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Dritter Abschnitt.
Die allegorischen Darstellungen


Mit dem Einflusse, den die Franziskanermystik auf eine neue künstlerische Auffassung der christlichen Legende ausgeübt, hat sie noch nicht ihre vollen Kräfte ausgegeben. Nicht allein die großen Träger der christlichen Ideen hat sie aus dem Himmel auf die Erde zurückgeführt, sondern den Ideen selbst Fleisch und Blut, ihnen, um sie besser verstehen zu können, ein menschliches Aussehen verliehen. Das war nun freilich nichts Neues. Neben die Symbole, auf welche anfangs die christliche Kunst ganz beschränkt war, traten bald, teilweise direkt an die Antike sich anlehnend, teilweise selbstständig erfunden, Personifikationen physisch-mythologischer Art und ethischer Begriffe Vgl. darüber Piper: Mythologie der christlichen Kunst. Weimar 1851. – J. B. Pirta: Spicilegium Solesmense. II, 111. Paris 1855. – Otto: Hdb. d. Kunst-Arch. V. Aufl. I, S. 481 ff., 499 ff.. Das Verdienst der neuen volkstümlichen Mystik liegt nun darin, daß sie, bestrebt, dem Volke abstrakte Begriffe möglichst handgreiflich verständlich zu machen, bemüht ist, dieselben durch allgemein verständliche, anschauliche Bilder zu ersetzen. Damit hat sie der Kunst einen reichen Stoff, wenn auch nicht zugeführt, so doch leichter verwertbar zubereitet. In dem Grade als die Personifikationen zunahmen, nahmen die Symbole ab. Der außerordentliche Reichtum von allegorischen Darstellungen der Tugenden und Laster, der uns namentlich an den Grabdenkmälern des 13. und 14. Jahrhunderts entgegentritt, hängt innig mit der neuen naturfreundlichen Anschauung zusammen. Wie weit die Bettelmönche im einzelnen diesen Geschmack befördert, läßt sich mit Sicherheit nicht sagen; daß es geschehen, kann man wohl daraus vermuten, daß weitaus die größte Mehrzahl der Denkmäler, deren ständiger Schmuck die allegorischen Frauengestalten sind, sich in den Bettelmönchkirchen befindet. Eine andere durchaus volkstümliche Allegorie, diejenige des ›Herrscher Tod‹, hat, wie in einem besonderen Kapitel ausgeführt werden soll, von dem Franziskanertum ihren Ausgang genommen. Neben diesen eigentlich volkstümlichen Personifikationen aber entstehen besondere Allegorien innerhalb der Klostermauern, die, bloß für die Ordensangehörigen erfunden, im besonderen auch nur für diese verständlich waren und blieben. Es sind sinn- und beziehungsreiche bildliche Darlegungen bestimmter dogmatischer Anschauungen oder mystischer Vorgänge, gewissermaßen Illustrationen eines Textes, der uns meist nicht erhalten ist, dessen allgemeinen Inhalt wir aber mit unserer Kenntnis der Zeit ungefähr erraten können. Was bei den Franziskanern Allegorien der Ordensgelübde waren, waren bei den Dominikanern Allegorien auf die Tätigkeit des Ordens. In S. Francesco zu Assisi einerseits, in S. Maria novella zu Florenz andrerseits haben sie ihre größte künstlerische Verherrlichung gefunden. Aber die Kunst hat mit dem zähen, widerstrebenden Stoffe wenig anzufangen gewußt. Sie sträubte sich, zur Magd der Herrin Wissenschaft zu werden, auf ihr edelstes Vorrecht, allgemein verständlich zu sein, zugunsten denkender, aber nicht empfindender einzelner zu verzichten. Wo immer an das Gefühl und damit an die große Masse appelliert wurde, wie mit der Darstellung der Vermählung des Franz mit der Armut, durch welche ein an sich unschwer verständlicher Vorgang geschildert werden sollte, atmete sie auf und machte sich die Pflicht zum Vergnügen. Im allgemeinen aber kann man sich eines Gefühles des Bedauerns nicht erwehren, sieht man sie in vergeblichem Kampfe mit den Fesseln, die ein anscheinend herzloses Mönchtum ihr angelegt hat. Und doch, bedenkt man, was dieses ihr Gutes erwiesen, wie es selbst die Kunst erst befreit hat, so wird man beruhigt sich sagen: der Tribut, den die Kunst in den Klosterallegorien ihren Befreiern darbringt, steht in gar keinem Verhältnis zu der Größe der genossenen Wohltaten.

Im folgenden werden zunächst die Klosterallegorien der Franziskaner, nämlich die Allegorien der Ordensgelübde und die Kreuzesallegorien, dann die volkstümlichen Allegorien des Todes besprochen werden.


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