Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

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Der Brauch war, am Bennotage einen Ausflug zu machen und dem Namenstage des Herrn Globerger dadurch einen festlichen Anstrich zu geben.

In den ersten zwei Jahren hatte sich Benno dazu verstanden, mit Paula allein über Land zu fahren. Er ließ sich die harmlose Fröhlichkeit der Frau gefallen, ohne herzlich darauf einzugehen, und er verbarg kaum die Geringschätzung, die ein gesetzter Mann der Weiblichkeit entgegenbringt. Später war ihm aber die Verpflichtung so lästig, daß er auf Ausreden sann und die Zumutung, einen ganzen langen Tag allein mit seiner Frau zu sein, als sehr unbillig empfand.

»Alles, was recht is«, pflegte er im Gespräche mit Freunden zu sagen. »Man weiß ja und man anerkennt dös ja auch, daß ma gewisse Rücksichten aufs Familienleben zu nehmen hat. Und ma hat sei Frau auch gern; aber was red'st damit den ganzen Tag? Ma kann sich doch in Gottes Namen net in solchene Interessen vertiefen, lauter Kleinlichkeiten und gewissermaßen kindisch. A vernünftiger Dischkurs is doch faktisch ausgeschlossen...«

Aber Paula hing nach Frauenart zäh an ihrem Rechte auf diesen Ausflug, und sie verteidigte es mit einer Heftigkeit, die sie in wichtigeren Dingen nicht zeigte.

»Du magst mi nimmer«, schluchzte sie in ihr Taschentuch hinein. »Amal hast g'sagt, der Tag soll uns heilig sein, und unser ganz Leben, hast g'sagt, soll uns der Tag g'hör'n...«

»Ich sag doch net, daß...«

»Jawoi, du hast ausdrücklich g'sagt, ma muß sich bei solchene Gelegenheiten vom Alltag erholn...«

»Hab ich g'sagt, schön...«

»Was hab ich denn von dir? Vom Laden gehst zum Frühschoppen, und kaum hast an Löffel hing'legt, gehst ins Kaffeehaus, und...«

»Tut ma denn das gern? Glaubst, mir wär's net auch lieber, wenn ich mich im Kreise der Familie erholen könnt und net der Kundschaft nachlaufen müßt? Glaubst, ich hab net auch Momente, wo...«

»Und auf d' Nacht gehst wieder fort, und jeden Tag und jeden Tag...«

»Mit euch Frauen ka ma über so was net red'n... Daß ich als Geschäftsmann gebunden bin...«

»I weiß schon, mei Mutter hat mir's oft g'sagt...«

»Was hat s' g'sagt?«

»Daß dös der Anfang is, wenn d' Lieb aufhört. Daß nacha der Mann lauter Pflicht und G'schäft und Ausreden hat...«

»Das is einfach lächerlich...«

»Nein! Ich merks doch so auch! Dös merkt ma doch an allem; was hab ich denn noch von dir? Und jetzt is dir sogar dös z'viel, und 's ganze Jahr hab ich mich drauf gefreut...«

»Also schön! Von mir aus. Ich sag ja net, daß ich net will. Aus g'schäftlichen Rücksichten hätt ich eventuell...«

»Nein, und es is amal der Tag...«

»Hätt ich... laß mich doch ausreden! Weil von der Firma Samhammer der Vertreter da is. Aber wenn du mir solchene Sachen amputierst, muß ich halt anders disponieren, nacha fahr'n ma übermorg'n...«

»Es is ja so a Feiertag...«

»Deswegen hätt ich das Geschäft schon abwickeln können; aber, wie g'sagt, mir fahr'n...«

Paula zeigte über die Einwilligung eine solche Freude, daß Benno über die kindische Natur des Weibes neue und bleibende Eindrücke gewann. Um den Tag nicht ganz zu verlieren, überredete er seinen Freund, den Eisenhändler Nikolaus Schegerer, mitzufahren. Den übernächsten Tag saßen die vier, denn Schegerer hatte auch seine Frau Therese, eine üppige Blondine, mitgenommen, im Zuge, der sie nach Schliersee führen sollte.

Es war ein kühler Junimorgen, und daß die beiden Herren nicht gewohnt waren, zu so früher Stunde aufzustehen, bewiesen sie durch oft wiederholtes Gähnen.

