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»Ein neues Geschlecht ist vom Himmel gestiegen, das neue Wunder verrichtet«, so sang in einem Hymnus auf Franziskus der Freund des Ordens, Gregor IX. Und wahrlich, wunderbar genug mußte den Zeitgenossen der Siegeszug dieses Heeres bettelnder Mönche erscheinen, das plötzlich aus dem Boden gestiegen war, die heiligen Rechte und Pflichten der christlichen Religion der Welt in Erinnerung zu bringen. Der Traum eines weltentrückten Schwärmers schien sich zu verwirklichen: die Menschheit über das Irdische hinweg zu reiner Gottanschauung sich erheben zu wollen. Aber es schien nur so! Schon Franz selbst hatte es erfahren müssen, daß er sich getäuscht, als er zur Regel für eine große Genossenschaft machen wollte, was nur das Vorrecht seiner individuellen, eigentümlich und großartig angelegten Natur war. Ein Franziskanertum, wie er es sich dachte, war und blieb eine Unmöglichkeit. Und doch wie immer es geworden, im Kampfe mit seinem eigensten Prinzipe, hat es eine außerordentliche Bedeutung gewonnen und die größten Namen des 13. und 14. Jahrhunderts haben ihm einen Nimbus verliehen, der nimmer verschwinden wird Da ich in diesem Kapitel mich nur auf das Allgemeine beschränken mußte, durfte ich von einer Ausarbeitung auf Grund der neueren Forschungen absehen..
Eine menschliche Genossenschaft ohne jeden, selbst nur gemeinschaftlichen Besitz! Das war ein niemals zu verwirklichender Gedanke. Darin lag von vornherein der Keim zu dem inneren Zwiespalt, der von den Tagen des Franz an bis ins 16. Jahrhundert die Einheit des Ordens gefährdet, ihn mit sich selbst und mit der Kirche in mannigfache Kämpfe verflicht. Ganz von selbst mußten zwei Parteien entstehen: eine, die streng und unerbittlich an der Forderung absoluter Armut festhielt, eine andere, die, freieren Anschauungen huldigend, den allgemeinen Verhältnissen und Bedürfnissen sich akkommodierte. Jener Johannes de Capella, dessen Pläne Franz, vom Orient zurückgekehrt, vereitelte, war wohl der erste, der unter dem Vorwande, eine Kongregation von Eremiten zu gründen, von Honorius III. eine Milderung der Regel zu erlangen suchte. Und kaum war der zuerst nach dem Tode des Franz erwählte Ordensgeneral Johannes Parens 1232 gestorben, so kam die höchste Gewalt in die Hände des weltlich gesinnten Elias, der trotz des langen vertrauten Umganges mit Franz doch so wenig dessen Gesinnungen überkommen hatte Wie Voigt nachgewiesen hat, ist Johannes bis 1232 General, diesem folgt Elias bis 1239 (so nach Jordanus von Giano und Salimbene.) Abhdl. d. phil.-hist. Kl. der k. Sächs. Ges. d. W. 1870. V. Bd.. Zwar geschah es nur, den Ordensstifter zu ehren, daß er in Deutschland und in anderen Ländern starke Geldbeiträge zum Bau der Kirche S. Francesco eintreiben ließ, aber schon das war gegen den Sinn des einfachen Mannes, der in der bloßen Erde hatte begraben werden wollen. Was aber die Mönche mehr empörte, war sein hochfahrendes Leben, das recht im Sinne eines großen Kirchenfürsten war. Davon weiß Salimbene in seinem ›liber de praelato‹ manches zu erzählen Fragmente in den Mon. hist. ad prov. Parmensem. Chronika. Parma 1857. S. 403 ff.. Der General habe ein Wohlleben geführt, einen vorzüglichen Koch sich gehalten, von feingekleideten Knaben sich bedienen lassen, das Reiten dem Gehen vorgezogen, darüber aber dann die Ordensangelegenheiten vernachlässigt, die Klöster nie visitiert und ein sehr barsches Benehmen den Provinzialministern gegenüber gehabt. Was aber noch schlimmer war, er zeigte sich bestechlich, nahm viele unnütze Leute als Mönche auf und beförderte Unwürdige zu höheren Stellen. So riß binnen kurzem eine große Regellosigkeit ein: man sah Brüder einzeln, statt zu zweien gehen und lange Bärte und weite Kutten mit großen Kapuzen tragen.
Anfangs empörten sich nur ernstere Männer gegen diese Verwilderung. Der beste neben Franz, Antonius von Padua, der gewaltige Volksprediger, der aus dem Heimatlande des Dominikus nach Italien gekommen war, um der tätigste Mitarbeiter des Mannes von Assisi zu werden, hat den Verfall der Zucht nicht mehr erlebt. Er war im Jahre 1231 gestorben Vgl. über ihn: Enrico Salvagnini: S. A. di P. e i nuovi tempi. Turin 1887. – P. Hilaire de Paris: St. A. de Padoue, sa légende primitive. Montreuil sur Mer. 1890. – E. Lempp: A. v. P. in Zeitschrift für Kirchengeschichte XI. Und das schöne, meinem Buche über Franz nachfolgende Werk dieses Nachfolgers des Franz von C. de Mandach: St. Antoine de Padoue et l'art italien. Paris 1899.. Aber jener Caesarius von Speier, den einst Elias selbst im Orient dem Orden gewonnen hatte und der als Minister in Deutschland so Großes gewirkt, trat als Vorkämpfer der Sitten- und Lebensstrenge dem Ordenshaupt entgegen und nach ihm wird diese erste Oppositionspartei die der Caesarener genannt. Der Unglückliche mußte seine Widersetzlichkeit mit einer zweijährigen Gefangenschaft im Kerker büßen und wurde von ihr einzig durch den Tod befreit. Sein Wächter erschlug ihn in dem unseligen Wahne, er wolle entfliehen Jordanus. A. a. O.. Elias selbst aber fiel kurz darauf seinen Gegnern zum Opfer und ward 1239 abgesetzt. Da seine Versuche einer Aussöhnung mit dem Papste mißglückten, ging er schließlich 1244 ganz in das feindliche Lager Friedrichs II. über, der ihn als ›dilectus familiaris et fidelis noster‹ mit Aufträgen nach dem Orient schickte Petrus de Vinea: Epistolae. Basileae 1566. lib. III cap. XV. – Vgl. auch Wadding. III. Bd. z. J. 1239 u. 1244.. Auf dem Sterbelager soll er sich mit der Kirche ausgesöhnt haben.
