Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Viertes Kapitel

Die Mutter war durch den neuesten Vorfall so erschüttert, daß sie am folgenden Tage lange auf ihrem Lager blieb und sich erst erhob, nachdem ihr Sohn Flaminio und Vittoria die fremden Gäste schon angenommen hatten. Als sie in den Saal trat, fand sie die Gesellschaft im lebhaften Gespräch. Sie suchte sich zu zerstreuen und spannte sich zu einer erzwungenen Heiterkeit.

Der fremde Mann, welcher mit dem wohlbekannten Dichter gekommen war, schien ohngefähr dreißig Jahr alt zu sein. Er war schlank, groß und wohlgebaut, seine Gebärde edel, das Auge schön und feurig. Vittoria vermutete, daß auch dieser ein Dichter sein könne, da er mit dem alten Hausfreunde erschien und die Gelehrten aus allen Provinzen Italiens gern die Familie der Accoromboni aufsuchten. Der Fremde war sehr freundlich und von den edelsten Sitten, mehr ernst als heiter, und auf seinen Wunsch beschloß man die Villa d'Este zu besuchen, von deren Pracht und Schönheit in ganz Italien die Rede war.

Als sie die Villa erreicht hatten, ward ihnen der Eingang gestattet, weil die Besitzerin nicht zugegen war. Der Fremde schien sehr aufgeregt und ward von den Kostbarkeiten, Gemälden und dem Schmuck der Zimmer entzückt und begeistert. »Wie glücklich«, sagte er, »könnten die Fürsten sein, denen alles dies zu Gebot steht und die sich ein solches Dasein bereiten mögen. So umgeben, nichts Niedriges, Ärmliches in ihrer Nähe, wohin sie blicken, nur von Kunst angeschaut, von Schönheit umleuchtet, Erinnerung an Geschichte und große Vergangenheit, die edelsten Geister, die Raffael, Michelangelo und Julius der Römer, für sie in Tätigkeit – und doch –«

»Ja wohl«, sagte die ernste Matrone, »wohnt nur sehr selten in diesen herrlichen Palästen das wahre Glück. Das Schicksal und die Umstände, die Verhältnisse des Menschen sind immer mächtiger als der Mensch selber. Der Einsame, Unabhängige stürzt sich aus seiner Freiheit in Dienst und Abhängigkeit, um das zu suchen, was er Glück nennt; und jener, der im Glück zu schwelgen scheint, von vornehmen Freunden umgeben, im Glanz des Reichtums, wünscht sich nur allzuoft in die verlassene Einsamkeit des dürftigen Waldbruders. Freiheit ist ein edles Wort und hat einen herrlichen Klang, es ist aber nur ein Wort, ein verhallendes, ohne Wesen und Inhalt. Die wahre Freiheit ist nur im Tode.«

Der Fremde sah die hohe Frau verwundert an, und Caporale sagte: »Ihr seid heut, verehrte Freundin, aufgeregt; gönnt der Natur und dem schönen klaren Licht, das so herrlich dort die Gebirge beglänzt, Euch aufzuheitern.«

»Zu zerstreuen,« sagte sie; »muß doch das Edelste der Natur und Schöpfung nur gar zu oft, sich herabwürdigend, dazu dienen, uns von uns selbst zu entfernen.«

»Um uns doch nur«, bemerkte der Fremde, »dort in diesen Gegenständen edler und vollkommener wiederzufinden. Das Wahre, Gute in uns kann uns niemals verloren gehn.«

»Weil es vielleicht nicht da ist«, sagte Signora Julia, tief seufzend. »Verzeiht, mein edler Herr, dessen Namen ich noch nicht einmal weiß: Eure Liebenswürdigkeit hat mich verleitet, Euch nach dem ersten Anblick als einen alten Freund des Hauses zu behandeln, vor dem ich nicht nötig habe, meinen Kummer zu verbergen. Doch ist es wohl besser und schicklicher, hier in diesen poetischen Umgebungen eine andre Sprache zu führen.«

