Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

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»Um fünf Uhr beim Monopteros...«

Paula saß auf einer Bank unter dem kleinen Tempel und wartete.

Es kam ihr seltsam vor, daß sie nun doch da war, obwohl sie während des Vormittags und auch nach Tisch noch den festen Willen gehabt hatte, der Bitte des Studenten nicht nachzugeben.

Aber es fiel ihr ein, daß sie nur gekommen war, um den jungen Menschen zu fragen, wie er sich hätte einbilden können, daß man sie als geachtete Bürgersfrau zu einem Stelldichein bestellen dürfe.

Vielleicht war es harmlos gemeint und sollte in allen Ehren die Fortsetzung einer flüchtigen Bekanntschaft ermöglichen.

Wäre sie nicht gekommen, hätte er in ihrer Ablehnung vielleicht eine schlimme Auffassung seiner bescheidenen Bitte sehen können, und das wollte sie erst recht nicht haben.

Denn bescheiden und sehr höflich und trotz allem schüchtern war der Brief.

Sie zog ihn aus dem Handtäschchen und las ihn wieder.

»Sie zeigten so viel Anteilnahme an dem herben Schlage, der mich getroffen und mir alle Illusionen geraubt hat, daß ich es wage...«

Wahrscheinlich wollte er sich aussprechen. So ein junger Mensch hat ja eigentlich niemand, dem er eine Herzensgeschichte anvertrauen kann, und nachdem sie ihm damals bei dem Ausfluge in Schliersee Interesse gezeigt hatte, konnte er ja glauben, daß sie ihn auch weiter anhören wollte. Warum eigentlich nicht?

Es war Abwechslung in einem langweiligen, freudlosen Leben.

Warum sollte sie gar so ängstlich oder so streng in der Auffassung ihrer Pflichten sein? Nahm etwa ihr Mann Rücksicht auf sie? Resis Worte fielen ihr ein: »Uns Frauen g'schieht eigentlich recht, wenn uns die Männer so beiseit schieben... Warum lassen wir's uns gefallen?«

Die Frau Schegerer vertrauerte ihre Zeit sicherlich nicht mehr.

Sie war nach dem Ausfluge schon zweimal zu Paula gekommen und war mit ihr in ein Café im Hofgarten gegangen. Und es war ihr aufgefallen, wie fröhlich und gesprächig sie geworden war. Sie hatte Resi gefragt, ob sie den Ingenieur, den Herrn Otto, noch einmal gesehen habe. Da war sie ihr um den Hals gefallen und hatte ihr einen Kuß gegeben und hatte lachend gesagt: »O du Tschaperl, du liebs... meinst, ich bleib Strohwitwe bis in alle Ewigkeit, Amen? So gutmütig bist ja bloß du!« So gutmütig war bloß sie.

Heute bei Tisch hatte Benno wieder einmal den Großartigen gespielt und gesagt, er hätte Aussicht, die Alleinvertretung der größten hamburger Firmen in Kaffee zu erhalten, und das wäre eine Gelegenheit, das Geschäft großartig auszubauen. Sie kannte diese Reden schon und gab nichts darauf.

Aber die Alte hatte Andeutungen gemacht, als fehle ihrem Benno bloß noch die richtige Geschäftsfrau. Sie hatte es nicht rundheraus gesagt, sondern den Angriff wie gewöhnlich in einer Erzählung versteckt angebracht.

Wie der und der in Flor gekommen sei, bloß weil eine tüchtige Frau im Laden alles überwacht hätte.

Diesmal hatte es Paula nicht schweigend überhört.

Sie hatte Benno aufgefordert, sie in Schutz zu nehmen. Ob es vielleicht nicht wahr sei, daß sie ihm angeboten habe, im Laden mitzuhelfen? Ob er sich nicht dagegen gesträubt und gesagt habe, das wolle er nicht, das tauge nichts? Und jetzt müsse sie noch die Vorwürfe einstecken...

»Ich weiß net, was du hast«, hatte dann die alte Schlange gesagt. »Ich hab dir doch mit kei'm Wort Vorwürf gemacht. Ich hab bloß erzählt, daß der Homberger das meiste seiner Frau verdankt...«

So machte sie's immer, und Benno nahm nie Stellung für seine Frau. Nie. »Sei doch net gar so nervös!« sagte er. »Und laßt's wenigstens mich in Ruh mit dena G'schicht'n... Wenn ich müd und abg'spannt da rauf komm, will i kein Streit hamm...«

Das lag in seiner Natur: alles von sich wegschieben und dazu große Worte machen.

