Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

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Als sie an dem Tische der Schauspieler vorbeikam, verneigte sich Herr Rolf sehr ehrerbietig vor ihr. Sie dankte flüchtig und etwas erstaunt. Am Ausgange holte sie ihre Freundin ein, die hochrot vor Aufregung war und mit ihren Tränen kämpfte.

»Geh, was hast denn?«

»Nix. Eigentli is ja so a Mensch net wert, daß ma... daß...« Nun schluchzte Resi und eilte voran, zwischen den Buden durch auf die freie Wiese, wo sie allein waren.

»Hast du an Streit mit ihm g'habt?«

»Nein...«

»Ja, was war denn auf einmal?«

Resi fuhr sich ungestüm mit dem Taschentuch über die Augen. »Laßt du dir dös g'fallen, daß si so a giesinger Schlampn an unsern Tisch herhockt? Wenn uns ein Mensch g'sehen hätt, was müßt ma si denn da nachsag'n lass'n?«

»Da kann er do nix dafür!«

»Net? Der Maler is do sei Freund. Hätt er ihm net sag'n könna, daß er in Begleitung is und a g'wisse Diskretion wahren muß? Wär dös net ganga?«

»Er hat vielleicht net g'wußt, daß sei Freund wen mitbringt.«

»Na hätt er's ihm merk'n lass'n sollen, daß dös unpassend is. Oder er hätt jetzt mitgeh'n sollen. Aber Aug'n macht er ihr hin, und gnä Frau hin und gnä Frau her sagt er zu dem G'schoß...«

Paula lächelte.

»Du bist gar eifersüchtig...«

»I? Fallet ma'r ei! Weißt, wenn er so weni G'schmack hat – von mir aus! Na, ich dank schö! Mit so was konkurrier ich noch lang net. Es muß ja net sei...«

»Aber Resi, mach's net ärger, wie's is...«

»I find's arg g'nug. Sei ganze Existenz setzt ma für an Menschen auf's Spiel, und das is der Dank! Der nächstbeste Schlampen werd ei'm vor'zogen... Wenn dös net arg is...«

»Was soll er denn machen? Schau, sie is amal mit sei'm Freund kommen, und auf der Wiesen nimmt ma's am End net so g'nau...«

»Weil's mi kränkt... net, daß er so einer auch noch schö tut... von mir aus! Ich sag dir ja, da konkurrier ich net; und merk i was, hamm mir ein für allemal ausg'red't... na, desweg'n gar net, aber daß ma sich dös g'fallen lassen soll, mit so an davo'g'hauten Wassermadel auf gleich behandelt wer'n... sie a G'schpusl... i a G'schpusl... na, mei Liebe, da hört's bei mir auf... am End is ma doch eine verheiratete Frau und hat sein' anständigen Verkehr...«

»An dös hat der Herr Otto gar net denkt; der hat dich doch net kränken woll'n...«

»Ah, geh mir mit die Männer! Vor drei Monat hätt er sich net mit der Person abgeb'n... Da hätt er mir net zug'mut', daß ich mit der an ei'm Tisch sitzen soll. Aber es dauert ja scho lang g'nug, und mir wer'n nie g'scheit. Mir geb'n allaweil z' stark nach und vergess'n, daß bei die Männer d' Lieb abnimmt, wenn s' bei uns wachst. Desweg'n taugen die meisten Ehen nix, und die Verhältniss' erst recht net... aber i zeig's ihm schon...«

»Ich mein', das gescheitest is, wir gehen jetzt wieder nei' und setzen uns ruhig hin...«

»Freili, und horchen zu, wie de Schmieselmadam sich als a Grafentochter aufspielt. Daß i net lach! Sonst sin die Herrn der Schöpfung so g'scheit, und da hocken s' da und lassen si an solchen Schmarrn vorerzähl'n... Mit an italienischen Grafen is die Mama verlobt g'wes'n... Ja, mit an Ziegelbrenner von Ismaning; und wie's kalt worn is, hat si der Herr Graf mit sein Bolentag'schirr verzogen... und hat ihr die Ziegelpatscherprinzeß als teures Andenken hinterlassen... Eigentli ärgert's mi, daß i's ihr net glei in's G'sicht nei' g'sagt hab...«