Jetzt verließen sie das Haus und betraten den schönen, künstlichen Garten. Vittoria ging schweigend an der Seite der Mutter, auch der heitre Don Cesare war ernst geworden, und der Fremde war ganz der Betrachtung und Bewunderung der vielfachen Anlagen, dem Wechsel der Gebüsche, der Majestät der Bäume, der Pinien und Zypressen, dem schimmernden Glanz der vielfachen Blumenbeete hingegeben. Am meisten entzückten ihn aber die mannigfaltigen Wasserkünste, die in sinnreichen und versteckten Erfindungen. bald in kleinen Erzfiguren den Gesang der Vögel nachahmten, bald aus menschlichen Gestalten die Töne der Laute und vielfachen Gesang bildeten; so wechselten Sirenen und Wassertiere in seltsamen Gruppen, so spielten die Nereiden und Pan und Schäfer die Wasserorgeln, die Syrinx und Flöten und Pfeifen, dort klang die ländliche Schalmei, und fernerab rieselte das Element, welches erst zur künstlichen Musik abgerichtet war, als klarer Bach in seinen Naturtönen dahin.

Als der Fremde in den Ausdrücken seines Lobes immer enthusiastischer wurde, konnte Vittoria nicht länger schweigen, sondern ließ sich, beinah zürnend, in diesen Worten aus: »Ich weiß es wohl, daß alle Welt diesen Garten und diese tönenden Kunststücke bewundert. Ärgert Euch nicht an mir, teurer Mann, wenn ich Euch gestehe, daß ich immer nur ohne Freude diesen Plan betreten habe, da es mir schien, als wenn Kunst und Natur hier gleich sehr verletzt würden. Die wahre, echte Kunst ist hier in eine Künstlichkeit, in eine Seltsamkeit hineingeschraubt, die wohl Erstaunen und Verwunderung, nicht aber wahre Freude erregen kann. Die Natur ist gewissermaßen vernichtet, denn sie muß hier in den sklavischen Dienst von gezierten Spielereien treten, die nicht einmal eine Täuschung hervorbringen können und die ermüden, wenn man den ersten Genuß der Neugier und Verwunderung hinter sich hat. Wie anders wirkt ein gutes Gemälde, ein Werk des Bildhauers, Palestrinas Musik, eine freie Landschaft, dort der himmlische Wasserfall. Ist es nicht hier, als wenn man die Träume eines Fieberkranken wirklich machen und etwas erreichen wollte, was über unser menschliches Vermögen hinausreicht? Jedesmal aber, wenn der Mensch einen solchen Versuch eitlen Hochmuts unternimmt. sinkt er unter sich selber hinab.«

»Ei! ei! mein schönes Fräulein,« rief der Fremde, sie verwundert ansehend, »wie erklingen in so zarter Silberstimme aus so reizendem Munde diese herben, verdammenden Worte? Hat Euch niemals eine Sestine oder eine recht künstliche Kanzone begeistert? Wie haben unsre Natursprache, den Laut, der immer so gern wieder in das Bäurische zurückfällt, unsere Petrarka, Bembo, Molza, Bernard Tasso und so manche andre erzogen! Und diese mechanischen Erfindungen, die an sich selbst nur Staunen und ein leichtes Ergötzen erregen könnten, sollten vom Genius nicht in seinen Dienst genommen werden, um auch diese Dinge, die auf Linien, mathematischen Grundsätzen und arithmetischen Zahlenverhältnissen ruhen, in die höchste poetische Freiheit der Phantasie einzuführen? Wenn Euch dort die Natur und der erhabene Wasserfall mit Recht begeistert und für Momente Eure ganze Seele ausfüllt, so ist hier dieselbe Natur in ihrer lieblichen Erscheinung nur in eine Regel gebunden, um sie wieder auf andre Weise in die höchste poetische Freiheit hineinzuführen. Diese geraden Baumgänge, diese abgeteilten und abgezirkelten Blumenbeete sind ja nur wie die Stanzen oder Terzinen eines lieblichen Gedichts, wo das Wort der gewöhnlichen Rede auch mit wahrer kindlicher Freude, mit Übermut in die Regel hineinspringt, um sich selber süß und edler zu vernehmen. Und diese Wasser, Bildsäulen, Vögel, Scherz und Ernst, Schauer und sanfte Wollust, in diesen krausen Gebüschen, zwischen Myrten und Lorbeer und den finstern Zypressen, die ausgebreitete Pinie dort, das Rieseln, Flüstern in den Wipfeln, mit Duft und Echo gemischt, diese fast menschlichen Töne, der Vogelgesang, dort das Gebirge, über uns des Himmels lichte Bläue, das süße Spiel der Lichter, der dunkelnde Schatten – braucht der Mensch in diesem Traum der Wollust noch jenen Jupiter um seine Göttersäle zu beneiden?«

