Ludwig Thoma
Satiren
Ludwig Thoma

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Assessor Karlchen

Ich kenne Karlchen schon lange. Wir waren zusammen auf dem Gymnasium. Ich schmiss ihn einmal so an den Ofen, dass er einen Backenzahn verlor und ich wegen entsetzlicher Roheit zwei Stunden Karzer erhielt. Karlchen hatte nämlich schon damals eine Neigung zum Anzeigeerstatten und lief zum Rektor, welcher mir erklärte, dass auch bei den alten Griechen die Verbrecher ihre Laufbahn mit solchen Handlungen begonnen hätten.

Man sieht, es sind keine angenehmen Erinnerungen, die Karlchens Name in mir wachruft, aber niemand soll glauben, dass ich deshalb diese Geschichte von ihm erzähle. Ich hatte ihm wirklich verziehen, weil er der Dümmste in unserer Klasse war. Später wurde er Assessor in München.

Diese Bevorzugung flößte ihm eine hohe Meinung von seinen Fähigkeiten ein und er verschmähte es fortan, mich auf der Straße zu grüßen. Trotzdem werde ich ganz objektiv bleiben.

Eines Tages also meldete sich bei Karlchen der Kriminalschutzmann Alois Schmuttermaier und erzählte, dass eine gewisse Baronin Werneck im nördlichen Stadtviertel seine Aufmerksamkeit erregt habe. »Dieses Frauenzimmer«, sagte er, »scheint einen unbändigen Lebenswandel zur Schande der Nachbarn zu führen.«

»Wie sprechen Sie von den Spitzen der Gesellschaft? Was erlauben Sie sich eigentlich?«, fragte Karlchen und seine wasserblauen Augen sahen drohend über den Zwicker hinweg.

»Entschuldigen, verzeihen, Herr Assessor, ich glaube gehorsamst, das Mensch ist gar keine Baronin, sondern aus Salzburg.«

»Ah so! Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«

»Entschuldigen, verzeihen . . .«

»Schon gut! Merken Sie sich ein für alle Mal, ich liebe Klarheit, absolute Klarheit. Fahren Sie fort!«

»Jawoll, Her Assessor! Ich habe eifrig recherchiert, weil mir Herr Assessor befahlen auf die Unzucht ein wachsames Auge zu werfen.«

Karlchen nickte beifällig.

»Ich habe«, fuhr Schmuttermaier fort, »verschiedene Verdachtsmomente gesammelt. Allein, wenn mir Herr Assessor erlauben zu bemerken, ich glaube, dass man diese Frauenzimmer in flagranti erwischen muss, weil man sonst nichts ganz Gewisses weiß.«

»Allerdings, hm! Allerdings!«

»Und wenn mir Herr Assessor erlauben, ich habe eine Idee.«

»Nur heraus damit«, sagte Karlchen leutselig, »Sie wissen ja, ich liebe es, wenn die Vollzugsorgane Initiative zeigen.«

»Jawoll, Herr Assessor!«

»Nun also, was ist das mit Ihrer sogenannten Idee?«

»Ich meinte gehorsamst, wenn ich . . . wenn ich, hm!« Hier räusperte sich Schmuttermaier verlegen und nestelte mit der Hand an seinem Uniformkragen.

»Etwas rascher!«, drängte Karlchen.

»Zu Befehl, Herr Assessor . . . wenn ich . . . wenn ich das Frauenzimmer selbst auf die Probe stellen würde.«

»Probe? Wie denn? Was denn?«

»Als Don Schuang!«

»Ach so! Hm! Ja, das ist wahr, das geht. Aber, Schmuttermaier, ich hoffe, dass Sie nur aus Pflichtgefühl auf diesen Gedanken gerieten?«

»Jawoll, Herr Assessor!«

»Schön! In diesem Falle haben Sie meine Billigung. Sie können gehen.«

Schmuttermaier rührte sich nicht vom Platze.

»Was wollen Sie noch?«, fragte Karlchen.

»Zu Befehl, Herr Assessor! Ich habe kein Geld nicht.«

»Hm! An der Kasse können Sie es nicht wohl erheben. Ich will Ihnen was sagen, Schmuttermaier, ich habe Sie als diensteifrigen Beamten kennen gelernt. Hier haben Sie zwanzig Mark, aber ich mache es Ihnen zur unabweislichen Pflicht, ich gebe Ihnen den dienstlichen Befehl, verstehen Sie wohl, den dienstlichen Befehl, dass kein anderes Gefühl in dieser heiklen Angelegenheit aufkommen darf als das der strengsten Pflichterfüllung.«

»Jawoll, Herr Assessor!«, sagte Schmuttermaier so laut, knapp und militärisch, wie man es bei der Verwaltung liebt. Dann drehte er kurz um und begab sich auf seine Mission.

Zwei Tage später kam in den Einlauf der Polizeidirektion eine sechs Seiten lange Anzeige des Schutzmannes Alois Schmuttermaier betreff Philippine Weizenbeck alias Baronin Werneck wegen überraschter Unzucht.

Karlchen freute sich als Mensch und Beamter über diese prompte Entlarvung eines jener unseligen Geschöpfe, welche im Sumpfe der Großstadt gedeihen.

