Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Drittes Kapitel

Der Kardinal Farnese hatte das Haus der Accoromboni noch niemals so oft besucht als jetzt. Man empfing ihn jedesmal, wie es sich von selbst versteht, mit der größten Ehrfurcht, und doch fühlte es die Matrone nur allzu deutlich, daß sie, ungeachtet der Freundlichkeit des Fürsten, nicht mehr so wie sonst auf ihn vertrauen konnte. Man meldete ihn wiederum, und da die Tochter in der Messe war, so empfing ihn die Mutter, und es schien ihm lieb zu sein, sich mit dieser allein unterhalten zu können.

Donna Julia fühlte, so fein auch der Kardinal war, daß er heut etwas Besonderes ihr mitzuteilen habe; denn er war halb zerstreut und doch aufgeregt, sein schönes großes Auge glänzte mehr als sonst, und er fing ein Gespräch an und ließ es wieder fallen, fragte, ohne die Antwort abzuwarten, und zeigte in seiner Miene, die bald ernst, bald freundlich wechselte, daß er etwas Wichtiges vorhabe.

»Was Ihr mir von dem jungen Orsini erzählt habt,« so begann er endlich, »hat mich wahrhaft erschreckt, und ich bin in der Tat in Verlegenheit, welchen Rat oder welche Hülfe ich Euch anbieten könnte. Daß Eure Tochter den jungen Bösewicht verabscheut, ist natürlich, und an eine Vermählung mit ihm, so reich und vornehm er auch ist, ist nicht zu denken. Selbst wenn Vittoria nicht dagegen wäre, würde ich doch mit allen Kräften abraten, denn es ist zu fürchten, daß das Schicksal dieses jungen Mannes ein furchtbares sein wird. Er, der jedes Gesetz verachtet, der die Gefahr stündlich herausfordert, der den Rat keines Menschen hört, er muß, wenn er sich nicht einmal völlig umkehrt, tragisch endigen. Und doch – wer ist stark genug, seine Gewalttätigkeiten abzuhalten? Sein Anhang ist groß, hundert verwegene Abenteurer, einige aus guten Häusern sogar, umgeben ihn, die besoldeten Banditen ungerechnet; alle diese sind auf einen Wink von ihm zum Tollsten und Abscheulichsten bereit. Dieses Unwesen unsers Staates ist so mächtig geworden, daß der Heilige Vater und wir alle dem nicht steuern können. Neapel und andere Staaten ermuntern und unterstützen diese freien Banden, um uns zu schaden, der König von Spanien triumphiert, daß wir in dieser ängstlichen Verlegenheit sind, und Florenz ist jenem Monarchen fast dienstbar und widersetzt sich ihm nie. So groß ist das Übel und so furchtbar angewachsen, daß wir alle selbst zuweilen in diesen abscheulichen Verbindungen unsere Hülfe suchen müssen, um nicht unbedingt dem fremden feindseligen Einflusse zu gehorchen. Treibt nun ein Orsini oder ein andrer vornehmer Bösewicht es einmal zum Äußersten, so ist höchstens der Bann seine Strafe, und er wird in Neapel, Florenz und Venedig mit offnen Armen empfangen, man gibt ihm bedeutende Ämter und Unterstützung aller Art. – Was soll also hier geschehn? Wer soll Euch in diesem kleinen Hause mächtig beschützen? Wer diesem Orsini Furcht einflößen?«

»Aber Ihr selbst, hochverehrter Freund; kann nicht ein so mächtiger Kardinal für seine Schützlinge stärker einschreiten?«

