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Ich weiß nicht, ob Sie von mir erwarten, daß ich auf den mir seitens Max Liebermanns widerfahrenen Angriff eine Erwiederung hier gebe? Ich glaube, Sie erwarten es nicht. Auch könnte ich eine solche Antwort gar nicht geben: das Niveau der Betrachtungen ist ein zu verschiedenes, und wir halten daran fest, daß bei diesen unseren Erwägungen alle persönliche Voreingenommenheit ausgeschlossen ist. –
Wollen Sie mir heute etwa zehn Minuten, vielleicht auch noch etwas länger zu sprechen vergönnen, damit ich das umfangreiche Thema, das ich zu behandeln habe, zu einem Abschluß bringen kann!
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Wir haben das letzte Mal die künstlerische Thätigkeit in Deutschland während jener zwei großen Phasen, die man kurzweg als Klassizismus und Romantik bezeichnet, ins Auge gefaßt. Neben den allgemeinen Schwächen trat uns doch auch die Bedeutung einzelner Künstler, die wir ächt deutsch nennen konnten, entgegen. Jene Schwächen
dürfen wir wohl in zwei damals hervorstechenden Eigenthümlichkeiten gewahren, nämlich in einem Pathetischen und einem Sentimentalischen, Erscheinungen, in denen die großen Gefühlsseiten deutschen Wesens verkümmert und ohne Kraft der Wahrhaftigkeit sich äußern, und die sich, wie dargelegt ward, aus dem Mangel an normalen künstlerischen Bedingungen erklären.
Die dritte Phase, welcher wir uns nunmehr zuwenden, bezeichnen wir als die einer Wiederbelebung koloristischer Ideale, und hier ist es, wo uns die französische Kunst nach ihrer besonderen Bedeutung erscheint. Darf man auch in Frankreich im Allgemeinen ähnliche Richtungen wie in Deutschland, nämlich Klassizismus und Romantik, in der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts erkennen, so machen sich in der künstlerischen Auffassung doch nicht unwesentliche Unterschiede geltend. Und es wird sich gewiß nicht leugnen lassen, daß dort ein Element eintrat, welches, förderlich und entwicklungsfähig, der französischen Malerei einen Vorsprung vor der deutschen gab: das der Farbe! Die edle und feinfühlige, aber im Wesentlichen noch zeichnerische Kunst Ingres' ward abgelöst durch die eines hochbegabten Mannes, der, inspirirt von Rubens – denn auch hier handelt es sich um Anknüpfung an große Schöpfungen älterer Zeit –, als der Erste im XIX. Jahrhundert mit vollem Bewußtsein und großer Kraft der Farbe die Herrschaft ertheilt. In ihr findet er die Sprache, welche dem Geist einer von mannigfaltigen künstlerischen und intellektuellen Interessen bewegten Gesellschaft entspricht. Delacroix,
dem Géricault suchend vorangegangen war, ist unzweifelhaft einer der größten Maler der neueren Zeit, seine Leistungen stellen Alles, was damals in Deutschland versucht wurde, durchaus in den Schatten. Eine Reihe von Künstlern schloß sich an ihn an, die, nicht von gleicher Bedeutung, seine Auffassung historischer und dichterischer Vorwürfe verflachen.
Mit der Nachfolge, die sie – ich nenne Delaroche und Couture – in Deutschland finden, beginnt hier der Einfluß Frankreichs. Wir dürfen ihn in jenen Zeiten wohl heilsam nennen, da er ideale Bestrebungen gefördert hat. Aber freilich konnte es da auch zugleich nicht an Erscheinungen fehlen, welche, wie die Geschichtsmalerei Pilotys, die Verirrung in das hohle anspruchsvolle Theatralische oder, wie Makarts üppige Dekorationsstücke , in die Farbenschwelgerei zeigten.