»Es war besser so... und jetzt komm!«

»Na... ich geh net nei. I verkehr amal net mit dem italienischen Adel.«

»Aber schau, ich muß do wieder zum... ich muß do wieder nei'...«

»I will di net aufhalt'n... bis zum Eingang geh i mit, da begleit i di no, und nachher geh ich heim...«

»Vielleicht überlegst dir's no...«

»Na... Jetzt is 's amal g'sagt, und der Herr soll nur sehg'n, daß ma sich net jede Rücksichtslosigkeit bieten laßt...«

Vor der Halle trafen sie auf Franz, der unruhig wartete.

»Wo bleibst denn, Paulimutsch?«

»Ich hab doch mit der Resi gehen müssen, schau... warum hast net drin auf mich g'wart?«

»Ich hab nicht allein in dem Spektakel bleiben mögen«

»Is der Otto weggangen?« fragte Resi hastig.

»Ja... gleich nach Ihnen...«

»Mit... mit sein Freund?«

»Ja... sie haben noch Buden anschauen wollen...«

»Gehen wir auch?« fragte Paula.

»Gern, wenn's dir recht is.«

Sie hing sich an Franz ein; Resi schritt neben ihnen her.

Sie überhörte Fragen, die beide an sie richteten, und wenn sie Antwort gab, war ihre Stimme heiser vor Aufregung; in ihrer Ungeduld lief sie voraus, blieb wieder stehen und schaute mit suchenden Blicken herum. Sie wollte allein sein, um rascher vorwärts zu kommen; an einer Straßenkreuzung verabschiedete sie sich, murmelte hastig etwas von Eile und Heimgehen und ging mit raschen Schritten weg.

»Die Arme!« sagte Paula.

»Was is eigentlich?«

»Hast du net gemerkt, daß sie eifersüchtig war? Da is sie rausgangen, und jetzt is er weg...«

»Die finden sich schon wieder.«

»Ach ja... ihr! Eigentli wißt ihr gar net, wie's unserei'm z' mut is... Ihr seid viel gleichgültiger. D' Resi hat recht. Bei euch nimmt d' Lieb ab, und bei uns wachst s'...«

Franz lachte.

»Du warst heut auch so hart zu mir«, sagte Paula.

»Erstens war ich net hart, und zweitens haben wir uns wieder versöhnt. Und das is doch so nett!«

»Ach du!«

»Find'st du nicht? Man sollt sich eigentlich hie und da ein bissel zerkriegen, bloß weil die Versöhnung so lieb is...«

»Nein! Du darfst nie mehr so zu mir sei'... Ich hab an Augenblick glaubt... nein, gelt, du bist nie mehr so zu mir?«

»Was hast du glaubt?«

»Ach geh! Ich mag net dran denken... An Augenblick hab ich gar nimmer g'wußt, wo ich hing'hör... Zu dir nimmer... und... und... dorthin ja erst recht nimmer... und da war's so leer und ganz schwarz um mich rum. Das mußt nimmer tun, Franz!«

»Ich tu's ja nimmer... gib mir ein Bussel!«

»Dös geht doch net... mitten unter die Leut!«

Er ging mit ihr aus dem Lichtkreis der Bogenlampen in den Schatten einer Bude.

»Aber da geht's...«

»Ach... du!...«

Resi lief mehr, als sie ging, an den hell erleuchteten Buden vorbei; vor den Karussells blieb sie stehen und suchte sie in fiebernder Unruhe ab. Dann eilte sie weiter und sprach und weinte vor sich hin.

Das konnte er ihr antun! Das! Mit dem Weibsbild, mit dieser schmierigen Person weglaufen, um sie recht tief zu kränken.