Paula seufzte.

Ja, eigentlich war man selber schuld, wenn man sich herumschubsen ließ.

Ein Herr und eine sehr stark parfümierte Dame gingen vorüber. Die Dame musterte sie mit neugierigen Augen und wandte den Kopf nach ihr um.

Sah man's ihr an, daß sie da auf jemand wartete? Jesus! Wenn eine Bekannte sie sehen würde!

Die Alte hatte ihr ohnehin mißtrauisch nachgeschaut, weil sie das beste Kleid angezogen hatte.

Sie stand von der Bank auf, denn mit einemmal war eine ängstliche Unruhe in ihr, und sie nahm sich vor, den Weg langsam zurückzugehen.

Kam er ihr zufällig entgegen, so wollte sie ein paar Worte mit ihm reden und ihm sein Unrecht vorhalten; kam er nicht, so war es noch besser.

Aber schon nach einigen Schritten überlegte sie, daß er auch von der andern Seite um das Rondell kommen könnte und sie dann verfehlen müßte.

Sie wußte, daß die Wohnung, die er im Briefe angegeben hatte, im Lehel lag, und wenn er von daheim kam, konnte er ihr auf dem Wege, den sie jetzt eingeschlagen hatte, nicht begegnen. So kehrte sie um, und als sie wieder bei der Bank angelangt war, sagte sie sich, nachdem sie nun doch einmal da wäre, könnte sie nichts Besseres tun, als warten.

In diesem Augenblicke kam Franz. Sie ging ihm entgegen, und er grüßte etwas befangen und sah auf seine Uhr.

»Ich wär' früher gekommen, wenn ich's gewiß gewußt hätte...«

»Ich hab auch gar net kommen wollen«, erwiderte Paula, »aber ich hab mir denkt, schreiben soll ich auch net, und da is's doch das gescheiteste ich sage Ihnen selber, daß so was net sein darf...« Franz gab ihr innerlich recht.

Er hatte sich auf dem Herweg gedacht, daß sein Brief ungehörig und mehr als kühn gewesen sei, und er hatte sich schon damit abgefunden, daß sie nicht kommen und ihm die Zumutung verübeln würde.

»Sie waren vielleicht überrascht?« fragte er.

»Was S' Ihnen nur denkt hamm? Am End hat Ihr Freund Ihnen den Rat geben? Jessas, wenn der wüßt, daß ich...«

»Nein, Frau Paula... Ich würde keinem Freund so was anvertrauen...«

»Gelten S' net? Ich glaub nämlich, daß er eine schlechte Meinung von den Frauen hat, und wenns auch hundertmal wahr is, daß ich bloß deswegen kommen bin, damit ich Ihnen das ausred', des helfet mir doch nix... Ich möcht net wissen, was er zur Resi sag'n tät...«

»Die zwei haben sich wahrscheinlich schon öfter troffen?«

»Ich glaub, meine Freundin is... no, wie soll ich sagen?... sie hat halt a anders Temperament...«

»Sie is mir damals sehr lustig vorkommen...«

»Es is a Glück, wenn ma's Lebn so auffassen kann. Ich denk mirs oft. Ich kann's halt net, ich bin so schwerfällig, und die Angst, die ich ausstehen müßt'. Aber jetzt hamm S' mir immer noch net gsagt, was S' Ihnen denkt hamm...«

»Bei dem Brief?«

»Ja... Jessas, was hätt' ich g'sagt, wenn zum Beispiel mein Mann den Brief g'lesen hätt?«

»Insofern war's unvorsichtig, aber...«

»Ich glaub, ich wär in 'n Erdboden versunken... Nur daß er natürlich meine Brief net kontrolliert, weil er weiß, daß er sich da verlassen kann. Mir is ja noch nie so was passiert...«

»Da sind wir gleich am Chinesischen Turm«, sagte Franz. »Möchten Sie nicht eine Tass' Kaffee trinken?«

»Um Gottes will'n! Wenn mich wer sehen tät... Was müßten sich die Leut' denk'n?«

»Wir können uns doch zufällig getroffen haben...«

»Die Welt is schlecht, die is immer glei fertig mit'n Urteil...«

Der Garten war beinahe leer; nur an einigen Tischen saßen Leute, die sich nicht um die Ankommenden zu kümmern schienen, und da Franz zögernd stehen blieb, sagte Paula:

»Eigentlich is ja nix dabei, ma kann doch mit Bekannten in an öffentlichen Garten sitzen...«

»Ich mein', wenn man selber weiß, daß man nichts Unrecht's will...« erwiderte Franz. Sie nahmen Platz und ließen sich Kaffee bringen.

