Ludwig Tieck
Victoria Accorombona
Ludwig Tieck

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Drittes Buch

Erstes Kapitel

So war die Ruhe in der Familie der Accoromboni hergestellt worden. Der junge Gemahl fühlte sich glücklich, Vittoria lebte still und ruhig, den weiblichen Arbeiten oder dem Lesen ihrer vielgeliebten Schriftsteller hingegeben, bald spielte sie auf der Laute und sang mit ihrer wohltönenden Stimme die zarten Lieder, von denen sie selbst viele erfunden hatte, bald dichtete sie und schrieb Briefe an ihre Freunde. Viele Sonette und Kanzonen oder Stanzen ließen damals ihre Freunde und Verehrer, denen sie sie mitgeteilt hatte, drucken, doch ohne ihren Namen; manche ihrer Poesien liegen noch in den Bibliotheken Italiens als Manuskript verborgen. So schien sie vergnügt und ihres einförmigen, stets mit denselben Genüssen wiederkehrenden Lebens gewohnt, mit sich und aller Welt zufrieden.

Das Haus der Accoromboni, jetzt Peretti, war von Fremden und Gelehrten, auch Vornehmen mehr als je besucht. Alle Welt sprach von der Wissenschaft, Tugend und dem Talent der schönen Vittoria, und diese Besuche von ausgezeichneten und vornehmen Frauen und Männern, die poetischen Akademien, die Improvisationen, Musik und Gesänge, zuweilen der Vortrag einer gelehrten oder philosophischen Untersuchung, scharfsinnige Streitfragen und zierliche Disputationen, alles dies hatte das anmutige Haus gleichsam zu einem Musenhaine umgeschaffen, in welchem sich der heitere Mann wie der ernste Jüngling wohlgefiel. Der Kardinal Farnese besuchte wie sonst die Familie, ja fleißiger, weil er jetzt manche seiner Freunde, Bekannten und noch mehr Unterhaltung hier fand als vorzeiten. Er war immerdar fein und artig, und kein Augenblick verriet mehr seine ehemalige Leidenschaft, so daß man glauben mußte, daß er von dieser gänzlich geheilt sei. Er nahm sich mit großer Freundschaft des jungen Peretti an, und dieser durfte ihn oft besuchen und an seiner Abendgesellschaft in seinem Palaste teilnehmen, welches noch öfter geschehn sein würde, wenn ihn nicht sein Oheim, der Kardinal Montalto, der ehemalige Frater Felix, vor diesem Umgang gewarnt hätte. Denn da dieser sich immer mehr dem Hause Medici und dem Kardinal Ferdinand anschloß und die Mediceer und das Haus Farnese in offner Feindschaft lebten, so konnte Montalto nicht wünschen, daß sich sein junger unerfahrner Neffe zu genau mit ihrem mächtigsten Gegner verbände; er warnte diesen daher vor jenes Treulosigkeit und Falschheit, die Farnese mit gewandter Klugheit sehr geschickt zu verbergen und durch seine Liebenswürdigkeit der Tücke und Bosheit den Anschein der Treuherzigkeit zu geben wisse.

Die Mutter, Donna Julia, hatte sich seit der Vermählung von der Tochter auffallend zurückgezogen Sie behandelte diese ganz anders als vormals, denn sie fühlte wohl, daß Vittoria in dieser neuen Lebensepoche ganz selbständig und unabhängig sein müsse. Es schien auch, als sei durch jenen letzten gewaltsamen Sturm der Leidenschaft ein gewisses scheues Mißtrauen zwischen beide getreten, so daß sie sich ebensosehr vermieden, als sie sich gegenseitig beobachteten. Beide fühlten es wohl, ohne es sich zu gestehn, daß jenes frühere unbedingte Vertrauen, jene hingebende, rücksichtslose Mitteilung vorüber und erloschen sei: beide Geister waren voreinander erschrocken, und durch den Schreck, der sich zwischen sie geworfen hatte, waren sie sich fremd geworden. Waren sie allein beisammen, so sprachen sie über Gegenstände der Literatur oder gleichgültige Sachen, so daß nun in späten Jahren die Mutter an sich irre wurde, ob sie ihren Kindern auch die richtige Erziehung gegeben habe. Der Abt, welcher jetzt eine einträgliche Präbende durch Montaltos Bemühungen in Rom erhalten hatte, war in seinen Äußerungen fast feindselig gegen die Mutter und die mit Mühe durchgesetzte Vermählung seiner Schwester. Er sprach bei jeder Veranlassung geringschätzig von Montalto, behandelte dessen Neffen, den jungen Peretti, mit unverhohlner Verachtung und machte ganz auffallend dem alten mächtigen Farnese den Hof, dem er oft aufwartete und welcher ebenfalls den jungen Mann mit der größten Auszeichnung behandelte.

Montalto, welcher fast alle seine Zeit den kirchlichen Pflichten und frommen Übungen widmete, besuchte nur selten die Familie, und wenn es geschah, so war es nur in jenen Stunden, von denen er wußte, daß er sie allein und ohne Gesellschaft finden würde. Mit der Mutter unterhielt er sich am liebsten, deren Geist und Verstand er verehrte; vor der Tochter, so sehr ihm ihre Schönheit auffiel, so sehr er sich über ihre scharfen Urteile verwunderte, schien er doch eine Art von Furcht zu fühlen, wie vor einem ihm ganz fremden Wesen. Lieber war ihm der schwache, unbedeutende Flaminio, den er gern zuweilen belehrte und ihn freundschaftlich auf dieses und jenes aufmerksam machte, was der leichtsinnige Jüngling noch niemals beachtet hatte. Geflissentlich vermied er dagegen, wo er nur konnte, den ungestümen Marcello. Er hatte selbst den Dank des jungen Mannes für die Lebensrettung nicht annehmen wollen, weil er sich dieser seiner Wohltat schämte. Er wollte sich überhaupt an diesen Punkt niemals erinnern lassen, weil diese Landplage der Banditen, sooft er nur von ihr hören mußte, ihn in Zorn versetzte, und leider wurde jedermann in Rom nur allzuoft, ja stündlich, durch Furcht, Missetat und erschreckende Nachrichten aus den Provinzen und Gebirgen an diese Pest des Staates gemahnt. – Marcello fühlte wohl, wie widerwärtig seine Gegenwart dem verehrten Alten war, er verließ daher in der Regel das Zimmer, sowie Montalto eintrat. –

»Welche Freude«, sagte die Mutter in manchen Stunden zu sich selber, »habe ich denn eigentlich nun an meinen Kindern oder jemals an ihnen gehabt? Wie war es nur möglich, daß Marcello mit diesen Gesinnungen an meiner Seite aufwachsen konnte? Ihm vertraut keiner; welche Stelle wird er in der Gesellschaft einnehmen können? Sooft ich Vittoria betrachte, fließt ein leiser Schauer durch meine Nerven, wenn ich mich ihrer leidenschaftlichen Reden und Gedanken erinnere. Und warum will dieser Flaminio so gar nicht zum Manne werden? Er ist gut, ja, weil gar keine Kraft in ihm ist, böse zu sein! Und der Älteste? Was ist es mit ihm, daß er so gar keiner Liebe fähig zu sein scheint! Er hat es ganz vergessen, wie ich für ihn gesorgt, was er mir zu verdanken hat.« – So quälte sie sich und machte sich Vorwürfe, daß sie gegen eines ihrer Kinder zu strenge, gegen ein andres zu schwach und nachgiebig gewesen sei, daß sie durch ihre freie Gesinnung, die sie selbst immer geäußert, sie vielleicht unfähig gemacht habe, sich dem bürgerlichen, gewöhnlichen Leben zu fügen.

Der alte mürrische Sperone hatte vor seiner Abreise auch noch einigemal die Familie besucht, sich aber in ihrer Umgebung nicht allzusehr gefallen, weil man ihm nicht unbedingt in allen Behauptungen recht geben wollte. Er äußerte zu seinen Freunden: »Diese Vittoria erinnert mich an jene ehemals berühmte Tullia Aragona, die ich in meiner Jugend wohl einigemal gesehn habe: nur erscheint mir diese neue anmaßliche Muse viel schöner, und ihr Ausdruck ist ein tragischer, als wenn ihr Schicksal nicht so gleichgültig und mittelmäßig wie jener Tullia ausgehen könnte. Bei solchen Gesichtern fällt dem gereiften Manne, der von den Reizen nicht mehr bestochen wird, vieles ein: sie kommen mir vor wie jene Bildchen und großartigen Physiognomien, mit denen oft gute Künstler unsre Dichter in Andeutungen und Allegorien haben ausschmücken wollen: sind diese kleinen Werke in ihren Verbindungen und Gruppen auf dem Titel oder den Blättern selbst anziehend und gut geraten, so lieset man in ihnen selbst wieder ahnend ein Gedicht.«

Caporale, sooft er sich in Rom aushielt, besuchte das Haus sehr fleißig. Er war allen Mitgliedern der Familie notwendig geworden, denn jedes fand in ihm das Vertrauen belohnt und erwidert, indem er allen auf fast gleiche Weise mit unparteiischer Liebe zugetan war, wenn er auch Vittoria so auszeichnete, daß seine Freundschaft an unbedingte Verehrung grenzte. Über ihr eheliches Verhältnis sprach er niemals zu ihr, weil er es wohl gefühlt, wie sie es vermied, auch nur das kleinste Wort über diesen Gegenstand fallen zu lassen. Er zwang sich, gegen den jungen Gemahl freundlich zu sein und ihn zuweilen mit einer gewissen Ehrerbietung zu behandeln: doch erschien es ihm in vielen Augenblicken als eine komische Begebenheit, daß dieser unreife Jüngling in einem Hause, in welchem Kunst, Poesie und Gelehrsamkeit herrschten, durch welche die beiden weiblichen Wesen allen Männern interessant waren, als Oberhaupt der Familie sich ziemlich unwissend zeigte und es gern, wenn er konnte, vermied, an den literarischen Gesprächen oder poetischen Übungen teilzunehmen. Zwar war es nicht zu verkennen, daß der junge Mann sich eifrig bestrebte, nach allen Richtungen hin seine Kenntnisse auszubreiten, allein die Grundlage seiner Bildung war zu schmal, und es fehlte ihm ganz an jenem Enthusiasmus, der auf seinem kürzeren Wege den Geist mit Schätzen bereichert und selbst ein Weniges zu Vielem machen kann.