Sie wollte umkehren, heimgehen, nie mehr etwas von sich hören lassen. Er sollte nur sehen, daß sie ihren Stolz hatte. Sie malte sich aus, wie das wäre, wenn er flehentlich an sie schriebe. Ganz kalt würde sie ihm antworten. »Mein Herr! Sie haben gewählt... Man beleidigt mich nur einmal...« So würde sie ihm zurückschreiben. Ob ihm das weh täte? Es wäre die gerechte Strafe für seine Rücksichtslosigkeit... weglaufen und sie einfach stehen lassen... und mit so einer gehen...

Sie stieß oft an Leute an; manche sahen ihr verwundert nach, etliche riefen ihr derbe Worte zu...

»Oho... pressiert's so? Wo aus denn so schleuni? Sie, Fräulein, könna S' as nimmer derwart'n? Herrgottsakra, wenn no de weg'n meiner so laufet... Teufi! De hat Holz vor der Hütt'n!«

Ein junger Mensch eilte ihr nach.

»Fräulein, darf ich Sie begleiten?«

Sie gab keine Antwort, und er faßte nach ihrem Arm.

»Sie unverschämter Mensch! Lassen Sie mich gehen!«

»Entschuldigen Sie halt, daß man herumirrende Damen bei der Nacht verwechselt...«

Er rief ihr noch allerlei nach, doch sie eilte weiter.

Der Lärm der Drehorgeln, der Musikbanden vor den Schaubuden tat ihr weh.

Was war das für eine sinnlose Fröhlichkeit? Waren alle diese Menschen wirklich vergnügt und bloß sie von Zorn und Schmerz herumgejagt?

Aber weit wollte sie nicht mehr gehen. Nur mehr bis zu dem zweiten hell beleuchteten Karussell vor ihr, dann wollte sie einen Wagen nehmen, heimfahren, ihn nie mehr sehen.

Sie kam zum nächsten Karussell, blieb stehen und suchte.

Einen Augenblick war's ihr, als sähe sie die Ziegelpatscherprinzessin... Aber es war eine andere, sie hatte nur den gleichen Hut auf.

»Ah! Was sehe ich? Die gnädige Frau!«

Resi drehte sich erschrocken um.

Herr Fritz Laubmann, Vertreter der Firma Probst in Hof, stand vor ihr und verbeugte sich höflich. »Auch auf der Wiese? Aber Sie erinnern sich meiner vielleicht nicht mehr?«

»O ja...« sagte sie ungeduldig.

»Auf jener hübschen Fahrt nach Schliersee hatte ich erstmals das Vergnügen... leider waren Sie etwas okkupiert... sozusagen ich hatte es fast bedauert... Darf ich fragen, ob Sie allein...«

»Nein, ich hab mich mit mei'm Mann zusammenb'stellt...«

»Natürlich... ja... es läßt sich denken, daß Sie nächtlicherweile nicht allein in diesem Trubel sind... fährt Ihr Herr Gemahl?«

Resi zitterte vor Ungeduld.

Wenn sie den gräßlichen Kerl nicht anbrachte, konnte sie nichts anderes tun, als gleich zum Fiakerstand eilen...

»Ich such ihn ja...« sagte sie gereizt.

Herr Laubmann überhörte den ungeduldigen Ton und bot seine Begleitung an.

»Wir könnten dann gemächlich nach beiden Seiten hin Ausschau halten; Sie nach der einen, ich nach der andern...«

»Nein... ich dank schön für die Freundlichkeit... lassen S' Ihnen net stören...«

»Ich habe nichts vor, und gnädige Frau dürfen überzeugt sein, es geschieht gerne...«

»Ich mag aber net...«

Resi schrie es beinahe heraus.

»Pardon!«

Herr Laubmann hielt seinen Hut mit edler Gebärde, den kleinen Finger weggestreckt in die Höhe. Resi wollte den barschen Ton etwas entschuldigen.