Eine zweite und wichtigere Anregung von Frankreich her folgte. Die romantische Richtung des Delacroix und seiner Nachfolger wurde dort abgelöst durch eine koloristische Landschaftsmalerei, welche den Hinweis auf Farbe und Licht in der Natur von der holländischen Kunst des XVII. Jahrhunderts und von späten Nachfolgern der Holländer in England empfing. Es ist jene Gruppe von Malern, die in der Nähe von Fontainebleau in Barbizon ihren Aufenthalt nahm, und die in der Geschichte der französischen, wie der neueren Kunst überhaupt, eine rühmlichste Stellung einnimmt. Da bringt Jean François Millet die Verherrlichung der großen, einfachen Züge des Volkslebens in einer feierlichen, schwermüthig anmuthenden Auffassung der Natur, einen Einklang zwischen persönlichem Seelenleben und Landschaftserscheinungen, den man wohl als eine neue Errungenschaft der Kunst aufgefaßt hat. Mit Unrecht, denn das künstlerische Ideal war schließlich kein anderes als das der Holländer, nur daß Millet mit seiner eigenthümlichen monumentalen Anschauung und mit seiner Sehnsucht nach dem großen Natürlichen, dem Bauernleben eine ernste Bedeutung verlieh, die diesem in der holländischen Kunst, in der kraftvollen, übermüthigen Zeit einer humoristischen, phantastisch gewaltsamen Auffassung des Landvolkes nicht zuerkannt worden war. Und hiermit trat freilich etwas Lebenskräftiges ins Dasein. Es war ein Einblick in das geheimnißvolle Walten des Menschlichen in einfacher, ursprünglicher Form und bei primitiver Kulturbeschäftigung, ein gefühlvolles Beziehen der Größe solcher Thätigkeit in der Natur auf die Umgebung. Und indem Millet diese seine herrlichen Bilder malte, waren es andere Künstler, die gleich ihm, aber mehr auf die Landschaft sich beschränkend, und gleich ihm mit den Holländern der Ruisdaelschen Epoche wetteifernd, dem Stimmungsgehalt der Natur neuen Ausdruck verliehen, aus eigenem feinen Empfinden bestimmte landschaftliche Ideale gestaltend. Da entstanden die träumerischen, duftigen Werke des zartsinnigen Corot, die dichterischen Naturerlebnisse Rousseaus, Daubignys, Dupres' und Anderer.
Hier war eine edle künstlerische Auffassung, hier der Beweis dafür gegeben, daß nur vermittelst der Farbe und des Lichtes die Seele der Landschaft erweckt werden konnte, hier fand das Verlangen des modernen Menschen, wie einst bei den Holländern, eine natürliche und achte Befriedigung in der Malerei. Schon aber erscheint auch der Maler, den ich als den kraftvollsten unter den Franzosen des XIX. Jahrhunderts bezeichnen mochte, Courbet, der mit einer gewissen Gewaltsamkeit des Schauens sich der Wirklichkeit zu bemächtigen suchte und seine erstaunliche malerische Fähigkeit einem starken, unerschrockenen Naturstudium dienstbar machte.
