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Nur ein Versuch kann es sein, der im folgenden gemacht wird, die Neugestaltung des biblischen Stoffes durch die frühe toskanische Kunst im Zusammenhang mit den das Volk erfüllenden Anschauungen des Franziskanertums zu schildern. Zu lückenhaft ist noch die Kenntnis der zeichnenden Künste im frühen Mittelalter, zu wenig erforscht der Zusammenhang der einzelnen, gleiche Gegenstände behandelnden Werke, als daß man in vielen Fällen mit Bestimmtheit sagen könnte, welches denn die neuen Motive und Gedanken sind, die ein Meister vor dem anderen voraus hat Immer mehr bricht sich auch die Überzeugung Bahn, daß das ›Malerbuch vom Berge Athos‹, das von Didron und Schäfer herausgegeben wurde, durchaus nicht maßgebend für die ältere mittelalterliche Kunst und deren Ikonographie ist. Es finden sich darin eine Anzahl Darstellungen und Motive, die nachweislich erst im 15. Jahrhundert überhaupt vorkommen, und zwar im Abendlande. Bayet hat in der Revue archéologique (III S. Mai und Juni 1884, S. 324. Notice sur le peintre Manuel Panselinos) die Entstehung sogar in das 18. Jahrhundert gesetzt, die Quellen der Kompilation aber ins späte Mittelalter. Vergleiche jetzt Heinrich Brockhaus: Die Kunst in den Athosklöstern.. Die Zeit und Mühe sparende Anschauung aber, daß von dem 11. Jahrhundert bis zu dem Auftreten der Pisani und Giottos wenigstens auf dem Gebiete der Malerei unter der allgewaltigen Herrschaft des byzantinischen Schematismus eine vollständige Stagnation geherrscht habe, ist dem richtigen Gefühl für eine organische, geschichtliche Entwicklung gewichen. Fortan bleibt es eine der lohnendsten, aber auch schwierigsten Aufgaben, dem allmählichen Anwachsen besonderer nationaler Kunstbestrebungen nachzugehen. Unschwer lassen sich schon jetzt im 13. Jahrhundert auf italienischem Boden in Toskana einerseits, in Rom andrerseits die Anfänge lokaler Stilrichtungen bemerken. Individuelle Naturanschauung, so befangen sie auch noch sein mag, macht sich geltend – und zwar vermögen wir sie, wie oben betont worden ist, am ersten an Kunstwerken zu würdigen, die seltene oder ganz neue Stoffe, wie die Franzlegende, behandeln. Zu gleicher Zeit aber fällt es auf, wie voll von Vorurteilen gerade in der Gestaltung der am häufigsten wiederkehrenden Darstellungen der Madonna, Christi, der biblischen Geschichten der Künstler noch in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist. Das, was man sich gewöhnt hat, byzantinische Formgebung zu nennen, liegt wie ein Bann auf ihm – ist es auch nicht immer byzantinisch, so doch ein trockener Schematismus der Zeichnung und der Komposition! Ganz allmählich nur beginnt man sich von ihm zu befreien. Schöpft Niccolò Pisano aus dem Studium der Antike eine neue Anschauung der Formen, schafft er aus seiner leidenschaftlichen Natur heraus in ganz neuer Weise belebte, ja auch komponierte Szenen, so folgt er in der Anordnung doch noch im wesentlichen der älteren Kunst, die in der Tat durch Jahrhunderte hindurch sich begnügt hatte, an bestimmten Kompositionen festzuhalten. Selbst der gewaltige Genius des Cimabue zersprengt die letzteren nicht und verleiht ihnen nur einen ganz frischen, mächtigen Geist. Giotto und neben ihm Giovanni Pisano war es vorbehalten, die neue sinnliche Religionsauffassung der Franziskanerdichter und -prediger in Kunstwerke umzusetzen. An dem Stoffe der Franziskuslegende geschult und durch dessen Bewältigung stark und sicher geworden, zeichnet Giottos Hand, inspiriert von dem in ihm allmächtigen Naturgefühl der Zeit, in kühner und neuer Weise die Bilder der neutestamentlichen Vorgänge an die Wände des Kirchleins in der Arena zu Padua. Auf einen Vergleich der wichtigsten Darstellungen aus dem Leben Christi und der Maria, die er und seine Schule sowie die Sienesen des Trecento geschaffen, mit der Franziskanerdichtung soll sich im wesentlichen die folgende Untersuchung beschränken. Die sich daraus für andere Stoffe ergebenden Folgerungen lassen sich unschwer ziehen. Von vornherein aber sei bemerkt, daß ich durchaus nicht behaupten will, die angeführten literarischen Stellen seien direkt bestimmend für die Kunstwerke gewesen, sondern mit diesen nur auf die besonders durch die Predigt verbreiteten, maßgebenden allgemeinen Anschauungen hinweisen will. Die folgenden Ausführungen sollen demnach nur näher erläutern, was in dem einleitenden Kapitel über Franz und die Kunst bemerkt wurde, daß deren Aufschwung an jene menschlich natürliche Anschauung Christi und seines Lebens anknüpft, wie sie zuerst durch die Franziskaner in Predigt und Liedern allgemein wird, daß es das tiefe, gemütvolle Erfassen des Menschen Christus und seiner Mutter Maria ist, welches das eigentlich gestaltende Element der neuen christlichen Kunst der Renaissance wird.
1. Die Verkündigung. Die zahlreichen älteren Darstellungen zeigen Maria meist unter einer Halle sitzend oder stehend, wie sie dem Gruß des von links herantretenden oder knienden Gabriel lauscht. Auf dem Bilde in der Arena zuerst ist auch sie, wie der Engel, in feierlicher Andacht auf die Knie gesunken. Ziemlich ausführlich schildern die ›meditationes‹ die Szene. Gabriel eilt, nachdem er den Auftrag von Gott empfangen, zur Jungfrau und kündet ihr die Botschaft. Erschrocken verharrt sie zuerst in Schweigen, fragt dann aber zweifelnd, wie solch Wunder geschehen möge. »Nun betrachte, wie sorgsam und weise der Engel sie belehrt und seine Worte setzt, indem er sich verehrend vor seiner Herrin mit sanftem und heiterem Antlitz neigt, getreulich seine Botschaft ausrichtet und eifrig auf die Worte der Herrin achtgibt, um angemessen antworten und dazu in wunderbarer Weise den Willen des Herrn ausführen zu können. Und wie die Herrin furchtsam und demütig mit verschämtem Antlitz, vom Engel überrascht, dasteht und nicht unversehens durch jene Worte übermütig gemacht wird, noch sich etwas dünkt.« Dann beugt sie die Knie und faltet die Hände: »fiat mihi secundum verbum tuum.« Auch Gabriel kniet nieder, erhebt sich dann, neigt sich vor ihr und verschwindet Meditationes vitae Christi Bonaventura Peltier Bd. XII, cap. IV, S. 515.. Stellt Giotto diesen letzten feierlichen Augenblick dar, so ist der frühere, in dem Maria sich voll Scham und Furcht gleichsam in sich selbst zurückzuziehen versucht, in dem recht im Geiste jener Erzählung gehaltenen empfindungsvollen Bilde Simone Martinis und Lippo Memmis in den Uffizien veranschaulicht Phot. Brogi.. Tiefes Gefühl und wie dort eine poetische Auffassung des mit zierlichem Kranze geschmückten Himmelsboten macht sich auch in dem bekannten Bilde Ambrogio Lorenzettis in Siena geltend. Seit Giotto aber begegnet man öfters Darstellungen der Verkündigung, auf denen Maria kniet. Das wesentlich Neue, das fast nirgends herrlicher als auf Donatellos Relief in S. Croce zu Florenz entgegentritt, ist die höchst innige und gemütvolle Beziehung zwischen der Jungfrau und dem Boten.
2. Die Heimsuchung. Die Meditationes wissen von der eigentlichen Begegnung nichts anderes zu erzählen, als daß die Frauen sich umarmen, schildern dann aber ausführlicher den Aufenthalt Josephs und Marias bei Zacharias und Elisabeth mit jenen Details, die auch die Legenda aurea nach der »hystoria scholastica« hat, wie Maria der Freundin dient und, als Johannes geboren wird, diesen von der Erde aufhebt. So finden wir hier auch keine Parallele zu den reicheren Darstellungen des Vorgangs, die zuerst Niccolò Pisano an seiner Kanzel zu Siena, dann Giotto in Padua und Assisi gegeben A. Schulz: Die Legende vom Leben der Jungfrau Maria. Leipzig 1878, S. 57 nennt irrtümlich als erste solche die des Andrea Pisano.. Beide Künstler nämlich, wie dann auch Andrea Pisano an der Baptisteriumtüre in Florenz, lassen die Umarmung der beiden Frauen, die in älteren Denkmälern die ganze Komposition ausmacht, in Gegenwart von begleitenden Frauen geschehen. Die Hinzufügung derselben erklärt sich wohl einfach aus dem Verlangen nach einer belebteren Ausfüllung des Raumes.
3. Die Geburt Christi. »Als aber«, erzählen die Meditationes nach einer Vision, die einem Franziskaner zuteil geworden war, »die Stunde des Gebärens, um Mitternacht am Tage des Herrn, gekommen war, erhob sich die Jungfrau und lehnte sich an eine Säule, die dort war; Joseph aber saß traurig, vielleicht weil er nicht vermochte, das Notwendige zuzurüsten. Er stand also auf und nahm von dem Heu der Krippe und warf es vor die Füße der Herrin und wandte sich nach einer andern Seite: da aber verließ der Sohn Gottes den Mutterleib. – – – Und die Mutter neigte sich sogleich, hob ihn auf und umarmte ihn süßer Liebe voll, legte ihn auf ihren Schoß. – – – Dann wickelte sie ihn in den Schleier ihres Hauptes und legte ihn in die Krippe. Und da steckten der Ochs und der Esel, die Knie beugend, ihre Schnauzen über die Krippe, schnaubend, als hätten sie Vernunft und wüßten, daß der so gar ärmlich bedeckte Knabe bei so großer Kälte der Wärme bedürfe. Die Mutter aber, niederkniend, betete an und sprach, Gott Dank sagend: »ich sage dir Dank, Herr und heiliger Vater, der Du mir Deinen Sohn gegeben hast, und ich bete Dich an, ewiger Gott, und Dich des lebendigen Gottes und meinen Sohn.« Joseph aber verehrte ihn in gleicher Weise und nahm den Sattel des Esels und zog aus ihm ein Kissen von Wolle heraus und legte dasselbe neben die Krippe, damit Maria sich drauf setze. Sie aber setzte sich dort nieder und legte den Sattel unter den Ellenbogen, und so blieb sie da, die Herrin der Welt, ihren Blick immer auf die Krippe, die Augen und ihre ganze Liebe auf ihren geliebtesten Sohn gerichtet. – – – Als so der Herr geboren war, betete die Menge der Engel, die da war, ihren Herrn an und gingen sogleich zu den Hirten, die in der Nähe vielleicht eine Meile weit waren und verkündeten ihnen die Geburt und auch den Ort. Dann stiegen sie mit Lob und Jubelgesängen gen Himmel auf, ihren Genossen das gleiche zu verkünden. So kam der ganze himmlische Hof freudig, nachdem sie ein großes Fest gemacht und Lobgesänge und Dankesbezeugungen Gott dem Vater dargebracht, alle so viele da waren, ein Chor nach dem andern, das Antlitz ihres Herrn und Gottes zu sehen, und beteten ihn und auch seine Mutter mit jeglicher Ehrerbietung an und ließen ihre Loblieder erschallen. Es kamen auch die Hirten und beten ihn an, erzählend, was sie von den Engeln gehört. Die Mutter aber bewahrte klug alles, was von ihm gesagt ward, in ihrem Herzen, jene aber gingen in Freuden fort. Beuge auch du das Knie, da du es so lange verschoben und bete den Herrn deinen Gott an und dann seine Mutter und grüße ehrerbietig den heiligen Greis Joseph Cap. VII. S. 519 f..«