Als Caporale an einem Abend das Haus verließ, kehrte er in der Tür des Zimmers noch einmal um und wendete sich zu Mutter und Tochter: »Ich muß euch, werte Freunde, doch noch ein kleines Abenteuer erzählen, welches mir vor wenigen Tagen begegnet ist. Ihr wisset schon, wie gern ich im Lande umherstreife, am liebsten allein, wo die Straßen nur irgend sicher sind. So war ich nach Albano hingeraten, ganz meiner Laune und den Gedanken der Einsamkeit ergeben, indem ich in einem kleinen Hause vor der Stadt mein Quartier genommen hatte. Bei meinem Umherstreifen, auch im Hause selbst, hatte ich zuweilen einen großen, starken Mann von herrischem Aussehen wahrgenommen, der mir durch sein Wesen, Miene, Anstand und Gebärde außerordentlich auffiel. Ich wollte endlich nach Rom zurückkehren, und siehe da, meine Geldbörse war mir irgendwo entwendet worden, oder ich hatte sie im Gebirge verloren. Der Wirt des Hauses, der mich nicht kannte, weil ich es liebe, ohne Titel und Würden auf meinen Zügen zu leben, fing in seiner Weise ein lautes Gezänk an, sprach von Landstreichern und Betrügern und benutzte mein Phlegma, sich immer eifriger in seinen Komödienzorn hineinzuarbeiten. Plötzlich flog der Mann in einen Winkel seiner Stube, und ich begriff nicht, welche Gewalt ihn dahin gezaubert hatte, als ich in selbem Augenblick meinen Unbekannten vor mir stehen sah. »Lump!« rief er jenem zu, der sich am Boden krümmte, »so einen Edelmann zu behandeln! Siehst du nicht, wen du vor dir hast?« – Der bleiche Mensch empfing zitternd aus der Hand des Starken seine Bezahlung und ein übriges, um ihm den Schreck zu vergüten. Als ich dem Fremden meinen Namen zugleich mit meinem höflichen Dank sagen wollte, rief er: »Unnötig, laßt uns noch eine Weile so namenlose Bekannte und Wandersleute bleiben. Erlaubt mir, ebenfalls für Euch ein simpler Reisender zu sein.« – So streiften wir noch einige Tage umher, und als wir ankamen, sah ich, daß er ein Haus nicht weit von der Porta Capena besitzt, wo er nach seinem Eigensinn fast ohne Bedienung lebt. Seitdem haben wir uns öfter dort im Felde wiedergesehn. Ich habe ihm viel von euch erzählt, und er wünscht lebhaft, daß ich ihn bei euch einführen möge. Aber er ist eine Art von Menschenfeind, besonders hat er, so scheint es, einen Haß auf die große Welt. Als er erfuhr, daß euch der übermütige Farnese nicht selten besucht, gereute ihn schon sein ausgesprochener Wunsch, doch bittet er durch mich, wenn ihr einmal allein seid, ihm zu erlauben, euch zu sehen, und wenn ich nicht irre, seid ihr morgen abend ohne Gesellschaft. Darf ich den barschen Mann dann bringen?«

»Gern,« sagte Vittoria, »nur hütet Euch, Bester, daß Ihr keinen von den berühmten Banditen in unsere Haushaltung führt, die uns nachher wohl gar ausrauben und ermorden.«

Caporale lachte laut und erwiderte: »Nein, schöne Freundin, den Anschein hat er durchaus nicht: er eröffnete mir endlich, er sei ein wohlhabender Kaufmann aus der Lombardei und habe sich von dort entfernt, weil die Pest, wie wir alle wissen, in Oberitalien auf eine furchtbare Art wütet.«

»Du vergissest, Vittoria,« sagte die Mutter, »daß morgen der Celio Malespina hier sein wird und Euer junger Freund, Don Cesare, der redselige Boccalini.«

»Die beiden werden ihn wohl nicht stören oder ihm im Wege sein,« sagte Caporale, »doch will ich es ihm ankündigen, damit er kommen oder wegbleiben kann. Ihr seid aber auch von der Güte, alle andern Fremden zurückzuweisen.«

So geschah es. Die Familie war am andern Abend versammelt, und der junge Boccalini, ein großer Verehrer des Dichters Caporale, hatte sich zuerst eingefunden. Bald darauf erschien Malespina, der in Florenz bei dem Herzoge Francesco, welcher erst vor einigen Jahren die Regierung angetreten hatte, seit einigen Monden die Stelle eines Sekretärs bekleidete. Er war jung und wohlberedt, und sein neuer Eintritt in die große Welt, wo er plötzlich blendende und mächtige Verhältnisse aus seiner Nähe in einem andern Lichte sah, schien ihn sehr glücklich zu machen. Er spottete mutwillig über viele Gegenstände, die ihm vor einem Jahr vielleicht ein ehrfurchtsvolles Schweigen aufgelegt hätten. Er kannte außerdem die Literatur und viele Gelehrte persönlich. –

Jetzt trat Caporale mit seinem neuen Freunde ein. Dieser begrüßte sie alle höflich, mit den feinen Manieren eines Weltmanns, sagte dann schmeichelnd, wie er seit lange gewünscht, die berühmte Accorombona näher und persönlich kennen zu lernen, deren Ruhm durch ganz Italien verbreitet sei: er fühle sich überrascht, daß der Ruf der Schönheit von einem so zauberischen Wesen noch zu wenig gesagt habe. Auch der Mutter war er verbindlich und vergaß oder übersah auch Peretti nicht sowie die beiden Fremden, so daß er sich durch sein sicheres Wesen und seinen gebildeten Ton, der ihn als einen Mann von tiefer Erfahrung und mannigfaltigen Schicksalen ankündigte, mit allen Gegenwärtigen sogleich in ein gutes Verhältnis setzte.

Celio Malespina erzählte von Florenz, Boccalini spöttelte über einige römische Gelehrte und berühmte Staatsmänner, Caporale suchte die zu scharfen Urteile zu mildern, und Virginia war so ausschließend mit der Betrachtung des Fremden beschäftigt, dessen Sonderbarkeit ihr auffiel und sie fesselte, daß sie fast nur mit einigen lachenden Antworten an dem Gespräch der übrigen teilnehmen konnte. Auch die Mutter beobachtete diesen, und sie suchte emsig in ihren Erinnerungen umher, ob sie dem bedeutenden, großen und stark gebauten Mann, mit diesem feurigen, gebietenden Auge, nicht schon früher in ihrem Leben begegnet sei. Peretti drückte eine gewisse Scheu und Furcht vor dem Fremden aus und war in seinen Äußerungen, wenn er an der Unterhaltung teilnahm, noch furchtsamer und blöder als gewöhnlich.