»Liebe, alte Freundin,« sagte der Kardinal seufzend, »unsere Macht, unser Einfluß unterliegt ewigen Schwankungen. In diesen besteht nur, wenn Ihr Euch darum erkundigt, die Geschichte unsers geistlichen Regiments. Handeln irgend andere Mächtige gegen uns, offen oder unter der Hand, so entstehen Hemmungen, Widersprüche, wir gehn vorwärts, kämpfen, und plötzlich fühlen wir uns gelähmt und ohnmächtig, weil ein heftiger Schlag blitzschnell von einem Orte herkommt, wo wir es am wenigsten vermuten konnten. Ist schon an den Höfen ein beständiger Wechsel von sich ablösenden Intrigen, von Dienern und Vornehmen, die einer des andern Kraft zu vernichten suchen, so ist dies noch viel mannigfacher, stärker, feiner und gewaltsamer in unserer Priesterherrschaft, wo nicht bloß Kardinal und Bischof, der Herzog und Gesandte des Hofes, sondern auch wohl der bettelnde Mönch durch seinen Einfluß einen groben Querstrich durch unsere besten Kalküls ziehn kann. – Alles das wird mir jetzt selbst bei Eurem Prozesse klar, der nun schon seit zwei Jahren in der Schwebe hängt. Meine Advokaten wissen, wie es mein ernster Wille, ja mein Befehl ist, daß alle jene Schikanen niedergeschlagen werden, die Euch den größeren Teil Eures mäßigen Vermögens streitig machen wollen, alle meine Klienten kennen meinen Willen, – und doch – doch ist es möglich, daß Ihr gerade jetzt unter den obwaltenden Konjunkturen Eure gerechte Sache verliert.«

»Um Gottes Willen!« rief Donna Julia und sank erblaßt in ihren Sessel zurück, »so träfe mich ein ungeheurer Schlag da, wo ich es am wenigsten fürchtete! Auch noch Bettler werden? Es wäre entsetzlich!«

»Nicht gleich das Ärgste fürchtet,« sagte Farnese, indem er ihre Hand faßte und sie freundlich drückte; »im schlimmsten Falle hättet Ihr reiche Freunde, die Euch keinen Mangel würden leiden lassen.«

»Keinen Mangel?« rief sie aus, – »und von Almosen leben! von Brocken, die man uns auch willkürlich entziehn könnte! – In eine enge, abgelegene Gasse flüchten, die Tür für jeden anständigen freien Mann verschlossen halten müssen! Nicht mehr imstande sein, einen Armen durch eine Gabe zu trösten, viel weniger einem alten Gastfreunde eine Schüssel vorsetzen können! Das also wäre dann der Beschluß meines Lebens.« – Aus ihren großen Augen stürzten brennende Tränen, sie schien es nicht zu bemerken.

Die große Gestalt des Farnese erhob sich und beugte sich tröstend über sie, indem der zierliche Mund die freundlichsten Worte sagte. Als sie wieder mehr beruhigt schien, sagte der Kardinal: »Nicht wahr, Ihr habt Vertrauen zu mir, Ihr seid meine bewährte Freundin, und Ihr glaubt von mir, daß ich alles für diejenigen tun will und werde, die ich die Meinigen nenne?«

»Ihr seid mein einziger Schutz,« sagte die Matrone; »wenn Ihr mich aufgebt, so bin ich ganz unter die Füße getreten.«

»Macht es mir nur möglich,« rief der Fürst, »ganz mit aller Kraft für Euch zu handeln, daß ich mit begründetem Anspruch, ohne mich lächerlich zu machen, auch das Äußerste versuchen und ausrichten darf.«

»Wie meint Ihr das?«

»Seht,« fuhr er liebreich fort, »die Päpste haben ihre Nepoten, die sie nicht nur beschützen, sondern reich und mächtig, oft, wenn sich die günstige Gelegenheit bietet, zu unabhängigem. und regierenden Fürsten machen. – Könnte ich nun Euch und die Eurigen nicht auf ähnliche Weise adoptieren?«

Die Mutter sah ihn forschend an.