Inzwischen waren die Streitigkeiten zwischen den Anhängern der laxeren Richtung, die fratres de communitate genannt wurden, und denen der strengeren, die den Beinamen der zelatores oder spirituales erhielten, fortgegangen, wobei sich aber der Sieg mehr den ersteren zuwandte Vgl. zum Folgenden: Hase: Kirchengeschichte. X. Aufl. 1877. S. 317 ff. – Neander: Allgem. Gesch. der christl. Religion u. Kirche. II. Aufl. V. Bd. S. 386 und an einigen anderen Stellen. – Herzog, Real-Encyclopädie f. phil. Th. u. K. IV, S. 466 ff. Vor allem aber P. Ehrle: Die Spiritualen im Archiv für Literatur und Kirchengeschichte Bd. I. – Die Frage der Geschichte der spiritualen Bewegungen spielt in der neueren Franziskanerliteratur eine große Rolle.. Entschieden ward er unter dem Generalate des Crescentius (1244-1247) durch ein Privileg Innocenz' IV. vom Jahre 1245, in welchem dem Orden der unumgänglich erforderliche Besitz von Grund und Boden, Gebäuden, Gerätschaften und Büchern zugestanden wurde, jedoch in der Art, daß die Mönche scheinbar nur den Nießbrauch hatten, der Papst selbst aber den Besitz Emm. Roderici nova Col. privilegiorum apost. Regularium mendicantium et non mend. Antwerpen 1623. p. 13.. Das war ein Notbehelf, so gut er sich darbot. Die Spiritualen konnten sich damit nicht zufrieden geben und erhoben ihr Haupt von neuem, als der strenggesinnte Johannes von Parma General ward (1247-1256). Ihr schwärmerischer Eifer, dessen Spitze sich unmerklich gegen die Kirche selbst zu richten begann, fand reiche Nahrung an den Prophezeiungen des Joachim, die sie zu ihrem Glaubensartikel erhoben. Dieser, der 1202 gestorbene Abt von Floris, hatte die Weissagungen vom Falle Babylons, von dem Kommen des Antichrist und manche andere Stellen aus den Propheten auf die gegenwärtigen Zeiten bezogen. Die Rettung erhoffte er, ein von glühender Phantasie beseelter Mystiker und Freund des kontemplativen Lebens, von dem allem Weltlichen entsagenden Mönchstum. Drei Weltalter unterschied er: das Zeitalter Gottes des Allmächtigen, dargestellt im Alten Testament, dasjenige des Sohnes Gottes und der Fleischwerdung des Wortes als ewiger Weisheit, endlich das dritte des heiligen Geistes, in dem die göttliche Liebe in der reinen Kontemplation des Mönchstums allherrschend wird. Der erste Vorbote dieses letzten Zeitalters sei Benedikt gewesen, aber eigentlich beginnen werde es erst im Jahre 1260 Concordia Veteris et Nov. Test. Venedig 1519. Expos. in Apocal. Venedig 1519. – Vgl. besonders Renan: Joachim de Flore in den Études d'histoire religieuse. (Paris 1884.). Mit dem Siege ihrer apostolischen Ideen, glaubten die Zelanten, werde die Vollendung jener Prophezeiungen eintreten. Johannes von Parma selbst war ein Joachite und jener Mönch Gerhard von Borgo San Donnino, der die Ideen des Joachim 1253 in seinem ›Introductorius in Evangelium aeternum‹ zu einer kirchenfeindlichen Häresie umgestaltete und für das neue dritte Zeitalter auch ein neues Evangelium des h. Geistes erwartete, war sein Freund Vgl. Salimbene. A. a. O. z. J. 1253 S. 233 f. – Reste der Schrift bei Argentré: Col. judiciorum de novis error. Paris 1728 T. I p. 163.. Als aber das Jahr 1260 vorbeiging, ohne daß die geweissagte Offenbarung des h. Geistes sich vollzog, mögen manche, die anfangs fanatisch begeistert waren, schwankend geworden sein. So erzählt uns Salimbene, daß er früher auch an Joachim geglaubt, aber nach dem Tode Friedrichs II., der als Antichrist doch erst 1260 hätte sterben sollen, ganz jene Ansichten aufgegeben und beschlossen habe, nichts anderes mehr zu glauben, als was er sähe A. a. O. S. 131..