Malespina erzählte, daß jetzt einige unvollendete Gesänge des Befreiten Jerusalems von Tasso nach Florenz gekommen seien, die den ganzen Hof in Entzücken versetzt hätten. »Es ist wohl gewiß,« fuhr er dann fort, »daß dieser junge Mann jetzt der größte Dichtergenius unsers Vaterlandes ist. Es erheben sich sogar hie und da einige Stimmen, die ihn schon über unsern großen Ariost erheben wollen.«

»Über das ewige Streiten und Erheben und Subordinieren!« rief Caporale unwillig aus. »In seiner Sphäre wird der göttliche Ariost niemals wieder erreicht werden; Tasso betritt, soweit ich sein herrliches Gedicht kenne, eine ganz andere Region der Poesie. Diese beiden magischen Kreise können sich in keiner Gegend ihres Zauberbanns berühren. Die Kristallpaläste Ariosts sind vom strahlenden Lichte des Scherzes und der Lust umgossen, vom zarten Mutwillen durchströmt, und der Ernst des Lebens ist in ein leichtes, wenn auch tiefsinniges Spiel verwandelt. Tasso wandelt mit den Gestalten seiner Sehnsucht und Poesie in einem grünen, dämmernden Hain, die Liebe ist süß, doch ohne Schalkheit, Krieg und Abenteuer, Helden und Jungfrauen, alle sind von einer sanften Weihe durchdrungen, und eine freundliche Wehmut erfaßt und durchschauert unsern Geist, indem wir uns dem poetischen Taumel ergeben. Wie so ganz anders das blendende, verwirrende und verlockende Labyrinth unsers Ariost! wo uns im innersten Gemach, wenn es in diesem neckenden Garten ein solches gibt, statt des Minotaurus ein Reigen scherzender und übermütiger Nymphen und Satyrn überrascht, die uns laut wegen unserer Erwartungen verlachen.«

»O wie wahr!« rief jetzt Vittoria aus; »mag Ariost für den Kenner, welcher die Wagschale in prüfenden Händen halten darf, der größte Dichter sein, unser zärtlicher Tasso wird sich immer neben ihn stellen dürfen.«

Boccalini sagte: »Glaubt mir, auch die schönsten Werke müssen erst, den Mispeln ähnlich, eine Weile still und ungenossen liegen bleiben, bis sie für den Gaumen der Menge die weiche Reife erlangt haben, daß diese den Geschmack an ihnen findet. Der Enthusiastische versteht sie früher und gewissermaßen im voraus, so wie der wilde, leicht erhitzte Ungebildete bald dieses, bald jenes wesenlose Gespenst als seinen Gott anbetet und ihm einen Dienst weiht, der viel größer ist als der nüchterne Götze selbst.«

Der wohlbeleibte Fremde warf dem jungen Mann einen scharfen prüfenden Blick zu, indem er bemerkte: »Wahr! Die Begebenheit aller Zeiten; aber ist die Zeit selbst immer die Wurfschaufel, welche die Spreu links und die Körner rechts wirft? Und hat selbst die Geschichte, die unbefangene Nachwelt niemals geirrt? Ja, wenn diese sogenannte Zukunft nicht zerstreut und vergeßlich wäre! Sie vergißt auch nur allzuoft an den neuen Schätzen, was sie schon früher an Juwelen besaß; das Neue ist ihr oft nur das Bessere, weil die Politur die frischere ist und das massive Gold voriger Tage von Staub unkenntlich gemacht wurde. Hat nicht der leuchtende Ariost und der spaßhafte Berni unsern edeln Bojardo zu früh in die Vorratskammer der Altertümer hineingestellt?«

»Gewiß!« rief jetzt Donna Julia aus, »und es freut mich, daß ein edler Sinn einmal diese gehaltreiche Frage aufwirft. Der Erfindungsreiche hat uns diese Bahn geebnet, er war trunken im süßen Wein der schönen Fabel, und nun hat er doch Undankbaren die duftenden Trauben seines reichen Berges gekeltert.«

Vittoria betrachtete mit Freuden ihre Mutter, von deren schönem Munde ein so poetischer Ausspruch gefallen war.

Malespina erzählte wieder vom Tasso, wie er, seinen Nachrichten zufolge, unzufrieden am Hofe von Ferrara sei, wie er sich fortsehne und besonders mit dem florentinischen Fürsten, dem Großherzoge Francesco, in heimlichen Unterhandlungen stehe. Auch sei ihm der Fürst geneigt, und vielleicht noch mehr dessen Geliebte, Bianka Capello. Nur sei der Poet so schwankend und unentschlossen, daß die Anfragen und Unterhandlungen niemals weiterrückten: und der florentinische Hof wolle natürlich auch nicht zu rasch und bestimmt entgegenkommen, um dem Herzoge Alfons, der schon seit Jahren die Mediceer hasse, keine Blöße zu geben. – »Überhaupt«, fuhr Malespina fort, »wird den armen, krankhaften Tasso früher oder später ein unglückliches Schicksal ereilen. Er ist verzogen worden und zugleich gedemütigt; manche erheben ihn seines Gedichtes wegen zum Gott, andere tadeln eigensinnig und unermüdlich, und er ist schwach genug, alle, die für Kenner gelten, anzuhören und ihnen selbst das Richtschwert in die Hand zu drücken. Wollte er allen folgen, so bliebe kein Vers seines Werkes übrig oder unverletzt; das Notwendigste und Schönste würde ganz verworfen, weil die pedantischen Kritiker diese herrlichen Zwischenhandlungen unter dem Namen der Episoden verdammen, welche nach ihrer Einsicht in keinem epischen Gedichte sein dürfen. Wehrt sich der Ärmste nun rechts und links gegen diese Vertilger, so muß er die alten Phrasen von der Poeteneitelkeit hören, von dem leicht erregten Zorn der Dichter und dergleichen lateinische Sprichwörterchen. Er meint es ernst mit seiner Dichtung, vielleicht zu ernst, seine Splitterrichter aber pedantisch; diese nun, zum Erbarmen, indem sie ihn schmerzlich verletzen, spielen die Gekränkten und Beleidigten, als wenn er ihnen noch großen Dank sagen müßte, daß sie das Werk, dem er Jahre von Fleiß, Studium und Liebe geopfert, das ihn so viele Nachtwachen gekostet hat, zerfleischen und vernichten.«

»Ja, ja,« sagte Caporale, »ein solches Elend kann nur ein Dichter ganz mitfühlen.«

»So soll der Unglückliche«, fuhr Malespina fort, »jetzt mit sich und der ganzen Welt unzufrieden sein. Er wünscht zu reisen, je weiter, je lieber: der Herzog Alfons aber will ihn nicht entfernen; manche der Hofleute, die ihm neidisch sind, möchten ihn vertreiben, falsche Freunde halten ihn wieder fest, um sich schadenfroh an seinem Kummer zu weiden, daß derselbe Mann schon so tief gesunken ist, den sie eine Zeitlang so sehr über sich erhoben sehen mußten.«

»Man möchte weinen,« rief jetzt Vittoria mit bewegter Stimme aus, »wenn man es sieht, wie in unserm armen Vaterlande der Genius, fast wie ein Hofhund, an den Ketten fürstlicher Gnade gefangen liegt. Ein Spielwerk der Launen, ein Putz für den Hochmut, ohne wahre Achtung und noch weniger Liebe: wie das Talent nicht erkannt und dennoch in Knechtespflicht gehalten wird, dann zufällig aufgeopfert, oft dem gemeinsten Interesse sogar geschlachtet. – O, das wäre ein Gegenstand für unsere Tragödie, viel ergreifender und durchdringender als jene kalten Exerzitien eines Sperone und Triffino.«

»Jawohl«, erwiderte Malespina. »Aber er selbst, unser Torquato, ist allzu schwach. Selbst seinen gutgesinnten Freunden zwingt er durch manche Dinge ein halbverachtendes Lächeln des Mitleidens ab. Könnt ihr es glauben, Verehrte? Er hat sich neuerdings so weit erniedrigt, daß er sich zum Inquisitor begeben und sich über seine Rechtgläubigkeit hat examinieren lassen. Dieser hat ihm ein Zeugnis ausstellen müssen, daß er ganz mit ihm zufrieden sei, so wie man es wohl Kindern oder jungen Kandidaten gibt. Aber das ist ihm nicht genug, auch nicht, daß gelehrte, ihm wohlwollende Bischöfe ihn einen orthodoxen katholischen Christen nennen: dringend liegt er immerdar seinem Herrn an, daß er ihn nach Rom schicken soll, damit hier sein Glaubensbekenntnis untersucht werde. Er ist auch wiederum, sagt man, zu einem andern Inquisitor gewandert, der wiederum auf sein Flehen seinen ungefälschten Glauben hat bestätigen müssen. Dieser große Mann, der den Plato und Aristoteles liest und kommentiert, der selbst so schöne, tiefsinnige Dialogen schreibt, – dieser fällt so ganz von seiner Würde, – o, nicht wahr, man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll. – Es ist doch zu erbärmlich um diese unsere menschliche Schwäche.«

Als diese Worte ausgesprochen waren, stand Vittoria in der heftigsten Bewegung auf und wandelte mit großen Schritten durch den Saal; dann stellte sie sich hoch aufgerichtet vor Malespina hin und sagte mit Tränen im feurigen Auge: »Mann! Don Celio! Wo kommt Ihr denn her, aus welchem einsamen Winkel des wilden Kalabriens? Wie seht Ihr die Welt und die Menschen an, wie leset Ihr die Geschichte?«

Don Celio erschrak sichtlich vor dieser Anrede; die schöne Frau erschien ihm in diesem Augenblicke furchtbar.