Eindrücke von der Kunst dieser Meister, sowie ihrer Vorbilder, der Holländer, und anderer koloristischer Schulen vergangener Zeit waren es, die auf die Einflüsse Delacroixscher Richtung in Deutschland folgten, und in verschiedenen Schulen, am stärksten bald in München, erhob sich ein neues Streben, das, auf koloristische Stimmungswirkungen gerichtet, in bedeutenden Persönlichkeiten hervortritt, die alle einzeln anzuführen und zu charakterisiren uns zu weit führen würde. Ich nenne den geistvollen Porträtisten einer großen Zeit, Franz von Lenbach, dessen malerisches Ideal sich aus der Verwerthung verschiedenartiger älterer Stilelemente in eigenthümlicher Weise entwickelt. Man ist in neuerer Zeit vom Standpunkte des Naturalismus dazu gekommen, seine Kunst geringschätzig zu behandeln. Mit Unrecht, denn das Studium alter Meister, durch das er sein eigenes bedeutendes koloristisches Gefühl erzog, hat ihn doch nicht an einer lebhaften Intuition und scharfen Beobachtung verhindert, mögen diese Fähigkeiten in seinem höheren Alter auch nachgelassen haben. Ich nenne Eduard von Gebhardt, der mit einer tiefen und ergreifenden Empfindung, an der germanischen Kraft und Inbrunst der Niederländer des XV. Jahrhunderts sich erhebend, das Religiöse zu beleben bestrebt ist. Ich weise auf Gabriel Max, F. August Kaulbach, Bruno Piglhein hin. Auf Ludwig Gurlitts und Andreas Achenbachs neues Landschaftsideal, auf Schleich, Wenglein, Schönleber. Ich erwähne, in den Namen mich beschränkend – denn sonst könnte ich, Einen oder den Anderen vergessend, mich der Ungerechtigkeit schuldig machen – nur allgemein und überhaupt den großen Aufschwung der landschaftlichen Stimmungsmalerei, dem so viel Eindrucksvolles verdankt ward, und der Genrekunst – Knaus, Defregger, Vautier, Diez –, die mit ihr wetteifert, freilich häufig nicht frei vom Sentimentalischen und allzu oft im Wahn einer Idealisirung des Volkslebens im Sinne formaler Schönheit befangen.
Daneben aber zeigt es sich, wie auch klassische und romantische Vorstellungen weiterleben, wie eine Vermählung dieser Vorstellungen mit den neuen koloristischen Prinzipien eintritt und wie Versuche gemacht werden, ob sich nicht doch ein idealer Stil der Figurenmalerei herausbilden ließe. Zwei Persönlichkeiten sind es, die neben der einen großen von Böcklin, dem wir ja noch unsere besondere Aufmerksamkeit schenken wollen, sich besonders geltend machen. Die eine ist der von einem stolzen Gefühl geschwellte und hoher Bestrebungen volle Anselm Feuerbach, dessen Kunst im Anfang auf etwas so Neues auszugehen schien, daß uns sein späteres Schaffen wie ein Scheitern feurigen jugendlichen Wollens gemahnt. Das Koloristische, angewandt auf ideale Menschenerscheinungen in großer Natur, ward sein Ziel. Aber auch er verfiel, mochte ich sagen, dem Fluch, mit dem diese ganze Kunst des XIX. Jahrhunderts belastet zu sein schien. Nicht naiv und kräftig genug, seine hochgewählten klassischen Vorwürfe mit vollem Leben zu erfüllen, gerieth er in das Pathetische, unter dessen erkaltendem Einfluß die Farbenfreudigkeit allmählich erstarb. Neben ihm der andere, absonderliche, nicht eigentlich zu künstlerischem Vollbringen, wohl aber zum Anregen bestimmte Mann: Hans von Marées. Ein Künstler, der, trotz starker Begabung, über der Formulirung großgefaßter Formprobleme, die auf Vereinfachung der Erscheinungen und Gesetzmäßigkeit der Raumgestaltung ausgingen, nicht zu einer vollkommenen Aussprache und Verwirklichung seiner künstlerischen Gedanken gelangte, bei dem die Reflektion hemmend wirkte, dem aber viele Belehrung Suchende werthvolle Aufschlüsse über Stil und Formengesetz verdankten. Wer des Bildhauers Adolf Hildebrand strenge Kunst und sein werthvolles Buch über das Problem der Form bewundert, wird auch des Malers nicht vergessen, der mit erregtem Bemühen um feste Bestimmungen der Gestaltung rang.