»Ich wunder mich über mich selber«, begann Paula wieder. »Wenn mir das wer gsagt hätt, vor a paar Tag noch, daß ich mit an fremden Herrn...«

»Ich bin Ihnen doch nicht fremd...«

»Oder überhaupt mit an Herrn... daß ich da förmlich zu an Rendezvous komm... das hätt ich nie für möglich ghalt'n...«

»Ich hab das nicht wie ein Rendezvous aufgefaßt...«

»O mei! Solche Brief wern S' scho viel g'schrieben hamm...«

»Noch keinen einzigen.«

»Das sagt ma so, aber ohne Übung hätten S' Ihnen das net traut...«

Franz machte ein sehr feierliches Gesicht, als er der Frau Globerger erklärte, daß es das Prinzip eines Ehrenmannes sein müsse, nie zu lügen und immer die Wahrheit zu sagen.

Und Paula schaute ihn mit ihren gutmütigen braunen Augen fast bewundernd an.

»Ich war nur einmal verliebt, das hab ich Ihnen ja erzählt; auf meiner Seite wars wirklich eine ehrliche Neigung, aber wie ich dann getäuscht worden bin, da wars mir grad, als wenn mein Herz ausgebrannt wär...«

»Erzählen S' mir a bissel was davon...«

»Von meiner Liebe? Da is net so viel zu erzählen. Ich hab sie im Löwenbräukeller das erste Mal g'sehen, und ein Bekannter hat mich vorgestellt. No ja... dann is es eben so weiter gangen... bis zu dem Tag, wo ich alles erfahren hab müssen...«

»Sie hamm mir's schon amal abgstritten, aber ich weiß gwiß, Sie hamm s' noch immer gern...«

»Nein... das wär unwürdig... wenn man einmal so was weiß...«

Der junge Mensch sah nett aus in seinem Ernste; er machte so schwermütige, traurige Augen, und um seinen Mund lag ein energischer Zug, der Paula besonders gut gefiel. Er war so gewissenhaft, auf die Uhr zu sehen und zu sagen, daß er die Gnädige nicht in Verlegenheit bringen wolle.

»Jetzt bin i schon amal da, und so genau brauch ich auch net Rechenschaft ablegen...«

»Ich hätt mir nur Vorwürfe gemacht, wenn Sie meinetwegen...«

»Nein... wenn mich wer sieht, bin ich halt spazieren gangen...«

Sie sah ihn an und fand in seinen Augen einen Ausdruck ehrlicher Besorgnis.

Das rührte sie, und unwillkürlich legte sie ihre Hand flüchtig auf die seinige.

»Ich glaub, Sie sin ein furchtbar guter Mensch...«, sagte sie dabei.

»Gut? Ihnen schon...« Er stieß es hastig heraus und wurde rot; dabei wandte er den Blick ab, als wolle er den Unwillen nicht sehen, den sein unbesonnenes Wort erregen mußte.

Auch Paula schwieg.

Ein Fink hüpfte auf den Tisch und wandte den Kopf mißtrauisch nach allen Seiten, dann kam er näher und pickte einige Krumen auf.

»Die Erklärung sind S' mir immer noch schuldig«, sagte Paula.

»Welche Erklärung?«

»Was Ihnen denkt hamm, daß Sie mir den Brief g'schrieben hamm?«

Ja, wie war der junge Mensch dazu gekommen, seine Schüchternheit zu überwinden? Und wie sollte ers beschreiben? Es war ein merkwürdiges Gefühl, über das er sich nicht recht klar war; er hatte immer an die Begegnung denken müssen.

Er hatte sich so verlassen gefühlt seit der Enttäuschung, und Paula war die einzige gewesen, der er sich anvertraut hatte. Warum? Dafür gab es keinen Grund, den man sagen konnte.

Er hatte gleich die Empfindung gehabt, daß sie ihn verstehe, und es war ihm merkwürdig leicht ums Herz geworden nach der kurzen Aussprache.