»Ich habe aus Vittorias eignem Munde,« begann der Kardinal wieder, »daß, wenn es nach ihrem Willen geht, sie sich niemals vermählen wird. – Und sie hat recht. Denn welches Glück könnte diesem hochgestimmten Wesen wohl in der gewöhnlichen Ehe blühen? Glanz, Pracht muß sie umgeben, sie muß ein fürstliches Dasein führen und durch ihren erhabenen Geist Einfluß in die Händel der Welt gewinnen. So gelang es dieser merkwürdigen Bianka Capello, die als eine arme Flüchtige und Verbannte nach Florenz kam und jetzt dort den Herzog und den Staat regiert, kniend von allen verehrt wird, und ihre Schönheit von aller Welt bewundert. – Erlaubt mir, fortzufahren. – Vittoria ist schöner und begabter als diese Bianka, deren Geschichte der Welt ein Märchen dünken möchte. Ich bin kein regierender Herzog, aber ich kann Euch und den Eurigen eins meiner großen Schlösser schenken, hier in Rom, oder auf dem Lande das prächtige Caprarola, oder ein anderes, ihr und den Eurigen auf ewig so fest und bündig verschreiben, daß keiner meiner Verwandten Einwendungen machen kann, die ich auch unter den strengsten Bedingungen so reichlich entschädigen will, daß auch der frechste von diesen keinen Widerspruch wagen soll. Ja, daß ich es nur bekenne, meine Leidenschaft für die göttliche Virgina ist mit jeder Woche gewachsen: ihre Zuneigung und Liebe ist zu meinem Dasein unentbehrlich. – Übereilt Euch mit keiner Antwort, und da ich einmal so weit gegangen bin, laßt mich alles sagen. Gehört Ihr mir auf diese Weise an, sind wir so innigst verbunden, so gebe ich Euch mein fürstliches Wort, ja leiste Euch, wenn Ihr es verlangt, die heiligsten Eidschwüre, meine äußerste Gewalt, ohne alle Rücksicht auf meine Kollegen oder weltliche Fürsten, auf Papst und Kurie, anzuspannen, um Eure und meine Wünsche durchzusetzen. Ihr wißt aus meiner Geschichte, daß ich Tage erlebt, wo ich auch schon ohne Furcht und Zagen handelte. Dann seid Ihr reich und mächtig, ich setze alles daran, Euern ältesten Sohn zum Bischof zu machen, Flaminio erhält einen einträglichen Posten, und Euer Marcello, der jetzt in naher Todesgefahr schwebt, wird ein angesehener, wohlhabender Mann. Auf diesem Wege könnt Ihr Euch erretten und glücklich sein.«

»Indem mein Kind eine Buhlerin wird?‹‹ rief sie ihm mit gedämpfter Stimme entgegen und warf aus dem großen feuerstrahlenden Auge ihm einen so zürnenden und verachtenden Blick zu, daß er scharf errötete, den Strahl nicht ertragen konnte und sein Auge niederschlug, indem seine feinen schönen Lippen in Verlegenheit zitterten.

Er faßte sich bald wieder und sagte: »Teure Freundin, Ihr seid in der Welt aufgewachsen und habt beobachten können. Seht um Euch und erinnert Euch alter und neuer Geschichten. Wer war Lukretia Borgia, die eine verehrte Herzogin von Ferrara wurde und vor der selbst ein großer Bembo in zärtlichen Seufzern kniete? Solltet Ihr denn, die Hochdenkende, so kleinbürgerlich gesinnt sein, um jenes Wort im Ernst aussprechen zu können? Hoheit und Glanz versiegelt jede Lippe, und selbst den Armen, Erbitterten, welche lästern möchten, ist es nicht Ernst mit ihrer finstern Tugend. Wäre ich nicht ein Verpflichteter meines Standes, so würde ich Vittorien freien Sinnes meine Hand anbieten, so kann ich ihr nur meine Liebe geben. Und ist dies Gefühl, diese Verbindung, die aus ihm entspringt, nicht die allernatürlichste der Welt? O, das müßt Ihr ja selbst erfahren haben, wie könntet Ihr sonst so edel und verständig sein; und wart Ihr denn nicht auch einmal mit dem Grafen Orsini Pittiliano verbunden? – O freilich, Euer Erröten sagt genug. – Nur jetzt keine Antwort so schnell, sie möchte eine Übereilung sein. – Erwägt meine Vorschläge und Freundschaft in einer ruhigen Stunde.«