Übersetzung (nach: Gustav Schnürer, Franz von Assisi, München 1907): »Da nach dem Rat der Weisen nichts ohne Rat getan werden soll, damit nicht auf die Tat die Reue folge, so ist es für einen jeden, der einen höheren Weg gehen will, ersprießlich, daß er achtet, wohin er tritt, indem er seine eigenen Kräfte in verständiger Erwägung mißt ... Deshalb ist fast in allen Orden die vernünftige Einrichtung, daß diejenigen, welche die Gewohnheiten einer Regel auf sich nehmen wollen, dieselben eine Zeitlang erproben und sich an ihnen erproben lassen ... Wir gebieten euch also Kraft unserer Autorität, daß ihr zur Gelübdeablegung in eurem Orden keinen zulasset, der nicht ein Probejahr durchgemacht hat. Nach der Profeß soll kein Bruder euren Orden zu verlassen wagen; noch soll es irgend jemandem erlaubt sein, den, welcher den Orden verläßt, aufzunehmen. Wir verbieten auch, daß einer in eurem Gewand außerhalb der Obedienz herumstreife und so die Reinheit eurer Armut zuschanden mache. Wenn das jemand wagen sollte, so möge es euch erlaubt sein, gegen solche Brüder, bis sie zur Einsicht gekommen sind, die kirchliche Zensur auszuüben.« Übersetzung: »Du bist der heilige, einzige Herr und Gott, der du Wunder wirkst. Du bist stark, du bist groß, du bist der Höchste. Du bist allmächtig. Du, heiliger Vater, bist der König von Himmel und Erde. Du bist drei und eins, Herr und Gott. Du bist das Gute, alles Gute, das höchste Gute, Herr, lebendiger wahrer Gott. Du bist die Liebe, du bist die Weisheit, du bist die Demut, du bist die Geduld. Du bist unsere Hoffnung, du bist die Gerechtigkeit und Mäßigung. Du bist unser Reichtum bis zur Genüge. Du bist unsere Zuflucht und Kraft ...«
Erst ganz allmählich ist die Kunst dazugekommen, dieser innigen Szene ihren ewigen Gehalt zu verleihen. Wie stark die ältere Tradition war, zeigen noch Giottos Werke, die ihr im wesentlichen folgen. Die Geburt war immer mit der Verkündigung an die Hirten im Bild verbunden und demzufolge die Komposition sehr locker gefügt gewesen. Auf halber Höhe eines Berges sieht man Maria liegen, selten sitzen; hinter ihr ist die Krippe mit dem Christkind, auf das Ochs und Esel schauen. Zwei Frauen baden unten auf der einen Seite das Kind, auf der andern sitzt der schlafende Joseph. In halber Höhe des Berges an der Seite stehen einige Hirten, die erstaunt zu den Engeln emporschauen, welche die Botschaft bringen. Nur ganz ausnahmsweise beschäftigt sich die Mutter mit dem Kinde. Gerade in dem Verhältnis der beiden aber sucht die neuere Kunst, wie die Franziskanerdichtung, den eigentlichen Mittelpunkt der Handlung. Die Nebenszene der das Kind badenden Frauen verschwindet Vgl. über dieses Motiv: Didron: Manuel d'iconographie chrétienne (Malerbuch vom Berge Athos), S. 158. Es geht auf eine Legende des Simeon Metaphrastos zurück., wohl unter dem Einfluß der immer mehr sich geltend machenden Anschauung von der ›unbefleckten Empfängnis‹ der Maria. Noch Niccolò Pisano hält sich an der Kanzel des Baptisteriums zu Pisa an die Tradition, Giovanni Pisano aber in den Reliefs der Pisaner Kanzel und der zu Pistoja bringt etwas mehr Leben in die Stellung der Jungfrau, indem er sie das Tuch von dem in der Krippe liegenden Kinde lüften läßt, ein Motiv, das auch noch Orcagna auf dem Altar zu Orsanmichele hat. Auf Giottos Darstellung in Padua ist nur eine noch von den helfenden Frauen vorhanden, und diese steht der zwar nach alter Weise liegenden Jungfrau, die aber hier sich bereits liebevoll um das Kind bemüht, bei, dieses in die Krippe zu legen. Der schlafende Joseph, die Hirten rechts und die Engel sind noch beibehalten. Altertümlicher erscheint dagegen die Szene auf dem Fresko der Unterkirche von S. Francesco – die Hirten, die Badeszene erinnern an den alten Typus. Nur, daß Maria das gewickelte Kind in den Armen hält und liebevoll anschaut und Engelscharen es betend verehren, spricht von der neuen Zeitströmung. Einen weiteren Schritt tut Taddeo Gaddi in der Capella Baroncelli in S. Croce zu Florenz. Da sitzt Maria unter einer Hütte, die schon von Giotto eingeführt wurde, und drückt das Kind an die Brust. Tiefsinnig betrübt – ob aus dem in den ›meditationes‹ angegebenen Grunde oder aus einem andern? – sitzt daneben Joseph. Ein Hirt schaut über den Felsen herüber, zwei Engel fliegen in der Höhe. Ähnlich ist das kleine Bild Taddeos in der Berliner Galerie (1080) und ebendaselbst eines von Bernardo da Firenze (1064), auf denen die Mutter das Kind säugt. Giottino oder jener Schüler Giottos, der die Grabkapelle der Strozzi in S. Maria novella ausgemalt, läßt seinerseits Maria betend neben der Krippe sitzen. Über dem Berge in gewohnter Weise die Engel, von denen einige den links befindlichen Hirten erscheinen. Ebenso ist die Szene auf dem großen Orcagna zugeschriebenen Altarwerke in der Londoner National Gallery, das aus S. Piero maggiore stammt, dargestellt. Ein weiterer Schritt wird am Ende des 14. Jahrhunderts getan: Maria ist auf die Knie gesunken und betet das nackte Kind an, während auch Joseph sich verehrend naht. Zuerst ist mir das Motiv auf einer der kleinen Tafeln von Taddeo Gaddi in der Akademie zu Florenz, weiter auf der Predella des großen Altarwerkes von Bernardo Daddi ebendort, auf einem Fresko des Ugolino di Prete Ilario im Chor des Domes zu Orvieto (v. J. 1364) und auf dem Predellenbild der Verkündigung in Fresko vorgekommen, die, das Werk eines späten Nachfolgers des Simone Martini, an der Eingangswand von S. Maria novella sich befindet. Zunächst übernimmt es dann Masolino auf seinem Fresko in der Kollegiatkirche zu Castiglione d'Olona und Lorenzo Monaco auf einem der kleinen Bildchen, die jetzt im hintersten Zimmer der Akademie zu Florenz sind, und dem trefflichen Bilde in S. Giovanni dei Cavalieri ebendaselbst. Hettner glaubte irrtümlicherweise, daß es zuerst von Gentile da Fabriano in der Predella zu seiner ›Anbetung der heiligen drei Könige‹ in der Florentiner Akademie angewandt sei Kleine Schriften. Die Franziskaner in der Kunstgeschichte. S. 319.. Es scheint aber offenbar zuerst von Giotto gebracht worden zu sein. Eigentümlicherweise heißt es im Malerbuche vom Berge Athos: Maria, kniend, legt das Kind in die Krippe – womit die älteren Denkmäler nicht übereinstimmen. Jedenfalls wird das Motiv von 1400 an aber auch in der florentinischen Kunst ganz allgemein, besonders durch die herrlichen Werke Fra Filippos und Lucas della Robbia Ich möchte hier darauf hinweisen, daß speziell Luca della Robbia in seiner Kunst von Jacopone beeinflußt worden sein dürfte, da ein Manuskript von des letzteren Liedern in Paris (Nat. bibl. 8146) ursprünglich im Besitze Lucas sich befand.. Nun nähern sich auch die Hirten betend dem Kinde, und damit ist die Einheitlichkeit der Komposition erreicht. Erst aus diesen Werken spricht in voller Reinheit der lieblich natürliche Gedanke von der mütterlichen Liebe und der demütigen Verehrung zugleich, die Maria für das Kindlein hegt – erst damals erhalten Jacopones Lieder ihren vollen Wiederschein in der bildenden Kunst.
Jenes oben wiedergegebene Lied ›stabat mater speciosa‹ ist nur eines unter mehreren. Man lese ferner die II. Ode im III. Buch: ›per li tuoi gran valori‹, das herrliche Weihnachtslied: ›ogni uom con alegrezza novella‹ (III, 4) und die fünfte Ode, die folgendermaßen beginnt:
1. In dem würdig hehren Stall des süßen Kindleins
Singen um den Kleinen rings geschart die Engel.
2. Die geliebten Engel singen hell und rufen
Alle in Verehrung scheu und untertänig
Vor dem Kindlein, der Erwählten Herrn und Fürsten,
Der in stechend scharfen Dornen nackend liegt.
7. Der entsproßt Marias Blut, der zarte Körper,
Ward in Obhut unschuldreinen Freunden:
Joseph und der Maid Maria übergeben,
Die verwunderungsvoll das kleine Kindlein anschaun.
8. O du großer kleiner Jesus, unsre Liebe,
Wer dich so gesehen zwischen Ochs und Esel,
Wie sie blasend Deine heil'ge Brust anschnaubten,
Hätte nie geglaubt Dich des Dreiein'gen Sohn!
Vgl. auch Bonaventuras Philomela. Bd. XIV. S. 162:
Felix, qui tum temporis matti singulari
Potuisset precibus, ita famulari
Ut in die sineret semel osculari
Suum dulcem parvulum eique jocari.
O quam libens balneum ei praeparassem
O quam libens humeris aquam apportassem
In hoc libens Virgini semper ministrassem
Pauperisque parvuli pannulos lavassem.
Hier also das ältere Motiv des Bades.
Am anschaulichsten aber schildert das achte Lied des dritten Buches die Szene:
Str. 11. Als die Mutter ihn geboren,
Gottes großes kleines Söhnlein,
Großes Leuchten ihr erschien da
Ob dem fleischgewordnen Worte.
12. Und Maria kniete nieder,
Betete es an, das Söhnlein,
Darauf nahm sie's in die Arme,
Drückte es an sich umarmend.
13. Ihre eignen Linnen nahm sie,
Wickelte darein das Söhnlein,
Legt es auf den Boden nieder
Mitten zwischen Ochs und Esel.
14. Und in Eintracht beide schritten
Hin zu ihm, da sie gesehen,
Daß der Herr, er, der Allmächt'ge,
Gar der Wärme so bedürftig.
15. Und sogleich zu Boden warfen
Dankbar nieder sich die Tiere,
Streckten vorwärts ihre Köpfe
Über solche schöne Liebe.
17. Joseph aber benedeiet
Stand für sich gar sehr betrübet,
Wie durchbohrt von großem Mitleid,
Daß zu helfen ihm versagt war.
18. Auf das Kindlein blickt er nieder,
Und das Kindlein gab ihm Tröstung,
Schenkt ihm wieder innern Frieden
Für die Qual, die er drob hatte.
19. Hier ertönen süße Sänge
Von den himmlisch heil'gen Engeln,
Alle kommen sie zusammen
Vor das Kind, es anzubeten.
Aus dem Vergleiche der Dichtung mit den Kunstwerken ergibt sich im allgemeinen die Tatsache, die uns auch die Kunstentwicklung bei den Griechen lehrt, daß die bildende Kunst viel mehr Zeit dazu gebraucht hat, die religiösen Anschauungen der Zeit wiederzugeben, als die Dichtkunst, und daß sie daher, zum Teil wenigstens, der Anleitung der letzteren folgte. Im besonderen aber erhalten wir eine ansprechende Aufklärung über zwei Details in den Bildern der Geburt Christi. Joseph wird häufig so traurig und sinnend dargestellt, weil er inniges Mitleid mit Mutter und Kind hat und doch nicht zu helfen weiß. Die Tiere aber strecken die Schnauzen so dicht zum Christkind hin, es in rührendem Mitgefühl zu wärmen. Möglich, daß die dichterische Auffassung ihrerseits wieder aus den älteren Darstellungen entsprungen ist.