Als Vertreter der orthodox kirchlichen Anschauung scheinen sich zunächst die Dominikaner aufgeworfen zu haben, die auch später vielfach die Päpste gegen die spiritualen Anmaßungen verteidigen. Die Disputation zwischen dem gewaltigen Franziskanerprediger Hugo de Bareola und dem Dominikaner Petrus de Apulia, von der Salimbene berichtet, mag nur eine unter vielen gewesen sein A. a. O. S. 77.. Mit dem ganzen Gewicht dogmatischer Weisheit aber trat die Universität von Paris in der Streitschrift des Wilhelm von St. Amour: ›de periculis novissimorum temporum‹ nicht allein den Zelantes, sondern dem Bettelmönchwesen überhaupt entgegen. Es war der Hauptschlag, den die erbitterten ›magistri‹ von Paris gegen die übermütigen Mönche, die sich als Lehrer an der Universität zwischen sie eingedrängt hatten, ausführten. Aber er wurde vom Papste Alexander selbst vereitelt, der die Schrift verdammte und den Verfasser, der sich mit Geist in Rom selbst verteidigte, des Landes verwies. Mit der Feder antwortete Bonaventura, der, ohne Joachite zu sein, doch der strengeren Richtung angehörte und seit 1256 Generalminister war, in seiner Abhandlung ›de paupertate Christi‹, indem er zugleich in seinem Rundschreiben an die Minister eine strenge Reform des Ordens anordnete Opera. Ausgabe Peltier, Paris. Bd. XIV. – Vgl. namentlich die ›statuta capituli provincialis Narbonensis‹ v. J. 1260, bei Rodulphus: Hist. ser. lib. II. S. 239 und E. Renan: Études S. 217 ff. – Reuter: Geschichte der religiösen Aufklärung. II S. 171 ff.. Damit schien in der Tat eine Vermittlung der beiden Parteien gefunden zu sein, doch war es kein eigentlicher Friede. Nach dem Tode Bonaventuras 1274 gewann wieder die mildere Richtung an Einfluß und erhielt ihre Bestätigung in einer Bulle Nicolaus' III. von 1279 (Exivit qui seminat), die aber zu gleicher Zeit den Anschauungen der Zelantes von der absoluten Armut Christi Rechnung trägt.
Einzelne, wie der exzentrische Gefühlsmensch Peter Johann von Oliva, waren dennoch damit nicht zufrieden. Dieser kühne Denker und Verfechter der ursprünglichen Strenge der Regel wandte sich direkt gegen den römischen Antichrist und entwickelte die Ideen des Abtes Joachim selbständig weiter. Er hat eine für diese Zeiten sehr freie, bedeutende historische Anschauung der geistigen Entwicklung des Christentumes und glaubt in seiner Zeit ein neues Weltalter anbrechen zu sehen, mit dem eine Erneuerung und Vertiefung des christlichen Lebens anhebt. Er unterscheidet sieben Zeitalter der Kirche: 1. Gründung durch Christus, die apostolische Zeit. 2. Bewährung durch das Leiden der Märtyrer. 3. Entwicklung und Verteidigung des Glaubens im Kampfe mit den Häretikern. 4. Zeit der Anachoreten. 5. Das gemeinsame Leben der Mönche und Kleriker. 6. Erneuerung des evangelischen Lebens durch Franz, Wiederaufbau der Kirche. 7. Die Sabbatzeit reiner kontemplativer Anschauung der zukünftigen Herrlichkeit Vgl. Wadding Bd. V. z. J. 1297. N. 34. – ebd. z. J. 1297, in welchem Petrus stirbt. – Ein Auszug seines Buches: Postilla super Apocalypsim bei Baluzzi: Miscellanea I, p. 213.. Obgleich Petrus Johannes 1283 zum Widerrufen seiner Schriften gezwungen wurde, haben diese doch auf lange Zeit hinaus ihren Einfluß in dem Orden behalten, wie z. B. Bartholomäus Pisanus jene Theorie der sieben Zeitalter noch 1399 in seinem ›liber conformitatum‹ nur wenig verändert wiederbringt. Eine besondere Verbreitung und Wirkung aber scheinen sie im Süden Frankreichs, diesem alten Herde kühner Neuerungen, gehabt zu haben.
Hier nämlich entsteht im Anfang des 13. Jahrhunderts, nachdem Clemens V. den vergeblichen Versuch gemacht, einen Ausgleich herzustellen, der nur dazu führte, daß die Spiritualen sich einen eigenen General wählten, zugunsten der strengeren Regel eine neue Bewegung. Diese wurde anfangs von Johann XXII. gemeinsam mit Michael von Cesena, der seit 1316 die Oberleitung des Ordens hatte, zu unterdrücken versucht. Nachdem einige der sich widersetzenden Führer, unter denen der feurige Ubertino da Casale besonders genannt sein will, gefangen genommen waren, erließ der Papst seine Bulle: quorundam exigit, in welcher er in milder Weise die Irrigen auf den rechten Weg zurückzuführen sucht. Die Hauptfrage, in betreff der Tracht, entscheidet er im Sinne Nikolaus' III., daß nämlich die diesbezüglichen Bestimmungen den Oberen des Ordens zuständen und diesen zu gehorchen sei. Indem Michael selbst für die Kutten eine engere, einfachere Form verordnete, glaubte er die Schwierigkeiten zu heben, doch zeigte es sich binnen kurzem, daß es sich schließlich um ganz andere Dinge handelte. Die Eiferer in Italien gingen in Scharen Zuflucht suchend nach Sizilien und sonderten sich nur in um so schrofferer Weise ab. Nach wenigen Jahren 1321 brach das Feuer abermals in Carcassonne aus. Ein Beguine, der, wie seine Genossenschaft überhaupt, in die engste Beziehung zu dem Minoritenorden getreten war, ward wegen häretischer Ansichten über die » paupertas Christi« gefangengenommen, und seiner Sache nahmen sich die Franziskaner an. Abermals traten sich Dominikaner und Minoriten entgegen. Die Sache bekam bald eine ungewöhnliche Bedeutung. Es handelte sich um die Frage, ob Christus und die Apostel irgendwelches Eigentum gehabt oder nicht. Die Minoriten beriefen sich auf die Bulle Nikolaus' III. und sprachen Johann das Recht ab, dieselbe zu glossieren oder von ihr abzugehen. Letzterer antwortete damit, daß er sich dies Recht in der Bulle von 1322 (24. März): quia nonnunquam vindizierte. Michael stellte sich an die Spitze der Spiritualen und wandte sich auf einem Generalkapitel in Perugia gegen den Papst. Dieser, von der Pariser Universität beraten, entschied in der Bulle: quum inter nonnullos (11. Dez. 1323) dahin, daß die Behauptung, Christus und die Apostel hätten kein Eigentum gehabt, Häresie sei. Die Inquisition übte ihre Rechte und Minoriten, wie Fratrizellen »sind auf dem Scheiterhaufen dafür gestorben, daß sie nichts besitzen wollten« Hase: Kirchengesch. S. 318..