Er empfahl sich mit einem zärtlichen Handkusse, und als man die Tür öffnete, glänzte von draußen die hohe Schönheit Vittorias in das Zimmer herein: sie kam aus der Messe, von Caporale und dem jungen Francesco Peretti begleitet. – »Was macht das junge Flachsgespinst in Eurem Hause?« sagte der Kardinal, indem er noch einmal rasch umkehrte; »aus dem wird sein eselhafter Oheim, der eingeschlafene Montalto, niemals etwas machen können; warum ließ er ihn nicht draußen bei seinen Kälbern und Rindern?«

Zärtlich Vittoria anschauend und mit einem Blick der tiefsten Verachtung auf den jungen Peretti verließ er das Haus, indem er noch im Vorbeigehn dem alten Caporale vertraulich die Hand schüttelte, worüber die tief sich verneigenden Diener in das höchste Erstaunen gerieten.

Als sich Donna Julia allein sah, warf sie dem Fortgegangenen eine drohende Gebärde nach und sagte für sich hin: »O du gleißender Priester! du Abscheulicher! Also so hast du es mit uns im Sinne? O, welche Welt ist dies! – Und war sie wohl jemals anders? – Der schleichende Fuchs mit der Taubenmiene! – Es bliebe uns also nichts, als daß sich dort das alte Schauspiel mit der Lukretia wiederholen könnte oder der Dezemvir hier mich zwänge, mit dem Stoß eines Messers meine Virginia aufzuopfern. – Was träumte ich mich (zum Lachen!), die Mutter der Gracchen zu sein! – Und doch waren ihre Mörder auch Römer!«

Sie hörte im andern Zimmer ein lautes Lachen, und der Ton schnitt ihr durch das Herz. »So ist es,« sagte sie zu sich; »laute Fröhlichkeit dort, hier Verzweiflung! und nur eine dünne Wand zwischen beiden! Wie hat er nur, der sich meinen alten Freund nennt, den Mut haben können, mich an die Geschichte meiner Jugend zu erinnern! – O nein, er fühlt nicht, wie bei der Erinnerung hundert schartige Messer durch meinen Busen gehn.«

Sie öffnete die Tür zum andern Zimmer und rief den alten, bewährten Freund, den einfachen ehrlichen Caporale, zu sich. Sie setzten sich, und in krampfhafter Rührung und unter Tränen begann die Mutter den Bericht. »Quält Euch nicht so ohne Not,« sagte der Alte, »ich habe schon gestern abend alles erfahren, die hohe Eminenz nahm mich so freundschaftlich in ihren Wagen, der Kutscher mußte einen Umweg fahren, damit der geistliche Fürst in unserer Einsamkeit nur Zeit genug behielt, mir sein ganzes Herz auszuschütten und keinen Umstand der weitläufigen Geschichte zu vergessen. So bin ich denn in meinem Alter nolens volens sein Kuppler geworden, denn es war keine Möglichkeit, seinen angenehmen Geständnissen zu entrinnen.«

»Und was ist dabei zu tun?« fragte die Mutter bewegt.

»Alles oder nichts.« –

»Und was ist die Meinung dieser Worte?«

»Entweder sein Erbieten mit Dank annehmen, oder sich bis auf den Tod widersetzen. Ja bis auf den Tod, denn es gilt alsdann das Äußerste. So nimmt Vittoria denn den wilden Orsini zum Gemahl, und der wird ihr schon mit Dolch und Feuergewehr vor den andern Unholden Ruhe zu verschaffen wissen, – oder sie stirbt, was ihrer starken, aufgeregten Natur vielleicht am nächsten liegt. Denn glaubt nur nicht, diesmal wohlfeilen Kaufs loszukommen oder daß sich alles in leere Drohungen auflösen werde. Der Kardinal hat mit seiner feinen Spürkraft diesen Moment schon seit lange herannahen sehn; er ist klug genug, um sich die Gelegenheit nicht entschlüpfen zu lassen. So gleißend wie möglich hat er mir alles eröffnet, in wehmütiger Stimmung, indem er mir oft, als seinem intimsten Freunde, die Hände drückte und mich beim Abschiede noch herzlich umarmte, mir in den größten Lobeserhebungen von meinem ungeheuren poetischen Talente sprach, das alle jetzigen Dichter weit überrage, indem er mir unaufgefordert beteuerte, nicht eher zu ruhen, als bis er mir eine viel vorteilhaftere Stelle verschafft habe, als meine jetzige sei. So werde ich auch noch durch Euch zu einem mächtigen Manne werden. – So viel ist gewiß, wenn Ihr Euch jetzt dem Kardinal entzieht, so geht Euer Prozeß verloren und Euer Sohn stirbt unter Henkershänden.«