4. Die Anbetung der h. drei Könige Bereits Hettner hat darauf hingewiesen, wie bestimmend die Franziskanerpoesie für die bildliche Darstellung dieser Szene geworden ist A. a. O. S. 319.. Das Neue in der Komposition besteht darin, daß, während in der ältesten Zeit die drei Könige laufend auf das Kind zueilten, später wohl der älteste das Knie beugte und ihm das Gefäß darreichte Vgl. Didron: Manuel S. 159., jetzt die Beziehung zwischen Christus und den ihn Verehrenden inniger wird, daß der vorderste König nämlich seinen Fuß küßt. Zugleich beginnt man einzusehen, welch' malerischen Vorwurf das reiche Gefolge der Weisen bildet. Der Fußkuß aber spielt eine besondere Rolle in der ausführlichen Schilderung der Szene, welche die Meditationes bringen:
»Es kamen also jene drei Könige mit einer großen Menge und vornehmem Geleit, und da sind sie vor jener Hütte, in welcher der Herr Jesus geboren wurde. Die Herrin hört das Geräusch und den Lärm und nimmt den Knaben zu sich. Jene treten in das Häuschen ein und beugen die Knie und beten den Herrn, den Knaben Jesus, ehrfürchtig an. Sie ehren ihn als König und beten ihn als Herrn an. Sieh, wie groß ihr Glaube war! – Sie knien also vor ihm, reden mit der Herrin, sei es durch einen Dolmetscher oder selbst: denn sie waren ja Weise und verstanden vielleicht die hebräische Sprache. Sie fragen sie aus über alles, was den Knaben angeht. Die Herrin erzählt, und sie glauben ihr alles. Betrachte sie gut, denn ehrfürchtig und höflich sprechen und hören sie. Betrachte auch die Herrin, denn schamhaft in Worten, die Augen zur Erde gesenkt und mit ehrfürchtiger Scheu spricht sie; es ergötzt sie nicht, zu reden, noch gesehen zu werden. Der Herr aber gab ihr Kraft bei diesem großen Werke; denn jene repräsentierten die gesamte Kirche aus den Heiden. Betrachte auch den Knaben Jesus: noch spricht er nicht, sondern verharrt in reifer Betrachtung und Würde, wie voller Einsicht, und schaut wohlwollend jene an, und sie erfreuen sich sehr an ihm, sowohl an seinem geistigen Anblick, gleichsam innerlich belehrt und erleuchtet von ihm, als auch an seinem körperlichen Anblick, denn er war schön vor den Menschensöhnen. Endlich als sie großen Trost empfangen, bieten sie ihm Gold, Weihrauch und Myrrhen an, öffnen ihre Schätze und bringen sie ihm dar, ein Tuch oder einen Teppich vor den Füßen des Herrn Jesus ausbreitend – nämlich jeder von ihnen alles drei in größter Fülle, vorzüglich das Gold. Denn sonst für kleine Gaben hätten sie nicht die Schatzbehälter zu öffnen brauchen, denn eine Kleinigkeit hätten wohl ihre Seneschalle zur Hand gehabt. Und dann küßten sie voll Ehrfurcht und Frömmigkeit seine Füße. Wie, wenn da der weiseste Knabe, sie noch mehr zu trösten und in der Liebe zu ihm zu befestigen, ihnen auch die Hand zum Kusse gereicht hätte? Auch bezeichnete er sie und segnete sie. Jene aber nahmen sich verbeugend Abschied und kehrten mit großer Freude heim A. a. O. Cap. IX. S. 522 f. Sich und seine Leser zu beruhigen, fügt der Verfasser der med. hinzu, daß die Jungfrau das Gold wohl den Armen gegeben habe, Christus aber selbst wie ein Armer dasselbe als Almosen empfangen habe. Echt Franziskanisch! Vgl. auch Jacobus a Voragine Leg. aurea, cap. 37..«
Der erste, welcher den Fußkuß darstellt, ist Niccolò Pisano an der Kanzel im Dome zu Siena, während er noch auf derjenigen zu Pisa in alter Weise den König das Geschenk hatte darreichen lassen. Ihm folgt Giovanni Pisano auf den Reliefs in Pisa und Pistoja, dann Giotto, mit seinem vornehm ernsten Fresko in Padua, auf welchem neben Maria Joseph und ein die Geschenke in Empfang nehmender Engel, hinter den Königen ein Diener mit zwei Kamelen sich befindet. Etwas größeres Gefolge zeigt schon das Bild in S. Francesco zu Assisi, auf dem Christus den ihn küssenden König segnet. (Abb. S. 325.) Dann übernimmt Taddeo Gaddi das Motiv (Baroncellikapelle), und von nun an wird es ganz allgemein. Dramatische Aufführungen, gleich dem 1336 von den Dominikanern in Mailand veranstalteten Dreikönigsfest, mögen, wie Ebert bemerkt, so ausnehmend figurenreiche Darstellungen, wie das berühmte Werk Gentiles in der Akademie zu Florenz, die Bilder A. Vivarinis und Pisanellos in Berlin, Lorenzo Monacos Bild im Korridor der Uffizien (28) und andere mehr inspiriert haben Vgl. Muratori: Rer. ital. script. T. XII, col. 1017 f. – Ebert: a. a. O. S. 53..
5. Die Darstellung im Tempel. »Am vierzigsten Tage«, erzählen die Meditationes, »gehen die Eltern mit dem Kinde nach Jerusalem in den Tempel. Da kommt Simeon, erkennt Christus in seinem prophetischen Geiste und betet kniend ihn an. Der Knabe aber segnet ihn und neigt sich, die Mutter anschauend, als wolle er zu jenem gehen. Da reicht sie ihn dem Simeon. Dieser aber, freudig und ehrerbietig ihn in seinen Armen empfangend, erhob sich, lobte Gott und sprach: Jetzt läßt Du Deinen Knecht in Frieden gehen, o Herr usw. Er prophezeite von seinem Leiden. Es kam aber herzu auch die Prophetin Anna und betete ihn an und sprach in gleicher Weise über ihn. Maria aber, darüber sich wundernd, bewahrte alles in ihrem Herzen. Dann streckte der Knabe Jesus die Arme nach der Mutter aus und kehrte zu ihr zurück. Darauf schreiten sie in einer Prozession zum Altare, die heute noch in der ganzen Welt dargestellt wird. Voran schreiten lebhaft die beiden ehrwürdigen Greise, Joseph und Simeon, sich an der Hand haltend und mit großem Frohlocken jubelnd Psalmen singend. Es folgt die Mutter, den König Jesus tragend, und Anna geleitet sie, zur Seite gehend, in ehrerbietigem Jubel und in unsagbarer Freude den Herrn lobend. – Als sie aber zum Altar gekommen sind, kniet die Mutter in Ehrfurcht nieder und bringt ihren geliebtesten Sohn Gott seinem Vater dar, indem sie spricht: Nimm, erlauchtester Vater, Deinen Eingeborenen, den ich Dir nach dem Gebot Deines Gesetzes darbringe, der der Erstgeborene der Mutter ist. Aber ich bitte Dich, Vater, daß Du ihn mir wiedergibst. Und indem sie aufsteht, setzt sie ihn auf den Altar Cap. XI, S. 524..
So wenig Giottos mächtiges Bild in Padua kompositionell von den Darstellungen der älteren Kunst im großen und ganzen verschieden ist, so weit überragt es sie doch in der geistigen Auffassung. Wie das Kind von den Armen des ehrwürdigen Simeon zur Mutter strebt, die still verlangend die Hände nach ihm ausstreckt, wie in der Stellung und in dem gesenkten Haupt und Blick der Anna das prophetische Ahnen zur Anschauung gebracht ist, ist so einfach, wie unübertrefflich. Figurenreicher und gleichfalls an schönen Motiven reich ist das Bild in S. Francesco zu Assisi. Was in der obigen Schilderung das Charakteristische ist: die eingehende Art, mit der die zwischen Maria, dem Kinde und Simeon vorgehende Handlung geschildert wird, ist auch das, worin der Hauptwert dieser die späteren Darstellungen beeinflussenden Werke liegt In der früheren Kunst besteht die Komposition fast immer nur aus vier Personen, so auch auf Niccolò Pisanos Kanzel in Siena. Auf der Kanzel in Pisa ist sie, offenbar der Nachbildung des auf den Satyr gelehnten indischen Bacchus zuliebe, der hier als Priester auftritt, erweitert. S. Dobbert: Die Pisani, in Dohme: Kunst u. Künstler III, S. 8..
6. Die Flucht nach Ägypten und Heimkehr. Lesen wir in den Meditationes gar nichts über den Kindermord, den Giotto in Padua und Assisi in dramatisch bewegter Weise, aber mit Anlehnung an ältere Vorbilder gemalt hat, so bringen sie auch keine neuen Züge für die Flucht nach Ägypten; das alte Schema der Komposition, nach welchem Joseph den Esel führt, auf dem Maria mit dem Kinde sitzt, ein Engel voranfliegt, ist von Giotto übernommen worden, der die Familie außerdem von Mägden und Knechten begleitet werden läßt Das ist übrigens kein ganz neuer Zug. Auch in der Literatur (vgl. Schulz a. a. O. S. 22) wird von einigen Mägden und Knechten gesprochen.. Die sehr selten, vielleicht zuerst von Giotto in der Unterkirche zu Assisi dargestellte ›Heimkehr von Ägypten‹ aber wird von den Meditationes, nachdem von dem Aufenthalte im fremden Lande die Rede gewesen ist, ausführlich geschildert Vielleicht ist die Szene auf dem von Coelestin II. (1143-44) geschenkten Silberantipendium in Città di Castello (d'Agincourt: Sculpture P. XXI, 13) dargestellt. Vgl. Schulz a. a. O. S. 65. Da trägt Joseph das Kind auf der Schulter, Maria folgt auf dem Esel.. Sieben Jahre hatten sie in der Stadt Heliopolis als Fremdlinge, arm und dürftig, in einem kleinen Hause gelebt. Joseph beschäftigte sich mit Zimmerarbeit, Maria verdiente sich durch Nähen ihren Unterhalt, und der Knabe trägt die fertigen Arbeiten zu den Auftraggebern. Wie oft mag er da herbe Worte gehört, wie oft Hunger gelitten haben, wenn auch zuweilen gute Frauen sich der Armen erbarmen. Endlich ermahnte ein Engel Joseph zur Heimkehr ins Vaterland. »In der Frühe am folgenden Tage wirst du einige gute Frauen und auch Männer aus der Stadt kommen sehen, die ihnen bis vor das Tor folgen, ihrer versöhnenden und heiligen Unterhaltung noch sich zu freuen. Denn sie hatten ihren Aufbruch mehrere Tage vorher in der Nachbarschaft verkündet – denn sie kehren nun heim, und Joseph schreitet mit den Männern voraus, und die Herrin folgt weiter zurück mit den Frauen. Du aber nimm den Knaben an der Hand und gehe in der Mitte, der Mutter voraus, denn hinter sich wird sie ihn nicht lassen wollen. Als sie aber vor dem Tore sind, duldet Joseph die Begleitung nicht länger. Da aber ruft einer von jenen, ein Reicher, ihre Armut bemitleidend, den Knaben, daß er ihm einige Denare zur Bestreitung der Ausgaben gäbe. Es scheut sich der Knabe, es anzunehmen, dennoch aus Liebe zur Armut streckt er die Hand aus, nimmt ehrerbietig das Geld an und sagt seinen Dank: so taten auch mehrere andere. Endlich, nachdem sie diesen gedankt, sagen sie allen Lebewohl und setzen ihren Weg fort.« Vielleicht hat einer der guten Leute ihnen auch einen Esel gegeben, auf dem der Christusknabe reiten konnte. Auf dem Heimwege treffen sie in der Wüste den kleinen Johannes, besuchen dann Elisabeth und langen endlich in Nazareth an Cap. XIII S. 528.. Dort leben sie ärmlich weiter; der Knabe mag da wohl der Mutter kleine Dienste getan, ihr Wasser zugetragen und mit dem kleinen Johannes Evangelista, der damals fünf Jahre alt war, verkehrt haben.
Giotto hat auf seinem Fresko den Augenblick dargestellt, in welchem die H. Familie die Tore der Stadt verläßt. Joseph schreitet, den Knaben an der Hand, voraus, dann folgt Maria, von drei Frauen geleitet Phot. Alinari..
Von Interesse ist auch die Erzählung von dem Zusammentreffen der beiden Knaben Christus und Johannes in der Wüste, da dasselbe in verschiedenen Kunstwerken des 15. Jahrhunderts dargestellt wird, so z. B. auf einem Fresko des Lorenzo di San Severino von 1416 in S. Giovanni zu Urbino, auf einem Bilde des Jacopo Sellajo in der Galerie zu Berlin, auf einem von Bode dem Verrocchio zuerteilten ebendaselbst Galerie Nr. 93 und 94. S. auch Jahrb. der Preuß. Kunstsamml. III, S. 249 mit Abb., auf einem kleinen Gemälde Pinturichios im Monte di pietà zu Rom, einem florentinischen Bilde im Louvre (Nr. 494) und auf Andreas del Sarto Fresko in den Scalzi.
7. Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Schon in der trefflichen Komposition der Oberkirche in Assisi macht sich in der Anordnung der links und rechts sitzenden Schriftgelehrten, in der Durchgeistigung des Christusknaben ein bedeutender Fortschritt gegen die früheren Darstellungen bemerkbar, so daß der Schritt von ihr zu Giottos Bild in Padua kein großer erscheint. Später, in Assisi, gestaltet letzterer die Szene reicher, gerade nicht zu ihrem Vorteil. Der lehrende Knabe mußte für die Kunst immer die Hauptsache bleiben: darin unterscheidet diese sich von der Dichtung, welche das Hauptgewicht auf den Schmerz, die Überraschung und Freude der Mutter legt. Als die Eltern den Knaben vermissen, eilt Maria, nach ihm zu fragen, durch die Häuser und betet in angsterfüllten Worten zu Gott. Endlich finden sie ihn im Tempel. »Da, als sie ihn sah, freudig bewegt, wie zu neuem Leben erstanden, kniete sie nieder und dankte unter Tränen Gott. Der Knabe Jesus aber, als er die Mutter gewahrt, kommt zu ihr; da nimmt sie ihn zwischen die Arme und drückt und küßt ihn süß und legt ihr Antlitz an seines und hält ihn lange in ihrem Schöße und findet endlich Ruhe, da sie ihn hat.« Dann kehren sie nach Nazareth zurück Med. cap. XIV. S. 530..