Es würde zu weit führen, diese Dinge eingehend zu verfolgen. Erwähnenswert aber ist es, daß Michael eine Stütze an Ludwig dem Bayern fand, daß der ganze Streit, in die politischen Mißhelligkeiten verflochten, zum offenen Kampfe gegen das Papsttum ward. Und es ist kein Zufall, daß einer der Kämpfer auf seiten Michaels und der weltlichen Herrschaft Wilhelm von Occam war, der große Bahnbrecher des neuen Nominalismus und der erste Vorgänger der Baco von Verulam und Hobbes Vgl. sein Compendium errorum Joannis Papae. Für diesen ganzen Streit s. bei Wadding die betreffenden Jahre und Gudenatz: Michael von Caesena. Breslau 1876. Vgl. auch: P. Ehrle: Die Spiritualen im Archiv für Lit. und Kirchengeschichte des Mittelalters II.. Die alte Häresie der Waldenser, aus der Franziskus selbst hervorgegangen, scheint in dieser Zelantenbewegung nur in veränderter Gestalt wieder ihr Haupt zu erheben, was für die Auffassung des Franz selbst interessant genug ist. Er ist schließlich doch, ohne in seiner nur auf das Positive gerichteten Begeisterung und in seiner kindlichen Anerkennung der Autorität sich dessen bewußt zu sein, nichts anderes als ein von der Kirche zu Gnaden angenommener Häretiker gewesen und die, welche die ganze praktische Konsequenz seiner Lehre zogen, mußten in offenen Widerspruch gegen die Hierarchie geraten.
Nachdem der Gegensatz zwischen den zwei Richtungen des Ordens seine Höhe erreicht, milderte er sich allmählich unter Benedict XII. und Clemens VI. Man gab auf beiden Seiten in etwas nach, bis das Konzil zu Konstanz sich 1415 dazu verstand, die strengere Richtung als einen besonderen Zweig der Minoriten anzuerkennen. Und zwar war dies jene Verbindung von Spiritualen, welche, im Spoletaner Tal ansässig, den Namen der fratres strictioris observantiae oder kurz der Observanten erhalten hatten. Sie war um 1336 von Johann des Vallées gegründet worden und hatte in Gentile von Spoleto und Paolucci von Foligno Männer besessen, welche sich die Reform der Regel hatten angelegen sein lassen. Nach ihren hölzernen Sandalen wurden sie Zoccolanti genannt, welche Bezeichnung dem Volke bis auf den heutigen Tag geläufig geblieben ist. Eine eigentliche Versöhnung aber kam erst auf dem Generalkapitel von 1430 zustande, obgleich auch fernerhin die Anhänger der milderen Partei, die Konventualen, nicht nachließen, jene Brüder zu verfolgen, die an der ursprünglichen Regel festhielten. Die strenge Scheidung tritt dann im einzelnen durch eine Bulle Leos X. im Jahre 1517 ein, in welcher es jeder Partei gestattet wird, sich einen eigenen Superior, der von den Observanten Minister, von den Konventualen Magister generalis genannt wird, zu wählen.