»Ihr ein Hofmann?« fuhr sie mit lauter Stimme fort, »ein Menschenkenner? O wahrt Euch, wahrt Euch, daß Euch dieses Lächeln über Tasso nicht einmal den Hals bricht. Ihn verlachen, den Ärmsten? Ja, wären noch die Zeiten des Julius und Leo des Zehnten, als witzige Lästerer selbst Präbenden für ihren lustigen Atheismus erhielten, als Bembo, der galante, eben wegen seiner Feinheit Kardinal ward, als Peter, der Aretiner, von Priestern, Päpsten und Kaisern geehrt wurde. – Aber jetzt! Habt Ihr es denn gar nicht erfahren (und es ist doch noch nicht so tief in die Vergangenheit entrückt), wie Euer wahrhaft großer Fürst, der erst vor zwei Jahren gestorben ist, damals dem fromm-wütenden Papst seinen Tischfreund, seinen Vertrauten, den gelehrten Carnesechi aufopferte? den edlen Mann, der hier in Rom enthauptet und verbrannt wurde? Und weshalb ward dieser Busenfreund, den der große Cosmus, der so viel Edles und Schönes ausgerichtet hat, so schnöde auslieferte, preisgegeben? Um jenen alten Präzedenzstreit endlich zu schlichten, daß Cosmus vor Ferrara und andern ginge, die Hoheit erhielte und statt Herzog Großherzog tituliert würde. Weshalb der Haß Ferraras und der übrigen Fürsten noch fortbrennt. Kann nun Alfons, wenn er sich von seinem Hofdichter beleidigt dünkt, diesen den Religionswächtern in die Hände spielen, glauben diese in blindem Eifer wirklich oder auf höhern Befehl an Tassos Ketzerei, so darf sich der Fürst von Ferrara ohne weitere Bemühung oder Zorn zurückziehen und nur unsere liebende Kirche walten lassen. Möglich, daß Tasso zu ängstlich ist, aber ihn deshalb zu verlachen, ist wahrlich keine Ursache.«

Der Fremde, der sich nur Don Giuseppe nennen ließ, stand auch wie in Begeisterung auf, ging hin und faßte die schöne junge Frau bei der Hand, führte sie zu ihrem Sessel zurück und sagte mit bewegter, aber sehr wohlklingender Stimme: »Ihr habt da ein sehr wahres Wort über die Fürsten gesprochen, und noch mehr als diese Einsicht verehre ich Eure Ketzerei. O, was wären wir Italiener, wenn viele Tausende so dächten und diese Million denselben heroischen Mut hätte, es so laut und dreist auszusprechen!«

Die Mutter war erst über die heftige Rede der Tochter erschrocken, jetzt war sie es noch mehr über die Bemerkung des fremden Mannes und über die Art und Weise, wie er gleichsam, als wenn es so sein müsse, den ganzen Kreis ihrer Familie regierte. Vittoria sah den kecken Mann mit einem ganz eigenen Blicke an, dann senkte sie das Haupt, ward auf ihre seltsame Weise rot und dann viel blasser als gewöhnlich, und man bemerkte, so sehr sie es auch verbergen wollte, daß sie Tränen vom Auge trocknete.

Dem jungen Peretti war alles, was sich jetzt zugetragen hatte, nicht aufgefallen, er sprach eifrig mit Flaminio über eine Stadtneuigkeit. Marcello, dem alle diese Gespräche langweilig waren, hatte sich schon längst entfernt, um irgendeine seiner Gesellschaften aufzusuchen, in denen es lauter, wilder und lustiger herging.

Um wieder in die gleichgültige und ruhige Bahn einzulenken, führte Caporale das Gespräch auf die Dichtungen zurück und ersuchte seine junge Freundin, über irgendein Thema zu improvisieren; denn Don Giuseppe habe viel von dieser ihrer Gabe gehört, und wie schön sie sich in dieser Übung von Enthusiasmus und Begeisterung über alle gewöhnlichen Grenzen fortreißen lasse.

»Der fremde Herr«, erwiderte sie, »hat schon gesehen, wie unziemlich ich mich von einem gewissen Dämon kann einnehmen und beherrschen lassen, den Ihr so freundlich Enthusiasmus nennen wollt. Darum sei es für heute genug. Besser ist es vielleicht, wenn jeder ein aufgeschriebenes Gedicht von sich mitteilt, um unsern Abend auf echt italienische Weise zu beschließen. Ich bin es gern zufrieden, dann auch eine Grille herzulesen, die ich neulich gedichtet habe.«

Ohne weiter umzufragen, zog Caporale einige Blätter aus dem Busen und sagte: »So will ich den Anfang machen.« – Er las einige Kapitel aus seinem neuen komischen Gedicht über die Gärten des Mäcenas, welche alle Zuhörer in eine heitere Stimmung versetzten. Dann gab Flaminio einige Verse zu hören, die die Schwester ihm wahrscheinlich verbessert hatte. Donna Julia nahm aus dem Schrank eine moralische Kanzone, die sie mit wohlklingender Stimme vortrug, und der blonde Peretti brachte ein Lied vom Glück des Landlebens herbei, welches er so stotternd und unrichtig vorlas, daß man wohl daran zweifeln durfte, ob es auch von ihm selber herrühre.

Hierauf sagte Don Giuseppe: »Jetzt, meine Damen, da die Reihe an mich gekommen ist, fällt mir dermalen nichts ein (am wenigsten ein Vers, da ich in meinem ganzen langen Leben noch keinen geschrieben habe) als eine Stelle aus jenem weltbekannten Kindermärchen von den drei Orangen. In diesem heroischen Zaubergedicht kommt eine eiserne Tür vor, die darüber ächzt und winselt, daß sie so furchtbar knarren und krächzen müsse, weil ihre Angeln, ich weiß nicht seit wie vielen Jahrhunderten, nicht mit Öl sind getränkt worden. So müßte ich auch noch auf irgendeine Muse warten, die mir, um Verse sprechen zu können, die Kehle geschmeidig mache. Nehmt, Verehrte, diese Erinnerung an ein Gedicht für ein Gedicht und diesen meinen Scherz für Ernst.«

Boccalini las in den heiteren daktylisch-gleitenden Versen ein Gedicht, wie der erzürnte Apollo einst den schlafenden Amor überrascht habe. Noch böse über die Liebeswunden, die ihn so oft geschmerzt, habe er den tückischen Bogen des Kleinen zerbrechen wollen. Wie er ihn zusammenkrümmt, ertönt, wie klagend, die Sehne: so biegt der Gott ihn um und erschafft die Leier. Darum will sie immer nach Liebe tönen, auch oft, wenn der Musengott noch an den Weisen sucht. Der Satyr erprobt nicht selten, wenn Apollo ihm freundlich ist, das Instrument der Sehnsucht: in seiner Faust schwirrt es halb zum alten Bogen zurück und schießt oft bittere, vergiftete Pfeile. Doch unser Satyr, von Vittorias oder Junos Majestät verschüchtert, läßt dem gutmütigen Caporale nur leichte Scherze von der feinklingenden Sehne fliegen, und Apollo und Vittoria lächeln ihm Beifall.

Die übrigen applaudierten, und Virginia suchte jetzt, indem sie mehr Caporale als Boccalini mit einem lächelnden Blicke begrüßte, aus einer Sammlung vieler Blätter einige heraus und sagte: »Ich weiß nicht, soll ich diese Erfindung Ballata oder wie die Spanier Romanze oder nur Grille betiteln.« Sie las, und es waren in Versen ohngefähr folgende Worte:

»Der schwarzbraune Bräutigam.

Der junge Fürst nahm Abschied von der Braut. Sie war ihm seit einem Monat anverlobt. Er dachte nur an sie und ritt jetzt in das Gebirge hinein, um seinen Vater zu besuchen und ihn auf die Ankunft der Schwiegertochter vorzubereiten.

›Verlaß mich nicht,‹ klagte die schöne Braut, ›mir ahnet Unheil. Warum gerade in diesem Augenblicke von mir gehn?‹ –

›Ich muß,‹ sagte der Prinz und küßte sie zärtlich; ›unsere Liebe wird diese Trennung nur lächelnd überdauern.‹

›Nein!‹ klagte sie weinend; ›ich sehe dich nicht wieder. Als gestern abend die dunkeln Wolken so eilig durch den Himmel flogen, erblickte ich in ihnen lauter abscheuliche Gesichter, grinsend, in fürchterlicher Schadenfreude verzerrt. Es sind die Göttinnen des Schicksals oder Dämonen, die dir auflauern. Sie wollen uns trennen, sie wollen dich töten! sie fürchten, die Schadenfrohen, daß du deine Länder beglücken wirst, sie wollen nur Unheil säen.‹

›Gespenster‹, sagte der Liebende, ›sind nichts Wirkliches, darum zittere, darum bange nicht, mein holdes Liebetraut. Daß wir uns lieben, ist Wahrheit: davor weilt und steht kein Dämon. Deine Phantasie ist krank, die Wirklichkeit gesund. Um so viel du in Schmerzen leidest, um so mehr jauchze ich in Lust. Der gute Geist muß Sieger sein.‹

›Kannst du es wissen?‹ sprach sie und umschlang ihn inniger. ›Sie meinen es nicht gut mit uns, das habe ich in allen meinen Träumen gesehn. Du bist mir Leben, Gegenwart und Zukunft: wenn sie dich fortreißen, wo ist noch eine Zeit für mich?‹

Da ward sein schwarzes, hohes Roß vorgeführt, sein Lieblingsroß. Wie er dem edlen Tiere gut war, so war das Pferd mit wunderbarer Freundschaft dem Herrn zugetan; es hatte ihm schon oft das Leben gerettet. Und der Herr war dem Rappen dankbar. Die Liebe, die den Menschen an die Tiere knüpft, ist wunderbar.