Konnte auch im Bilde die rührende Szene, wie Mutter und Kind sich wiederhaben, nicht dargestellt werden, das harmvolle Sehnen und Verlangen der Maria ward schon von Giotto in ergreifender Weise wiedergegeben.
Dieser Vorgang ist der letzte, der von dem Dichter der Meditationes ausführlich behandelt wird, die Taufe Christi, sein folgendes Lehren und Wunderwirken erzählt er nur kurz im Anschlusse an die Evangelien. Erst die Leidensgeschichte bietet seiner Phantasie neuen, fruchtbaren Stoff. Es ist ihm darin nicht anders gegangen als dem Künstler.
1. Der Abschied von Maria in Bethanien. Die bildende Kunst hat diese rührenden Szenen nur ganz ausnahmsweise dargestellt – obgleich sie eine nicht unbedeutende Rolle in der italienischen Dichtung gespielt zu haben scheinen und, frei aus der Phantasie geschaffen, voll reicher poetischer Empfindung sind. Wenn sie in den Meditationes noch auf die kurzen, aber rührenden Reden der Maria und Magdalena beschränkt sind, die den Herrn zurückzuhalten suchen, und auf die Mitteilung, die Jesus ihnen von seinem nahen Leiden und Sterben macht, so erscheinen sie in der aus dem 14. Jahrhundert stammenden ›Devozione del giovedì santo‹ in ausführlichster Weise behandelt Palermo: I Manoscritti Palatini. Firenze 1860. II. Bd. S. 272 ff. Über den Einfluß, den das Mysterium auf die Kunst gehabt, vgl. Springer: Mitt. der k. k. C. C. 1860, S. 125 ff. und C. Meyer: Vierteljahrsschrift f. K. u. L. der Renaissance I, S. 162. Neuerdings: Weber: Geistl. Schauspiel und bild. Kunst.. Das Mysterium beginnt damit, daß Maria mit Magdalena und Martha dem von Jerusalem kommenden Christus entgegengeht und ihn mit liebend tadelnden Worten empfängt, weil er sein Leben den ihn heimlich verfolgenden Feinden ausgesetzt. Er verweist sie auf den Willen Gottes und umarmt sie. Dann setzen sie sich zu Tisch. Maria bleibt immer bei ihm, küßt ihn und hört nicht auf, ihn zärtlich: ›mein Sohn‹ zu nennen. An der Tafel befindet sich auch Lazarus. Dann ruft Christus Magdalena beiseite, die kniend ihn anhört:
O meine Tochter Magdalena,
Ich möchte Dich von Herzen bitten:
Laß meine Mutter Dir empfohlen sein:
Ich scheide noch an diesem Tage,
Denn gehen will ich nach Jerusalem.
Gefangen werde ich vom wilden Volke
Und zu dem Tod am Kreuz verdammt.
Und darob wird der Schmerz so groß sein,
Den meine Mutter fühlen wird betrübt,
Daß er ihr bis zum Herzen dringt.
Drum bleib mit ihr zu jeder Zeit,
Du und Johannes auch, mein teurer Bruder,
Und dieses halte ganz geheim,
Solange bis man mich gefangennimmt.
Magdalena antwortet:
Mein Herr und Gott, ich bin bereit,
Alles zu tun, was Du befiehlst.
O weh mir, bitter, trostlos, traurig,
Das wird ein böser Tag für mich!
Weh mir, mein Meister, wie verlassen bin ich!
Und Deine Mutter auch, elend und leidend
Wird sie, erfährt's sie erst, mein güt'ger Meister!
Dann kehrt Christus zu den andern zurück, Magdalena aber bleibt. Maria kommt zu ihr und fragt sie, was der Herr ihr gesagt. Sie aber versagt die Antwort. Da eilt die Mutter und fällt vor Christus nieder und bittet ihn, ihr doch sein Leiden zu vertrauen. Da hebt er sie mild auf und kündet ihr das Traurige. Wie tot fällt sie zu Boden. Dann von Christus aufgehoben, ruft sie:
Nicht nenne nun mich mehr Maria,
Da ich Dich selbst verlieren soll, mein Sohn!
Kein Weib empfand je größere Leiden,
Wie gibst Du's zu, Du höchster Gott?
Du sei gesegnet, Sohn, seit Du geboren,
Seit ich in meinem Leibe Dich getragen.
Von Schmerz überwältigt sinken beide zur Erde. Dann erhebt sich Maria und fällt vor Judas auf die Knie, der sie ruhig knien läßt, und bittet ihn, auf den Herrn achtzugeben. Doppelsinnig antwortet er:
Nicht tut es not, mich gar so sehr zu bitten,
Denn was zu tun ich habe, weiß ich wohl.
Dann bittet sie auch Petrus, worauf sie mit Martha und Magdalena zu Christus geht. Der bezeigt ihr seine Ehrerbietung, umarmt sie und macht Miene fortzugehen. Ihr Verlangen, ihn noch bis zu den Toren der Stadt begleiten zu dürfen, gewährt er. Dann, als die Mutter vergeblich ihn gebeten, sie bei sich zu behalten, nehmen sie herzbrechenden Abschied. Vor Schmerz sinken sie zusammen. Dann erhebt sich Christus und geht durch ein anderes Tor nach Jerusalem hinein. Er läßt ihr zum Trost den Engel Gabriel, bis er ihr Johannes senden könne. Zum letzten Male ruft sie dem Sohne nach:
O Du mein heißgeliebter Sohn,
O Du mein anmutvoller Sohn,
Durch welches Tor bist Du hineingegangen,
O Du mein Sohn, Du meine ganze Freude,
So ohne Trost bist Du geschieden!
Sagt mir, ihr Frauen, bei der Liebe Gottes,
Wohin mein Sohn gegangen ist.
Gabriel und die Frauen trösten sie. Sie wirft sich vor Magdalena und Martha nieder und fleht sie an, sie nicht zu verlassen. Dann kehren sie nach Bethanien heim.
Im Innersten ergreifend wirkt diese schmucklos natürliche und dabei so hoheitsvolle Dichtung schon beim Lesen – welchen Eindruck muß sie, lebhaft und natürlich dargestellt, in der szenischen Aufführung ausgeübt haben. Dabei aber muß man annehmen, daß den Passionsspielen dieser Abschied nicht allen gemeinsam gewesen ist – sonst wäre er doch öfter auf Kunstwerken dargestellt worden. Nur zwei italienische Bilder habe ich gefunden, die ihn wiedergeben, und zwar hängt das eine, welches, wie mir scheint, ein Werk des Pier Francesco Sacchi ist, in der Franziskanerkirche zu Pavia. Es ist der Augenblick gewählt, in dem Christus, um zu scheiden, auf die Knie vor der Mutter niedergesunken ist, die, von Magdalena gehalten, ihn segnet. Hinter Christus steht Lazarus. Das andere, ein Werk des Caroto in S. Bernardino zu Verona, zeigt Maria, wie sie sich mit entsetztem Ausdruck zu dem links knienden Christus wendet, während von rechts Magdalena, gefolgt von mehreren Frauen, mit leidenschaftlich ausgestreckten Armen herbeieilt. Im Hintergrunde sieht man Lazarus und mehrere Männer A. Schulz: Leg. der Maria S. 66 führt dieses Bild neben andern, deutschen Kunstwerken an; die deutsche Kunst hat die Szene öfter dargestellt.– Vgl. auch Otto: Handbuch der kirchl. Kunstarch. V. Aufl. I, S. 532.. Daß beide Bilder in Franziskanerkirchen hängen, ist wohl kein bloßer Zufall. Außerdem stellt noch ein Kupferstich Robettas (B. 9) die Szene dar.
2. Das Abendmahl und die Fußwaschung. Die kurze Besprechung in den Meditationes ist ohne wesentliche Bedeutung für die Kenntnis der allmählichen Entwicklung und Veränderung der Kompositionen. Es handelte sich für den Schriftsteller hier offenbar mehr um eine kulturhistorische Studie. Er macht darauf aufmerksam, daß Christus und seine Jünger nach der antiken Sitte am Boden gesessen hätten und zwar je zu drei an jeder Seite des quadraten Tisches, Christus an einer Ecke, daß sie das Lamm stehend gegessen und erst dann sich gesetzt. Eine größere Anschaulichkeit gewinnt er erst wieder bei der Fußwaschung: »da neigt sich die höchste Majestät und der Meister der Demut beugt sich bis zu den Füßen des Tisches und kniet, während jene sitzen. Mit den eignen Händen wäscht, trocknet und küßt er ihrer aller Füße Cap. LXXIII, S. 596..« In der Devozione des Gründonnerstags fehlen beide Szenen ganz.
Von Interesse ist es, daß das erste in einem Refektorium gemalte Abendmahl sich in dem Kloster von S. Croce befindet, und daß gerade dieses mit seiner breitgestreckten Anordnung für alle folgenden Florentiner Künstler bis auf Lionardo maßgebend wird. Nicht mit Unrecht geben Crowe und Cavalcaselle es dem Taddeo Gaddi, der aber vielleicht an ein Werk Giottos angeknüpft hat Phot. Alinari. – Vgl. Riegel: Darstellung des Abendmahls i. d. tosc. K. Hannover 1869, S. 31. – Crowe. I, S. 299. – Die Nebeneinanderordnung der Jünger, aller bis auf Judas, hinter dem Tische übrigens auch schon früher, z. B. auf dem Relief des Gruamons über dem Portal von S. Giovanni fuorcivitas in Pistoja..
3. Christus in Gethsemane und die Gefangennahme, Geißelung und Dornenkrönung. Auch diese Vorgänge schildern die Meditationes sehr kurz und sachlich, gleichsam als drängten sie zu dem Augenblick, in dem Maria wieder auftritt. In der Devozione hält sich die Handlung ziemlich genau an die biblische Geschichte und fügt nur eine interessante Episode ein: als Christus gegeißelt worden, ruft er Johannes zu sich und sendet ihn mit dem Auftrag aus, Maria zu suchen und zu holen. Dieser geht und fragt die Frauen, ob sie Maria nicht gesehen, der er die traurigste Kunde zu bringen habe. Magdalena begegnet ihm, er bittet sie, ihn doch zur Mutter Christi zu begleiten, da er allein nicht den Mut habe. Dann kommt Maria ahnungsvoll aufgeregt und erfährt von Magdalena, daß Jesus an jener Stelle zur Kreuzigung vorbeigeführt werden solle.
4. Die Kreuztragung. Von Giottos Bild in Padua bis zu Raphaels Spasimo di Sicilia findet in der Darstellung der Kreuztragung eine beständige Steigerung des Affektes statt. Mit Giotto gelangten alle Künstler zur Einsicht, daß nicht Christus allein Gegenstand des Interesses sein dürfe, sondern daß sich sein Leiden, in dem Schmerze der Mutter wiedergespiegelt, erst in seiner ganzen Furchtbarkeit dem Beschauer vergegenwärtigen lasse. Hatte die ältere Kunst sich meist darauf beschränkt, den kreuztragenden Christus allein inmitten einer Schar von Soldaten seinen Weg ziehen oder wenigstens Maria und Johannes nur stille, ruhige Beobachter sein zu lassen, so sind Giotto und Simone Martini Paris. Louvre 260. die ersten, die das eindrucksvolle dramatische Motiv einführen, wie die schmerzlich bewegte Maria roh und gewaltsam von Kriegsknechten zurückgedrängt wird, Christus aber den Blick zu ihr zurückwendet. Ist aber hier die Verzweiflung der Frauen noch gemäßigt, so findet sie schon auf dem Bilde des Lorenzettischülers in Assisi, auf denen des Niccolò di Pietro Gerini in der Sakristei von S. Croce und in der Kapelle des heiligen Bonaventura in S. Francesco zu Pisa lebhafteren Ausdruck. Auf Darstellungen des 15. Jahrhunderts sehen wir Maria in qualvoller Angst zu Boden sinken, immer mehr nähert sie sich dem Sohne, dessen Teilnahme an dem Leiden der Mutter zugleich immer mehr wächst, bis Raphael das Höchste ausspricht: unter der Last des Kreuzes ist Christus selbst zu Boden gesunken und dicht neben ihm, so daß sie ihn fast erreichen kann, kniet, von den Freunden gehalten, Maria, in ohnmächtiger Sehnsucht die Hände nach dem geliebten Sohne ausstreckend, als wollte sie ihm das Kreuz abnehmen!