»I hätt eigentli heut in 'n Arzber... Arzber...« Schegerers Worte verloren sich in einem langen Gähnen »... in 'n Arzberger Keller soll'n... der Stadler Muckl und der... ah... der Schtraßberger Maxi kemman hi...«

»Einmal im Jahr kann ma sich ja zu einer Liebenswürdigkeit aufschwingen«, sagte lachend die Frau Resi. »Is der Ihrige auch so galant?« fragte sie Paula, die sich noch etwas schüchtern vor der neuen Bekannten zurückhielt.

»Der Benno war ganz gern dabei... gelt?«

»Wie lang sind S' schon verheirat'?«

»Mir? Im vierten Jahr...«

»Vier Jahr... na weiß i alles. O diese Männer! Da erlebt man seine Enttäuschungen...«

Frau Resi zeigte gerne beim Lachen ihre weißen Zähne. Dabei hatte sie die Gewohnheit, ihre rote, spitze Zunge vorzustrecken, und in allen ihren Bewegungen war etwas Quecksilbernes. Ihre aufgeworfenen Lippen wie ihre Augen verrieten eine wache Sinnlichkeit, die der breitspurige Schegerer, der an einem kugelrunden Gesichte einen entstellenden Knebelbart hängen hatte, sicherlich nicht einzuschläfern versuchte.

»O diese Männer!« rief sie noch einmal mit einem Aufschrei... »Eigentlich sollt ma Buch führn, was die einem in den ersten vierzehn Täg sag'n... Bloß damit man's ihnen hintendrein unter d' Aug'n halten könnt...«

»Da Ding... da Schtra... da Schtra...« Herr Schegerer gähnte wieder... »da Schtraßberger Maxi hat gestern an Schellnsolomatsch g'spielt mit'n blankn Graskini in da Hand... an ang'sagtn Matsch... an Hallmayer Winni hätt's schier z'riss'n vor Wuat über so eine Frechheit... Eigentli is 's ja ein Betrug, hat er g'schrian, denn bal oana an Matsch ansagt, stellt er doch die Behauptung auf, daß er sämtliche Schtich in da Hand hat... und dös is also, sagt er, die Vorspiegelung einer falschen Tatsache... no, du kennst 'n ja, den g'scheidt'n Ha... Ha... uah... Hallmayer...«

Das Kupee hatte sich allmählich gefüllt, zumeist mit Leuten, deren Ausrüstung zeigte, daß sie Bergpartien machen wollten.

Kurz vor der Zug anfuhr, trat ein junger Mensch ein, der sich verlegen nach einem Platze umsah und sich unter linkischen Verbeugungen entschuldigte, als er seinen Rucksack über Benno ins Gepäcknetz legte.

Er war lang aufgeschossen und hatte etwas Ungewandtes, Eckiges in seinen Bewegungen, aber sein frisches Gesicht war so auffällig hübsch, daß ihn Frau Resi mit zugekniffenen Augen wohlgefällig musterte.

Sie bedauerte es heimlich, daß er auf der Bank hinter ihr einen Platz fand und durch die Halbwand ihren Blicken entzogen war.

Anscheinend war er Student; wenigstens ließ der schwarze Hornzwicker, den er trug, darauf schließen.

Nebenan, durch den Gang getrennt, saß an der Ecke ein Mann, dem ein buschiger, aufwärts gekämmter Schnurrbart und kühn rollende Augen ein martialisches Aussehen verliehen.

Er war viel mit sich beschäftigt, glättete seine Weste, richtete seine Krawatte, zog ein Bürstchen aus der Rocktasche und strich energisch den Schnurrbart in die Höhe. Dabei musterte er seine Mitreisenden, und seine Augen blieben bald auf der Frau Resi haften, die sich unter den herausfordernden Blicken wohlig dehnte wie eine Katze in den Sonnenstrahlen.

Der Zug fuhr an.

Der junge Mensch, der ein Student zu sein schien, hatte das Fenster geöffnet, und die einströmende Luft war so kühl, daß Frau Resi zusammenschauerte.

Sofort stand der martialische Herr auf und rief mit strenger Betonung: »Ich bitte, das Fenster zu schließen, den Damen zieht es...« Vielleicht hatte der Student nicht gleich verstanden, daß die Aufforderung an ihn gerichtet war; er sah sich nach dem Platze um, von woher die laute Kommandostimme kam.

