Diese Söhne des edeln zweiten Cosimo, die so rätselhaft in früher Jugend sterben: die Blutszenen, die schon jetzt seit der kurzen Regierung deines Bruders vorgefallen sind. Von andern Familien jener Papst Alexander und sein scheußlicher Sohn Cesare Borgia, noch manche Päpste, die Familie der Visconti und Sforza in Mailand, der Ferrarese, der den eignen Sohn hinrichten läßt – und alles wird erregt durch Liebe, Wollust, Eifersucht, Rachgier, Eigennutz und Herrschbegier!« –
Er ging im Saale auf und ab und sagte dann: »Keine größere Wonne, als nach so furchtbarem Gewitter im Finstern durch den erfrischten Wald zu schreiten: das war von Jugend auf meine Lust.«
Er nahm den Degen und die Jagdflinte und entfernte sich. Isabella saß in stummer Verzweiflung und rang die Hände. Dahin war also nun der schwärmende Leichtsinn des Lebens ausgeschlagen! Sie irrte durch die Zimmer, in den Vorstuben, vor den Türen, allenthalben ihr fast unbekannte Diener mit strengen Angesichtern. Da kam die alte Amme und winkte ihr geheimnisvoll, so daß sie, entfernt von allen, sie in der Schlafkammer ganz allein sprechen könne. Als sie sich sicher wußten, flüsterte die Amme: »Hier! nehmt das Blättchen! Der Alte sagte mir, wie er ankam, er hätte deswegen nur die traurige Botschaft übernommen, um Euch das Blättchen, wenn auch mit Lebensgefahr, abzuliefern. Er ist zwar reichlich belohnt, – aber das Leben geht doch über alles.«
Isabella nahm zitternd das Papier. Sie kannte die Hand wohl; es enthielt nur: »Um Gottes willen! flieht! gleich! im Augenblick, da Ihr dies empfangt!«
»Wohin? Wie?« rief Isabella in Verzweiflung; »die Fenster zu hoch, der Wald unwegsam und mir unbekannt; kein Pferd, kein vertrauter Mann, – wenn jener Alte vielleicht aus der Stadt –«
»Alles umsonst,« heulte die Amme, »ich bin schon an seiner Tür gewesen, sie haben ihn eingeschlossen. – Wohin man sieht, stehn die ernsten, verdrüßlichen Wächter mit finstern Gesichtern; wir sind wie in einer Festung verriegelt.«
An alle Fenster ging die geängstigte Isabella, um einen möglichen Ausweg zu entdecken; aber alles war umsonst. Jetzt kehrte der Herzog zurück, und die Amme verließ ihre Gebieterin. Er stellte Flinte und Degen wieder in die Ecke, zog die Handschuhe aus und sagte: »Es ist doch beinahe kalt geworden, man sollte sich mehr vor solchem schnellen Wechsel der Witterung in acht nehmen. Solltest du es glauben, der ehrliche Alte, der so unbesonnen und hastig herausritt, um uns jene Trauerkunde zu bringen, er hat sich so erhitzt und nachher durch das Gewitter so erkältet, daß er jetzt schon in dem Zimmer unten tot liegt.«
Isabella stieß einen laut gellenden, krampfhaften Schrei aus, indem ihr ganzer Körper zitterte. Von ohngefähr ging ihre vertrauteste Kammerfrau, die schöne junge Stella, an der Tür vorbei: diese kam, da sie diesen ungewöhnlichen furchtbaren Aufschrei vernahm, schnell herein. Sie sah, wie Bracciano um die leidende Gemahlin bemüht war; er hielt sie in den Armen und sagte: »Ist es die Reise, ist es die Furcht, welche ihr das Gewitter erregte? Sie ist wie von einem Schlagflusse getroffen worden.«
Stella rieb ihr die Schläfe: die halb ohnmächtige Herzogin warf einen fast sterbenden Blick auf die befreundete Gestalt, drückte ihr die Hand und lispelte: »Bei mir bleiben!«
»Sie wird immer schwächer,« sagte Bracciano; »Ihr seht meine Angst, Stella. O schnell, schnell laßt Euch unten von meinem Oberjägermeister das Elixier, das heilsame, geben, das ich ihm anvertraute, im Fall mir im Walde auf der Jagd etwas zustieße: schnell!«
Es dünkte der Kammerfrau, als wenn die schwache Ohnmächtige sie festhalten und ihr etwas sagen wollte; aber sie vermochte es nicht, und Bracciano rief wieder: »Ihr seht, wie meine Gemahlin leidet. – Eilt!«
Stella flog fort. – »Seht,« sagte der Herzog leise, »da fällt das Billett des Troilo aus Eurem Busen; warum habt Ihr es nicht gleich zerrissen?«
Jetzt kam Stella in fliegender Eile und herzklopfender Angst zurück. Wie sie aber eintreten wollte, fand sie die Tür von innen verriegelt. Sie klinkte und klopfte. Da war es ihr, als hörte sie ein Weinen, dann einen lauten Wortwechsel, ein Schluchzen – plötzlich war alles still. – Bracciano öffnete die Tür und sagte: »Wer hat sie verriegelt? Seht die Arme.«
Isabella war vom Sessel heruntergesunken. Stella kniete neben ihr nieder und legte das schöne Haupt in ihren Schoß: sie rieb Schläfe und Stirn mit der kräftigen Essenz: sie sah, wie die Sterbende am Halse und im Gesicht blaue Flecken hatte, wie die Augen aufgeschwollen herausstanden: ein brechender Blick schaute sie noch einmal mit ungewissem Lichte, dämmernd und aufflackernd, an, dann lag Isabella tot in ihren Armen.
»Seht!« rief Bracciano klagend, »sie ist dahingeschieden, die Unglückselige, noch im Tode schön und reizend. Ja, weint nur, arme Stella, Ihr habt eine liebe Herrin, eine großmütige, freundliche, verloren. Und ich Verlaßner! so schnell sie einzubüßen, da ich sie eben erst wiedergewonnen hatte. Hierher kam ich, um in fröhlicher Häuslichkeit, in stillem Frieden den Sommer an der Seite des geliebtesten Wesens zu genießen – und nun kehre ich als trauernder Witwer zur Stadt zurück.«
Stella war außer sich, die andern Dienerinnen erschraken, als sie diese schreckliche Neuigkeit erfuhren. »Die Reise, das feuchte Schloß, das schreckliche Gewitter haben es ihr angetan; dies Grauen hat ihrem zarten Körper den Schlag zugezogen, und der Herzog ist untröstlich.« So sprachen sie untereinander.
Man kehrte zur Stadt zurück. Bracciano voran, und die Leiche folgte ihm nach. Soeben war die Totenfeier für Eleonore Toledo beschlossen, und eine zweite wurde jetzt mit noch viel größerem Pomp für die junge, dahingeschiedene Schwester des Großherzogs veranstaltet. Der Bruder der Verstorbenen ging traulich Arm in Arm mit Bracciano, und beide schienen einander freundlich zu trösten; sie waren, das sahen alle Zuschauer, inniger vereint als je. Pietro war nicht zugegen.
Als sie aus der Kirche zurückkehrten, gewahrte Bracciano in der Menge den Geheimschreiber Malespina und sagte halblaut im Vorbeigehn: »Nicht wahr, nun gibt es wieder recht viel zu erzählen?« – Diesen schauderte, und er verließ das Gedränge, um in der Einsamkeit nachzudenken.