Zwei Einzelerscheinungen endlich sind es auch, aber ganz anderer Art und in höherem Grade deutsch, die am Schluß der kurzen Betrachtung dieser Periode noch vor unserem Blicke auftauchen. Man hat sie beide, so verschieden ihr künstlerisches Streben gewesen, wohl als Naturalisten bezeichnet und mit einem gewissen Recht, erscheint es auch gerathen, mit diesem viel mißbrauchten und mißverständlichen Wort sparsam umzugehen: Adolf Menzel in Berlin und Leibl, der in München seine Heimath fand. Menzel ist eine der originellsten künstlerischen Persönlichkeiten des Jahrhunderts, von ausgeprägt norddeutscher Art, charakteristisch für das, was das Preußenthum , was Berlin künstlerisch leistet, wenn es ganz dem eigenen Triebe folgt. Schon früher hatte sich dies einmal glücklich geltend gemacht: in jenen klaren, sicher charaktervollen Statuen, die Gottfried Schadow geschaffen hat. Erstaunlich unabhängig hat Menzel in früher Jugendzeit Probleme des Lichtes in seiner Malerei behandelt, die erst jüngst zu allgemeiner Beachtung gelangten. Auch später immer wieder mit überraschender Unvoreingenommenheit an die Schilderung der Wirklichkeit herantretend, verfügte er aber doch zugleich über eine so lebendige, blitzartig gestaltende Phantasie, daß es ihm möglich ward, in geistreichsten Leistungen die große Vergangenheit des Preußenthums, in dessen Boden er selbst so fest wurzelte, erstehen zu lassen. Auch in Bezug auf die Kunst dieses Meisters gilt das, was ich vorhin von einem anderen sagte, daß Beurtheiler, die auf einseitigem Standpunkte modernster Kunst stehen, seine Bedeutung auf dem ihm eigensten Gebiete verkennen und seine besondere Begabung: die Vielseitigkeit und Schärfe der Beobachtung, den Witz, der ihn bei der Betrachtung unserer konventionellen Gesellschaft bis zur Ironie führt, künstlerisch nicht hoch genug anschlagen, weil sie, bloß Farbe und Licht gelten lassend, von dem Künstler verlangen, er hätte sich aus jenen Anfangen malerischer Wirklichkeitsstudien bis zum vollen Impressionismus entwickeln sollen. Man betrachtet ihn als einen Abgefallenen, einen von der großen Bahn künstlerischen Heiles Abgewichenen. So weit können unduldsame Dogmen führen.
Ging Menzel ganz seine eigenen Wege, so verdankt Wilhelm Leibl gewiß viel seinen in Paris gemachten Studien, und doch erscheint mir unleugbar, daß seine Kunst hohe Bedeutung erst von dem Augenblicke an gewann, als er sich vom französischen Einfluß befreite und mit herrlicher Naivetät, lebhaftem Gefühl für Farbe, schärfstem Auge und hingebendem Sinn für die Erscheinungen des Bauernlebens seinem feinen Pinsel dessen Schilderung anvertraute. Mit solcher Gewissenhaftigkeit und Wahrheit, daß, wenn uns auch die getreueste Wiedergabe aller Details der Erscheinungen bis zum Extrem getrieben dünkt, doch eben diese Liebe der Betrachtung es ist, die für unser Gefühl bestimmend wird und bei ihm, wie bei Menzel uns als charakteristisch deutsch berührt.
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In den siebziger Jahren tritt jene vierte, neueste Richtung ein, mit der wir heute noch in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen, die Kunst, die man den Impressionismus genannt, die man als Naturalismus, als die Moderne bezeichnet hat. Wir stehen vor der entscheidenden Frage, die uns gleich Anfangs beschäftigte: wie sollen wir diese Kunst definiren und auffassen? Die erste Antwort lautet: eine kurze Definition ist gar nicht möglich. Kann man auch das Wesentliche in dem Prinzip einer unmittelbaren Naturnachbildung finden, die, unvoreingenommen durch irgend welche Vorstellungen, nur sich selbst Zweck ist, so haben sich doch viele und verschiedene Erscheinungen seit etwa 1870 geltend gemacht, ja so viele, daß selbst eine Gruppirung nach einzelnen Hauptelementen schwer durchführbar erscheinen dürfte. Von der Reaktion des Symbolismus und des stilisirenden Dekorativismus ganz abgesehen, überstürzt man sich in der Sucht nach immer Neuem so, daß schließlich