»Ich nehme an, mein Herr, daß Sie wissen, was sich gehört... und daß man als Tschentlemänn Rücksicht auf die Damenwelt nimmt.«

Der Martialische sagte es mit einer Bestimmtheit, die zeigte, daß er gewohnt war, Widerstände unnachsichtlich zu beugen und zu brechen.

Das begriff auch der junge Mensch und zog, eine Entschuldigung murmelnd, das Fenster in die Höhe.

Damit war eine Anknüpfung ermöglicht.

Mit einer tiefen Verbeugung, die in ihm sofort einen Handlungsreisenden erkennen ließ, sagte der ritterliche Mann: »Es ist noch immer empfindlich kühl, meine Dame...«

Frau Resi warf ihm einen freundlichen Blick zu und kuschelte sich an Paula hin.

Benno gähnte.

Schegerer sagte hinter der vorgehaltenen Hand:

»Ja... ja... werd halt wieder a ka... a ka... uah!... a kalter Summa...«

Dann wandte er sich an seinen Freund.

»Mit'n Graskini blank... woaßt, a Unverschämtheit is 's scho... Natürli, wenn oana an Matsch o'sagt, haltst do net mit a'r Aß oder mit an Zehna... an so was denkt ja koa Mensch... Obwohl daß i sag, gar so aufdrahn wia da Hallmayer...«

»Von einem Betrug laßt si doch net red'n«, sagte Benno. »Es is ein Bläff, wie der Engländer sagt; reschpektive trifft ihn auch das Risiko, und bald ich das Risiko einer Unternehmung trage, kann ma do nix sagn von an Betrug. Höchstens von an Bläff...«

»Wissen S', Frau Globerger... oder darf ich Frau Paula sagen...?«

»Sagen S' doch du zu mir!«

»Wirklich? Das freut mich... Sie... oder du hast mir schon gleich g'fallen... unsere Männer sin ja auch alte Freund...« Frau Resi drückte Paula einen flüchtigen Kuß auf den Mund und streckte die Zunge ein paarmal vor und rückte kokett hin und her.

Dabei streifte sie mit einem flüchtigen Blicke den martialischen Herrn, der den Blick auffing und gleich das Bartbürstchen aus der Tasche zog.

»Weißt, Paula, ich darf ja so an Tag rot im Kalender anstreich'n... Eine Reise mit dem gestrengen Eheherrn... uh! Machst du öfter so Touren?«

»N... nein... es is nur heut... weil Bennotag is...«

»Jessas... ja! Da hätt ich bald vergessen... Der Herr Globerger hat ja sein Namenstag... mach meine Gratulation...«

Frau Resi streckte Benno ihre rundliche Hand hin, lächelte ihn an, lächelte auch den Ritter an und richtete sich flüchtig auf, wie um nach dem Fenster zu sehen. Sie warf dem Studenten einen strahlenden Blick zu und redete gleich wieder mit Paula.

»Da is ja heut ein b'sonderer Tag für dich... eigentlich hättst du die Fahrt allein machen müssen mit dem Herrlichsten von allen...« Sie lachte silbern auf...

»N... no... ja... früher hamm mir ja...«

»Früher! Heißt's bei dir auch schon so? Früher... Was bei uns alles früher war! So ziemlich... alles...«

Frau Resi flüsterte Paula etwas in die Ohren, drückte die Augen zu und lachte... »O die Männer! Ich kenn die Herrn der Schöpfung... gelt, Mausi?« Sie wandte sich an ihren Mann.

»Wos?«

»Wir tauschen grad unsere Erfahrungen mit der Männerwelt aus...«

»So?« sagte Schegerer trocken und setzte sein Gespräch mit Benno fort:

»Da Stadler Muckl hat zahlt und g'lacht. I kriag di scho aa'r amal, sagt er und mischt d' Karten, als wenn nix gwen waar. Der hat gar nix dergleichen to, aber der Hallmayer! ›Faktisch is es einfach ein Betrug, in an honettn Spiel g'hört si so was net‹ hat er geschrien... Na is da Ding no da gwen, du kennst 'n ja, der Spangler von da Löwengruabn... da Ding... da... da Weiß Festl... den fragt da Hallmayer... net?... er soll sei Gutachtn abgebn, als a Unparteiischer... ob so was zulässig is, und da Weiß Festl sagt: ›Warum denn net, i ko mit drei Spatzen an Matsch o'sagn, wenn i mag. Dös is do mei Sach‹ sagt er, ›ob i's Geld verspieln mag‹...«