»Mein Mann is so eigen... ich mag net, daß er mich in Begleitung sieht...«

»Ach so die Eifersucht ist begreiflich...« lächelte der Reisende etwas säuerlich... »als Gatte der schönsten Frau Münchens hat man ein Recht dazu...«

»Adjö!« sagte Resi kurz und eilte weg.

Laubmann folgte ihr langsam und sprach allerlei vor sich hin, was nicht ganz so ritterlich war...

»Und der Dämlack hat auch Ursache genug. So was von einer verkommenen, sittlich tief stehenden Gesellschaft gibt es Gott sei Dank bei uns zu Hause nich. Der Lumich hat nischt gemerkt, wie sie doch damals gleich angefangen hat, Zicken zu machen... aber Friedrich Wilhelm Laubmann kannste nich bedeppern... du Aas...«

Resi hatte Herzklopfen.

Nun wollte sie ganz gewiß nicht mehr weiter gehen als bis zum Schiffskarussell... wie leicht konnte ihr der Mensch folgen und sie beobachten. Er hatte sie mit seinem falschen, schielenden Blick so mißtrauisch angesehen, und beleidigt hatte sie ihn obendrein. Endlich war sie angelangt. Sie stellte sich in den Schatten, und beim ersten Blick erkannte sie Zenta, die in einem der auf und ab schaukelnden Kähne saß und sich laut lachend festhielt. Ihr gegenüber saß Nottebohm; aber Otto?...

Sie blickte angestrengt hin, als die zwei bei der Drehung wieder nach vorne kamen.

Otto war nicht bei ihnen.

Sie atmete auf, und gleich dachte sie zärtlicher an ihn. Vielleicht war er in die Halle zurückgegangen und suchte sie nun mit der gleichen Unruhe wie sie ihn.

Sie überlegte, wie sie auf dem kürzesten Wege zum Schottenhammel gelangen könnte... da faßte sie jemand am Arm.

Ungestüm riß sie sich los und sah nach dem Frechen um...

Herr Jüngst stand vor ihr mit dem gemütlichsten Lachen, das seine weißen Zähne sehen ließ.

»Na... ausgschmollt? du... Dumme...«

»Gar net dumm...«

»Net z'wenig... Resl...«

Sie war zu froh, als daß sie ihm ein böses Wort hätte sagen können.

»Gib acht... Otto... der ekelhafte Sachs... i hab dir ja erzählt... der in Schliersee war... hat mich vorhin ang'redt, wie ich dich g'sucht hab...«

»Du hast mich g'sucht?«

»Leider... war i so blöd... aber im Ernst... der Kerl spioniert mir ganz g'wiß nach...«

»Da geh'n mir einfach ums Karussell rum über d' Wiesen; da is dunkel...«

»Aber vielleicht mußt auf dei italienische Gräfin wart'n...«

»Mei... Gräfin? Siehgst, da hast di scho verratn... Jetzt warst halt doch dumm...«

»Der Dumm' warst schon du! Auf der ihr'n z'sammklaubten Schmarrn rei'flieg'n!«

»Bin i?«

Otto lachte lustig.

»Glaubst du wirkli, i kenn unsern Adel von Giesing net?«

»Warum hast du nacher per gnädige Frau damit g'redt?«

»Rauskitzelt hab i's... und di damit...«

»Ja... sagt ma... hinterdrei...«

»Hättst d' mi halt a bissel lieb ang'schaut; i hab a paar Mal 's linke Aug zudruckt. Du hättst mi leicht geh'n hör'n könna... aber mach, daß mir weiterkommen, sonst lauft der Nottebohm noch a mal mit uns...«

Die Eile, mit der er einer Begegnung mit dem Maler und seiner Italienerin auswich, versöhnte Resi ganz und gar.

Sie schritten eng aneinander geschmiegt über das Feld, das hinter den Budenreihen völlig im Dunkel lag, und schlüpften, um die Versöhnung zu feiern, in eine kleine Weinbude, wo sie ungestört blieben.


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