Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

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Ein paar Tage später erhielt Benno Besuch von einem regensburger Geschäftsfreunde, einem Kaufmann Leistl.

Sie wollten abends zu einem Konzert in den Löwenbräukeller gehen, und Paula sollte mitkommen.

Sie sträubte sich dagegen, denn in den paar Wochen war ihr das Zusammensein mit ihrem Manne immer lästiger geworden, und einen Abend lang bei ihm und seinen Freunden zu sitzen, diese Reden und diese Späße anzuhören, erschien ihr unerträglich.

Sie hatte sich ganz dem Glücke hingegeben, das sie in der Liebe zu Franz gefunden hatte; und naiv, wie sie war, sah sie alles, was sie im täglichen Umgange mit ihm erlebte, für vollkommen an und zugleich für die Erfüllung ihrer heimlichen Sehnsucht.

Was war das für eine andere Welt, die sich da auf einmal vor ihr aufgetan hatte!

Wie zart und höflich er war, wie er zu reden wußte, wie er Interesse für sie und alles, was sie anging, nahm! Sie, die so lange bescheiden und gedrückt sich die Unmanieren dieses Philisters – sie sagte wirklich Philisters – ertragen hatte, gewann Vertrauen zu sich selbst, glaubte an ihren Wert, und zugleich war sie empfindlich und überempfindlich gegen alles geworden, was Benno sagte oder tat.

Sie wunderte sich, daß sie nicht längst gesehen hatte, wie hohl und dumm die Redensarten dieses bequemen Faulenzers waren. Jetzt traf sie jede großartige Phrase, hinter der er seine Schwäche verstecken wollte, wie ein Peitschenhieb, und ihr geschärftes Ohr hörte aus jedem seiner Worte seine Unwahrhaftigkeit heraus.

Auch die Art, wie er sich gehen ließ, das Schlumpige in seinem Äußern sah sie mit unbarmherziger Schärfe, und in ihr war nichts mehr von gütiger Nachsicht, die über Kleinigkeiten wegsehen läßt.

Sie gab sich keine Mühe, ihren Widerwillen zu verbergen; gerade weil sie unverdorben war, fiel es ihr nicht ein, zu schauspielern und Gefühle zu heucheln, die ihr größere Sicherheit verschafft hätten.

In ihrem Enthusiasmus für den Geliebten wäre ihr das wie Verrat und Untreue vorgekommen.

Zu ihrem Glücke war Benno viel zu oberflächlich und zu eitel, um die Veränderung in ihrem Wesen zu bemerken; er hielt das für üble Laune, und die üble Laune eines Frauenzimmers hatte doch wirklich nicht so viel zu bedeuten, daß sich der Herr Globerger darum gekümmert hätte.

Er hörte auch nicht, daß sie Worte gebrauchte, die sie nie gekannt hatte, und die ihr in ihrem bisherigen Umgange fremd geblieben sein mußten. Daß sie in ihren Bewegungen eine etwas gesuchte Feinheit verriet, hätte nur ein guter Beobachter gesehen.

Paula hatte schon einmal einen Sonntagnachmittag mit Franz im Löwenbräukeller zugebracht; so gründlich hatte sie ihre Ängstlichkeit abgelegt.

Es waren etliche Freunde von Franz dazugekommen, nette junge Leute, von verbindlicher Höflichkeit und doch so ausgelassen lustig.

Wie hatte es ihr geschmeichelt, daß man ihr ritterlich den Hof gemacht und sie ganz offiziell als Frau des Korpsbruders behandelt hatte. Sie brachte allem, was da besprochen wurde, das größte Interesse entgegen und war von der Bedeutung dieser studentischen Dinge fest überzeugt.

Da sollte sie nun in dem gleichen Garten mit Benno und einem dicken Banausen aus Regensburg sitzen und sich den ganzen Abend langweilen? Sie weigerte sich und wollte Kopfweh vorschützen, aber eine bissige Bemerkung der alten Frau brachte Benno in Harnisch, und er verlangte heftig, daß auf seinen Geschäftsfreund Rücksicht genommen werde.

Mürrisch und verdrossen willigte Paula ein, aber sie verlangte, daß Resi eingeladen werde, und nach Tisch ging sie zu der Freundin.

»Tu mir den G'fall'n, dann hab ich doch a Ansprach. Ich mag ganz einfach net allein sein mit dene Bierdimpfln.«

Resi lachte.