»Schön!« sagte die Mutter, »sieh, mein Kind, da hast du einmal einen Gegner gefunden, der dir deinen Eigensinn brechen könnte, wenn es ihm wichtig genug wäre, dich in die Lehre zu nehmen.«

»Kann sein,« sagte Vittoria, »daß dasjenige, was ich Natur, Schönheit und Freiheit nennen möchte, doch wieder ein zu enger Begriff ist, der wohl wieder zur Gebundenheit und Unfreiheit führen könnte. Und doch mag ich mein Wesen nicht willkürlich erziehn; ich muß erst das selbst in mir erleben, was eben jetzt der werte Fremde ausgesprochen hat: es ist mir unmöglich, nachzusprechen, was ich nicht selbst einsehe, oder künstliche Wege zu suchen, um mein nächstes Gefühl gegen meine Natur mir zu erziehn. Auch bei Büchern und Gedichten habe ich es nie vermocht, und ich will lieber für mich selbst irregehn, als nachfühlend und sprechend mit einem andern recht haben.«

Doch, meinte der Fremde, müsse man sich vielleicht in Schriften und Gedichten nach andern und jenen Regeln fügen, die sich schon seit alten Zeiten als Kritik geltend gemacht hätten.

»So widersprecht Ihr Euch aber selber!« rief Vittoria aus. – Sie hätten wohl länger gestritten, wenn nicht eine merkwürdige Erscheinung, die sich jetzt in der Nähe zeigte, ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätte. Eine alte Frau trat in Begleitung eines jungen, sehr reich gekleideten Mannes aus dem nahen Gebüsch. Sie war groß und stark, von männlichem Ausdruck und bräunlicher Farbe, an Kinn und Oberlippe zeigte sich selbst ein leichtes Bärtchen. Alle verbeugten sich ehrerbietig, standen still und ließen die beiden Gestalten vorübergehen, die sich dem Schlosse zuwendeten. Als sie entfernt genug waren, fragte der Fremde: »Wer war diese Dame, die fast das Ansehn eines starken, ältlichen Mannes hatte?« – »Die jetzige Besitzerin dieser Villa,« nahm Caporale das Wort, »jene weltberühmte Margarete von Parma, die Tochter des großen Kaisers, des fünften Karl.«