Das waren die wechselvollen Schicksale des eigentlichen Minoritenordens in den ersten zwei Jahrhunderten, welche allein uns hier interessieren. Aus dem Orden aber gingen eine ganze Anzahl verwandter Sekten hervor, von denen sich verschiedene bei Salimbene erwähnt finden. Eine kurze Betrachtung derselben mag dazu dienen, das eigentümliche Streben der Menschheit nach genossenschaftlichen Verbänden im 13. Jahrhundert, das in dem Städtewesen eine so hervorragende Rolle spielt, in helleres Licht zu rücken. Es war nur natürlich, daß das Beispiel des Franz viele phantastische Köpfe, zumeist Toren ohne inneren sittlichen Halt, zur Nachahmung anreizte. So entstand jene Verbindung der saccati, die Gregor X. in Lyon auflöste, jene andere der britti in der Mark Ancona, die von Alexander IV. mit sonstigen Eremiten zu einer Kongregation verbunden wurden. Es waren, wie Salimbene spöttisch sagt, Leute, welche mit den Äußerlichkeiten zugleich den Geist des Franziskanertums angenommen zu haben glaubten: »Wer immer irgendeine neue Regel machen will, erbettelt sich etwas vom Orden des heiligen Franziskus, die Sandalen oder den Strick, oder sogar die Kutte« A. a. O. S. 108. Der Gründer der Saccati war jener oben erwähnte Hugo de Bareola.. Toller trieben es die sog. Apostoliker in Parma, deren Kongregation geradezu eine Karrikatur des Minoritenordens gewesen sein muß. Ihr Stifter war Gherardo Segarelli, nach Salimbenes humoristischer Schilderung ein halbverrückter Kerl. Er will in allem Christus nachahmen, legt sich sogar in die Wiege und benimmt sich da ganz nach Kinderart. Er läuft wie toll herum, immerwährend rufend: »tut Buße, tut Buße«, fordert auf dem Lande die Leute auf, sich in fremden Weinbergen an den Trauben satt zu essen und ist dabei von so schwankendem, ungewissen Wesen, daß er eine Einladung mit den Worten: »entweder ich komme oder komme nicht« beantwortet. Er gewinnt sich einen ganz unmoralischen Gesellen, der Famulus bei den Minoriten war, und sammelt allmählich auch andere Anhänger. Die Sinnlosigkeit findet bei den Leuten Gefallen. Dabei tut die Gesellschaft gar nichts: sie beten nicht, sie predigen nicht, sie verwalten nicht kirchliche Funktionen, sie hören nicht Beichte, erteilen keine guten Ratschläge, sind aber am weitesten davon entfernt, gute Beispiele zu geben. Zum Glück fehlt ihnen jede Organisation. Erst ein gewisser Guido Putagius stört die köstliche Freiheit und reißt die Herrschaft an sich. Die Folge ist ein förmlicher Kampf mit einer anderen Abteilung in der Mark Ancona. Wie die unmündigen Kinder benehmen sie sich. Sind sie mit Gerhard zusammen, so tun sie nichts als beständig ›pater, pater, pater‹ singen. Die Tracht der Apostel – darin bestand schließlich der ganze Witz! Salimbene a. a. O. S. 112 ff.. Der arme Narr Gerhard mußte seine Verrücktheit 1300 mit dem Feuertode büßen, denn inzwischen hatte die Sache doch einen bedenklichen Anstrich bekommen. Mit Dolcino von Novara war ein energischer Mann an die Spitze der Apostelbrüder getreten, der sich die alten gefährlichen Waffen der Patarener aneignete und sie mit erneuter Kraft gegen die römische Kirche führte. Er zog endlich zum wirklichen Kampf gegen das ihn bedrohende Inquisitionsheer aus und verleugnete, 1367 auf dem Berge Zebello eingeschlossen, seine Überzeugung selbst angesichts des qualvollsten Hungertodes, dem er endlich erlag, keinen Augenblick Vgl. Hase, Kirchengesch. S. 360 und die dort angegebene Literatur..
Eine eigentliche Abzweigung der Minoriten bildeten die Clarener, die, von einem Angelus de Cingulo geleitet, 1294 von Coelestin V. die Bestätigung ihrer Kongregation, die sich ganz dem Eremitenleben widmete, erhielten. Sie wurden 1477 wieder mit dem Mutterorden vereinigt Vgl. Gonzaga: De origine Seraph. rel. Franc. Venedig 1603..
Im 16. Jahrhundert endlich ward die alte Regel und das eigentliche Bettelmönchwesen durch den zuerst 1526, dann 1528 bestätigten Kapuzinerorden erneuert. Der Abfall dieser Mönche entstand zunächst aus einer sehr geringfügigen Ursache: sie hatten eine von derjenigen der Minoriten abweichende Ansicht über die Form der Kapuze, die Franz getragen. Unter der Leitung des Matteo de Bassi, dem fördernd Lodovico a Fossombruno zur Seite trat, nahmen sie zunächst nur eine gesonderte Stellung ein, gewannen aber sehr schnell, Dank der Zuvorkommenheit der Kurie, Verbreitung und große Bedeutung als Freunde und Prediger des Volkes. Der spitzen pyramidalen Kapuze, die mit der tatsächlich ältesten Darstellung des Franz in Subiaco übereinstimmt, verdanken sie den Namen.
Welch eingreifender Art immer die inneren Streitigkeiten innerhalb des kaum begründeten Minoritenordens gewesen sein mögen, haben sie doch dessen beispiellos schneller Verbreitung weit über alle zivilisierten Länder keinen Eintrag getan. Waren schon auf dem Kapitel von 1221 dreitausend Brüder versammelt, so zählte der Orden zweiundvierzig Jahre nach seines Stifters Tode bereits 8000 Klöster mit 200 000 Mönchen. Jedes Jahr des 13. Jahrhunderts sieht neue Klöster, neue Kirchen entstehen. Die Minoriten zusammen mit den Dominikanern bildeten eine Macht, die fortan der Kirche die größten Dienste leistete. Fanden die letzteren ihre Tätigkeit vorzugsweise in dem Kampfe gegen die Ketzer, so wirkten die ersteren mehr auf friedlichem Wege für die Erweiterung und Befestigung des Glaubens im Volke. Beide aber wurden vom Papsttum in der ausgedehntesten Weise zu wichtigen Missionen benutzt. Was im 12. Jahrhundert die Zisterzienser gewesen waren: geheime und offizielle Boten der Päpste in Sachen der äußeren und inneren Politik, wurden jetzt die Bettelmönche. Innocenz IV. namentlich bediente sich in allen seinen Unternehmungen