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Der alte Reder

Eigentlich Heinrich von Reder, Oberst und Ritter des Max Josefordens, den er 1870 bei Orléans erworben hatte.

Am Ende seines Lebens, als Achtziger, wurde er – ich glaube beim Jubiläum des Ordens – zum Generalmajor ernannt. Aber der Titel paßte nicht zu ihm; der deutsche oder der altbayrische Oberst saß ihm wie angegossen, denn so sah er aus, wie ein Obrister, der ein Regiment Pappenheimer Kürassiere bei Lützen ins Feuer geführt hatte.

Und ungefähr so sprach er auch, sehr ungeschminkt und derb, ohne Ängstlichkeiten und Rücksichten.

In seinen jungen Jahren hatte er die Aschaffenburger Forstschule besucht und mit ein paar Freunden das Korps »Hubertia« gegründet.

Nach 48 war er Soldat geworden und ein tapferer Offizier.

Und daneben steckte ein vollblütiger Künstler in ihm. Als pensionierter Oberst lebte er noch manches Jahrzehnt in München, dichtete Landsknechtslieder und verfaßte rassige Geschichten, die im bayrischen Walde spielten und die viel zu wenig bekannt sind.

Wer den hochgewachsenen, schlanken Mann mit dem feingemeißelten Kopfe sah, der riet nach den feurigen, kühn blickenden Augen, dem weißen, altbayrischen Knebelbart und nach dem sicheren, bestimmten Auftreten gleich auf den Offizier.

Es war etwas Ritterliches an ihm, etwas Chevalereskes; das Fremdwort paßt, denn so wie ihn stelle ich mir einen »Soldaten von fortune« vor, etwa den kühnen bayrischen Reiterführer Hans von Werth, qui fit pleurer le Roy de France.

Sein derber Freimut, der so ursprünglich und ungewollt, so männlich und selbstsicher war, gab mit diesem Aussehen eine prächtige Mischung.

Er wirkte nirgends eigenartiger als etwa in einem Kreise von jüngeren Kameraden, die auch schon im Ruhestande waren, oder von Beamten.

Da war er der Vertreter nicht bloß einer älteren, sondern einer ganz anderen Zeit, in der Persönlichkeiten gedeihen konnten, ohne von Schablone und Korrektheit im Wachstum behindert zu werden.

Ich sah ihn zum ersten Male in Gesellschaft einiger Forstmänner auf einem münchner Sommerkeller.

Sie waren Hubertenphilister, die sich alle auf den alten Herrn freuten, der sein Erscheinen zugesagt hatte.

Vor Reder kam, wurden die schlechten Aussichten, die von der neuen Organisation des Forstwesens herrührten, in gedämpft mißmutigem Tone besprochen.

Ein Forstrat ließ die Beschwerden und Klagen nicht ungestüm werden und trat für die Einsicht der hohen Regierung ein.

Da kam Reder.

Wie er an den Tisch trat, mit wehendem Mantel, den großen Schlapphut tief in die Stirne gedrückt, verstand man den Namen »Wotan«, den ihm die jüngeren Korpsbrüder beigelegt hatten. Gleich griff er ins Gespräch ein und schob die milden Beschwichtigungen des Forstrates beiseite.

»Ihr jungen Leut,« sagte er, »wißt ihr, wie ihr am besten im Staatsdienst vorwärts kommt? Macht euch an die richtigen Frauenzimmer und poussiert sie, hernach bringt ihr's zu was …« Er sagte es noch viel derber und deutlicher, als es sich wiedergeben läßt.

Alle lachten; bloß der Forstrat wollte korrigieren: »No … no, gar so einfach …«

»Red net, Mensch! Was wahr is, is allaweil einfach …«

Gleich war der trockene Ton weg, und wir saßen nun um den Alten, der aus seinem Leben erzählte, und der eigentlich der Jüngste von uns allen war.

Ich sah ihn erst nach Jahren wieder, als ein literarischer Verein seinen achtzigsten Geburtstag mit einem Frühschoppen feierte.

Ruederer hielt die Festrede und sprach mehr von zu spät anerkannten Dichtern im allgemeinen als von unserm Reder im besondern.

Georg Hirth folgte. Als er begann, drangen Sonnenstrahlen durch das Fenster und umspielten den feinen Kopf des Gefeierten.

Dran knüpfte Hirth an und fand herzliche Worte.

Nach ein paar Musikstücken und humoristischen Vorträgen klopfte Heinrich von Reder ans Glas.

Er dankte kurz und schlicht für die Glückwünsche und sagte dann:

»Vor zehn Jahren, wie man meinen siebzigsten feierte, da gab es einen Herrenabend, bei dem wir ziemlich laut und lustig waren.

Ein Mistgabelkooperator hat sich hinterdrein über die Unterhaltung aufg'regt und in einem schwarzen Blatt Zeter und Mordio g'schrien. Heut ist das nicht möglich; heut müssen wir uns so zahm benehmen, daß der schönste Heilige mit uns zufrieden sein kann. Woher kommt das? Weil heute Damen unter uns sind; ihnen allein ist dieses Verdienst zuzuschreiben. Darum fordere ich Sie auf, Ihre Gläser zu erheben und mit mir zu rufen: Die Damen, die unsere Sitten mildern, sie leben hoch!«

Kein geschmerztes Wort von Verkennung kam über seine Lippen, und doch hätte er Ursache gehabt, sich darüber zu beklagen. Denn am Ende war schon das unwürdig, daß man den Nestor der bayrischen Dichter und des münchner Schrifttums gerade noch durch einen Bockfrühschoppen feierte.

Es gab viele, die nicht da waren, und die sich doch sonst bei jeder Gelegenheit sehen und hören ließen.

Doch weder davon noch vom Ausbleiben jedes offiziellen Glückwunsches sprach der alte Herr.

Auch sein langes tatenreiches Leben hielt er den jungen Leuten nicht vor Augen; sie waren gekommen, um fröhlich zu sein, und er wollte sie nicht stören mit einer Resignation, die leicht zur Pose führt.

Er war ihnen dankbar für den guten Willen, den sie beim Vortragen ihrer Späße bewiesen, und er ging auf ihren Ton ein.

Ich begegnete ihm noch einmal nach jenem Feste.

Er schritt gebückt über den Maximiliansplatz; die hohe Gestalt war zusammengesunken, und seine Augen waren müde und verschleiert. Bald darauf starb er. Lange, vor das Reich, das er mit erstritten hatte, in Scherben ging.

*


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