als charakteristische Bezeichnung: die Moderne einzig dem Ganzen zu entsprechen schien. Oder auch, man hilft sich in neuerer Zeit in Deutschland damit über die Schwierigkeit hinaus, daß man kurzweg von Sezessionismus spricht. Sezessionisten waren die jüngeren Elemente, die sich von den älteren lösten, aus den alten Kunstverbänden, welche den neueren Bestrebungen feindlich gesinnt waren, austraten. Sezessionismus ward Schlagwort. Man muß gestehen, daß es ein recht unglückliches war, denn nach Bestreben und künstlerischem Werth ganz Ungleiches, wie es die Sezessionsausstellungen zeigen, ward so zusammengeschweißt und die Meinung des Publikums verwirrt. Wenn wir mit manchen Sezessionsfeinden dem Allen die Berechtigung aberkännten, waren wir unsinnig! Vielmehr gilt es da sehr im Einzelnen zu unterscheiden. Da aber gewisse prädominirende Gemeinsamkeiten in Bezug auf Naturauffassung, auf Farbe und Licht doch hervortreten und diese auf den Impressionismus zuzückzuführen sind, so halten wir uns für die Beurtheilung. der neueren Erscheinungen an jene hauptsächliche, die als Impressionismus bezeichnet wird und so getauft ward, als sie die älteren Richtungen ablöste. Die neuesten künstlerischen Vorgänge werden wir erst zum Schlusse unserer gesamten Betrachtungen kurz ins Auge fassen. Das Meiste, was ich über den Impressionismus sage, gilt auch für sie, wenn auch in ihnen der Phantasie wieder eine größere Rolle, aber freilich in ganz besonderer Weise, zuertheilt wird.
Noch einmal: was versteht man unter Impressionismus? Eine eigentliche befriedigende Definition habe ich, wie gesagt, nicht gefunden, auch nicht bei den Vertretern dieser Richtung. Gewöhnlich aber faßt man sie neuerdings in die Worte: der Impressionismus stelle die Dinge so dar, wie sie uns erscheinen, nicht, wie sie wirklich sind. Eine sehr unklare, weil gänzlich unphilosophische Definition. Alle Kunst hat von jeher die Dinge dargestellt, wie sie erscheinen und andererseits: alle Wirklichkeit ist doch nur Erscheinung. Das sagt also Nichts. Wie lauten die anderen Behauptungen, die für das Prinzipielle dieser Kunst geltend gemacht werden, dieser Kunst, die in den siebziger Jahren durch Edouard Manet ihren Anfang nahm, die zuerst gerichtet war auf eine von allen Phantasievorstellungen absehende Wiedergabe der Wirklichkeit und hierin im Zusammenhang stand mit der realistischen Literatur, vor Allem mit Zola, und die dann umschlug in die Beschäftigung mit phantastischen, symbolistischen Vorstellungen und in extreme stilistische Versuche?
Welche Thesen sind bezüglich ihrer aufgestellt worden? Ich nenne zuerst das Schlagwort: l'art pour l'art. Die Kunst um ihrer selbst willen. Was heißt das? Wieder stehen wir vor etwas Bedenklichem. Eine künstlerische These, wie diese hochgefeierte und besinnungslos angenommene, ist wohl niemals zuvor aufgestellt worden. Daß dem Künstler beim Schaffen sein Werk Zweck an sich ist, versteht sich von selbst. So ist es aber nicht gemeint. Es bedeutet ein Sichfreimachen der Kunst von aller Rücksichtnahme auf andere Zwecke, als das künstlerische Schaffen selbst. In allen großen Kunstepochen hat man die Kunst betrachtet als dienend den höchsten Angelegenheiten des Menschengeistes, sei es der Religion, sei es im Allgemeinen der Gefühlserhebung über die Verstandesthätigkeit und die Wirklichkeit, immer dienend der Seele, weil seelischem Bedürfniß entstammend – und nun? L'art pour l'art. Ja, schaut man scharf zu und übersetzt es in gutes Deutsch, so heißt es nichts Anderes als: Virtuosität! Denn eine Kunst, die nur um ihrer selbst willen betrieben wird, ist eine solche, die ihre Aufgabe nur in höchster Geschicklichkeit sieht. Eine Kunst, die, sich selbst genug, von allen Aufgaben, die sie sonst gehabt, absperrt das ist kurz eine die Größenwahn bekommen hat! Sie sehen, auch nur auf diese flüchtigen Andeutungen bin: l'art pour l'art ist ein kunstfeindliches Gebot, denn Virtuosität ist Vernichtung des wahrhaft Künstlerischen.