»Nicht wahr?« rief sie mit grellem Ton; »es gibt doch Freunde, wahre Freunde in dieser Welt!«

»Ich habe diese Nacht nicht schlafen können,« sagte der Alte, »mir war unser Dasein mit seinen Bedingnissen noch niemals in diesem seltsamen Lichte erschienen. Der Angelstern, den wir in unsrer Brust für einen ewigen hielten, droht zu erlöschen, und es ist einem zumut, als wenn das Gewissen nur ein Märchen wäre, wenn alte Männer, Priester, Fürsten, vom Volke Verehrte so ruhig und sicher ihre Verruchtheiten, als wären es ebenso viele mathematische Lehrsätze, dem erstaunten Zuhörer auseinanderlegen.«

Der Dichter wollte sich entfernen, doch bat ihn die Mutter, zu ihrem Troste noch zu verweilen, weil es ihr in dieser Stimmung unmöglich falle, mit ihrer Familie allein zu sein. Ungern nur erfüllte Caporale diese Freundespflicht, weil er fühlte, daß sein Rat von keinem Nutzen sein könne, er neue gewaltsame Szenen fürchtete und selbst nach diesen Erschütterungen und der durchwachten Nacht der Ruhe bedurfte. Im Zimmer befand sich Vittoria allein: Flaminio war mit Peretti gegangen, um diesen zu begleiten, denn der neue Fremdling hatte dem jungen Accoromboni eine glühende Freundschaft aufgedrungen. Vittoria schien sehr heiter, denn sie lachte noch und fütterte mit Brosamen aus dem Fenster ihre Tauben, die sie sehr liebte.

»Was erfreut dich, mein Kind?« fragte die Mutter mit schwerem Ton.

»Ei, daß ich schon wieder, fast wie Circe,« sagte sie übermütig, »mir einen neuen Liebhaber eingefangen habe, den ich kaum noch in ein Tier zu verwandeln brauche, denn er tritt mir selbst als freiwilliger Gimpel entgegen. Er schwört mir zu, daß eine ewige, unüberwindliche Leidenschaft ihn zu meinen Füßen feßle, um ohne Trank und Speise vom Anblick meiner schönen Augen zu leben. Er will seinen alten Oheim zu seiner Einwilligung bewegen oder augenblicks des schrecklichsten Todes sterben. Er hat mir in der kurzen Zeit, da er jetzt bei mir war, mehr vorgeschwatzt und mir mehr Albernheiten gesagt als alle meine vorigen und jetzigen Anbeter in Wochen. Wenn man nicht selbst von diesem Wahnsinn befangen ist, so gibt es auf Erden doch nichts so Lächerliches als diese Liebe.«

»Und deinen Orsini hast du schon so bald vergessen?« fragte die Mutter.