Was aber die bildende Kunst erst um 1500 erreicht, die dramatische und wohlabgewogene Darstellung des höchsten Affektes, haben zweihundert Jahre früher schon die Dichter erfaßt. Nur mit wenigen Worten schildern die Meditationes die Kreuztragung, aber in ihnen das Wesentliche: »Betrachte ihn nun hier gut, wie er dahin geht unter das Kreuz gebückt und heftig keucht. Und da seine traurige Mutter ihm wegen der Menge des Volkes nicht nahen und ihn nicht sehen konnte, ging sie einen anderen kürzeren Weg mit Johannes und ihren Begleiterinnen, um so den andern zuvorkommend sich ihm nähern zu können. Als sie aber vor dem Tore der Stadt am Kreuzwege ihm begegnete und ihn von der Last des großen Holzes gedrückt sah, was sie zuvor nicht gesehen, da ward sie halbtot vor Beklemmung und konnte ihm kein Wort sagen Cap.LXXVII S, 604..«
Etwas anders ward der Vorgang in der Devozione dargestellt. Christus kommt mit dem Kreuze auf der Schulter, gefolgt von den Schächern und von einigen Frauen. Zu ihnen wendet er sich und spricht die Worte: Weinet nicht über mich, sondern über euch und eure Kinder. Dann zu dem Volke gewendet, prophezeit er Schaden und Zerstörung. Und noch während er das sagt, nähert er sich der Stelle, wo Maria mit Magdalena und Johannes steht, bis sie sich gegenüber sind. Da wirft sich Maria an seinen Hals, ihn zu umarmen, und Christus wirft das Kreuz auf die Erde. Aber die Juden treiben sie zurück, und sie klagt laut und erinnert das Volk an die Weissagung des Jesajas. Und als sie das gesagt, will sie das Kreuz erfassen, aber die Juden treiben sie zurück. Sie sinkt wie tot mit Christus zu Boden. Das benutzen die Juden und bringen Jesus fort. Da wendet sie sich, als sie ihn nicht mehr sieht, zu den Frauen:
Ihr seht, o Frauen, welche große Schmerzen
Die Mutter fühlt, traurig und ohne Trost.
Sie haben ihn mir genommen, meinen Glanz,
Und traurig mich mir selbst gelassen.
Weh mir, der Schmerz brennt mir im Herzen,
Ein böser Tag ist dieser mir erschienen!
Sagt mir, ihr Frauen, sagt mir gütig,
Wohin ist er gegangen? zeigt den Weg mir!
Der Schmerz der Mutter Maria ist der Mittelpunkt der Szene – durch die Darstellung der Maria hat auch in der bildenden Kunst die Kreuztragung erst ihre eigentliche künstlerische Bedeutung erhalten.
Von Interesse ist es, daß die Meditationes in einem späteren Kapitel (LXXXVII, S. 617), als die Frauen zum Grabe Christi gehen und dabei der Kreuztragung Christi gedenken, zuerst einen Gedanken aussprechen, den Martin Schongauer als Hauptmotiv auf seinem großen Kupferstiche, nach ihm Raphael verwendet. »Hier«, sagen die Frauen, »wandte er sich zu den Weibern, hier legte er ermüdet das Kreuz nieder und auf jenen Stein stützte er sich einen kurzen Augenblick.«
Die Idee, den kreuztragenden Christus allein und als Brustbild darzustellen, taucht erst im 15. Jahrhundert auf und zwar, soviel ich sehe, zuerst in Oberitalien.
5. Die Kreuzanheftung. Die Devozione fährt fort: Maria, Johannes und Magdalena kommen zur Schädelstätte. Als der Prediger das Zeichen gibt, nageln ihm die Juden die eine Hand an, dann die andere. Darauf heben sie ihn empor. – Ausführlicher schildern die Meditationes den Vorgang, indem sie die verschiedene Art angeben, in der er ans Kreuz geheftet worden sein könne. Zunächst die eine: einige befestigen das Kreuz in der Erde, andere bereiten die Nägel und Hammer, andere die Leitern, andere ziehen ihn aus. Da erbarmt sich Maria seiner Blöße und verhüllt sie mit ihren Haaren. Dann werden zwei Leitern hinten angelehnt, auf denen die Henker emporsteigen, eine dritte kleine vorne bis in die Höhe, wo die Füße angenagelt werden sollen. Auf dieser muß er emporsteigen und er tut es demütig ohne Widerspruch. Dann ziehen die Schergen seine Arme aus und nageln sie fest, und so hängt der nach unten ziehende schwere Körper bloß an den Händen, bis auch die Füße mit einem Nagel befestigt werden. »Es gibt aber auch welche, die glauben, daß er nicht auf diese Weise gekreuzigt worden sei, sondern während das Kreuz auf der Erde lag, und daß sie ihn dann aufgerichtet und das Kreuz in der Erde befestigt hätten. Gefällt dies mehr, so betrachte nun, wie sie ihn ergreifen, verächtlich wie den verworfensten Räuber und ihn wütend an der Erde auf das Kreuz werfen, seine Arme erfassen und sie gewaltsam ausdehnen und in grausamster Weise ans Kreuz heften. Sieh auch, wie dasselbe mit den Füßen geschieht, die sie ausdehnten, so gewaltsam sie nur es vermochten« Cap. LXXVIII, S. 605..
Sehr selten nur hat die italienische Kunst diesen Vorgang hergestellt. Unter den wenigen Darstellungen aber sind mir als früheste ein Bild in der Art des Cimabue in Berlin (1042), auf dem Christus nackt die Leiter hinansteigend und von einem Manne oben gezogen dargestellt ist, und ein anderes von Martino di Bartolomeo in der Akademie zu Siena (117, Predelle) bekannt, auf dem der vor dem Kreuze stehende Christus von einem auf einer Leiter stehenden Manne gehalten wird, indessen zwei andere ihm das Gewand ausziehen, ein vierter ihn geißelt. Einen etwas späteren Augenblick wählt Fra Giovanni Angelico auf einem Fresko in einer der Zellen zu S. Marco in Florenz. Hier steht der Heiland, ganz entsprechend der obigen Schilderung, vor dem Kreuze auf einer kleinen Leiter und zwei auf andern Leitern daneben befindliche Schergen sind im Begriffe, seine Hände anzunageln. – Der Moment vor der Anheftung ist auf einem Fresko Pacchiarottos(?) in der Akademie zu Siena dargestellt: noch liegt das Kreuz am Boden, ein Mann zieht Christus das Gewand aus, zwei andere mißhandeln ihn, indes, wie auch auf den andern Bildern Maria, Johannes und die Frauen klagend dabeistehen. – Der zweiten Version folgt Pordenone auf seinem bewegten Fresko im Dome zu Cremona, welche darstellt, wie Christus auf das am Boden liegende Kreuz geschnürt wird So auch im Malerbuch. Didron, S. 194..
6. Die Kreuzigung. Wohl auf keinem andern Gebiete der Darstellungen christlicher Geschichte hat sich der direkte Einfluß des Franziskus so bedeutend geltend gemacht, als auf dem der Kreuzigung Christi. Der Kultus des Kruzifixus, den er, selbst ein Abbild des Gekreuzigten, hervorgerufen, hat der Kunst schon fast unmittelbar nach seinem Tode einen mächtigen Impuls gegeben. Giunta malt im Auftrage des Elias 1236 ein Kruzifix für S. Francesco in Assisi Innocenz IV. weiht 1253 »cruces in variis Conventus partibus depictas«. Angeli: Collis Paradisi tit. XXI., ein anderes für S. Maria degli Angeli, um dieselbe Zeit für S. Chiara in Lucca Berlinghieri das Diptychon mit der Kreuzigung, das jetzt in der Akademie von Florenz sich befindet. Aus dem Anfang des Jahrhunderts stammt auch ein wunderliches, rohes Kruzifix in S. Francesco zu Pistoja. Für S. Francesco in Perugia hat jener Meister des Franziskus das riesige Kruzifix geschaffen, das jetzt in der Galerie von Perugia hängt, in S. Francesco zu Arezzo befindet sich noch heute das ihm ähnliche mächtige des Margaritone, ein anderes in S. Francesco zu Castiglione Fiorentino. Cimabue hat in Assisi den Auftrag erhalten, das eigentümliche Bild des Gekreuzigten für S. Chiara zu malen, in zwei monumentalen Werken in der Kirche S. Francesco die Kreuzigung dargestellt Nach Vasari malte er auch einen Chr. a. K. zwischen Maria und Johannes für S. Francesco in Pisa. I, 255.. Einem seiner Zeitgenossen verdankt S. Croce in Florenz das große Kruzifix im Korridor der Sakristei, einem Nachfolger des Giunta S. Francesco in Pisa eine merkwürdige gleiche Darstellung. Für Franziskanerkirchen sind fast alle die Kruzifixe des 13. Jahrhunderts geschaffen worden, mit denen das Studium der Darstellung der Kreuzigung in der neueren Kunst zu beginnen hat. Macht sich doch schon in den Arbeiten des Giunta eine neue naturalistische Auffassung Christi geltend. Letzterer steht nicht mehr wie auf den früheren Bildern, z. B. den Kruzifixen in S. Marta zu Pisa, in S. Michele zu Lucca, in S. Chiara zu Assisi, in S. Giuglia zu Lucca, in S. Sepolcro zu Pisa, in Sarzana, im Dom zu Spoleto, in der Pieve zu Arezzo, in S. Giuliano zu Castiglione Fiorentino, starr aufrecht, auch schaut der Kopf nicht mit offenen Augen en face heraus, sondern es wird versucht, das Hängen des schwer lastenden Körpers durch eine leichte Ausbiegung desselben deutlich zu machen, und der Kopf mit geschlossenen Augen sinkt auf die Schulter herab Diese Kopfhaltung ist schon auf früheren Arbeiten des 10. Jahrhunderts bemerkbar, ist aber für Italien damals etwas Neues. Die bisher allgemeine Ansicht, jene Kruzifixe wären die Arbeiten einer verkommenen, untergehenden Kunst, scheint mir durchaus irrtümlich – sie zeugen vielmehr sehr deutlich von neuen Anschauungen und neuer formender Kraft.. Damit ist das fortan herrschende neue Ideal für das Kruzifix gefunden: der tote Christus! Die nächste Zeit übertreibt die ausgebogene Haltung des Körpers, wie die Kruzifixe des Margaritone, des Meisters des Franziskus, des Cimabue, das kleine in der Sakristei von S. Francesco zu Assisi befindliche Bild, das im Kapitel des Domes von Pistoja aufbewahrte, das in S. Pierino zu Pisa, das des Deodati Ordandi in der Akademie zu Lucca beweisen. Zugleich hat sich ein gewisses Schema für die scharf und trocken angegebene Anatomie des Körpers herausgebildet, das zuerst Niccolò Pisano auf seiner Kanzel zu Pisa, dann Cimabue in Assisi in mächtiger, neuer Formenauffassung kraftvoll überwindet. Niccolò läßt auch zuerst die Füße mit einem Nagel an den Stamm geheftet sein, während sie auf den erwähnten anderen Bildern noch getrennt angenagelt sind Einige vereinzelte Beispiele der drei Nägel gibt es schon aus dem 11. Jahrhundert. Otte und aus'm Weerth: Zur Ikonographie des Crucifixus. Bonner Jahrbuch XLVI, 148.. Giotto, ebenso wie Giovanni Pisano, folgt ihm darin und findet, zu gleicher Zeit wie auch Giovanni in seinen Reliefs in Pistoja und Pisa, eine neue gemäßigtere und fortan bestimmende Lösung für die Haltung des Körpers, indem er diesen ein wenig herabsinken, gleichsam in die Knie fallen läßt. Zugleich verschwinden im Laufe des 13. Jahrhunderts die dem Kruzifixe beigegebenen kleinen Passionsszenen, und es erhalten sich nur die Brustbilder von Maria und Johannes am Ende der Kreuzarme. Die lateinische Form des Kreuzes wird zwar für die Kruzifixe noch beibehalten, aber auf eigentlichen Darstellungen der Kreuzigung verschwindet sie seit Giotto fast vollständig und macht der T-Form Platz: nur die Inschrifttafel ragt in der Mitte über die Kreuzarme hervor. So viel ich weiß, wendet sie Niccolò Pisano zuerst auf der Kanzel in Pisa an, dann Giotto in Padua und Assisi. Sicher aber geschah diese Veränderung nicht aus bloßer künstlerischer Willkür, sondern ward durch allgemeine Anschauungen bedingt. Und zwar war früher die Annahme, das Kreuz habe die T-Form gehabt und der Körper sei mit drei Nägeln befestigt gewesen, wie es scheint, ein Glaubenssatz der Waldenser gewesen und als solcher allgemein gemißbilligt worden Vgl. Hurter's Gesch. Innocenz' III., II. Aufl. 1842. II. Bd., S. 244 A. 491, wo der Hinweis auf die maßgebende Stelle in Lucas Tudensis: contra Waldenses. II, 10. 11. Ausgabe in der Bibl. Patr. max. Lyon 1677.. Sind etwa auch hierin die Franziskaner als Vermittler zwischen den Ketzern und der Kirche eingetreten? Es ist mir leider nicht gelungen, irgend welchen Aufschluß darüber aus den literarischen Quellen zu gewinnen. Eines aber steht fest: die neue Auffassung des Crucifixus und der Eifer, mit dem sich die Kunst des Duecento daran macht, es zu verherrlichen, läßt sich nur aus den Anschauungen des Franz erklären, und die Wandlung ist sehr charakteristisch für seinen und seines Ordens Geist: »die Idee von der Unsterblichkeit Gottes und der Freiwilligkeit des Leidens Jesu«, die, wie Otte sagt A. a. O. I, S. 537., der Auffassungsweise des älteren Typus zugrunde liegt, weicht dem menschlichen Mitgefühl für den in unaussprechlichen Leiden gestorbenen Menschensohn.