Nun giebt es aber eine zweite, nicht minder verbreitete und bewunderte These, die aus dem Munde Zolas stammt. Sie lautet, das Kunstwerk sei ein Ausschnitt der Natur, durch ein Temperament gesehen. Da muß ich nun wirklich sagen: man suche bei den Ästhetikern aller Zeiten – eine so kümmerliche, ja erbärmliche Definition von dem, was Kunst ist, wird man nicht leicht finden. Denn in ihr ist weder im Einzelnen: Ausschnitt der Natur und Temperament – selbst wenn wir Temperament im günstigsten Sinne als Gefühl auffassen wollten –, noch im Ganzen von Künstlerischem die Rede. Ein durch ein Temperament gesehener Naturausschnitt ist noch lange kein Kunstwerk. Es ist mir zum Vorwurf gemacht worden, daß ich Meier-Graefes Definition des Kunstwerkes nicht beachtet habe. Diese lautet: Das Kunstwerk ist das letzte Resultat einer gesetzmäßigen Wirkung besonderer Einheiten, um eine Erscheinung bildlich darzustellen. Das Gesetz der Wirkung dieser Einheiten folgt aus dem Material, die Wahl der Einheit aus der Persönlichkeit des Künstlers. – Was sagt Herr Thode nun? Er sagt, daß man eine Definition, die einen gröbsten Verstoß gegen die Grammatik enthält, doch nicht ernst nehmen kann. Ein Resultat (oder eine Wirkung?) – um etwas zu thun!! Er sagt aber weiter, daß er dem Satz, selbst wenn er ihn ins Deutsche zu übersetzen bemüht ist, keinerlei Sinn zu entnehmen vermag. Einheiten, welche wirken!! Das könnten doch nur Leibniz'sche Monaden sein. Man glaubt auch Anfangs, daß Meier-Graefe sich dergleichen vorgestellt, denn er bittet uns, sie uns nach Art der Moleküle zu denken, dann aber betont er ihre abstrakte Art, mit der überraschenden Hinzufügung: wir spürten etwas von dem Organischen, das ihnen anhaftet, und entdeckten sie als die Gemeinschaft, in der der Künstler lebt. Also diese halb abstrakten, halb organischen Mischwesen, die übrigens zu dem Künstler wie Theile seines Körpers gehören, organisch mit ihm wachsen und mit ihm zu Grunde gehen, bringen das Kunstwerk hervor nach einem Gesetz, das aus dem Material folgt. Arme kleine Kreaturen, bestimmt, so Großes zu schaffen, und doch so unfrei: nicht genug damit, daß sie mit dem Künstler verwachsen sind, nein! in diesem bejammernswerthen Zustande haben sie auch noch den Anweisungen eines geheimnißvollen Unbekannten zu pariren! Glücklicher Künstler, der sich darauf beschränken darf, unter ihnen die Wahl zu treffen, und sich dann auf die Bärenhaut ausstrecken kann!