»Ist es möglich,« rief der Fremde aus und schlug die Hände ineinander, »daß ich gerade hier eines solchen Anblicks gewürdigt werden soll? Dieses Denkmal alter Begebenheiten, dieses große Monument mächtiger Zeiten, dieser freie große Charakter unsrer Geschichte ist an mir vorübergegangen wie ein Bild des Phidias oder Lysippus. Ans dem Traum der Poesie und Kunst halberwacht, stehe ich plötzlich in der Wundersage der Historie, und es fehlt mir an einem Maßstabe, mich gleich wieder zurechtzufinden. Sie, die Arme, die aus Politik, fast noch ein Kind, einem grausamen, wilden Mediceer, dem Herzog von Florenz, Alexander, vermählt ward, die dann seine Ermordung erleben mußte (volle vierzig Jahre sind es jetzt), die nachher wieder verheiratet wurde, dann vom Bruder als Regentin nach den Niederlanden geschickt ward, wo sie sich als wahre Königin klug, stark und groß zeigte in der schwierigsten Lage, ein echtes, edles Gegenbild jener großen Elisabeth von England, bis sie falscher Politik, der Kabale und dem blutdürstigen Herzog Alba weichen mußte. Was hat sie alles gesehn, erlebt und erfahren. Wie müssen ihr die Welt und deren Fürsten, die Widersprüche, die Schwächen der Menschen, Unglück und Glück erscheinen.«

»Jawohl,« antwortete Donna Julia; »nun bewohnt sie seit einiger Zeit diese Villa, wird aber, wie sie mir neulich sagte, vielleicht noch in diesem Jahr zu ihren Schlössern in den Abruzzen und dem Neapolitanischen reisen. Sie schien heut sehr im Gespräch vertieft, da sie uns außerdem wohl angeredet hätte, denn sie zeigte sich immer meiner Familie, vorzüglich meiner Tochter, sehr gnädig und huldreich.«

»Sie ist eine einzige Frau,« rief jetzt Caporale; »wenigstens habe ich noch nie eine ähnliche gekannt oder von ihr gehört. Glaubt ihr wohl, daß sie noch jetzt auf der Jagd, so alt sie ist, die rüstigsten Weidmänner müde macht? Sie tummelt sich auf jedem Rosse und scheut sich auch vor dem wildesten nicht, sie reitet und jagt allen Stallmeistern voraus, kurz, sie ist eine echte Virago, in der edelsten Bedeutung dieses Wortes.«

Jetzt eilte der junge Mann, der mit der Fürstin vorher gesprochen hatte, auf die Gesellschaft zu und bat den alten Dichter Caporale, ihn der Familie vorzustellen, der er schon seinen Besuch zugedacht hatte. Caporale sagte: »Nehmt meinen jungen, trefflichen Freund wohlwollend auf, verehrte Damen, den Grafen Pepoli aus Bologna.«

»Wir haben von Euch und Eurer edlen Wohltätigkeit gehört,« sagte die Mutter, »kein Bolognese kommt zu uns, der nicht Euren Ruhm singt.«

Der Graf verbeugte sich zierlich und erwiderte mit einer andern diese Artigkeit. Sie gingen hierauf nach Hause, und alle setzten sich zu einem einfachen Mittagsmahle nieder. Es gibt Charaktere, die, wenn sie auch nicht einen starken oder ausgezeichneten Geist besitzen, doch durch unverkennbares Wohlwollen und Menschenfreundlichkeit sowie durch feines Betragen alle Herzen gewinnen. Zu diesen gehörte der Graf. Auch war man bald mit ihm vertraut, als wenn er schon lange zur Familie gehört hätte. Er bildete einen angenehmen Kontrast gegen den zweiten Fremden, der viel edler, aber nicht so vornehm erschien: das freie, leichte Betragen des Grafen war so, daß man fühlte, er habe sich von Jugend auf in den glänzendsten Kreisen bewegt, daß er zum Edelmanne erzogen sei und ihn großer angeerbter Reichtum von den frühesten Jahren nicht nur über jede Not, sondern selbst Unbequemlichkeit des Lebens hinweggehoben hatte. Der andere Gast, dessen lebhaftes Auge so geistreich glänzte, dessen Lippe so fein zu lächeln verstand, glich doch mehr einem Gelehrten, ob man gleich keinen Professor der Universität und noch weniger einen Geistlichen in ihm erkennen mochte.