Text: Benedicat tibi, Dominus et custodiat te. Ostendat faciem suam tibi et misereatur tui. Convertat vultum suum ad te et det tibi pacem. Dominus benedicat, f. Leo, te.«
Übersetzung: »Der Herr segne dich und behüte dich. Er lasse sein Angesicht dich schauen und erbarme sich deiner. Er kehre sein Antlitz dir zu und gebe dir Frieden. Der Herr segne, Bruder Leo, dich.«
Beglaubigung durch Bruder Leo: »Der selige Franciscus schrieb mit eigener Hand diesen Segen für mich, Bruder Leo. Auch machte er mit eigener Hand dies Zeichen: T.«
Übersetzung (nach: Wolfram von den Steinen, »Franciscus und Dominicus«, Breslau 1926): »Bruder Leo: dein Bruder Francisco bietet dir Gruß und Frieden. So sage ich dir, mein Kind, und wie eine Mutter – denn alle Worte, die wir unterwegs sprachen, verbinde ich kurz in diesem Wort, und rate, auch wenn dir später not ist, um Rat zu mir zu kommen – so nämlich rate ich dir: Auf welcherlei Weise es dir am besten scheint, Gott dem Herrn zu gefallen und seinen Spuren und seiner Armut zu folgen, möget ihr es tun unter dem Segen Gottes des Herrn und meinem Gehorsam. Und ist es dir nötig um deiner Seele oder andern Trostes willen, und willst du, Leo, zu mir kommen – komm.«
Dieser neuen Auffassung aber entspricht es nun ferner, wenn der Gläubige selbst zum Zeugen des Leidens wird, kniend am Kreuzesstamm niedersinkt, den Heiland zu verehren. So ließ sich Elias auf dem Kruzifix des Giunta darstellen, so erscheint die Domina Benedicta auf dem in Chiara, so vor allem Franz auf denen in Arezzo und Perugia. Damit ist aber der erste Schritt geschehen zu einer Neugestaltung auch jener Devotionsbilder, die Christus am Kreuze zwischen Maria und Johannes zeigen. Der Mutter und dem Lieblingsjünger gesellt sich der kniende Franz, und bald folgen ihm andere Heilige unter den Kreuzesstamm, zuerst seine großen Jünger Bonaventura, Ludwig, Antonius von Padua, dann bald auch Dominicus mit seinen Ordensgenossen, und so entwickelt sich jene nach Wunsch des Stifters mehr oder weniger figurenreiche Komposition des von Heiligen umgebenen Gekreuzigten Man vgl. die Abb. auf S. 235, 236 und 253..
Nicht minder aber erfährt unter dem Einflusse der Franziskaneranschauungen die dramatische Darstellung der Kreuzigung eine durchgreifende Veränderung. Auch diese wird erst jetzt künstlerisch lebensfähig, da das, was ihren eigensten höchsten Inhalt ausmacht: der Affekt, ans Tageslicht tritt. Wohl hatten schon Kunstwerke des 11. und 12. Jahrhunderts versucht, den Schmerz der Maria und Johannes, die meist allein von den Freunden Christi links und rechts vom Kreuze stehen, auszudrücken, wohl hatte man den Vorgang selbst durch die schematischen Gestalten des Mannes mit dem Ysopstab und den Longinus mit der Lanze, dann auch durch die um den Mantel würfelnden Soldaten und die Versammlung der anderen Krieger zu beleben versucht – aber dadurch hatte die dargestellte Begebenheit noch keine Wirklichkeit für den Beschauer! Das Ganze erscheint als eine symbolische Handlung, Christus als der Gott, dessen körperliches Leiden nicht wirklich ist, Maria und Johannes weinen nur darüber, daß er von ihnen geschieden ist. Auch ist kein bestimmter Augenblick wiederzugeben versucht: zu gleicher Zeit gibt man ihm zu trinken und öffnet man seine Seite. Die allegorisierende und symbolische Zutat der Personifikationen der Sonne und des Mondes, der Erde, der Schlange kennzeichnen den andeutenden Charakter dieser Darstellungen.
Im Laufe des 13. Jahrhunderts vollzieht sich nun die Wandlung: alles Allegorisierende und Symbolische verschwindet, alles wird Wirklichkeit und Leben. Die letzten Worte: »Es ist vollbracht« sind verhallt. Christus ist gestorben, als Mensch, der namenlose Schmerzen gelitten: die Mutter, die mitfühlend alles selbst an sich erfährt, bricht vom Übermaß des Schrecklichen überwältigt, nun da er ihr ganz genommen, ohnmächtig zusammen, Johannes und die andere Maria suchen sie aufrechtzuerhalten, weinend ist Magdalena am Kreuzesstamm niedergesunken Das Zusammenbrechen der Maria ist einmal schon im 12. Jahrhundert in Deutschland dargestellt, auf einem der Gemälde in Schwarzrheindorf. Aus'm Weerth: Wandmalereien des MAs. in den Rheinlanden. T. XXVIII. Vgl. Otte, a. a. O. S. 539.. In gemischten Gefühlen schaut die Schar der Schergen hinauf, und die gierigen Soldaten streiten sich um den Mantel. Wie Vögel aber umflattern verzweifelte Engel klagend und schreiend den toten Herrn.
Ob nun die Darstellung klein oder figurenreich, ob Christus allein oder inmitten der Schächer dargestellt ist, ob wenige Krieger zur Seite stehen oder das Bild ganz erfüllt ist von Reitern und Fußsoldaten – das Wesentliche, die Wiedergabe eines wirklichen und zwar des fruchtbarsten Momentes, des Affektes in seinen verschiedenartigen Äußerungen, ist ihnen fortan allen gemein. Schon Berlinghieris steifes, so altertümlich scheinendes Bild in der Akademie zu Florenz zeigt in der Gruppe der von den Frauen gehaltenen Maria die ersten Spuren der neuen Auffassung, Niccolò Pisano an der Kanzel zu Pisa gibt ihr einheitlichen, fast wilden Ausdruck, aus den halb verloschenen Fresken Cimabues in der Oberkirche zu Assisi weht der Atem einer fessellosen Leidenschaft, Giotto verleiht dieser in Padua und Assisi (Abb. 69) Maß, ohne sie doch zu schwächen. Wir brauchen die Entwicklung nicht weiter zu verfolgen; der Grundton bleibt derselbe! Bemerkenswert nur erscheint die Tatsache, daß, gegenüber der einfacheren aber bedeutenderen Kompositionsweise der Kreuzigung bei den Florentinern im 14. Jahrhundert, die Sienesen von dem Vorbilde Duccios und A. Lorenzettis, dessen Gemälde in S. Francesco zu Siena an dramatischem Leben mit denen Giottos wetteifern kann, abgehen und dieselbe mit Figuren in einer fast wirren Weise überhäufen, als könnten sie sich nicht genug tun. Man vergleiche die Fresken in der Kapelle degli Spagnuoli, im Camposanto zu Pisa, in der Unterkirche zu Assisi Auch einzelne Norditaliener haben diese Vorliebe, z. B. Altichieri in S. Antonio zu Padua, jener Michele da Verona, von dem eine Kreuzigung in S. Stefano in Mailand, eine andere in S. Maria in Vanzo in Padua hängt usw..
Fragen wir uns nun aber, wodurch es den Künstlern gelungen, unser innerstes Empfinden durch ihre Darstellungen der Kreuzigung so mächtig aufzurütteln, so lautet hier wie bei Betrachtung der Kreuztragung die Antwort: durch den Schmerz der Maria! Und der Schmerz der Maria ist es, den Jacopone in seinem wunderbaren ›Stabat mater dolorosa‹ besungen, dem Bonaventura die ergreifendsten Worte verliehen, den zu schildern Pietro da Barsegapè den einförmigen Lauf seiner biblischen Dichtung einmal unterbricht Biondelli a. a. O. S. 296., der in der Devozione der Grundton ist, der Bonifacio VIII zu einem Liede begeistert hat Nannucci: Manuele d. lit. I, S. 421: Stava la vergin sotto della cruce.: der Schmerz der Mutter, welcher der geliebteste Sohn in grausamen Martern genommen wird! »Welche Zunge«, sagt Bonaventura, »könnte aussprechen, welcher Verstand fassen die Schwere deiner Leiden, selige Jungfrau; die Du allem dem Erwähnten gegenwärtig, anwesend und in jeder Weise teilhaft geworden, das benedeiete und heiligste Fleisch, das Du so keusch empfangen, so süß genährt und mit Milch getränkt, so oft an Deinen Busen gelehnt, so oft von Lippe zu Lippe geküßt, mit erglühendem Antlitze betrachtet, Du mußtest sehen, wie es jetzt von Geißelhieben zerrissen, jetzt von Dornen durchbohrt, jetzt vom Rohre geschlagen, jetzt mit Faustschlägen zerhauen, jetzt mit Nägeln durchbohrt an den Stamm des Kreuzes geheftet und schwer herabhängend zerfleischt, jetzt verspottet mit Galle und Essig getränkt ward Lignum vitae. Opera. Bd. XII, S. 77. – Vgl. auch das lat. Gedicht ›de sancta cruce‹ Bd. XIV, S. 17, eine schwungvolle Aufforderung, ganz dem Kreuze zu leben. Ferner auch den ›Stimulus Amoris‹ in demselben Bande, eine Schrift, in der durch die Betrachtung der Passion die wahre Glut der Liebe der Seele zu ihrem Bräutigam, die Kontemplation, wachgerufen werden soll, voll leidenschaftlicher Ekstase.!« Marias Klage aber erklingt ergreifend in Jacopones Liede: ›or si incomincia lo duro pianto‹, in dem auch erwähnt wird, wie die beiden Marien die geängstigte Mutter umfangen. Und dann in dem herrlichen andern: ›Donna del Paradiso III, 13.‹.
O Sohn, die Seele entfloh Dir,
O Sohn der Gramverlornen,
Das Licht ist mir verschwunden,
Des Herzens bin beraubt ich.
Wehe, mein Sohn, so schuldlos,
Du meine leuchtende Sonne,
In andere Welten gingst Du,
Wie seh ich dich verdunkelt.
O Sohn, so weiß, so rosig,
O Sohn, so ohnegleichen,
O Sohn, wo find' ich Stütze,
Allein ließ'st Du das Herz mir.
O Sohn, so weiß und helle,
So fröhlich anzuschauen,
Ach warum hat die Welt doch
Dich höhnend so verschmäht?
O Sohn, so süß und lieblich,
O Sohn der Leidensvollen,
Wie haben doch die Leute
Dir Übles angetan!
»Es stand die Mutter«, sagen die Meditationes, »zwischen seinem Kreuze und dem der Schächer und wandte nicht die Augen von dem Sohne ab und litt Qualen wie er selbst und betete mit ganzem Herzen zum Vater. – O was litt da die Seele der Mutter, als sie so qualvoll ihn kraftlos werden, erschlaffen, weinen und sterben sah! Ich meine, daß sie wohl vor der Menge der Beängstigungen ganz ohne Bewußtsein, wie unbeweglich oder halbtot war, jetzt noch vielmehr, als da sie ihm begegnete, wie er das Kreuz trug.« Als dann, nachdem die Menge fortgegangen, eine Schar von Bewaffneten kommt und Christus sowie den Schächern die Beine zerschlagen will, fleht sie in rührenden Worten um Mitleid. Aber vergeblich: Longinus, der später Bekehrte, öffnet die Seite. »Da fiel die Mutter halbtot in die Arme der Magdalena. Johannes, von Schmerz getrieben, faßte Kraft und erhob sich gegen jene und sprach: ihr ungerechten Leute, warum seid ihr so gottlos? Sehet ihr nicht, daß er tot ist? Wollt ihr auch seine traurigste Mutter töten? Weichet von hinnen, denn wir wollen ihn begraben Cap. LXXVIII-LXXX, S. 608 ff..«
Eine ganz eigenartige Darstellung der Kreuzigung muß die des schon oft angeführten Mysteriums gewesen sein. Als Christus am Kreuze in die Höhe gehoben worden ist, sagt er:
O ihr, die ihr auf diesem Weg vorbeigeht,
Gebt acht, ob jemals solche Wut ihr sahet,
Als die sie angetan dem Sohn der traurigen Maria,
Denn unter großen Schmerzen geben Tod sie mir,
Verzeih ihnen Vater, denn sie wissen nicht, was sie tun,
Mit der großen Qual, die sie mir geben wollen.