Er ließ die Delinquentin sofort zitieren; Philippine erschien. Sie erfüllte den Korridor und das Verhörzimmer mit durchdringendem Patschuliduft und versuchte ganz vergeblich durch den Liebreiz ihrer Erscheinung auf Karlchen zu wirken. Sie wies mit Entrüstung die »ordanären« Verleumdungen zurück; allein, als sie im besten Zuge war, erschien unter der Türe der klassische Zeuge Alois Schmuttermaier in Uniform.

Der Eindruck war fürchterlich; das treuherzige Geschöpf sah ein, dass sie dem überlegenen Polizeigeist zum Opfer gefallen war, und ließ alles mit sich geschehen; sie wurde acht Tage eingesperrt und sodann in ihre schöne Heimat verschubt.

Karlchen verfehlte nicht, höheren Ortes darauf hinzuweisen, dass seinem Spürsinn die Entdeckung der Salzburger Bathseba gelungen war, und er konnte aus manchen Dingen schließen, dass ihm die Tat hoch angerechnet wurde.

Eines Tages begab es sich sogar, dass ihn Exzellenz ansprachen, als sie sich gerade auf die Retirade begeben wollten.

»Ah, da ist ja der Herr Assessor Maier! Schön, schön«, sagten Exzellenz und zogen sich dann zurück.

Diese Äußerung wurde in der Beamtenwelt viel bemerkt und man prophezeite unserm Karlchen eine gute Zukunft.

Kein Mensch dachte mehr an die Philippine Weizenbeck; selbst Schmuttermaier hatte sie vergessen, sie, die doch ganz anders war als die Kocherl seines Bezirkes.

Da wurde er plötzlich an sie erinnert. Aus Salzburg kam ihm die Botschaft.

Sie war auf jenem Papier geschrieben, welches die kaiserlich-königliche Regierung für amtliche Kundmachungen und zum Einwickeln des Tabakes benützt.

In dem Schriftstück hieß es, dass eine sichere Weizenbeck ledigen Standes ein Kind geboren und hiezu als Vater das bayerische Sicherheitsorgan Schmuttermaier benannt habe. Ob sich der Genannte hierzu bekenne und diesfalls den Unterhalt mit sieben Gulden den Monat bestreiten wolle?

Als sich der Adressat von der ersten Überraschung erholt hatte, ging er zu dem königlichen Assessor Karl Maier und berichtete ihm das Geschehnis.

Karlchen war wütend. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass Ihre Recherche von dem strengsten Pflichtgefühl getragen sein muss? Habe ich das gesagt?«

»Jawoll, Herr Assessor!«

»So? Und jetzt kommen Sie mir mit dieser . . . mit dieser Schweinerei? Die Folgen haben Sie selbst zu tragen! Abtreten!«

Alois Schmuttermaier war keineswegs gesonnen, seinen Gehalt um sieben Gulden oder zwölf Mark pro Monate zu kürzen.

Er richtete ein längeres Schreiben an die Salzburger Behörde, in welchem er ausführlich darlegte:

Erstens, dass er überhaupts kein Geld nicht habe, und zweitens, dass es sich hier nicht um die Frucht der unerlaubten Liebe, sondern einer dienstlichen Verrichtung handle. Indem in Bayern der Grundsatz gelte, dass der Staat für die amtlichen Handlungen seiner Beamten aufkomme und hier also die königliche Polizeidirektion das durch kriminelle Recherche zur Welt gekommene Kind bezahlen müsse. Indem es doch kein Gesetz gebe, welches den Beamten für seinen Gehorsam bestraft. »Einer jenseitigen kaiserlich-königlichen Bezirkshauptmannschaft ganz ergebenster Alois Schmuttermaier.«

Die Österreicher verweigerten den rechtlichen Anschauungen des bayrischen Sicherheitsorganes ihre Anerkennung und ersuchten kurzerhand die Polizeidirektion selbst, die Sache in Ordnung zu bringen.

Auf diese Weise musste Schmuttermaier vor das Angesicht des Herrn Präsidenten treten. Der Gedanke an die Schmälerung seiner Einkünfte verlieh ihm Kraft. Er blieb fest und berief sich darauf, dass er im Vollzuge eines dienstlichen Auftrages gehandelt habe.

Nun wurde Karlchen herbeigeholt. Als er in längerer Rede dartun wollte, dass Schmuttermaier entgegen dem klaren Befehle offenbar nicht bloß das strengste Pflichtgefühl beim Vollzuge der Recherche habe walten lassen und so weiter, wurde er barsch unterbrochen.

Exzellenz bedeuteten ihm, dass vor allem jeder Skandal vermieden werden müsse und dass es ohnehin höchst sonderbar sei, wenn ein Beamter die niedrigen Gelüste eines Gendarmen durch Darlehen von zwanzig Mark unterstütze, »höchst sonderbar, hö . . . höchst sonderbar, ze ze!«

Was blieb meinem Karlchen übrig?

Er musste retten, was noch zu retten war, und so kam es, dass er, der königlich bayerische Bezirksamtsassessor, die Alimente bezahlte für das illegitime Kind der Philippine Weizenbeck alias Baronin Werneck, welches zum Dank hierfür bei der Taufe den Namen Karl erhielt.


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