Nach Tisch begaben sich alle in einen kleinen Gartensaal, wo man sich an der Frische und der Aussicht in die schöne Landschaft erfreute. »Hier, in diesem lieblichen Aufenthalt,« rief Caporale, »sollten wir, wie es jetzt allenthalben geschieht, eine kleine poetische Akademie formieren und über ein gegebenes Thema improvisieren; oder sollte die Deklamation zu unbequem fallen, so entwerfe man schnell aus dem Stegreif auf diesen Blättern hier ein kleines Gedicht, oder auch ein größeres, wie es nun gerade die Muse begehrt.«

Die Mutter entschuldigte sich und ging, um notwendige Geschäfte zu besorgen, und Flaminio begleitete sie, um ihr hülfreich zu sein. Die übrigen setzten sich um den runden Tisch, und Caporale sagte: »Das Thema sei die Gewalt der Liebe

Alle dichteten, und nach einer stillen Pause, als alle ihre Blätter beschrieben hatten, sagte Cesare: »Ich bin kein Dichter, sondern nur ein Spaßmacher, und so spricht es auch dies Sonett aus.« Er las es; es enthielt eine Entschuldigung, er habe immer nur der Parodie gehuldigt, und seine Eitelkeit bestehe darin, daß man seine Gedichte nicht unzüchtig nennen könne, wenn er auch in Spaß und Witz einen Berni oder andre berühmte Poeten niemals erreichen könne.

Der Graf Pepoli sagte: »Wer ist jetzt in Italien wohl nicht ein Dichter? Es gehört zur Erziehung eines jeden Gebildeten, Verse machen zu können, und wir haben den großen Vorteil, daß unsre schöne, fein ausgebildete Sprache schon selber für uns dichtet. Ohne nachahmen zu wollen, wiederholt der Dilettant, selbst ohne es zu wissen, das schon oft Gesagte.« – Seine fein gewendeten Stanzen erzählten in zartem Bilde von dem unerwarteten Glück, in so ausgewählter Gesellschaft auf wenige Minuten den Dichter spielen zu dürfen.

Der Fremde las ein Sonett, daß die nahe, begeisternde Schönheit der edelsten Jungfrau, die Mutter derselben, die große Fürsten, deren Anblick er gewürdigt worden, ein Garten, zur himmlischen Wollust und Traumseligkeit erschaffen, alles dies ihn zwinge, die höchsten Töne der Poesie anzuschlagen; aber die Muse schüttle das Haupt und lege den schönen Finger auf die Lippen, ihm zuflüsternd: »Eben weil du zu glücklich bist und zu selig im Genuß, kannst du in diesem Augenblick nicht dichten, lebe und sei zufrieden: Schmerzen und Poesie werden schon zu dir zurückkommen.«

Vittoria sah den Fremden verwundert an und dann sinnend vor sich nieder, denn dieses Sonett schien ihr vortrefflich und von einem echten Dichter herzurühren. Dann sagte sie mit großer Lebhaftigkeit: »Die Herren alle, selbst unser Vorstand, haben in ihren Versen das aufgegebene Thema nicht einmal erwähnt, viel weniger durchgeführt; alle verbeugen sich mit der höflichen Entschuldigung, nicht dichten zu können, und ich Ärmste habe mich, wie wir unterdrückte Weiber immer müssen, geschmiegt und im Gehorchen ein schlechtes und langes Gedicht geschrieben.« – Sie las eine Kanzone, deren Inhalt ohngefähr dieser war:

»Gewalt der Liebe.

Alles, so sagen die Dichter und viele andre Sterbliche, wird von der Liebe regiert. Ich, zu jung, um sie zu kennen, zu schüchtern, um sie herauszufordern, wie soll ich sie besingen? Wohl sind mir viele der Hymnen bekannt, die ihre Gottheit verherrlichen sollen; aber auch andere dithyrambische Gesänge, in welchen Venus und Amor nicht minder kräftig geschmäht und gelästert werden. Da erscheinen alte Fabeln und große historische Sagen vor meinem Blick. Das mächtige Kind der Tauben, die hohe Semiramis, fand sich plötzlich als Königin von Babylon. Eine große und schöne Stadt, doch zu klein und unbedeutend für ihre schaffende Phantasie. Ihre ganze Seele ward trunken, als sie den großen Schatz des Goldes, die unermeßlichen Reichtümer in ihren Kammern entdeckte. Künstler, Staatsmänner, Diener und Bürger, Maurer, Steinmetzen und Handlanger kamen nun ihren königlichen Träumen willig entgegen.