»Nun ich den ersten Schreck überstanden habe,« antwortete sie, »muß ich auch über diesen Rodomont lachen. Er gefällt sich im Toben, seine Liebeserklärungen weiß er nur in Flüche einzukleiden. Und am Ende kann man diese Sakripante und Rolande doch mit einem ruhigen, verständigen Blicke regieren.«

»Laß deine Tauben«, sagte die Mutter, »und setze dich zu uns.«

Vittoria nahte sich mit beobachtendem Blick und sagte: »Dir muß wieder etwas begegnet sein, denn du trittst mit einem ganz verwandelten Gesichte zu mir her. Ich wollte mit dir von diesem meinem Peretti sprechen und herzlich in deiner Gesellschaft lachen. Hast du das schon in einem Gedicht oder Novelle gehört, daß ein wilder Ochs der Kammerherr ist, der den fremden, angekommenen Prinzen der geliebten Fürstenbraut vorstellt? Selbst unter den Tollheiten des Ariost würde diese noch als die verwunderlichste erscheinen: und doch ist die Sache buchstäblich wahr, und sie hat gerade mir begegnen müssen.«

»Wir stehn jetzt auf einem ganz andern Punkte,« sagte die Mutter; »seit gestern hat sich alles völlig geändert, das kann mir dieser bewährte Freund hier bezeugen.«

»Nun so sprich denn,« sagte Vittoria ganz gelassen, »ich denke, ich kann alles hören, solange noch das Tageslicht scheint; in der Nacht bin ich freilich viel furchtsamer.«

»Wir müssen verzweifeln!« rief die Mutter von neuem heftig aufgeregt, »alle Mittel entweichen, alle Hülfe läßt von uns los: Armut, Schande, Elend, Tod und Entsetzen stehn dicht vor unserer Tür, alle pochen laut und ungestüm an und verlangen eingelassen zu werden, und unsre schützenden Wächter des Hauses sind entwichen und verleugnen uns.«

»Aber wir sollen uns nicht verleugnen, und solange meine Seele mein eigen ist, ruht auch mein Schicksal in meiner Hand. Nie, nie werde ich mich beugen, nie dem nachgeben, was die Menschen Notwendigkeit oder Verhängnis nennen. Welch Wesen kann zu uns treten und sagen: Du sollst mir gehorchen! Solange ich noch ein Glied regen kann, werde ich mich nicht vor Menschen, auch nicht vor Tod und Schicksal demütigen.« So sprach Vittoria.

Die Mutter sprang wütend auf, die Tochter hatte sie noch niemals so gesehn, und Caporale entsetzte sich. »Ungeratene! Verblendete! Aberwitzige!« schrie sie mit gellenden Tönen, in Haltung und Gebärde aller Grazie völlig entkleidet. »Sieh her, vor einem kleinen Brosamen, vor diesem hier, das deiner Taube bestimmt, vor diesem Hundertteil eines Pfennigs kannst du knien und flehen müssen, zu ihm um Erbarmen schreien und dem die rohen groben Hände küssen, der es in der Hungersnot mit Verachtung dir hinwirft, wenn ich gestorben bin, deine Freunde tot sind, deine Liebhaber dich verachten!«

Vittoria wandte sich zitternd und leichenblaß von der Mutter ab. Sie verstand deren Wesen nicht mehr; so sehr sie war erschreckt worden, so sehr sie sich auch vor diesem wilden Ausbruch der Wut und der Verzweiflung entsetzt hatte, so konnte sie sich doch nicht bergen, daß ihr die verehrte Frau zum erstenmal im Leben gering und häßlich erschienen sei. Diese Fremdartigkeit verschlang in diesem Moment alle andern Gefühle, sie kam sich edler und höher vor, und darum sagte sie ganz ruhig, selbst mit einer Art von kalter Verachtung: »Sollte es denn so sehr schwer sein, zu sterben und das ängstigende Buch zu schließen, ohne alle Blätter desselben durchzulesen?«

»Verzeiht mir, Don Cesare,« sagte die Mutter jetzt zerknirscht und weinend, »ich habe mich wohl unwürdig betragen, und Ihr seid ein Zeuge meiner Schwäche geworden. Immer höre ich von der Törin wieder die Worte: Freiheit! Sterben! bei denen sie sich nichts denkt. Es stirbt sich nicht so obenhin; – und wenn auch – alles das erst durchleben zu müssen, was einem solchen Tode vorangeht!«

»So sprecht mit mir verständlich, ruhig,« sagte Vittoria; »weiß ich doch gar nicht einmal, wovon die Rede ist.«