Hierauf bittet Maria das Kreuz, ihn zu schonen. Es folgt die Predigt und das Gespräch mit den beiden Mördern. Dann stehen die Toten auf und huldigen Christus, der die Pforten der Hölle gesprengt. Maria klagt über die Juden, die grausamer seien als die Toten, und wendet sich zu Magdalena:
Dich bitt' ich, teure Tochter Magdalena,
Sprich ein wenig mit dem Sohne,
Denn gar zu groß ist ach! mein Leiden.
Vielleicht spricht die geliebte Lilie, er zu dir,
Nicht bin ich mehr Maria an Gnade reich!
So groß ward die Verbannung mir,
Daß er zu diesem Schächer sprach,
Um mich Betrübte aber nicht sich kümmert.
Magdalena folgt der Bitte und Christus empfiehlt der Mutter Johannes als Sohn und sie dem Johannes, worauf dieser vor ihr niederkniet und sie tröstet. Maria wendet sich zum Volk, dann zu Christus:
O du mein Sohn, geliebter Sohn,
Wie läßt du mich so ohne Trost,
Mein Sohn, der ach so teuer mir,
Wie bleib ich traurig, schmerzensvoll,
Dein Haupt ist ganz voll Dornen,
Dein Antlitz blutgebadet,
Keinen als dich will ich zum Sohn,
O süßer Duft, geliebte Lilie!
Sie umfaßt das Kreuz und sinkt wie tot nieder. Die Predigt beginnt von neuem, bis Christus ruft: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Das hört der Vater und spricht zu den Engeln:
Von der Erde hör' ich eine laute Stimme,
Die mich zu großem Mitleid hat bewegt,
Denn von dem Kreuze schreit mein Sohn,
Daß ihm geschehen große Grausamkeit
Von jenem Volke, das so wütig ist
Und voll von Neid und großem Unrecht!
Eilt schnell, in meinem Namen ihn zu trösten
Und bleibt bei ihm, bis er gestorben.
Da fliegen die Engel herab und einer spricht zu den anderen:
Schaut euch ein wenig um, ihr sel'gen Engel,
Ob ihr erkennet unsern Schöpfer,
Ans Kreuz geschlagen sind dort drei,
Der in der Mitten bleich und ohne Farbe
Hat angenagelt Händ' und Füße,
Mir scheint, das sei der güt'ge Herr.
Nicht weiß ich's, ob's der Sohn Gottvaters ist,
Denn ihn beweint so sehr die leidensvolle Mutter.
Drei andere Engel erkennen ihn und der eine sagt:
Laßt schnell uns zu ihm gehen,
Sein Blut am Kreuz auffangen.
Da kommt auch der Teufel hervor, muß aber vor den Engeln an den Fuß des Kreuzes weichen. Auf Christi Ruf: »Mich dürstet«, wird ihm Essig mit Galle unter höhnenden Worten gereicht, die Maria laut beklagt. Der Teufel versucht, Christus zu verführen, und nähert sich ihm nach den Worten: »Es ist vollbracht«, mit verlockenden Reden: »Steige vom Kreuze und rette dich«, aber Christus weist ihn zurück. Longinus öffnet dem Sterbenden die Seite und erkennt ihn weinend als wahren Gott an. Dann befiehlt der Sohn seinem Vater den Geist und stirbt. Der Teufel fährt in die Tiefe. Maria und Johannes brechen in Klagen aus. Sie wirft sich ans Kreuz und fällt wie tot zu Boden.
So reich diese szenische Darstellung, dem schauenslustigen und die Abwechslung verlangenden Volke zuliebe, ausgeschmückt ist, so bildet doch ihr Hauptmotiv wiederum der Schmerz der Maria. Die reizende Fabel von der Entsendung der Engel aber klingt fast wie eine Dichtung auf die kleinen Himmelsboten in Giottos Bildern.
Auf die dogmatischen Anschauungen der Franziskaner von dem Sterben Christi am Kreuze und deren Verherrlichung in der Kunst soll weiter unten unter der Aufschrift: ›der Baum des Lebens‹ eingegangen werden.
7. Die Kreuzabnahme. Was von der Kreuztragung und der Kreuzigung gesagt worden ist, gilt auch für die Kreuzabnahme und die folgenden Szenen der Passion: ihre Darstellung erhält ein neues Gepräge. Zeigten die älteren Kunstwerke, z. B. die an der Türe von Monreale, an der von S. Paolo außerhalb Roms, die Fresken ebendaselbst, das Relief des Antelami im Dom zu Parma eine sehr einfache Komposition Vgl. Abb. bei d'Agincourt: Skulptur Taf. XIV, Malerei Taf. XCVI. – Kunsthistorische Bilderbogen Taf. 108. Nr. 4., so macht sich im 12. und 13. Jahrhundert in Toskana eine bewegtere Auffassung geltend. Während nämlich dort Christus noch mit einem Arme am Kreuze hängt, den eben der auf der Leiter stehende Joseph lösen will, Nikodemus den Körper umfaßt, Maria entweder ruhig dabeisteht oder die linke Hand Christi an die Wange drückt, Magdalena und Johannes meist unbeteiligt zuschauen, ist schon auf dem Kruzifix von S. Marta in Pisa, an der Kanzel von S. Leonardo bei Florenz Förster: Beiträge z. neueren Kunstgeschichte 1835. Taf. I., dann auf dem Kruzifix im Dom zu Pistoja, den besprochenen Bildern vom Meister des Franziskus in Perugia und in der Unterkirche zu Assisi die Szene lebendiger gegeben. Christus, mit dem Oberkörper vom Kreuze sinkend, wird von dem auf der Leiter stehenden Nikodemus gehalten, während Joseph rechts kniend die Nägel aus den Füßen zieht. Maria, zuweilen auf einem Schemel stehend, küßt des Sohnes Haupt, Magdalena daneben hält seinen rechten Arm, Johannes auf der andern Seite den linken. Figurenreicher noch wird die Darstellung auf Niccolò Pisanos Relief in S. Martino zu Lucca, indem mehr Frauen und rechts Soldaten auftreten Schnaase. VII. 286. – Kunsthist. Bilderb. 108, 6. – Förster: a. a. O. Taf. I.. An dieser Form halten im allgemeinen die Sienesen fest, wie Duccios Dombild und das Fresko in der Unterkirche zu Assisi, das eine große Aufregung zeigt, lehren. Giotto und seine ganze Schule hat, wie schon Crowe bemerkt hat, die Kreuzabnahme gar nicht dargestellt Crowe und Cavalcaselle. D. A. II, S. 218..
Mehr der späteren Darstellungsweise des 15. Jahrhunderts, die in Danieles da Volterra Kreuzabnahme in S. Trinità de' monti zu Rom gipfelt, als deren ersten Vorläufer sich aber das sehr lebendige Bild Simone Martinis im Antwerpener Museum (N. 260) ansehen läßt, entspricht die Erzählung der Meditationes, erinnern auch einzelne Züge an die übliche Komposition der Zeit. Nachdem Nikodemus und Joseph von Arimathia herzugekommen die Freunde begrüßt und mit ihnen den Gekreuzigten verehrt haben, werden zwei Leitern an den Seiten des Kreuzes einander gegenüber angelehnt, Joseph steigt auf die an der rechten Seite und bemüht sich, den Nagel aus der Hand zu ziehen. »Aber das ist schwer, weil der Nagel dick und lang und tief im Holze befestigt ist und ohne starken Druck der Hand des Herrn es nicht geschehen kann. Als er herausgerissen, winkt Johannes Joseph zu, ihm den Nagel zu reichen, daß ihn die Herrin sehe. Dann zieht Nikodemus den andern aus der linken Hand heraus und gibt den Nagel gleichfalls an Johannes. Darauf stieg Nikodemus herab und ging zu dem Nagel der Füße Also hier wird auch nur von einem Nagel gesprochen – wie es auch Niccolò Pisano darstellt.. Joseph aber stützte den Körper des Herrn; selig aber Joseph darum, daß er den Leichnam des Herrn umarmen zu dürfen gewürdigt ward. Dann erfaßte die Herrin voll Ehrerbietung die herabhängende rechte Hand und legte sie an ihr Antlitz, betrachtet sie und küßt sie unter heftigen Tränen und schmerzlichen Seufzern. Als aber auch der Nagel der Füße herausgezogen ist, steigt Joseph ein wenig herab, und alle empfangen den Leichnam des Herrn und legen ihn auf die Erde Cap. LXXXI, S. 609..«
8. Die Beweinung. »Die Herrin«, fährt die Erzählung fort, »nimmt das Haupt mit den Schultern in ihren Schoß, Magdalena aber die Füße, bei denen sie einst solche Gnade erfahren. Die anderen stehen herum; alle erheben laute Klage über ihn: denn alle beklagen ihn, den Eingeborenen, aufs bitterlichste.« Maria widersetzt sich anfangs der Bitte des Joseph, Christus zu begraben, da sie sich nicht von dem Anblick der Wunden trennen kann. Endlich fügt sie sich den Bitten des Johannes. »Da begannen Johannes und Nikodemus und die anderen den Körper einzuwickeln und mit Leinen zu versehen, wie es die Sitte der Juden war. Die Herrin aber hielt immer sein Haupt in ihrem Schoße, das sie zu versehen sich vorbehalten, und Magdalena die Füße. Als sie aber an die Schenkel bis nahe an die Füße gekommen waren, sagt Magdalena: ›ich bitte euch, ihr wollet mir erlauben, die Füße zu versehen, bei denen ich Barmherzigkeit erlangt habe.‹ Und da sie es zuließen, hielt sie seine Füße.« Da kann sie sich vor Schmerz und Weinen nicht lassen. »Dann nimmt Maria von ihm Abschied: ›O Du mein Sohn, in meinem Schoße halte ich Dich tot: gar hart ist die Trennung Deines Todes; fröhlich und ergötzend war der Verkehr zwischen uns beiden, und ohne Zank und Beleidigung haben wir unter den anderen gelebt, und dennoch wardst Du, mein süßester Sohn, wie einer, der schädlich, getötet. Treu, mein Sohn, habe ich Dir gedient, und Du mir, aber in diesem Deinem schmerzensvollen Kampfe wollte der Vater Dir nicht helfen und ich konnte es nicht. Dich selbst hast Du aufgegeben aus Liebe zum menschlichen Geschlechte, das Du erlösen wolltest. Hart und allzu qualvoll ist diese Erlösung, deren ich mich doch erfreue, da sie die Menschen errettet. Aber bei Deinen Schmerzen und Deinem Tode bin ich tief betrübt, da ich weiß, daß Du niemals gesündigt und ohne Grund so bitterlich mit so schmählichstem Tode getötet bist. So ist, o mein Sohn, also wirklich unser Bund gelöst, und ich muß mich jetzt von Dir trennen. Begraben werde ich Dich, Deine traurigste Mutter; aber dann, wohin werde ich gehen? Wo werde ich weilen, mein Sohn? Wie könnte ich ohne Dich leben? Lieber würde ich mit Dir begraben, daß, wo immer Du seist, auch ich mit Dir sei. Doch da es mit dem Körper nicht möglich, so werde ich doch mit dem Geiste begraben; meine Seele werde ich im Grabhügel mit Deinem Körper begraben, sie überlasse ich Dir, sie empfehle ich Dir. O mein Sohn, wie angstvoll ist solche Trennung Vgl. Bonaventura: Officium de Compassione B. M. V. Bd. XIV. S. 227. Dum de cruce depositus ad tumulum portatur, inter dolores anxios, portantes sic affatur: Sustinete paululum, quod dolorem meum plangam et meum dilectissimum deosculer: mihi meum dilectissimum subtrahere nolite. Si sepeliri debeat, me secum sepelite. Accessit sic, exanimis se super corpus jecit et sacrum vultum lacrymis rigando madefecit.!‹ Und wiederum mit der Fülle der Tränen wusch sie das Antlitz des Sohnes, viel besser, als Magdalena die Füße. Dann aber trocknete sie sein Antlitz und küßte den Mund und die Augen und wickelte sein Haupt in ein Schweißtuch und hüllte es sorgfältig ein. Endlich segnete sie ihn wiederum. Dann fallen sie alle auf die Knie, ihn anzubeten und seine Füße zu küssen, nehmen ihn auf und tragen ihn zum Grabmal. Die Herrin hielt das Haupt und die Schultern, Magdalena die Füße; die übrigen aber standen in der Mitte.« Als dann die anderen Abschied genommen, bleiben Maria und Johannes am Grabe, bis es Nacht wird und Johannes mit ihr in sein Haus zurückkehrt Cap. LXXXII, S. 610..