So erhob sich aus diesen Kammern und ihrem Geiste dies Babylon, das Wunder der Welt. – Wie aber, wenn ein andrer Geist, vielleicht ebenso stark und kühn, diese Paläste, Türme, hängenden Gärten und ewigen Mauern aufführen wollte und fände nur ein kleines, kleines Kapital in seinem Vermögen? Ein lächerliches Unding würde entstehen, ein armseliger, verächtlicher Versuch, vor jedermann zum Spott oder zum Mitleid den Bauenden hinstellend. – So vergleiche ich dem großen, mächtigen Willen dieser schaffenden Phantasie die Liebe, und der Gegenstand, auf den diese Liebe sich wirft, sind (ein seltner Fall) die unerschöpflichen Goldkammern der Semiramis – oder – das armselige Vermögen, aus welchem sich mit Sicherheit und als vollendet nur eine Hütte zusammenflicken läßt. Laß ruhen das Bauen und entsage der Liebe, wenn der Geist, den du lieben und anbeten, ihm gehören möchtest, nicht in seinen Tiefen die göttlichen Kräfte aufbewahrt, durch die allein die Liebe ihre Würdigung finden kann. Darum bleibe mir fern, holdselige Venus, mit deinen Gaben; denn nur im Fabelreiche wohnt der Held, dessen Seele mir als Goldstrom jener Taubentochter entgegenleuchten könnte, um die himmelhohen Türme, Paläste und schwebenden Gärten meiner Phantasie aufzubauen.« –

Der Fremde neigte sich bewundernd und küßte die schöne Hand der Dichterin, der Graf sagte in feinen Worten eine zierliche Schmeichelei, und Caporale rief ein herzhaftes: »Bravo! – Nun«, fuhr er fort, »teilt uns nach Versprechen noch ein Fragment, einige Verse aus Eurem größeren Gedichte mit, an dem Ihr arbeitet, mein verehrter Freund.«

Der Fremde nahm einige zierlich geschriebene Blätter aus seinem Mantel, indem er sagte: »Ich will euch eine Episode des Werkes vorlesen und mir über diese euer freimütiges Urteil erbitten, da viele Verständige sie schon bekrittelt oder selbst völlig verworfen haben.«

Er fing an zu lesen, von Erminien und ihrer Liebe, als Vittoria ahnungsvoll rief: »Und der Name Eures Werkes?«

»Das befreite Jerusalem«, sagte der Fremde, wie beschämt und etwas errötend.

»O, um Gottes willen!« sagte Vittoria, laut schreiend, – »so seid Ihr ja jener Torquato Tasso, von dessen Gedicht schon ganz Italien spricht, – der schon vor vielen Jahren uns den herrlichen Rinaldo gab, – von dem der himmlische Aminta herrührt, von welchem uns der tückische Caporale einzelne Stellen, wie die über das goldene Zeitalter, mitgeteilt hat. – Ha! Bösewicht!« so wendete sie sich an diesen, – »also so boshaft könnt Ihr sein, den großen Dichter so zu verschweigen?«

»Es geschah in guter Absicht«, sagte der Alte lächelnd. »Wußtet Ihr, wer Euer Gast war, so hieltet Ihr gewiß mit Eurem Wesen an Euch; denn das liegt einmal in unsrer Natur, daß wir es einem Fürsten oder großen Manne durchaus recht machen und keine Blöße geben wollen, keinen Widerspruch versuchen. Wußtet Ihr, wer dieser Unbekannte war, hättet Ihr Euch gewiß nicht mit ihm gezankt. So aber seid ihr nun wie alte Bekannte, und ich bin mit mir zufrieden, daß ich es durchgesetzt habe: denn er wollte erst gar nicht einwilligen, weil er meinte, es setze Eitelkeit und Stolz voraus, so inkognito in eine liebe Familie einzutreten.«