Im Tale, tief unten, im Felsenkessel, von Schierling, Bilsenkraut und giftigen dunkeln Blumen umgeben, hausten in der Einsamkeit weibliche Dämonen. Ihre Freude war Unglück, Verderben, Krankheit. Das aufschlagende Feuer, das die Hütte des Armen verzehrte, war ihnen, wenn es durch die Nacht hin leuchtete, ein Freudenzeichen; der Verzweifelnde, wenn er ihnen begegnete, war ihnen ein Narr und Geck, an dem sie sich belustigten. Sie hatten oft den schwarzbraunen schönen Prinzen gesehn, sie liebten ihn alle, weil er so herrlich war, und alle wollten sich, gegen ihre Natur, ihm gefällig beweisen. Bald kam ihm die eine als Zigeunerin entgegen, um ihm wahrzusagen, bald kam eine andere als Bettlerin; jene, die wildeste dort, mit dem ruchlosen Auge, wollte ihm den kürzeren Fußpfad durchs Gebirge zeigen; – aber so sehr sie auch schmeichelten, so fein sie auch sangen, so tief sie sich beugten, so sehr in verwandelten Larven sie ihn anlächelten, er achtete ihrer nicht, und ihre Liebe verwandelte sich in bittere Galle und essigsauren Haß.

›Da braust er heran auf seinem nachtdunkeln Rosse‹, sagte jetzt Alrune, die mit der gelben Haut, den großen, stechenden Augen und dem langen Rabenhaar. – ›Das Pferd ist auch schön‹, sagte Geldrude, die Falsche, deren einer langer Zahn weit über den blassen Lippen vorragte. – ›Wie es stampft! die Erde zittert bis hierher!‹ sprach Gudula, die Bösartige, die die kleinen Kinder stahl und sie tot und krank aufgeschwollen den jammernden Müttern wieder in den Weg legte. – Alrune rief kreischend: ›Ich will uns alle an ihm rächen! Gebt acht, er soll den alten Vater, er soll die schöne Braut nicht wiedersehn!‹

Sie stellte sich, die Scheußliche, unsichtbar an den Weg. Da, an der Ecke des Waldes, wo kein Kruzifix, kein Bildnis der gottgesegneten Mutter in der Nähe war. – Da braust es heran, da klingt der Felsengrund, da weht der Mantel des schönen Reiters im Frühlingswind, und der Wald duftet, und die Vögel singen laut.

Sie streift, das schreckliche Gespenst, die Gewänder ab. Ein Scheusal zeigt sich den Geistern, denn das sterbliche Auge sieht sie nicht, aber die greulichen Schwestern der Unholdin freuen sich der entsetzlichen Schönheit ihrer Genossin. Wie ein brauner Zweig steht sie an der Waldecke, wie eine aufgerichtete dunkelgelbe Giftschlange, wie eine hochaufgeschossene ekle Pflanze, vor der sich die Morgenluft scheu zurückbeugt und das Licht Tau niederweint, daß es den Graus beglänzen muß.

Holla! da sprengt der schöne Jüngling heran. Er singt ein fröhlich Lied; die dunklen Locken fliegen ihm spielend nach und fächeln liebkosend seine braune Wange. Er denkt einen Liebesgesang und ruft: ›Wie schön ist die Natur! wie berauschend der Lenz! wie überglücklich ich!‹

Nun ist der Reitende dem Grausal nahe. Ihr Auge jubelt. Mit einem Sprunge ist sie hinter ihm, sitzt schrittlings; die braunen Schenkel leuchten von der Schwärze des Rappens abscheulich zurück, ihr schiefer großer Mund lacht, die weißen Zähne glänzen. Den dürren ausgereckten Arm, an dem die langen Nägel wie Klauen stehn, schlägt sie, um sich festzuhalten, dem Reiter um die Brust. Er weiß nicht, wie ihm geschieht, er sieht sie nicht, sein Herz bebt, der Rappe schaudert. – Nun sprengen sie hin, das Pferd sperrt weit die Nüstern und schnaubt, daß die vorüberfliegende Wespe forteilt im Schreck.

›Wohin, mein Rappe?‹ ruft der bestürzte Jüngling; ›du rennst aus der Bahn.‹ Das Pferd stemmt sich gegen den Zügel, es gehorcht nicht Sporn, nicht Ruf. Die Schwestern sehn es jauchzend, wie Roß und Reiter dahinstürzen über hohe und niedere Felsgesteine und bemooste Felsenblöcke; der Reiter blickt sich scheu um, er will die unsichtbare Klammer von seiner Brust lösen und vermag es nicht. Bein und Fuß schlägt die Wilde in die Weichen des Rosses, das immer toller, immer unbändiger rennt: ihr struppichtes, starres, greises Haar fliegt wie Borsten im Winde, man sieht das Grinsen des Antlitzes, das Zähneblöcken. – ›Welch böser Geist regiert mein Pferd!‹ schreit nun der Königssohn; ›was preßt mir so mit eisernen Klammern Brust und Herz, daß ich vor Schmerzen schreien möchte? – So steh denn in der Hölle Namen!‹ So reißt er mit Riesenkraft sein Pferd herum, der Rappe zittert in allen seinen Fibern wie Espenlaub, doch hinter dem Reiter schlägt die Gelbbraune die Beine schnalzend an die Weichen des Rosses, und nun stürzt es wie rasend zurück, der Hut entfällt dem Reiter, auch seine Haare flattern im Winde ihm nach, nun wüten Pferd und Jüngling heran dem Zauberkreise, dem Giftbrunnen, das Roß bricht zerschmettert nieder, der sterbende Fürst wirft noch einen, den letzten Blick in den lichten, blauen Himmel hinein und wahrnimmt die kleine Wolke, die, ihn beklagend, sanft vorüberschwimmt. –

Nun stehn sie, die Scheußlichen, mit gierig starren Blicken umher und freuen sich ihrer Tat. Was kümmert es sie, daß der Vater sich härmt und am gebrochenen Herzen stirbt, daß die Braut weint und jeder schöne Jüngling ihr nur als Leiche erscheint?  –

Und so jagt manchen ein unsichtbarer Dämon mit wilder Schadenfreude in seinen Untergang. Je schöner, je edler das verfolgte Wesen, je mehr Scheuel und Greuel sein niederträchtiger Feind, der ihn vernichtet, er weiß selber nicht warum.

Und das nennen sie nachher Schicksal, unvermeidliches Verhängnis, die kurzsichtigen Sterblichen. O, könnten ihnen doch die Augen aufgetan werden, damit sie es wahrnähmen, mit wem sie es zu tun haben« –

 

»Ei!« rief der alte Poet, »wie kommt Ihr auf eine so trübselige Erfindung? Ist dies wohl ein Gegenstand, ihn in einer heiteren poetischen Akademie vorzutragen?«

Don Giuseppe schien anderer Meinung und lobte das Gedicht. »Es mag wohl«, sagte er, »nur zu sehr ein wahres und trübes Bild unseres Lebens sein. Außerdem aber habe ich es mir zur Pflicht gemacht, alles, was die Signora Peretti tut und sagt, zu bewundern.«

»So ist es recht,« rief Vittoria, jetzt wieder ganz aufgeheitert; »eine solche Verehrung, die durchaus keinen Tadel zulassen will, ist einzig und allein die richtige. Nicht wahr, an unserm Ariost oder Dante noch mäkeln, diese Stelle so, jene anders wünschen, das ist nur die Art schwacher Geister? Und so behandelt Ihr mich, Don Giuseppe, wie ein vollendetes Kunstwerk, und ich danke Euch dafür.«

Als man sich jetzt zu Malespina wandte, sagte dieser: »Ich muß, wie Don Giuseppe, um Entschuldigung bitten; ich darf mich in einer solchen Gegenwart wohl nicht für einen Poeten geben, und wenn ich auch diese Kühnheit hätte, so trage ich doch kein Blättchen mit Versen bei mir, und mein Gedächtnis ist mir nicht treu genug, etwas ungelesen rezitieren zu können. Wenn ihr es aber nicht mit Unwillen aufnehmen mögt, so will ich euch zur Abwechselung und Aufheiterung eine jener an sich unbedeutenden komischen Begebenheiten vortragen, die sich in Residenzen und an Höfen wohl oft ereignen. Nur muß ich bei den verehrten Damen im voraus um Entschuldigung bitten, wenn die Erzählung, wie wohl die meisten komischen, hier und da, wenn auch nur ganz wenig, verletzend sein sollte.«

Caporale erwiderte: »Es läßt sich fast alles erzählen, wenn man nicht selbst eine unziemliche Lust am Unziemlichen empfindet.«

»Sehr wahr,« sagte die Mutter, »das möchte wohl die richtige Art bezeichnen, weshalb viele unserer Autoren von mir rein genannt werden, die bei andern in einem sehr übeln Rufe stehen. Wer sich selber unsittlich aufreizt, um gemeine Lüsternheit in andern zu erregen, nur einen solchen sollte man unmoralisch nennen.«

»So bin ich denn dreist genug, den Spaß, der sich wirklich so zugetragen hat, zu beginnen«, sagte Malespina.