»Warum denn net? Der G'fallen is net so groß... aber laß dir was sag'n, Paulilutscherl... zeig's ihm net so!«

»Was?«

»No... du verstehst mi schon... Weißt, dir kennt ma's wirklich auf tausend Schritt an, daß du verliebt bist...«

Paula wurde sehr rot.

»Wie kommst d' denn auf so was?«

»Da wär auch noch schwer drauf kommen. Seit drei Wochen bist du überhaupt nimmer die alte Paula, und außerdem erzählt mir der Ottibubi allerhand... hast ja recht... wärst ja dumm! Aber wenn i du wär, tät ich mir's net so anmerken lassen...«

Paula verzog ihr Gesicht zu einer Gebärde des Ekels.

»Ich halt's einfach nimmer aus!«

Resi lachte laut.

»Du Patschi! Wer wird si denn so über d' Ohren verlieben!«

»Ich sag dir's ganz offen, mir graust's vor... vor...«

»Ich weiß schon... hab ich auch schon durchg'macht... Du... vor der Krankheit muß ma si in acht nehmen. I mein net, daß ma sich zwingen kann und net siecht, was an dem Herrn und Gebieter eigentlich dran is... aber an Kopf muß ma ob'n b'halt'n«

»Ah«

»Nix ah...! auch wegen dem Herzgepäppelten... weißt. Ich hab auch amal g'meint... und der Betreffende war älter, – da war 's viel ernster und da hab ich g'meint, ich muß alles liegen und steh'n lass'n aber wie ich alle Bedenken aufgeb'n hab wollen, hat er die Bedenken kriegt und is ganz moralisch worden. Den Brief möcht' i dir zeig'n, wenn i 'n no hätt...«

»Das is gemein...«

»N... ja... wie ma 's nimmt. D' Lieb is lusti... die Folgen san fad... so denken sich d' Mannsbilder...«

»Net alle, es gibt auch andere, die viel zu anständig sin...«

»Geh... geh! Und der Betreffende, den du jetzt meinst, und ich vielleicht auch, der kommt do gar net in Betracht. Wär er älter, und wär a G'fahr dabei, nachher tät er auch 'n Kopf rausziehen... sei lustig... na hast d' was davon! Die Ehemänner bleib'n uns scho erhalt'n...«

Paula schwieg.

Sie konnte nicht in diesem Tone von Gefühlen reden hören, die ihr alles galten, am wenigsten vermochte sie es, selber darüber zu sprechen.

Sie war froh, daß sein Name nicht ausgesprochen worden war, und sie scheute die Möglichkeit, daß es noch geschehen könnte.

Darum brachte sie das Gespräch auf gleichgültige Dinge und verabschiedete sich rasch.

*

Im Löwenbräukeller waren alle Tische von fröhlich lärmenden Menschen besetzt, und immer noch drängten sich neu Ankommende zwischen den Reihen durch.

Leute eilten mit leeren Maßkrügen zur Schenke, andere kamen mit gefüllten von dorther zurück; man sah aufgeregte Menschen sich zur Küche hindrängen und mit aufgehäuften Tellern, die sie kaum zu tragen vermochten, an ihre Plätze eilen, dicke Kellnerinnen liefen zwischen den Tischen herum, wiederholten mit schrillen Stimmen die Bestellungen, und in das Schreien, Lärmen und Lachen hinein klangen die schmetternden Trompeten einer Husarenregimentskapelle.

Nach und nach kam Ruhe über die gesättigten Menschen, und die Musik konnte auf sie wirken.

Wenn ein feuriger Marsch gespielt wurde, sah man deutlich, wie Unternehmungslust und Verwegenheit die Männer ergriffen; mancher schob den Hut zurück und setzte ihn schiefer auf, die Augen blitzten kühner, die Füße bewegten sich im Takte.

Wenn aber ein schmeichelnder Walzer erklang, wandelten sich Ernst und Grimmigkeit in weiches Sichanschmiegen.

Die milde Regung führte wie der Trotz die Hand zum Kruge, und lange Schlucke dämpften die Tapferkeit wie die Sehnsucht nach Liebe.

Ein Signal ertönte und machte das Publikum darauf aufmerksam, daß sich etwas Sensationelles ereignen werde.

Ein schöner, etwas beleibter Husar, dessen Rundungen in der prall sitzenden Hose sehr zur Geltung kamen, trat auf ein erhöhtes Podium und stand unbeweglich im grellen Lichte einer Bogenlampe.