»Niederknien müßte man,« rief das lebhafte Mädchen wieder, »so ist es ziemlich, wenn eine Gottheit den Sterblichen würdigt, seine niedere Hütte zu besuchen.«

Sie erhob sich und eilte in heftiger Bewegung zur Tür. »Wie könnt ich es verantworten,« sagte sie eilig, »wenn ich nicht meine Mutter und den Bruder davon benachrichtigte, welchen Gast wir heute bewirtet haben.«

Als die Männer allein waren, sprach Graf Pepoli mit großem Verstande zu Tasso über das Glück, ihn persönlich kennen gelernt zu haben. Tasso war aufgeregt und konnte mit den Lobsprüchen, die der gebildete Mann ihm mit der größten Überzeugung und Aufrichtigkeit spendete, wohl zufrieden sein. Die Mutter und Flaminio erschienen, und der Gast sah sich, von so vielfältiger Verehrung und Freundschaft angeregt, um so mehr veranlaßt, jene berühmte und schöne Stelle seines Gedichtes, die damals von so vielen anmaßlichen Kennern und Kritikern verworfen wurde, mit Freude und Genugtuung vorzutragen.

»Wie trocken und nüchtern«, sagte die begeisterte Vittoria am Schlusse, »muß die Seele dessen sein, der die Schönheit dieser Dichtung nicht empfindet. – O teurer, einziger Mann! ich hoffe, wenn Ihr nur irgend in Rom verweilt, daß wir uns noch wiedersehn; aber für jetzt schlagt mir meine Bitte nicht ab, daß ich die Hand, die so schöne, so himmlische Worte niederschrieb, in innigster Verehrung an meine Lippen drücken darf.«

Tasso erhob sich und sagte: »Beschämt mich nicht so sehr, schöne Jungfrau. Aber der Dichter dürfte vielleicht vor allen andern sterblichen Menschen ein andres Anrecht in Anspruch nehmen, welches ihm die Musen verliehen haben. Laßt mich, in Gegenwart Eurer verehrten Mutter, zum ewigen Angedenken dieser schönen Stunde einen Kuß von diesen schönen Lippen pflücken.«

Die beiden dichtenden schönen Wesen umarmten und küßten sich innig, und es blieb in diesem poetischen Taumel nicht bei dem einen erbetenen Kusse, da Tasso fühlte, daß sie seine begeisterte Berührung mit den süßen, vollen Lippen erwiderte.

Als man Abschied nahm, sagte der Graf: »Ich würde um die Erlaubnis nachsuchen, morgen meinen Besuch wiederholen zu dürfen, wenn mich nicht teure Verpflichtungen nach Rom hinzwängen. Ein Verwandter von mir, ein ferner Vetter, aber ein reicher Mann, ist von den Banditen aus Subiaco, dort im Gebirge, fortgeraubt worden, und die Räuber verlangen für ihn ein unermeßliches Lösegeld. Das schlimmste aber ist, daß keiner weiß, wohin sie den Armen geschleppt haben. Nun sind viele eingefangen und nach Rom gebracht worden, und von diesen ist mir einer bezeichnet, der vielleicht die Kunde, die genaueste, von jenem Vorfall haben mag.«

Die Fremden beurlaubten sich, und Flaminio geleitete sie, um dem großen Tasso, den er innigst verehrte, noch einige Zeit näher zu bleiben.

»Wir reisen morgen auch nach Rom«, sagte die Mutter plötzlich zur Tochter.