gegen Friedrich II. der Franziskaner, die, wie Leo treffend bemerkt hat, für den Papst dieselbe Bedeutung hatten, wie die tyrannischen Ritter in der Art des Ezzelin für den Kaiser Vgl. Leo: Geschichte Italiens 1829. II. Bd. S. 308, 338. Vgl. auch andere Stellen.. Der Kampf zwischen den Guelfen und den Ghibellinen nimmt in dieser Zeit etwas von dem Kampfe zwischen dem orthodoxen Katholizismus und den Häretikern an, als deren schlimmster ja Friedrich II. selbst angesehen wurde. Die Gegnerschaft der Franziskaner in Sizilien, die das Volk aufwiegelten und zum Abfall zu bewegen suchten, war für Friedrich eine so gefährliche, daß schon im Jahre 1229 der Reichsverweser Rainald sie aus dem Königreiche vertrieben hatte. Ein in der Briefsammlung des Petrus de Vinea erhaltenes Schreiben beklagt sich auf das bitterste über das Ärgernis, welches die Bettelmönche durch ihre bodenlose Anmaßung dem Klerus selbst geben Epistolae. Basileae 1566. lib. I, cap. XXXVII. S. 233 ff.. Zu gleicher Zeit predigt im Norden Antonius von Padua gegen den entsetzlichen Ezzelin, wie die Legende will: mit solchem Erfolge, daß der Tyrann, von den mächtigen Worten im innersten ergriffen, Buße tut und sich bessert. Ein Franziskaner Clarellus schreitet später als Fahnenträger dem Heere voraus, das Padua gegen den erbitterten Feind sendet. Ein anderer: Leo, der später Erzbischof von Mailand ward, befehligte die 1233 gegen den Kaiser ausgesandten Truppen Salimbene S. 202 und S. 35.. Angesichts dieser feindlichen Stellung, welche das Minoritentum den Hohenstaufen gegenüber einnimmt, berührt uns um so wohltuender, was Salimbene vom Bruder Albertinus da Verona zu erzählen weiß. Als dieser davon hört, daß der arme gefangene König Enzio dem Verhungern nahe sei, geht er zum Gefängnis hin und bittet die Wächter, doch aus Liebe zu Gott dem Gefangenen Speise zu geben. Als sie es verweigern, schließt er mit ihnen einen Pakt: »Ich werde mit euch Würfel spielen und wenn ich gewinne, habe ich die Erlaubnis, jenem zu essen zu geben.« So geschieht es, er gewinnt und bringt dem Könige mit liebreichem Troste auch die ersehnte Nahrung. Das war echt im Geiste des Franz gehandelt Salimbene S. 156. – Vgl. S. 163 Ansichten über Friedrich II.: wäre er ein guter Katholik gewesen und hätte Gott und die Kirche geliebt, so würde er wenige seinesgleichen unter den Herrschern der Welt gehabt haben. Dabei weiß S. die schauerlichsten Geschichten vom Kaiser zu erzählen..
Neben der Tätigkeit in der Heimat fanden die Franziskaner aber wie die Dominikaner auch ihren besonderen Beruf in der Mission unter den Heiden. Als Abgesandte der Kirche erscheinen sie bei den Mongolen und vor Tschengys Khan. In Indien, China predigen sie das Evangelium und werden zugleich die Vermittler der neuen Handelsbeziehungen zwischen dem fernen Osten und Westen. Aus ihren Erzählungen lernte das Abendland zuerst die orientalischen Religionen, namentlich den Buddhismus kennen, der selbständig neben dem Mohammedanismus der spanischen Araber einen gewissen Einfluß auf die Anschauungen der christlichen Denker gewonnen zu haben scheint Vgl. Ozanam: Dante et la philosophie catholique, Paris 1839. Ital. Übers. Neapel 1841. S. 199 ff..
Ihre eigentliche Bedeutung liegt aber immer in ihrem einflußreichen Wirken für das Volk in den heimischen Ländern. Aus ihrer Verbreitung, aus der zahlreichen Nachfolge, die sie selbst unter den Fürsten fanden, kann man auf die allgemeine Liebe und Verehrung, die sie genossen, einen vollgültigen Rückschluß machen. Unter den großen Namen, welche den Tertiarierorden zieren, seien nur wenige erwähnt: die heilige Elisabeth, Ludwig der Heilige von Frankreich, Bela IV. von Ungarn, Karl II. und Robert von Sizilien, Kaiser Karl IV.; neben den Fürsten vielleicht der Dichter der göttlichen Komödie, der Entdecker Amerikas. Andrerseits konnte es aber auch an einer an sich machtlosen, aber innerlich erbitterten gegen die Bettelmönche gerichteten Oppositionspartei nicht fehlen. Sie traten mit ihrer Berechtigung zu predigen und die Beichte zu hören den Ansprüchen des Klerus entgegen und erregten durch ihre von den Päpsten bevorzugte, vom Volke geschützte Stellung die Eifersucht sowohl der älteren Orden, als auch der wissenschaftlichen Anstalten, wie namentlich der Universität von Paris, die nach heftigen Kämpfen schließlich geradezu die hohe Schule der Bettelmönche wurde. Vor allem konnte es den ordinierten Geistlichen nicht gleichgültig sein, daß die Gemeinde es vorzog, den unbekannten, wandernden Mönchen ihre Sünden anzuvertrauen und deren lebendiger, verständlicher Predigt zuzulaufen, verlor doch dadurch ihr geistiger und weltlicher Einfluß in der erschreckendsten Weise. Manche Klage drang bis zum päpstlichen Throne, verhallte aber meistens ungehört. Dem Ingrimm der Benediktiner leiht Matthäus Paris Worte; er empört sich über die Unverschämtheit dieser neuen Mönche, welche »die echten und von den heiligen Brüdern, nämlich dem heiligen Benedikt und Augustinus, eingesetzten Orden und ihre Bekenner verachten, ihren Orden aber allen anderen voransetzen. Denn roh, einfältig, halbe Laien, ja sogar Bauern nennen sie die Zisterzienser, die schwarzen Brüder aber Übermütige und Epikuräer« Historia major. London 1640. S. 612.. Muß man hierbei auch auf die parteiliche Stellung des Chronisten Rücksicht nehmen, so liegt doch wohl vielem, was er sagt, Wahres zugrunde. Die strenge Lebensweise der ersten Brüder hatte sich bei der Mehrzahl sehr rasch verloren, das Betteln war zur Formalität und das Leben in den Klöstern ein recht erträgliches, ja opulentes geworden. Das beste Zeugnis dafür legt der Franziskaner Salimbene ab, der mit überraschender Naivität immer