Julia ging noch einigemal im Saale auf und ab, um sich zu sammeln, dann ergriff sie die Hand Don Cesares, wendete sich zur Tochter und sagte: »Vergib auch du mir.« Sie setzte sich dann und erzählte mit zitternder Stimme, die aber im Fluß der Rede nach und nach erstarkte, von dem Prozeß, der wahrscheinlich, und mit ihm ihr Vermögen, verloren gehn würde, von der nahen Hinrichtung des Bruders, ihrem Verarmen, der Möglichkeit der Gewalttat von seiten Orsinis, und wie endlich der so freundlich scheinende Kardinal, er, fast der angesehenste Mann des Staates und des erlauchten Kollegii, jene Vorschläge getan, die auch Caporale schon kenne, weil er sie kalt überlegt diesem ebenfalls mitgeteilt habe. »Und nun du alles weißt,« schloß die Mutter, »so brich nicht in unnütze Wut aus, sondern rate und hilf jetzt, wenn du denn so mächtig bist.«

Die Mutter und Caporale zitterten jetzt vor dem Ausbruch der heftigsten Wut, den sie mit Bangen erwarteten: – doch wie waren sie erstaunt, als Vittoria ganz ruhig blieb, ja sich noch kälter und gelassener zeigte als zuvor. Endlich sagte sie, fast im höhnischen Ton: »Nun, Mutter, was ist denn nun weiter? Ich dachte, welche Wunder Ihr mir zu entdecken hättet. Wir können in kein fremdes Land flüchten, dazu fehlen uns die Reichtümer; hier in den Provinzen oder unserem Vaterlande ist keiner so mächtig oder uns so befreundet, daß er uns schützt und erhält, wir sind der Willkür, der Ungerechtigkeit, der Gewalt und wohl dem Morde preisgegeben. Der einzige Widerstand, der uns noch übrigblieb, ein edler, freiwilliger Tod, wie ihn die großen Römer nicht selten an sich vollstreckten, diesen wollt Ihr nicht billigen, weil Ihr meint, das göttliche Gesetz, unsre Religion, habe den Selbstmord für die unverzeihlichste Sünde erklärt: – also – warum die Vorschläge unsers besten Freundes, des großen, mächtigen Kardinals, nicht annehmen? Reichtum, Glanz, die Freiheit des Bruders, das Aufblühen unsrer Familie, alles wird uns großmütig angeboten. Kein andrer wird dabei aufgeopfert als nur ich allein. Und wenn ich also nun mit dieser Anordnung zufrieden wäre? Ja, wäre der Freund, der mir mit diesen Lockungen entgegentritt, ein so großer Mann, wie es der Papst Julius der Zweite war, wäre er ein Lorenzo Magnifico, so wäre es selbst kein Opfer von meiner Seite, denn ein so großer Charakter würde mich zwingen, ihn zu lieben. Und wie ich von der hergebrachten Ehe denke, weißt du ja längst, Mutter. Diese willkürliche Hingebung an schwache, gewöhnliche, ja verächtliche Männer, – wie soll ich glauben, daß eine priesterliche Weihe, eine Zeremonie dieses elende Verhältnis heiligen könne? Nur für das blöde Auge der Menge, für den zünftigen Priester, für jammervolle alte Gevatterinnen kann zwischen der privilegierten und scheinbar verbotenen Verbindung ein Unterschied stattfinden. Wenn mir alle Männer gering und armselig erscheinen, wenn die Ehe selbst mir widerwärtig ist und du doch behauptest, jedes weibliche Wesen müsse sich ihr fügen, so begreife ich deine zürnende Empörung über unsern alten würdigen Beschützer nicht.«

»Ich erkenne dich nicht mehr für meine Tochter«, sagte die Mutter kalt und verließ das Zimmer.

Caporale war so erstaunt, daß er nicht wußte, ob er richtig gehört oder verstanden hatte. »Laßt mich!« rief jetzt Vittoria mit dem heftigsten Ausbruch der Tränen, »ich will allein sein; es ist mein Schicksal, von keinem Menschen verstanden zu werden.«


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