Ich habe die rührende Erzählung, obgleich sie beides: die Beweinung und die Grablegung behandelt, nicht trennen wollen, da man so einen tieferen Eindruck von den Schmerzensszenen, wie sie die Phantasie der Franziskaner sich dachte, erhält. Die Dichtung vermag besser, als beschreibende Worte es könnten, die Seelenstimmung zu schildern, die Giottos Bilde in der Oberkirche zu Assisi und dem in der Arena einen ewigen Gehalt gibt. Dobbert sagt mit Recht, daß wilder Seelenschmerz selten so hinreißend wiedergegeben worden Dohme: K. u. K. III. Giotto. S. 27. Abb. S. 33.. Auf beiden Darstellungen umfängt Maria kniend den Oberkörper ihres Sohnes, dort hält Magdalena sitzend seine Füße im Schoße, hier küßt sie dieselben kniend; dort halten zwei Frauen die Hände, während Johannes in Verzweiflung die Arme zurückwerfend sich herabbiegt, hier ist er selbst auf die Knie gesunken, die Hand seines Herrn zu küssen. In seinem späteren Werke verstand es der Künstler den im früheren Bilde übertriebenen Schmerzensausdruck in den Köpfen zu mäßigen, ohne ihn doch zu schwächen. Da mir ältere Darstellungen der Beweinung unbekannt blieben, vermag ich nicht zu sagen, wieweit Giotto sich an seine Vorgänger angeschlossen hat. Den verwandten Kompositionen der Grablegung aber konnte er ähnliche Züge entnehmen: daß Maria das Antlitz des Herrn küßt, weinend die anderen Freunde sich ihm nahen. Wie leidenschaftlich empfindungsvoll schon Künstler des 13. Jahrhunderts die Szene dachten, lehren das Kruzifix in Pistoja und die Reste des Wandgemäldes in der Unterkirche zu Assisi, auf dem Maria ohnmächtig, von den Frauen gehalten, neben dem Grabe niedergesunken ist. Die ›Grablegung‹ behält auch in Giottos Schule noch den Vorzug vor der ›Beweinung‹, wie denn die Lorenzetti in Assisi, Giottino in der Cap. di S. Silvestro in S. Croce, Niccolò di Pietro Gerini auf dem Bilde der Akademie in Florenz den Augenblick wählten, in dem von Joseph und Nikodemus der Leichnam auf einem Tuche in den Sarkophag gesenkt wird und die Frauen sich herandrängen, ihn noch einmal zu umarmen, zu küssen, ehe er ihren Blicken entschwindet.
Etwas abweichend, aber dem Geiste nach durchaus übereinstimmend mit der Auffassung der Meditationes und den erwähnten Bildern, stellt die Devozione des Karfreitags die beiden Szenen dar, mit denen sie abschließt. Als der Leichnam vom Kreuze genommen, sinkt Maria in der Mitte, Johannes zu Häupten, Magdalena zu seinen Füßen nieder, und die Mutter küßt unter Klagen ihm das Haupt, die Augen, das Antlitz, den Mund, die Hände, die Seite und den ganzen Körper. Dann weist sie die durchbohrten Hände Johannes, der mit Tränen antwortet: ›das sind die heiligen Hände, mit denen er uns alle zu segnen pflegte, – das, o Magdalena, sind die heiligen Füße, über die du so heftig geweint.‹ Auch Magdalena bricht in Klagen aus. Dann wendet sich die Madonna zum Volke:
Ich bin die Mutter, traurig, trostlos
Und ganz verlassen, ohne Rat.
Und keine Frau war doch so reich an Trost,
Bevor gestorben mir mein Sohn.
Da kommt der Engel und überredet sie, Christus begraben zu lassen:
O Engel Gabriel, so hehr und herrlich,
Mit welchen Freuden kamst Du einst zu mir,
Vom heil'gen Geiste selbst geleitet!
Wo ist der Sohn, den Du mir brachtest?
Weh mir, er ist vom Blute ganz benetzt!
Wo ist nun das Versprechen, das Du mir gegeben?
Du sagtest, daß ich reich an Gnade,
Und nun – ist jeder Tropfen Blut von mir gewichen
Vgl. ganz ähnlich Bonaventura: De compassione officium, a. a. O. lectio III: Filii praesentia mater destituta, Gabrielem Angelum sic est allocuta: Ave, plena gratia mihi protulisti, nunc amaritudine sum repleta tristi. Subsequenter inquiens: Dominus est tecum, heu! jacet in tumulo nec est ultra mecum. Omnis benedictio quam tu spopondisti mihi fit contraria propter mortem Christi..
Endlich folgt sie den Bitten des Engels und des Johannes. Joseph und Nikodemus legen den Leichnam in das Grab und Maria, Johannes und Magdalena kehren heim. Auf dem Wege zeigt Maria den Frauen die Nägel:
Herrinnen, Frauen! seht in Hulden,
Ob jemals solche Grausamkeit geschah,
Wie der betrübten Maria Sohn
Von diesen falschen Hunden, den Judäern.
Die nagelten ans Kreuze meine Hoffnung
Mit diesen starken, spitz'gen Nägeln –
O bittrer Schmerz der Mutter ohne Tröstung,
Die mit den eignen Augen ihn so sterben sah!
O guten Leute, bitten will ich euch,
Daß meinen Rat ihr höret,
Daß jedem Menschen ihr verzeihen sollt
Und länger nicht mehr trotzig bleibet.
An Christi Tod sollt ihr gedenken,
Wollt ihr von ihm gerettet werden,
Denn Er vergab dem, der den Tod ihm gab!
Hier soll die Menge der Zuhörer laut rufen: »laßt uns vergeben!« Darauf kehren Maria und Johannes nach Jerusalem zurück, und die Devozione endet.
Aus der Beweinung und Grablegung Christi heraus sind nun noch einige Kompositionen entstanden, die, in der früheren Kunst unbekannt, fortan eine wichtige Stellung in dem großen Kreise der christlichen Devotionsbilder einnehmen. Ich meine diejenigen der ›Pietà‹, die aus dem geschichtlichen Vorgange das einzelne Motiv der Maria, die den auf ihrem Schoße liegenden Christus beweint, herausnimmt und gesondert als eine allgemeine und ewige Verbildlichung höchsten Mutterschmerzes hinstellt und jene Kompositionen, die Christus, den Schmerzensmann, im Grabe sitzend zeigen.
Die älteste mir bekannte Darstellung der Pietà ist die auf einem in der Pinakothek zu Bologna (159) befindlichen Altarwerke des Jacopo degli Avanzi. Viel später erst, am Ende des 15. Jahrhunderts, und zwar, wie es scheint, von der nordischen Kunst übernommen, erscheinen auch die Brustbilder der weinenden › mater dolorosa‹, deren eines, vielleicht das älteste, von Antonello da Messina in der Akademie zu Venedig (Nr. 349) aufbewahrt wird. Auch der Christuskopf als Ecce homo erscheint erst im 15. Jahrhundert. Hingegen haben wir Darstellungen des Heilands als Schmerzensmann schon aus dem Trecento. In diesem auch wird der im Grabe sitzende Christus ein Lieblingsvorwurf der Kunst, namentlich als Mittelstück von Predellen oder auf Sarkophagen. Häufig halten ihn Maria, Johannes, auch Nikodemus und Magdalena, oder Engel. Die frühesten nachweisbaren derartigen Darstellungen dürften die auf Simone Martinis Altarbild in der Akademie zu Pisa und auf jenem dem Ugolino zugeschriebenen Bilde der Sakristei von S. Croce zu Florenz sein Vgl. auch Grabmäler aus der Schule der Pisani; so z. B. das des Tommaso Pisano im Camposanto zu Pisa..
9. Die Auferstehung, Christi Erscheinungen und die Himmelfahrt. Der folgenden Erzählung der Meditationes brauchen wir, nun wir eine Anschauung von ihrer Auffassung erhalten haben, nicht mehr im einzelnen nachzugehen, um so mehr, als die Kunst seit Giotto sich für die verschiedenen Erscheinungen Christi weniger erwärmt hat. Eine Ausnahme bildet nur das ›Noli me tangere‹, das in erhebender Weise von Giotto in Padua und im Bargello zu Florenz, von einem seiner Schüler ganz ähnlich in der Unterkirche zu Assisi dargestellt worden ist und ein immer beliebter Gegenstand der Malerei bleibt. Nach den Meditationes (cap. LXXXVIII) ist es Maria, die den Herrn veranlaßt, sich Magdalena zu zeigen. Dagegen verliert sich die im früheren Mittelalter häufig gegebene Darstellung von den ›drei Frauen am Grabe‹ fast ganz. Nur selten auch wird die von den Meditationes sehr ausführlich geschilderte Erscheinung Christi vor Maria abgebildet Cap. LXXXVI S. 616. Chr. erscheint ihr in weißen Kleidern, sie kniet vor ihm nieder, umarmt und herzt ihn. Sie fragt, ob er noch Schmerzen habe und lobt Gott, als sie hört, daß alles irdische Leiden nun abgetan. Im folgenden wird dann cap. 89 erzählt, wie er Joseph von Arimathia aus dem Gefängnis befreit, ihn küßt und in sein Haus zurückbringt, wie er durch sein Erscheinen Jakobus von dem Gelübde, nicht zu essen, befreit und ihm selbst das Brot reicht, wie er Petrus erscheint und diesem verzeiht. Dann ohne besondere Merkwürdigkeit der Auffassung die Erscheinung vor den Zwölfen, in Emmaus, vor Thomas, am See Tiberias, vor den Fünfzig., verhältnismäßig selten auch Christus im Limbus. Über die Auferstehung erfahren wir nichts Besonderes von dem Franziskaner. Auch macht die Komposition zunächst keine großen Fortschritte: von den Giottesken wurde Christus meist in ziemlich steifer Weise empor schwebend dargestellt, oder er steigt en face aus dem Grabe. Das allgemein menschliche Interesse tritt hier gegenüber den Darstellungen der Passion entschieden zurück, und das verleugnet sich auch in der Kunst nicht. In der Himmelfahrt macht sich der neue Aufschwung der religiösen Begeisterung mehr bemerkbar. Schon in der Oberkirche zu Assisi ließ Giotto, die langweilige Symmetrie der älteren Komposition zu vermeiden, Christus statt en face, im Profil zum Himmel aufschweben, wobei er sich vielleicht des anderen alten Typus des ›aufsteigenden‹ Heilands erinnert haben mag. In Padua läßt er ihn auf einer Wolke von Engelscharen geleitet nach oben fahren, und unten sind Maria und die Apostel anbetend auf die Knie gesunken. Kehren auch seine Nachfolger häufig zu der sehr bewegungslosen, von vorne gesehenen Figur Christi zurück, so halten sie doch daran fest, die Zurückbleibenden knien zu lassen, und lieben es, jubelnde Engel dem triumphierend heimkehrenden Erlöser als Geleit zu geben. Da zeigt sich wieder derselbe Geist, wie in der Schilderung der Meditationes.
Dieselben nämlich erzählen den Vorfall so Cap. XCVII, S. 624.: »Endlich als alle Mysterien erfüllt waren, begann der Herr Jesus von ihnen erhoben zu werden und durch seine Kraft gen Himmel zu fahren. Da fielen die Mutter und alle die anderen zu Boden nieder. Die Herrin sprach: Mein Sohn gebenedeiet, gedenke mein! Nur der Trennung wegen konnte sie die Tränen nicht zurückhalten: doch freute sie sich sehr, daß sie ihren Sohn so hehr gen Himmel eilen sah. In gleicher Weise sprechen auch seine Jünger: Herr, für Dich haben wir alles verlassen, sei unsrer eingedenk! Er selbst aber, mit erhobenen Händen, heiterem Antlitz und freudig, nach königlicher Weise gekrönt und geschmückt, ward im Triumphe gen Himmel getragen.« Dorthin hat inzwischen Michael die Botschaft gebracht, daß der Herr nahe. Da eilen ihm alle die Engelscharen entgegen, und triumphierend zieht er mit ihnen und den Erzvätern in die zum ersten Male wieder geöffnete Himmelsburg ein, die ringsum von Halleluja erschallt. Er kniet vor dem ewigen Vater nieder und dankt ihm. Der aber läßt ihn sich zu seiner Rechten setzen. Und die himmlischen Heerscharen begehen das herrlichste, seligste Fest!