wieder auf die vortrefflichen Mahlzeiten, die er hier und da genossen, zu sprechen kommt, ja alle Qualitäten eines Feinschmeckers bei der Beschreibung der Gerichte, der Weine entwickelt. Er weiß Wunderdinge von dem guten Leben, das er in Frankreich geführt, zu erzählen. Den französischen Rotwein findet er nicht so schmackhaft, wie den italienischen, aber den weißen rühmt er sehr. Vom Genuß desselben leiden nur traurigerweise die Augen. Dann gehen die Mönche wohl früh zu dem die Messe zelebrierenden Priester und bitten ihn, doch Wasser in ihre Augen zu tröpfeln, auf welches Verlangen einmal ein Bruder den guten Rat gab: tut Wasser in den Wein, nicht in die Augen! Die germanische Sitte des Zutrinkens, die er bei Engländern beobachtet, hat ihm einen sehr merkwürdigen Eindruck hinterlassen S. 90. Vgl. S. 96 die Beschreibung eines Essens, das Ludwig den Mönchen gibt, S. 195 das Mahl des Legaten Octavianus, S. 119, wie er sich die vom Legaten Philippus übersandten Fische trefflich schmecken läßt, und andere Stellen.. Von der richtigen Demut ist der gute Salimbene auch ziemlich entfernt: er rühmt sich seiner vornehmen Verwandten und ist sehr geschmeichelt, wenn er bei berühmten Kirchenfürsten einen Ehrenplatz an der Tafel erhält oder sonst ausgezeichnet wird S. 208. 195. Vgl. auch A. Dove: Aus den Aufzeichnungen eines Bettelmönches. Im Neuen Reich 1873. I. Bd. S. 449 ff.. Er wird sich aber kaum in besonderer Weise von den anderen Mönchen unterschieden haben. Wie die Fürsten reichgekleidet kommen 1246 die Franziskanerabgesandten des Papstes in London herangeritten. Über die Pracht ihrer Kirchen, die Unverschämtheit, mit der sie die vornehmen Leute wie das Volk an sich ziehen, als ob niemand selig werden könne, denn durch sie, über ihre schlaue Kunst, allen Geld abzulocken, kann sich Matthäus Paris nicht genug empören A. a. O. S. 722 und S. 612.. Ein Ferrarese Matulinus erzählt einst dem Salimbene, was für Dinge er von den Franziskanern gehört: »Wißt, daß ihr Minoriten und Predigerbrüder zum Hasse und Ärgernis der Kleriker und Weltpriester gereicht: neulich aß ich bei dem Bischof von Forlì und da waren viele Kleriker und Priester, die mitspeisten; die sagten viel Übles über euch, unter anderem – daß ihr gern mit den Frauen sprächet und sie anschautet, was doch gegen die Schrift ist.« Worauf Salembene ihm erwidert: »Kümmere dich um deine Fehler, nicht um die anderer«, und die Vorwürfe von den Franziskanern auf die vornehme Gesellschaft und die Bischöfe zurückwendet S. 214 ff..
Von dieser starken Strömung gegen die Bettelmönche legen auch einige Lieder Zeugnis ab, die in der Zeit der Streitigkeiten über die ›paupertas Christi‹ entstanden, sich scharf und schneidig gegen die Verherrlichung der Armut wenden. Es wird von ihnen noch später die Rede sein. Ihren eigentlichen Sitz aber scheint diese Opposition der verständigen und weltlich gebildeten Leute in Florenz gehabt zu haben. Der scharfen, nüchternen Verstandeskritik dieser allzeit wegen ihres Skeptizismus bekannten Stadt konnte die Gefühlsschwärmerei und der Wunderglaube solcher exaltierter Franziskaner nicht sonderlich sympathisch sein. Die Florentiner Bettelmönche selbst machten sich über die Übertreibungen anderer lustig. Der außerordentlich begabte Predigerbruder Johannes de Vicentia, der aber vor aller der ihm in Norditalien zuteil gewordenen Verehrung förmlich wahnsinnig geworden war, machte allerlei böse Erfahrungen bei diesen spottlustigen Leuten. Als er denselben seinen Besuch angemeldet hatte, sagten sie: »Gott behüte uns davor, daß er hierher komme, denn, wie wir gehört haben, weckt er die Toten auf und wir sind schon so viele, daß die Stadt uns nicht mehr fassen kann.« Ein Witzbold von einem Franziskaner Deustesalvet verhöhnte ihn in der unmanierlichsten Weise. Ein Florentiner Magister zu Bologna, Boncompagnus, aber gibt ihn dem öffentlichen Gelächter Preis, indem er laut verheißt, er wolle gleich dem Johannes Wunder tun, und zwar: fliegen. Die Menschen steigen in Scharen nach S. Maria in monte hinauf, wo Boncompagnus, der sich Flügel angeklebt hat, wartet. Lange Zeit schaut er die Bürger an und schauen diese ihn an. Dann sagt er mit ruhiger Ergebenheit: »Geht mit dem göttlichen Segen und lasset euch genügen das Antlitz des Boncompagni gesehen zu haben« Salimbene S. 36 ff.. Nun, denselben Spott, dem hier ein Dominikaner ausgesetzt war, werden auch die Franziskaner von Seiten der witzigen Florentiner reichlich zu erdulden gehabt haben. Erhob sich doch der sein Leben lang von den Minoriten beschäftigte Giotto, der ein Florentiner wenn je einer war, in einer Kanzone über die Armut gegen die Verehrung dieser als sonderlicher Tugend. Wenn demnach die Anmaßungen der Mönche ebensowohl bei unparteiischen, verständigen Leuten und den Verwaltungen der Städte, als bei den persönlich interessierten Klerikern, Universitäten und älteren Orden einen heftigen Widerspruch hervorriefen, so konnte das doch ihrem Einflusse wenig schaden, und dieser ist zunächst trotz aller Lockerung der ersten Regel ein durchaus wohltätiger gewesen. Die Ideen der allgemeinen christlichen Liebe, der Demut und Entsagung, die inbrünstige Christus und Maria dargebrachte Verehrung haben Wunder gewirkt. Und aus dem echten, herrlichen Geiste des Stifters ging auch die Frieden bringende Tätigkeit der Volksprediger hervor. Wie sie dem einzelnen Verzweifelten die innere Ruhe wieder geschenkt, so hat ihr Wort: ›pax vobiscum‹ zu unzähligen Malen streitende Parteien getrennt, sind sie als rechte Friedensengel zwischen die aufgeregten Faktionen der Städte getreten, und vor ihren begeisterten Versöhnungsreden sind aller Orten die Waffen zu Boden gefallen.