Eine schmelzende Weise setzte ein; wie ein Marmorbild stand der Husar vor der Menge, bis er plötzlich, wie automatisch, eine Trompete an den Mund führte und lange, tremolierende Töne blies. Das Publikum war über seine Kunst, den Atem anzuhalten, begeistert und schrie und klatschte.

Der Husar ließ davon ungerührt das Wasser aus der Trompete laufen und wartete in steinerner Ruhe, bis sein Moment wiederkam.

Unter denen, die sich davon begeistert zeigten, war auch der Geschäftsfreund Bennos, der Kaufmann Leistl aus Regensburg.

»Ein Deifelskerl!« rief er... »aber scho großartig... Wenn's d' moanst, er muaß unbedingt aufhör'n, es geht einfach nimma, na blast der Deifelskerl no oan Tremolo nach dem andern...«

»Spetakl machen ham de Breißen no allaweil kinna«, sagte Schegerer, der keinen Enthusiasmus schätzte.

»Dös is scho a bissel mehra, wia Spetakl g'macht, mei Liaba... Das is Kunst... Bei de landshuata Schwar'n Reiter war ein Trompetta, wart amal, wie lang is des her? No... Ende der achzger Jahr, wia'r i in Kondition drunt'n war, ein Trompetter, der hat auch eine kolossale Atemführung g'habt... auf d' Atemführung kummt 's o... aber der Husar blast 's Piano entschieden feiner, der hat eine besserne Ambuschur...«

»Von mir aus«, erwiderte Schegerer. »I gib auf de brotlosen Künst nix...«

»Brotlos? Oho! Was glaub'n Sie, daß sich der Mann verdient? Unter dreiß'g bis vierz'g Mark blast der net... i hab do den landshuata Kapellmeister guat kennt. Der hat mi informiert...«

»Wann alle so waar'n wia'r i, kriagt er koane dreiß'g Pfenning... i mag de Blaserei net und trinket mei Bier liaba mit Ruah...«

»No... Herr Schegerer, erlauben Sie mir, Sie könna do die Macht der Musik net läugna...«

»De läugn' i scho.«

»Aber erlauben Sie mir...«

»Er leugnet sie ja gar net«, fiel Benno ein. »Reschpektive er leugnet sie sozusagen bloß aus Opposition...«

»Dös is a Schmarrn.«

»Na... mei Lieber... Du hast amal diesen Widerspruchsgeist... Hab i net recht, Frau Reserl?«

Resi schreckte zusammen, da sie ihre Aufmerksamkeit gerade einem benachbarten Tische schenkte, an dem einige junge Leute saßen. Einer davon sah so aus wie Herr Otto Jüngst, und er wurde ihm noch ähnlicher, als er seinen Krug hob und sich lächelnd zum Gruße verneigte. Sie war aber gleich gefaßt und unbefangen.

»Wie?«

»Ob der Herr Gemahl net die Eigenschaft hat, daß er aus purer Opposition allaweil's Gegenteil sagt?«

»Oh... überhaupt die Männer!«

»Da waar i wieder ganz anders«, rief Herr Leistl, »wenn ich in zarten Fesseln waar, da gab's koan Widerstand... kein Widerstreben«, verbesserte er sich.

»Wirklich?«

Resi warf ihm einen koketten Blick zu, der den regensburger Geschäftsfreund in Wallung brachte. Er versuchte in sein dickes Gesicht, das ein starker, durch Anleihen an den Mundwinkeln vergrößerter Schnurrbart zierte, einen huldigenden Ausdruck zu legen.

Seine hervorquellenden Augen verrieten so etwas wie Zärtlichkeit.

»Wenn i in Hymens Banden waar'...« Leistl fand Gefallen an dem Satze, obwohl er ihm wie zäher Gummi an der Zunge klebte; er wiederholte ihn: »Gnä Frau dürfen glauben, wenn i in Hymens Banden waar' – leider, daß es nicht der Fall is...«

»Das Leider is aber nicht aufrichtig«, sagte Frau Resi lachend.

»Es gibt Momente, wo man sich sehnt... wo... wo man sein Schicksal als Junggeselle beklagt... wo man sich sagt, daß man das wahre Glück versäumt hat...«

»Woher wissen S' denn, daß dös a Glück is, wenn Sie's net ghabt hamm?« knurrte Schegerer.

»Woher i dös woaß? No, an beiläufigen Begriff hat unseroana auch davon...«

»Von was?«

Leistl zwirbelte seinen Schnurrbart in die Höhe und warf einen vielsagenden Blick auf Resi.