»In unserer Residenz lebt schon seit längerer Zeit ein komischer Mann, der unzählige Blößen gibt und sich fast immer lächerlich zeigt, dessenohngeachtet aber eine gewisse Hochschätzung mit Recht in Anspruch nimmt: es ist dies der alte Conegiani, der Gesandte von Ferrara an unserm Hofe. Dieser Mann ist lang und hager, blaß, von eingefallenem Gesicht und tiefliegenden Augen, zuweilen, wenn er nachdenkend aussieht, wie ein Bild des Jammers; wenn er leicht und ausgelassen sein will, so reißt er im schmalen, dürren Gesicht den großen Mund so weit auf, daß man sich entsetzen möchte.

Dieses Bild des Schreckens also, oder diese klapperdürre Figur, welche die Natur in bizarrer Laune scheint hervorgebracht zu haben, weiß aber von seiner Lächerlichkeit nichts; so verblendet ist er und so von sich selbst eingenommen, daß er sich für schön hält, für anmutig und geistreich; darum tanzt er gern noch auf den Festen, spielt den Zärtlichen, den Witzigen und versagt keinen Spaß oder keine Ausgelassenheit, die die jungen, übermütigen Kavaliere ersinnen und welche sie oft nur erdenken, um ihn hineinzuziehn und sich an seiner Possierlichkeit zu ergötzen.

Sein vertrauter Freund ist ein junger reicher Edelmann aus Padua, der ein schönes, witziges Mädchen unterhält; und bei diesem speiset, ohne andere Gäste, der Gesandte fast jeden Abend.

Die größte Schwäche des Alten ist nun, daß er glaubt, jede Dame sei in ihn verliebt, so daß die Frauen ihn närren und necken, oft die Zärtlichen spielen, um ihn zum Gelächter zu machen, wie es sich von selbst versteht. Ganz öffentlich hat er aber sein fühlendes Herz vorzüglich der witzigen und schönen Donna Isabella gewidmet, die auch zum Schein seine Liebe erwidert, seine Zärtlichkeiten beantwortet und den Alten in so wunderliche Posituren versetzt, daß dieses öffentliche Verhältnis zu den Lustbarkeiten des Hofes gehört.«

»Wer ist diese Isabella?« fragte Don Giuseppe, der sehr aufmerksam der Erzählung zuhörte.

»Sie ist,« antwortete der Fremde, »die Schwester unsers Großherzogs und die Gemahlin des Herzogs Bracciano, des berühmten Orsini Paul Giordano, der sich schon in verschiedenen Feldzügen ausgezeichnet hat, wie Ihr wissen werdet. Diese Dame ist vielleicht die schönste unsers Hofes; sehr viele erkennen ihr den Preis vor unserer berühmten Schönheit, der Bianka Capello. Alle Welt ist von ihrer Anmut bezaubert, von ihrer witzigen Unterhaltung hingerissen. Dabei ist sie in ihrem edlen Betragen so gutmütig, daß die Armen und Bürgerlichen sie verehren: ihre Gewandtheit und Lebensklugheit ist so groß, daß unsere kränkliche und ernste Großherzogin sie ebenso liebt und ihr ebenso vertraulich ist wie jene übermütige Bianka. Gewiß ein seltnes Beispiel, da die regierende Fürstin gewiß nicht leichtsinnig über die Leidenschaft ihres Gemahls denkt und ihre Nebenbuhlerin nur mit innigem Grauen neben sich dulden kann.

So gab es denn im letzten Karneval einen unendlich spaßhaften Auftritt am Hofe, im Saale der regierenden Fürstin. Es war ein trauriger Regentag, und die Fürstin, sonst ernst, fast melancholisch, schlug Tänze und Spiele vor, weil sie sich vorgenommen hatte, an diesem Tage recht heiter zu sein. So wurde denn getanzt, und in allen Wendungen, feierlichen wie lebhaften Tänzen, figurierte jener beschriebene Conegiani und spielte seine zärtliche Rolle mit der Herzogin Isabella. Nachher ward gesungen, dann trieb man das Spiel, schwere Worte hintereinander schnell zu sagen, was die tollsten Redensarten, burleske, unsinnige Silben hervorbrachte; wer aber fehlte, stotterte oder falsche Worte sagte, erhielt von einer kleinen vergoldeten Kelle einen derben Schlag in der flachen Hand, so wie es wohl den kleinen Kindern in den Schulen geboten wird. Viel Schläge, und heftige, bekam unser Gesandter, denn die Dame, die das Strafamt verwaltete, spaßte mit ihm nicht, wenn er wegen Fehler gezüchtiget wurde, so daß seine Hand am Ende rot aufgelaufen war und er mit den lächerlichsten Grimassen die schmerzende an seinen Kleidern rieb.

Jetzt schlugen die jungen Leute ein tolles Spiel vor, das Affenspiel, Mattacini genannt, in welchem einer der Herren hüpft, springt, Gebärden macht und alle übrigen nachahmen und ebenso tun müssen. Bei dieser Tollheit sind die Damen natürlich nur Zuschauer. Man legt bei diesem Spaß die Mäntel ab und zeigt sich im Wams, ein nachlässiges Kostüm, in welchem schöne junge Männer, welche gut gewachsen sind, nur gewinnen können, in welcher Tracht aber das dürre, arme, fleischlose Skelett, an welchem man weder Waden, Schenkel noch Hüften wahrnehmen konnte, sich vollends erst wie ein aufrecht wandelnder Affe ausnahm. Dieses übermütige Spiel führte nun ein Vetter der Herzogin Isabella an, der Graf Troilo Orsini, ein großer schöner Mann in voller Kraft der Jugend und so mit Grazie begabt, daß alle Weiber in ihn vernarrt sind. Dieser ersann nun die tollsten Sprünge, Stellungen und Gebärden, und wie einem reizenden Jünglinge, der seinen Körper in der Gewalt hat und sich kennt, um zu wissen, was er sich erlauben darf, alles schön steht und er auch das Komische und seltsam Abgeschmackte veredelt, so erschien an unserm Gesandten selbst das Gewöhnliche verzerrt und widerwärtig, das Absurde aber abscheulich. Ihr könnt euch die Lust und Freude der übermütigen Jugend und der Weiber und Mädchen vorstellen; ich habe die edle Großherzogin noch niemals so lachen sehn. Wie wurde es aber erst, als der tolle Troilo anfing, seinen ihm Vorstehenden mit aufgehobenem Bein und Fuß einen Tritt in die Hüften zu geben. Wie ein kreisendes Rad ging diese Gebärde mit der größten Schnelligkeit durch die Versammlung: mancher Getretene fiel um, mancher Tretende war in Gefahr: am schlimmsten erging es dem armen Conegiani, dessen lange, dürre Figur sich zuweilen vom gewaltigen Tritt hintenüber bog wie ein Bogen. Die Gesichter, die er dabei schnitt, lassen sich gar nicht beschreiben. Er versäumte es aber auch nicht, es nach Vermögen seinen Mitspielenden zu vergelten, so daß er wie die übrigen in Schweiß geriet, die Großherzogin sich aber von Lust und übermäßigem Gelächter so angegriffen fühlte, daß sie nach diesem Spiele den Saal verlassen mußte. – Nun kleidete man sich wieder an, und der Gesandte setzte sich freudetrunken nieder zu seiner angebeteten Donna Isabella, im Wahn, wie zauberreich er in diesen verschiedenen Windungen und Gebärdungen die Schönheit seines Körpers entfaltet habe. Sie drückte ihm die Hände, lobte seine Gewandtheit, und er war entzückt.« –

»Doch der Gemahl der Isabella, – trieb er auch diese geistreichen Spiele mit?« fragte Don Giuseppe.

»Ihr scheint es nicht zu wissen,« sagte der Fremde, »daß der Herzog Bracciano schon seit Jahren von Florenz abwesend ist; wenn er nicht im Kriege ficht, so lebt der schon bejahrte Mann hier und dort. Er hat, sagt man, seine Gemahlin nie geliebt, und sie ihn wohl ebensowenig. So sieht man auch fast niemals unsern Fürsten Francesco in den Zimmern seiner Gemahlin, wenn diese ihre Gesellschaften hat. Bei unsern Großen fällt dergleichen kaum mehr auf, wie Ihr es ja auch aus eigener Erfahrung wissen müßt. – Erlaubt aber, daß ich jetzt zu jener seltsamen Geschichte übergehe, zu welcher das Bisherige nur die Einleitung sein sollte, um den Helden derselben kennen zu lernen.

Der junge Troilo unterhielt, der Wohnung des Gesandten gegenüber, ein schönes junges Mädchen, die auch mit der Geliebten des Paduaners, des Freundes unsers Conegiani, sehr vertraulich war, wie unter diesen jungen Wesen, die das ganze Leben von der leichtsinnigen Seite nehmen, diese Verbindungen sehr natürlich sind. Da der alte Gesandte das Kleinod des Troilo täglich aus seinen Fenstern sich ziemlich nahe gegenüber sah, so ward er, leichtsinnig wie er ist, in dieses artige Wesen entbrannt, und es schien ihm um so merkwürdiger, daß sein Herz neben jener hohen, erhabenen Leidenschaft für die Herzogin auch noch einer leichteren Empfindsamkeit fähig war und er schadenfroh imstande sei, einem jungen Manne auf diese Weise Eintrag zu tun.