Das große Erbe des Franziskus, der Enthusiasmus für die edelsten Ideale der Religion, ist das Gemeingut des Volkes geworden. Man muß die Berichte der Chroniken lesen, um einen Begriff von dem fast fieberischen Glaubenseifer zu erhalten, der namentlich die südlichen Nationen in jener Zeit ergriffen. Alle Augenblicke sammeln sich die Leute zu Prozessionen auf den Straßen zusammen, ein Mönch stellt sich an ihre Spitze, und singend zieht man in die Kirche. Im Jahre 1233 zur Zeit des Halleluja namentlich scheint eine unglaubliche Bewegung durch Italien gegangen zu sein: die Einwohnerschaft ganzer Dörfer macht sich auf ›trunken von göttlicher Liebe‹, Zweige und Fackeln in den Händen. Früh und mittags und abends erschallen Predigten. Da schreitet wohl ein schwarzgekleideter Mönch, mit langem Barte, in einer mit einem großen Kreuze verzierten Tunika voran und bläst schreckenerregend auf langer Tuba. Kommt er auf einen Platz oder zu einer Kirche, so predigt er in der Volkssprache und lobt die Dreieinigkeit, wobei immer das Volk singend einfällt Diese Schilderung bei Salimbene S. 30.. Was muß es für ein Anblick gewesen sein, als im Jahre 1260 jung und alt, die Vornehmen wie die Niedern, entblößt durch die Straßen liefen, mit Geißeln sich züchtigend! Die aufgeregte Phantasie des Volkes, das ja zum Teile den großen Wundertäter Franz noch selbst gekannt hatte, sah in allen Ereignissen Wunder und Geheimnisse. Der Drang, das Übersinnliche hier schon auf Erden zu sehen und zu spüren, machte Betrüger und Narren zu Heiligen. Unter den vielen, die auf kurze Zeit von sich reden machten, gibt es kaum eine so charakteristische Erscheinung, als jenen Weinträger und Trinker Albertus von Cremona, von dem Salimbene erzählt. Das war ein schreiender Unfug! Auf die Kunde, daß an seinem Sarge Wunder geschehen, strömen die Leute in festlichen Prozessionen herbei. Die Priester nutzen das aus, lassen ihn in den Kirchen abbilden und stecken dankbar das Geld ein, welches der törichte Haufe bringt. Als gegen den Wahnsinn eingeschritten wird, empört sich die Menge und beschimpft die Bettelmönche: »Ihr glaubt, daß niemand anders Wunder tun könne, als eure Heiligen; aber ihr täuscht euch, wie es bei jenem offenbar wird!« Schließlich erhalten die Parmenser einen Finger von dem Wundermann als Reliquie, die unter Jubel in den Dom getragen wird. Dort kommt es heraus, daß der angebliche Finger ein Stück Knoblauch war! – Ähnliche Heilige waren der Pilger Antonius in Padua, in Ferrara ein gewisser Armannus Punzilovus Salimbene S. 274.. So kehrten sich die Geister, welche vor allem die Franziskaner heraufbeschworen, gegen sie selbst – allerdings ohne ihnen auch nur auf kurze Dauer etwas anhaben zu können. Mit dem Wunderglauben ging der Glaube an Prophezeiungen Hand in Hand. Neben dem großen Lichte des Joachim von Floris und dem des geheimnisvollen Michael Scotus, dem Freunde Friedrichs II., flammte eine ganze Menge kleinerer aller Orten auf. Man blickte eine Zeitlang atemlos zu ihnen empor und verlor dann plötzlich das Interesse über anderen neuen Erscheinungen. Diese ganze Exaltation der Gemüter aber hängt im Grunde genommen eng mit der Verehrung des Franziskus zusammen. Sie war eine ebenso heilsame wie gefährliche Folge der Gefühlsreligion der Franziskaner. Neben dem wunderbar verklärenden Einfluß, den diese auf Dichtung, Kunst und die theologische Philosophie ausgeübt, wäre es unrecht, nicht auch kurz wenigstens ihre unerfreulichen Seiten berücksichtigt zu haben. Mit um so größerer Freude und Befriedigung können wir uns nun den Lichtseiten zuwenden, und zwar uns zunächst aus dem lärmenden Volkshaufen in die stille Einsamkeit des Denkers retten und uns dort sammeln, ehe wir uns mit der lebendigeren Gesellschaft der Dichter und Künstler befreunden.