Es war ihm zumut gewesen, als hätte er endlich die mitfühlende Seele gefunden, die er in seiner Einsamkeit gesucht hatte. Das alles sagte er, zuerst stockend, dann in fließender Rede.

Er hatte eine von der Aufregung belegte Stimme; wenn er von seiner Seele und seiner Einsamkeit sprach, klang es verschleiert und müde.

Das machte Eindruck auf Paula.

Immer wieder legte sie ihre Hand auf die seine, und wenn er von dem merkwürdigen Zutrauen sprach, das sie ihm beim ersten Blicke eingeflößt hatte, drückte sie sie fest.

Wie lautete das anders als die kurzen, brummigen Worte, die sie daheim hörte.

Wenn sie zurückdachte an die ersten Monate ihrer Ehe, fand sie, daß Benno selbst damals nie so zart und rücksichtsvoll mit ihr gesprochen hatte.

Aber die derben Scherze und Zutraulichkeiten hatten bald aufgehört; er war immer wortkarger geworden und hatte ihr deutlich gezeigt, wie er sich in ihrer Gesellschaft langweilte; jetzt waren sie schon so weit, daß er ihr häufig auf Fragen nicht antwortete.

Ihr Vertrauen zu schenken, sich herzlich mit ihr auszusprechen, das war ihm nie eingefallen.

Franz aber sagte ihr Dinge, die sie wohl in Romanen gelesen, aber noch nie gehört hatte.

Und er sagte sie so herzlich und mit einem Unterton von Zuneigung, den sie wohl heraushörte.

Sie drückte wieder seine Hand. »Sie sind wirklich ein guter Mensch, Herr von Riggauer...«

»Sagen Sie doch Franz zu mir! Bitt schön...«

»Also, Herr Franz... und wissen S', eine Seelenfreundschaft, so eine Freundschaft, wo... wissen S'... wo eins zum andern das größte Vertrauen hat, die könnt ich Ihnen schon entgegen bringen... Wissen S', ohne häßliche Nebengedanken...« fügte sie hinzu, und Franz nickte ernsthaft.

Er stimmte mit ihr überein, daß die Nebengedanken häßlich seien.

»Unsereins«, sagte Paula nach einer kurzen Pause, in der sie sich treuherzig in die Augen geschaut hatten, »unsereins hat ja so oft das Bedürfnis, sich auszusprechen, und ich hab ja auch niemand, zu dem ich offen reden könnt...«

»Ihr Mann...?«

»M... m...«

Ein Schatten huschte über ihre Augen, und sie seufzte.

»Mit mei'm Mann kann ich am allerwenigsten reden. Der hört mich net an. Aber net, daß Sie glauben, ich möcht ihm was nachsagen! Wissen S', das is halt so in der Ehe. Ich glaub, es geht alle andern grad so. D' Resi hat neulich zu mir g'sagt, daß ich in der gleichen Haut steck wie sie...«

»Ja... ja...« antwortete Franz, den ihre Offenheit wieder etwas in Verlegenheit brachte.

»Aber eine Seelenfreundschaft!« rief Paula und sah ganz schwärmerisch zum grünen Laubdach der Bäume hinauf. »Oft... du lieber Gott... wie oft hab ich mir das g'wunschen! Und warum soll's das net geben? Sie denken nichts Schlechts von mir, gelt?«

»Im Gegenteil. Es gibt ja Leute, die das bestreiten, daß es so etwas gibt zwischen Mann und Frau, und die behaupten, daß immer die... ein anderes Gefühl dazwischen käme, aber ich sehe nicht ein, warum...«

»Gel, das sag ich auch, und wenn Sie mögen, und wenn Sie mir Vertrauen schenken, dann gilt's...«

»Es gilt.«

Franz sagte es beinahe feierlich, und er schüttelte herzhaft ihre Hand.

»Eigentlich sollten wir...« fuhr er fort, »ich meine, wenn wir wirklich Freundschaft mit einander schließen...«

»Was?«

»Ich meine, wir sollten...« er wurde sehr rot... »wir sollten du zu einander sagen?«

Paula war viel zu natürlich, um die Erschrockene zu spielen.

»Das is eigentlich wahr«, sagte sie, »wenn wir einander gut Freund sind, is doch nix dabei... also wenn du magst...«

»Du... Gute!«

Eine halbe Stunde später gingen sie langsam der Stadt zu.


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