»Himmel!« rief Vittoria, »wie erschreckst du mich, Mutter! Ich hoffte, wir würden die Villeggiatura noch recht fröhlich hier fortsetzen, da jetzt erst so manche unsrer Freunde herausziehn werden; denn der Herbst hat ja erst angefangen.«

»Es muß sein«, sagte die Matrone.

»O Mutter!« klagte die Tochter, »ich kann es dir nicht aussprechen, wie schrecklich und gespenstisch mir diesmal die Stadt vorkommt. Dies große, ewige Rom, um das uns so viele Fremde beneiden und den Aufenthalt dort als einen glückseligen preisen – o wie greulich, furchterfüllt, entsetzlich erscheinen mir diesmal seine Straßen und Plätze! Ich habe eine Vorempfindung, als wenn mir dort das allergrößte Unglück meines Lebens begegnen, als wenn ich dort untergehen müsse. O laß uns noch verweilen. Warum diese Hast?«

»Warum?« rief die geängstete Mutter; »weil ich Kinder habe, die mein Stolz und meine Freude sein sollten und die mir zur Höllenqual werden. So wisse denn, Unglückselige, daß sie unsern Marcello zum zweitenmal eingefangen haben: in dem Briefe, den ich heute erhielt, spricht man von Hinrichtung, wenigstens von der Galeere. Er hat sich wieder bei den Banditen betreffen lassen. Ich muß nach Rom; unser Schützer, der Kardinal Farnese, muß sich unsrer annehmen, sonst sind wir verloren.«

»Um Gottes willen,« sagte Vittoria in Tränen, – »dieser unglückliche Bruder – diese seine Unruhe und Wildheit, die er für Kraft und Tugend hält! Aber Liebste, o du meine einzige Freundin! schütze mich nur dort vor allen den rohen, unbändigen Gesellen, die mich zu lieben vorgeben, die meine Freier vorstellen wollen. O dieser abscheuliche Luigi Orsini, dieser entsetzliche Mensch, so im Wesen, wie ich mir den Herzog Alexander Medici von Florenz oder gar den verruchten Cesare Borgia denke, – o nur vor diesem und andern seines Gelichters beschütze mich, – sonst wäre mir ja wahrlich besser gewesen, dort im Wassersturz unterzusinken.«

»Darüber beruhige dich, meine Tochter,« tröstete die Mutter, – »dieser Orsini, dieser Ludwig soll nicht über unsre Schwelle schreiten.«

»Gib mir noch ein Versprechen!« rief Vittoria. –

»Nun?« –

»Daß du deine Einwilligung gibst, daß ich mich gar nicht zu vermählen brauche! Ich hasse, ich verachte die Männer! Ich könnte eher einen vergiften, als mich ihm unterwerfen. Dies scheint mir das ärgste, schändlichste aller Verbrechen. Nein, Mutter, zwinge mein Gemüt nicht, daß es sich empört und sich lieber in alle Greuel taucht, die Namen haben, als daß es sich der Gemeinheit ergibt, die so viele jämmerliche Menschen Tugend und Notwendigkeit nennen.« –

»Tochter! Tochter!« sagte Julia geängstigt, »vielleicht empfinde ich in Zukunft um dich noch mehr Angst, als mir jetzt der unglückliche Marcello macht. O Gott! Was ist das Leben? Rüste dich zur Reise.«

Als sich Vittoria allein sah, blickte sie zum Abendhimmel empor. – Der Mondschein zeigte ihr die Berge, sie hörte in der Stille der Nacht den Wasserfall brausen. »Lebt wohl,« rief sie, »alle ihr geliebten, teuren Wiesen und Bäume! – Hab ich nicht heut gesehn, daß dieser göttliche Tasso auch nur ein Mann, ein schwacher Mann war? – Nicht stärker als Camillo. – Wo find ich ein Wesen, das ich ehren und lieben könnte? – Gut denn: der Tiberstrom wird immer noch ebenso tief sein wie der Teverone: – wenn man frei sein will, wahrhaft will, so gibt es kein Schicksal, das uns Ketten anlegen könnte!«


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