»Von den Freiden der Liebe...« sagte er und drückte ein Auge zu.

»Ah so... i hab gmoant, Sie reden vom Heiraten...! Dös is a bissel an Unterschied...«

Die Männer lachten; Resi rief:

»Da sehen S', wie galant mein Herr Gemahl is...«

»I waar' anderst.« Leistl legte beteuernd die Hand aufs Herz; dabei glitzerten die Diamantringe, die er an seinen dicken, wurstartigen Fingern trug. »Wenn i so a blitzsaubers Frauerl hätt... kaam... käme ein solches Wort nie aus meinem Munde.«

»Es is einer wie der andere. Ich kenne die Männerwelt.«

»Warum hamm S' denn net g'heirat, wenn S' so gschleckig san?« fragte Schegerer.

»Ich?«

Leistl legte sein Gesicht in ernste Falten.

»Vielleicht... vielleicht aus unglücklicher Liebe...«

Die Musik spielte ein Potpourri von Volksliedern; die Melodien paßten zu der Schwermut, die der regensburger Geschäftsfreund blicken ließ. Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Maßkruge und schaute sinnend vor sich hin.

Frau Resi fühlte sich durch das Gespräch angeregt; sie rückte mit dem Stuhle näher heran, warf einen vollen Blick zum Ottibubi hinüber und bat:

»Aus unglücklicher Liebe? Das müssen S' erzählen.«

An den nächsten Tischen murrten die Leute:

»S...ss...t! Ruhe!«

»Wenn d' Musi gar is«, versprach Leistl mit gedämpfter Stimme.

Aber als das letzte Volkslied verklungen war, griff er wieder zum Maßkruge, trank und schwieg. Vielleicht war er noch nicht mit sich einig über die Geschichte, die er erfinden mußte. Indessen Frau Resi drängte, und er fuhr sich mit dem Handrücken über den feuchten Schnurrbart.

»Ja... mei... am End is net viel zum verzählen... i war halt aa 'r amal jung und fesch...«

»Kennt ma nix mehr«, sagte Schegerer.

»Kann sein, außerdem san Sie net maßgebend. Dös müass'n de Damen entscheiden...«

»Erzähln S' nur weiter!« bat Resi.

»No ja... daß i auf de Sach komm i war also jung – net wahr? – und bin in Landshuat gwen i bin da in Kondition g'stand'n... no ja... was sag i? Da is mir halt ganga, wia's an jungn Mensch'n geht... Eines Tages... net?... hab' i mi verschossen... Die Betreffende war a sehr a saubers Madl... aus feiner Familie... nur prima... es waar' in dieser Beziehung nix im Weg g'stand'n... no ja... eines Tages will ich mich der Betreffenden nähern... Gewissermaßen also... ah... meine Erklärung abgeben... net?... und i geh zu diesem Behuf die Altstadt abi... no ja... da blend't 's mi scho von da Weit'n... ich siech die Betreffende... net?... mit an Leitnant von die Jäger... Frau Schegerer, Sie derfen 's mir glaab'n... was ich in diesem Momente empfunden habe... i derf scho sag'n... gelitten habe, das spottet jeder Beschreibung... Von diesem Moment an war's aus, es war grad, als ob in mir was z'sprunga waar... an Schtich hat's mir geb'n, ei'wendig... no ja... ich möchte nur konschtatieren, in diesem Momente war mein Glaube an die Menschheit verschwund'n...«

Herr Leistl schwieg und trank.

»A schöne Gschicht«, sagte Schegerer, »de gfallt mir aa.«

»Sie entspricht aber durchaus den Tatsachen.«

»Haben S' dann nie mehr was von dem Mädel g'hört?« fragte Resi.

»G'hört? N... ja...« sagte Leistl zögernd, weil er ungern daran ging, eine Fortsetzung zu erfinden.

»Hat s' den Leitnant g'heirat?«

»Ah! Der hat net dran denkt. Das war doch net auf einer soliden Basis aufgebaut... natürli hat er s' sitzen lassen. Sie soll nacha später eine sehr bescheidene Partie gmacht hamm, an kloan Beamt'n... hab i g'hört...«

»Das is eine gerechte Strafe«, sagte Benno... »Jetzt wird s' ja wissen, was ihr verloren gangen is... der Herr Leistl hat nämlich zwei große Häuser in Regensburg und ein gutgehendes Geschäft...«

»No ja... es floriert... Gott sei Dank...«


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