Ludwig Thoma
Satiren
Ludwig Thoma

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Der Krieg in China

Ich ging mit Paula Rohrdommel zum Bahnhof. Ein Bataillon Freiwilliger war marschbereit zur Fahrt nach China und sie wünschte sehnlich die Abziehenden noch einmal zu sehen.

»Es ist so furchtbar interessant, sterbende Krieger zu beobachten«, sagte sie mit schwärmerischem Aufschlag ihrer wasserblauen Augen, »und ich bin überzeugt, dass ich Stoff finden werde für einen größeren Roman. Glauben Sie nicht?«

»O ja, Fräulein Paula, gewiss; ich bin bereit Ihnen mehr zu zeigen, als Sie in zehn Romangeschichten verwursten können.«

»Aber Herr Doktor! Wie komisch Sie sich ausdrücken!«

»Ganz und gar nicht, meine Teure. Das Bild ist glücklich gewählt. Die Schriftstellerei hat gewisse Ähnlichkeit mit dem Selcherberufe.«

»Oh!«

»Ja, ja, Fräulein! Sehen Sie, man greift sich die Stücke heraus, haut sie zu einem Brei, tut Pfeffer und Salz, die Würze, den Esprit, hinzu und drückt sie durch die Form, welche stets dieselbe bleibt. Der Geschmack ist verschieden, je nach Ingredienzien, aber das Ganze ist doch ein Roman, eine Novelle, eine Wurst!«

»Doktor, Sie sind wirklich geistreich!«

»Hm – ja! Ziemlich! Aber da sind wir ja schon. Sehen Sie, das Bataillon ist bereits aufgestellt.«

»Wirklich! Gott, wie himmlisch! Wie sie alle dastehen, als wehten die Fittiche des Ruhms um sie!«

»Ganz richtig! Aber sehen Sie den Offizier dort, der sich so melancholisch den Schnurrbart streicht!«

»Der mit den todestraurigen Augen?«

»Ja. Seine Geschichte ist so interessant als rührend.«

»Wirklich? Bitte, bitte, erzählen Sie!«

»Gerne. Er liebte und wurde geliebt. Der Vater des Mädchens ist Kommerzienrat und so waren alle Bedingungen zum Glücke gegeben. Das junge Brautpaar schwamm in einem Meer von Wonne und zählte die Tage, welche sie von dem letzten Zeitpunkte trennten. Da – wie macht man das gleich bei Kommerzienräten? – Ja, eines Tages brannte der Kassierer durch und gleichzeitig verlor der Alte den Rest seines Vermögens an der Börse. Der Traum war zu Ende, die Blüte geknickt.«

»Gott, wie traurig!«

»Herzbrechend! Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht, Fräulein Paula! Er wird sich nie mehr erholen von dem Schlage und ich fürchte, ich fürchte zu wissen, was der Ärmste am Ufer des Pei-Ho sucht.«

»Was denn? Sprechen Sie doch!«

»Den Tod«, murmelte ich dumpf, »Vergessen seiner Leiden.«

»Nein, das ist interessant! Und ich habe gar keinen Bleistift bei mir!«

»Warten Sie nur, es kommt noch mehr. Betrachten Sie dort den Unteroffizier! Bemerken Sie nichts an ihm?«

»Welchen meinen Sie? Der so vergnügt lacht?«

»Vergnügt? Das heißen Sie vergnügt? Es ist das erbitterte Lachen eines Verzweifelnden! Und wahrlich, der Mann hat Grund dazu!«

»Sie spannen mich auf die Folter, Herr Doktor!«

»Nicht lange. Hören Sie! Er war Tischlergeselle und erhob die Augen zur Tochter seines Meisters. Sie schien Gefallen zu finden an dem fröhlichen Burschen und erweckte in ihm kühne Hoffnungen. Er sollte nicht lange in diesen schwelgen, sein Fall war jäh und tief. Als er seiner Sache gewiss zu sein glaubte, trat er vor den Meister und bat ihn mit schlichten Worten um die Hand des Töchterleins. Da ließ der Alte das Mädchen kommen und vor der Geliebten sagte er dem treuen Gehilfen Dinge, welche sich nicht drucken lassen; ja, er lud ihn zu einer Handlung ein, welche Ihnen unbekannt ist und bleiben muss.«

»Bitte, sagen Sie es mir! Eine Schriftstellerin kann viel ertragen.«

»Es geht nicht, Fräulein Paula; auch war es nur eine Redensart. Die Hauptsache ist, dass unser Held schnöde abgewiesen, in seinen heiligsten Gefühlen verletzt wurde. Ich bin überzeugt, dass wir auch ihn nicht mehr sehen werden.«

»Doktor, es ist doch etwas Eigenes um die Liebe!«

»Tja! Fräulein Paula, leider! Und sie verschont keinen Stand. Auch die Gemeinen sind nicht frei von ihr. Der rechte Flügelmann dort könnte ein Lied davon singen.«

»Woher Sie nur alles wissen?«

»Ich bin vertraut mit den menschlichen Verhältnissen. Aber wollen Sie die Geschichte des armen Mannes vernehmen?«

»Wie mögen Sie fragen? Ich werde nicht müde Ihnen zu lauschen und dann ist es auch so belehrend.«

»Sehr schmeichelhaft. Vielleicht bemächtigt sich Ihre Feder des Stoffes. Der Soldat dachte vor einem Jahre auch nicht daran, dass er die Kriegsfackel nach China tragen würde. Er ist der Sohn eines reichen Bauern im Gebirge und verbrachte wie alle Kinder der Alpen seine Tage mit Singen und Schuhplattltanzen, bis die Vroni auf den Hof kam. Seitdem war es aus. Er verliebte sich wahnsinnig in die dralle Dirne, aber die Eltern blieben hart und verweigerten den Segen. Der Ärmste floh aus der Heimat, wurde Soldat – und dort steht er. Vor den Wällen Pekings wird er das Leben, aber nicht die Treue lassen. Möge ihm die fremde Erde leicht sein!«

In den Augen meiner Begleiterin schimmerte es feucht. »Das Leben ist doch selbst ein Roman«, flüsterte sie, »man braucht ihn bloß zu schreiben. Ich werde gleich heimgehen«.

»Tun Sie das, mein Fräulein! Wenn Sie meine schlichten Erzählungen verwerten wollen, beeilen Sie sich, sonst kommen Ihnen tausend Kolleginnen zuvor.«

»Wie wäre das möglich?«

»Sehr einfach! Merkten Sie nicht, es ist immer dasselbe? Er und sie, der Inhalt des Lebens. Den Unterschied bildet bloß die Uniform. Diesmal tragen die Helden Kakhi. Aber sonst, wie gesagt, geht es durch die gleiche Wurstspritze. Eilen Sie!«


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