Da sein Liebäugeln, Kußwerfen und Grimassieren mit jedem Tage zunahm, so erzählte die mutwillige Kleine diese Neuigkeit ihrem Troilo. Dieser jubelte auf, als er seinen Conegiani wieder von dieser Seite kennen lernte. Er befahl der kleinen Lisa, sich gegen den Alten freundlich zu stellen und ihm Hoffnung zu machen, als wenn sie sich ihm und seinem Liebesreiz wohl nach einiger Zeit ergeben könne. Dem stets lustigen Paduaner wurde auch mitgeteilt, was sich ergeben solle, und dessen junge, leichtfertige Giannina mußte ebenfalls darum wissen, um das möglich zu machen, was der Graf Troilo entworfen hatte. Dieser nämlich erzählte seiner Muhme, der Herzogin Isabella, sogleich alles, und diese heitere Dame, die gern mit ihrem Vetter lachte, ging sogleich auf dessen Absicht ein, zum Teil auch wohl, um den Alten recht auffallend bloßzustellen und auf diese Weise seine lästigen Bewerbungen abzuschütteln, da ihr jetzt wohl schon die Rolle der Zärtlichen, im Angesichte des ganzen Hofes, lästig fallen mochte.

Man beredete also die kleine Lisa, daß sie dem zärtlichen Gesandten durch ihre Freundin Giannina eine Nacht zusagen ließ, wie sie zum Abendessen mit dieser Freundin und dem Paduaner bei ihm sein und nachher bei ihm bleiben wolle. Alles ward dazu veranstaltet.

Nun war eben seit zwei Tagen eine junge, aber überaus häßliche Sklavin von Livorno angekommen, die, ich weiß nicht, zu welchen Diensten im Palast gebraucht werden sollte. Sie schielte furchtbar, hatte einen widerwärtig großen Mund und war von jener fast safrangelben Farbe, die durch Vermischung mit Europäern die Kinder erhalten und so eine Rasse bilden, häßlicher als die Schwarzen selber. Diese Widerwärtigkeiten abgerechnet, war sie übrigens kräftig und gut gebaut.

Als Mann verkleidet, um nicht aufzufallen und von den fremden Dienern erkannt zu werden, ging Donna Isabella mit Troilo nach dem Hause des Gesandten. Sie führten die häßliche Sklavin mit sich. Troilo, der im Hause sehr bekannt und durch seine Freigebigkeit auch beliebt war, weckte in den untern Gemächern, die zu den Ställen gehören, einen jungen Diener. Die Sklavin, die nur ihre barbarische Sprache zu reden wußte, hatte sich indessen schon auskleiden müssen. Der junge Mensch führte die drei Personen auf der kleinen Treppe zu den innern Zimmern und von da in das Schlafgemach des Gesandten. Der Stallbediente verstand etwas von jener barbarischen Sprache und mußte also der Wilden bedeuten, daß sie sich im Bette ganz ruhig halten müsse. Die Garstige bequemte sich gern, in ein so aufgeschmücktes, flaumweiches Bett zu steigen, in welchem sie durch Müdigkeit und gesunde Natur auch sogleich in den festesten Schlaf versank. Der Diener verließ sie, und Troilo und Isabella hörten jetzt aus dem benachbarten Saale Scherz, Lust und lautes Gelächter. Der Alte saß neben seiner geliebten Lisa, trank und jubelte; mit ihm war sein vertrauter Freund, der Paduaner, und dessen Giannina. – Indem der Alte Lisa einschenkte, rief er laut: ›Trink von diesem edlen Monte Pulciano! Wie oft hat mir Donna Isabella einen Becher dieser Traube kredenzt! Fühlst du denn auch wohl, Kleine, wie sehr ich dich erhebe, da ich vom Besitz einer solchen Gebieterin zu dir hinabsteige?‹

Der Schmaus war geendigt, und Giannina nahm den Alten beiseit und flüsterte ihm zu: ›Vergönnt, verehrter Freund, daß sich Lisa jetzt einsam dort auskleide und, ihr Gefühl zu schonen, sie Euch im Finstern empfange.‹ Er bewilligte, befahl auch den Dienern, sich wegzubegeben, und harrte seines Glücks. Auch der Paduaner nahm Abschied, Lisa wartete auf der Treppe, und Giannina kam jetzt zurück, um mit ihrem Freunde auch das Haus zu verlassen. Nun begab sich der Gesandte im Finstern in sein Schlafgemach. Er stieg in sein Bett, nicht wenig erstaunt, daß seine Gefährtin nach so wenigen Minuten schon so fest eingeschlafen sei. Anfangs hielt er es für Schalkheit und Verstellung, aber ein allzu gesundes Schnarchen überzeugte ihn bald vom Gegenteil. Erstaunt schüttelte und rüttelte er die Eingeschlafene heftig, aber lange vergeblich. Endlich wurde sie munter und erhob, da sie einen Mann neben sich merkte, der ihr, wie sie glauben mußte, Gewalt antun wollte, in ihrer barbarischen, unverständlichen Sprache ein mörderliches Geschrei. Da sprang der Gesandte mit Entsetzen vom Lager, schrie nach Licht und allen seinen Dienern, so sehr hatte er die Fassung verloren. Das ganze Haus wurde wach. Als Licht gebracht wurde, sah man ihn zitternd dastehn, von seinem langen Schlafrock nur dürftig bekleidet. Ohne daß er die Sache begriff, ward die Sklavin von den Dienern fortgeführt, jener Vertraute gab ihr unten im Stall ihre Kleider wieder, und betäubt, fieberhaft zitternd setzte sich der Alte, alles Rates beraubt, in seinen Sessel. Wie ward ihm jetzt, als in der Einsamkeit zwei Figuren aus einer Nische auf ihn zutraten und er in dem einen Mann seine hohe Gebieterin, Isabella, wiedererkannte! Er glaubte, das Haus müsse mit ihm versinken. – ›So lerne ich Euch kennen,‹ redete ihn jetzt die mutwillige Donna an, ›Euch, der sich für meinen Herzgeliebten, für meinen unwandelbar treuen Schäfer ausgeben will? Seht! welches scharfe Auge die Eifersucht hat, die Euch schon seit Tagen unermüdlich beobachtete und nun Eures Treubruches, Eurer Schändlichkeit inne geworden ist. Ich wollte es meinem Vetter Troilo nicht glauben, daß Ihr alter, boshafter, ungetreuer Mann einer solchen Unwürdigkeit fähig wäret. Er hat Euerm Leichtsinn, Euerm Wankelmut, Eurer Sucht, die Weiber zu verführen, niemals getraut, er hat mich immer vor Euch gewarnt. Aber daß Ihr von mir, die Ihr anzubeten vorgebt, so tief herabsteigen, daß Eure verirrte Lust, Euer schwaches Gemüt zu einem solchen Scheusal sich herabwürdigen könne, das hätte ich keinem, auch dem zuverlässigste Manne nicht, geglaubt, wenn es mein eignes Auge, zu meinem unendlichen Schmerze, nicht gesehn. Könnt Ihr wohl noch ein einziges Wort zu Eurer Entschuldigung hervorbringen?‹

Der Alte wußte nicht, ob man ihn närre, ob die Rede Ernst sei, er sank in die Knie und bat, in Demut und Wehmut aufgelöst, um Verzeihung. Er konnte immer noch seine Fassung nicht wiederfinden. Er mochte nicht sagen und wagte es am wenigsten in der Gegenwart des Troilo, wen er eigentlich erwartet habe. Er flehte nur, als man sich trennte, seine Verirrung und sein Mißgeschick zu verschweigen. Dies wurde ihm zugesagt, und Donna Isabella war auch froh, als sie sich, von den Dienern des Hauses unerkannt, wieder im Freien befand. – Das Abenteuer des Gesandten blieb aber nicht verschwiegen, und er mußte Anspielungen auf seine Sklavin hören, von der man in seiner Gegenwart wie von einer fremden Schönheit sprach, die mit seltsamen Reizen ausgestattet sei. Isabella aber zog sich seitdem ganz von ihm zurück, und er durfte sich nicht darüber beklagen. – –

»Diese possierliche Begebenheit,« bemerkte die Matrone, »wenn sie nicht sehr ausgeschmückt ist, belehrt uns wieder, wie es an Höfen und bei den Vornehmsten ganz anders hergeht, als wir Geringeren es uns denken können.«