»Das is meine Ansicht auch«, rief Benno eifrig. »Die Sache liegt doch glatt! Ma braucht doch nur die Kehrseit'n zu betracht'n: wenn er zufällig das Spiel verliert. Da hätt da Herr Hallmayr vermutlich den Betrag einkassiert... Also... damit is doch der Beweis geliefert... wenn man die Kehrseite betrachtet... Ich wiederhole, es is ein Bläff auf Risiko des Spielenden reschpektive des Bläffenden.«

Der Martialische hielt einen runden Taschenspiegel vor sich hin und prüfte sein Aussehen. Er war zufrieden und beschloß, die üppige Frau, die wieder einmal mit halb geschlossenen Augen zu ihm herübergeblickt hatte, anzusprechen.

»Wohin fahren die Damen, wenn ich mir diese Frage erlauben darf?«

»Schliersee.«

»Ha! Schliersee! Da werden sie einen genußreichen Tag verleben... Das Wetter verspricht schön zu werden, die Vegetation ist auch schon weit gediehen, die Aussicht auf das Gebirge könnte nach der Regenperiode auch sehr rein sein...«

»Hoffentlich«, sagte Frau Resi.

»Die Dame ist gewiß eine gewandte Bergsteigerin?«

»Nein... Da kommt unsereins nicht so viel dazu...«

»Natürlich, die Pflichten der Hausfrau... übrigens, erlauben die Herrschaften, daß ich mich vorstelle... mein Name ist Fritz Laubmann, Vertreter der Firma Probst in Hof...« Benno murmelte seinen Namen, Schegerer knurrte etwas vor sich hin, die Damen nickten freundlich, und darin sah Herr Laubmann, wie er das auch nicht anders erwartet hatte, daß seine Annäherung gern gesehen war. Er versprach sich nunmehr auch einen genußreichen Tag. Um sich das schwache Geschlecht noch geneigter zu machen, warf er einen drohenden Blick nach der Bank hin, auf der der Student saß, und sagte:

»Die Damen sind vorher belästigt worden...«

»Ach wo!« wehrte Paula ab.

»Jedenfalls sind sie dem Zug ausgesetzt gewesen... ich habe dem Übelstand ja sofort abgeholfen... aber es hätte überhaupt nicht vorkommen sollen.«

Der Student las in einem Reclambändchen, und bemerkte die Gefahr nicht, die über ihm schwebte.

Herr Fritz Laubmann nahm an, daß sein Ansehen gefestigt wäre, und begann das zu tun, was er die Leute in ein Gespräch verwickeln nannte.

Das Bild war glücklich gewählt, denn die unwidersprechlichsten Behauptungen und die ungemein richtigen Bemerkungen schlangen sich um die Zuhörerinnen, und es gab kein Entrinnen aus diesem Knäuel von Wahrheiten über gute Hotels, schlechte Zugverbindung und regen Verkehr.

Laubmann war ein geborener Redner, der durch Heben und Senken des Tones den bekanntesten Dingen Leben verlieh und das erlahmende Interesse sogleich wieder aufrüttelte.

Da es nichts zu widersprechen gab, begnügte sich Paula, ab und zu bestätigend mit dem Kopfe zu nicken, die lebhaftere Frau Resi öffnete und schloß die Augen, zog die Schultern hoch, rückte hin und her, lächelte, machte ein ernstes Gesicht und paßte ihre Mimik, so gut es nur irgend ging, dem nüchternen Gespräche an.

Manchmal seufzte sie auch, und es war nicht ganz klar, ob sie sich über die bayrischen Verkehrsverhältnisse oder über Herrn Laubmann grämte.

Hinter Holzkirchen konnte nichts Allgemeingültiges mehr festgestellt werden, und die Konversation drohte einen Augenblick zu stocken.

Paula schauerte zusammen und rieb sich nach ihrer Gewohnheit die Hände; dabei machte sie eine wohlige Miene, so ähnlich, als wäre sie nach einer kalten Dusche in ein gewärmtes Badetuch geschlüpft.

Frau Resi patschte sie zärtlich mit der Hand aufs Knie, blickte sie lachend an und richtete sich wieder halb auf, um einen strahlenden Blick nach dem Studenten zu werfen, der ihn diesmal bemerkte und darüber errötete.


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