»Es ist unbillig,« sagte Vittoria, »Menschen so zu kritisieren, als wenn sie etwa ein Buch wären, aber ich muß gestehen, daß ich diese Donna Isabella gar nicht begreife. Schön, verständig, witzig, unterrichtet – und doch die Zeit mit so nüchternen Späßen hinbringen zu können. Fühlt sie denn nicht, daß, indem sie den alten Gesandten dem Gelächter preisgibt, etwas, wenn noch so weniges, auf sie selber von dieser Geringschätzung zurückfällt? Die edlen Naturen müssen am meisten darüber wachen, wen sie zur Gesellschaft wählen; denn die zartesten, höchsten leiden am meisten vom schlechten Umgange: der Mittelmäßige braucht nicht so ängstlich zu sein, denn in seiner Unbedeutendheit schützt ihn eine Waffe, die dem feineren Geiste mangelt.«

»Sehr wahr,« sagte Don Giuseppe, »der flache Mensch kann durch den Hochbegabten weder zur göttlichen Natur aufsteigen noch durch den Nichtsnutzigen zum Bösewicht verwandelt werden. Je feiner, zarter die Natur, so leichter ist sie der Verderbnis ausgesetzt.« –

Man trennte sich, denn es war spät geworden. Indem Don Giuseppe von den Damen, vorzüglich von Vittoria, Abschied nahm, fühlten diese beiden wohl, in welcher Bewegung sie waren. Er zögerte, sah Mutter und Tochter mit bedeutenden Blicken an und bat dann um die Erlaubnis, seine Besuche wiederholen zu dürfen. Sie wurde ihm gern zugestanden, denn beide Frauen konnten es sich nicht verhehlen, daß ihnen dieser fremde Mann sehr bedeutsam erschienen war, wenn sie auch nichts Bestimmteres von ihm wußten.

Caporale begleitete diesen noch; und als sie in die einsame Gegend des Coliseums gekommen waren, stand der Fremde einen Augenblick still, faßte die Hand des Dichters und sagte: »Wie sehr muß ich Euch danken, Vortrefflichster, daß Ihr mich in diese Familie eingeführt habt, und wie glücklich seid Ihr zu preisen, daß Ihr sie schon seit Jahren und als vertraute Freunde kennt. Um des Himmels willen, wie ist diese Vittoria an diesen Mann oder an dieses Männchen geraten? Sie, die, wie ich meine, nur unter den Fürsten Italiens hätte wählen dürfen. Dazwischen muß eine höchst sonderbare Geschichte liegen. Steht er nicht neben ihr wie ein gemaltes Püppchen, das nur da ist, um den Saal ausfüllen zu helfen? Kann die Mutter wirklich viel von der Verwandtschaft mit dem Montalto erwarten? Mag der Mann fromm und tüchtig sein, aber niemand achtet ihn; er wird niemals einen großen Einfluß erringen; dabei ist er alt und schwächlich.«

Caporale antwortete nur obenhin, weil er die Geschichte der Familie einem Fremden, den er nur noch so wenig kannte, nicht preisgeben wollte.

»Die junge Frau«, fuhr Don Giuseppe fort, indem sie weitergingen, »ist ein wahres Wunder zu nennen. Mir ist noch niemals in der Schönheit die wahre Hoheit und Majestät des Weibes so erschienen. Wie sie spricht! Welcher Ton! Und welch ein Labsal ist es, sie nur anzublicken! Diese purpurdunkeln Haare, die rabenschwarzen Brauen, unter diesen, wie Goldstrahlen, die langen gebogenen Augenwimpern! Kein Maler hat je in seiner schönsten Begeisterung so etwas ersonnen. Und habt Ihr wohl das liebliche Rätsel bemerkt – oder wie soll ich es nennen? –, daß in dem linken Augenlide fünf oder sechs dieser Goldfäden mangeln? Schlägt sie nun das Auge nieder, oder blickt sie gar auf und sieht Euch an, so ist, als wenn Amor plötzlich aus dem Goldsaum flöhe und unverhüllt sichtbar auf dieser entblößten zarten Stelle des Auges dastünde. – Nicht wahr? für einen Mann von Jahren schwärme ich noch so ganz leidlich? – Ich werde gewiß von dem erhabnen Wesen träumen.« – –

Am andern Tage ging Caporale mit schwerem Herzen zu seinen Freunden. Die junge Frau traf er im Garten, der, sehr verschieden von dem ehemaligen Gärtchen, sich weit hinter der schönen Wohnung ausdehnte. Vittoria eilte auf ihn zu. – »Nun?« rief sie ihm entgegen.

»Ich begrüß Euch«, sagte der Poet.

»Ich dachte,« antwortete sie schmerzlich, »Ihr hättet mir etwas Neues zu hinterbringen, und etwas Gutes oder wenigstens Wunderbares. – Ach! Freund! ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können, und wenn ich auf Augenblicke einschlummerte, so standen die Bildnisse der alten Heroen vor meinen Augen. – So habe ich doch wirklich einen wahren, wirklichen Mann gesehen.«

»Im Traum also?« fragte Don Cesare.

»Wie Ihr sprecht!« rief sie lebhaft; »gar nicht wie ein Poet, sondern wie ein Krämer, der alles mit der Elle ausmißt: Euern Don Giuseppe mein ich, oder wie er sich nennen mag. Ich freue mich, ihn wiederzusehn, von ihm zu hören und zu lernen, denn jedes Wort ist gewichtig, das von seinen Lippen fällt.«

»Ihr seid begeistert,« erwiderte der Freund sehr ernst; »wäre der Mann noch jung, aber er ist ohngefähr von meinem Alter, so würde ich Wunder was von Euch denken.«

»Was Ihr wollt!« rief sie unwillig; »immer und ewig muß ich das alte, abgedroschene Märchen von Jugend und Alter wieder hören. Wer ist denn jung? Ist es denn etwa mein uraltes, längst gestorbenes Männchen, dieser Peretti, weil er blonde Haare und rote Wangen hat? Alle sprechen immerdar von der Unsterblichkeit, von der hohen Würde ihrer Seele und geben dann doch dem Kleide, dem rohen Überzuge den Vorzug. Jugend! ist sie nicht eine Einwohnerin des Himmels und der seligen Gefilde? Läßt sie sich denn in trägen Gefühlen, in albernen Gedanken beherbergen? – Ich kann es jetzt ahnen, wenn auch noch nicht verstehn, was die Liebe zum Manne sein möchte. Und wenn mir diese Vision, die Gotterscheinung nahetritt, – wer hat ein Recht, sie zurückzuhalten? Wer ist es, der fordern darf, ich soll mich von dieser Weihe abwenden? Weshalb? Wem habe ich es versprochen, mir oder ihm oder Gott, daß ich diesen kleinen Francesco lieben will? Lieben! als hätte ich nur gewußt, was das Wort zu bedeuten habe.«

»Armes Kind!« sagte Caporale, »jetzt muß ich selbst fürchten, die Vermutung, die im Scherz neulich ausgesprochen wurde, sei eine richtige: daß ich Euch nämlich einen alten Banditen ins Haus gebracht habe. Denkt nur, ich spreche heut bei ihm vor, – alles ist verschlossen – endlich nach vielem Klopfen öffnet ein altes Mütterchen. Er sei schon vor Sonnenaufgang abgereist, kein Mensch wisse wohin, keiner, ob oder wenn er wiederkomme: das sei einmal so seine Art und Liebhaberei. Keine Seele könne auch von seiner Hantierung Rechenschaft geben, denn sooft er das Haus betreten, sei er so schweigsam wie das Grab; auch dürfe man ihn nicht viel fragen. Kurz, er ist ein Rätsel. Und wohin? Warum? Da er Euch, wie er mir so lebhaft versicherte, heut abend wieder besuchen wollte? Da er von Euch, Euren Gaben, Eurer Schönheit so entzückt ist? Da er ebenso schwärmerisch von Euch spricht, wie Ihr von ihm? Könnt Ihr Euch diese Seltsamkeit erklären?«

»Jetzt erst weiß ich,« sagte sie, »daß ich unglücklich bin, ich weiß es, bis dahin träumte ich es nur.« – Sie lehnte das Haupt auf die Schulter des Alten und weinte heftig. – »Ihn nicht wiedersehen? Er sollte ein Verräter, ein Mörder sein? – Meinethalb. Und wenn er mir entschwunden ist, wenn er dem Hochgerichte angehört, wenn er ein Bettler ist, meine Seele ist auf ewig mit der seinigen verkettet. – Versteht Ihr mich, Alter? Ihr, der dieselben Jahre, ebenso viele Sommer hat kommen und schwinden sehn wie er? – Ja, wenn Ihr nur auch vom Trank der Unsterblichkeit gekostet hättet! – Aber Ihr seid nur ein eingefleischter alter Mann, zähe und unwandelbar, aber dabei gut wie ein Lamm. Ob Euch wohl jemals das Lieben angewandelt ist? – Ihr seid bei alledem ein komischer Patron.«

Sie warf die dunkeln Haare nach hinten, die ihr in das Gesicht gefallen waren, stieß ihn gelinde zurück und lief laut lachend nach einer fernen, dunkeln Laube, in welcher sie sich verbarg. Don Cesare stand wie betäubt, schüttelte das Haupt und sagte halb verdrüßlich, indem er den Garten verließ: »Es ist eine unangenehme Sache, der Vertraute von Personen zu sein, die über der Linie der gewöhnlichen Menschen stehen.«


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