Was behaupten nun aber die Vertreter des Impressionismus im Besonderen von dessen Eigenthümlichkeiten und Vorzügen? Meist sehr unbestimmte Dinge, über die zu referiren schwer ist. Doch haben einige Sätze neuerdings eine eingehendere Formulirung erhalten. Da heißt es zunächst, daß diese Kunst nur an die Sinne sich wendet. Ja, wirklich, dergleichen wird ausgesprochen. Betrachten wir dies auch, wie recht und billig, nur als eine übertreibende Äußerung, so haben wir sie doch zu berücksichtigen, denn sie enthält ein gut Theil Wahrheit. Und an wie beschaffene Sinne? Die Antwort lautet, unser Gesichtssinn besitze ein viel komplizirteres Wahrnehmungsvermögen, als es je existirt habe, und diesem entspräche die moderne Kunst. Als ich kürzlich diesen Satz gelesen, bin ich erschrocken. Wie? Lese ich recht? Wir bilden uns ein, unser Gesichtssinn sei feiner ausgebildet, als in den Zeiten, welche die großen hellenischen Werke entstehen sahen oder die Werke der Renaissance oder die der holländischen Malerei? Gerade das Gegentheil! Weil wir in einer Zeit leben, in der die bildende Kunst nicht in gesunden Bedingungen wurzelt und sich an Vollendung auch nicht entfernt mit der jener Perioden vergleicht, hat die Feinfühligkeit unseres Auges gegen damals in erschreckender Weise abgenommen. Ich spreche jetzt von der Allgemeinheit, nicht von einzelnen bevorzugten Künstlern. Jeder Besuch einer Ausstellung, jedes Vernehmen der Urtheile, die dort abgegeben werden, ist eine Bestätigung dafür. Weder für die Linie, noch für die Farbe besitzen wir mehr jene Empfindung, die in glücklicheren Zeiten so sensitiv war. Jeder von uns, der sich lebhaft mit bildender Kunst beschäftigt, weiß, was es für Mühe kostet, sein Auge zu erziehen, selbst wenn es begabt ist. Unser anderer künstlerischer Sinn, das Gehör, ja! von dem darf man behaupten, daß er erstaunlich ausgebildet ist, und dies ist kein Zufall, denn er hat sich mit und dank der Musik, der großen Kunst unserer Kulturperiode, entwickelt! Aber das Auge nicht! Aber freilich, es wird ja auch von Wahrnehmungsvermögen, das heißt von verstandesgemäßem Auffassen der Erscheinungen gesprochen, und da mag der Satz gelten! Künstlerische Auffassung aber ist Anschauung. Also um Wahrnehmung, nicht um Anschauung handelt es sich bei dieser Kunstrichtung – wir befinden uns auf dem Gebiete des Verstandes. Die These wirft auf den Impressionismus ein sonderbares Licht. Und dieses wird noch verstärkt, hören wir eine weitere Erläuterung, wie diese: in solcher neuen Kunst käme endlich das normale Auge zu seiner Berechtigung.
Das Zweite, was uns gerühmt wird, ist die jetzt erst erreichte Vollkommenheit in der Wiedergabe von Luft und Licht und die ganz neue Auffassung der Licht- und Farbenwerthe, als der Elemente, die den augenblicklichen Eindruck bestimmen. Dies wird so laut und eindringlich immer wieder betont, daß hier unzweifelhaft der ganz besondere Anspruch des Impressionismus auf Werthschätzung vorliegt. Was das Erste betrifft, so fragt man sich unwillkürlich: ist Licht und Atmosphäre früher nicht so überzeugend wiedergegeben worden? Und da tauchen vor unserem Blicke die unvergleichlichen Schöpfungen der Salomon Ruisdael, van Goyen, Cuyp und Jan Vermeer auf, in denen wir ein so zartes Vibriren der Luft, ein so feines Bestimmen der Gegenstände durch das in der Atmosphäre waltende Licht gewahren, daß man nicht glaubt, ein Pinsel in menschlicher Hand habe es geschaffen. Ich führe nur holländische Beispiele an. Aber hat nicht schon die italienische Kunst Wundervolles dergleichen gebracht? Und das wird Alles nur als Vorstufe betrachtet? Ich fand es ausgesprochen: die alte Kunst habe nur Beleuchtung gegeben, nicht das Licht selbst. Neue und weite Bahnen sollen durch Velasquez erschlossen worden sein. Und an ihn, an die Spanier knüpften die an, welche die Darstellung des Atmosphärischen als Problem der Farbenkunst aufstellten. Gewiß, Velasquez hat wahre Wunder darin geleistet. Aber die große Frage ist, ob es künstlerisch berechtigt war, ihn zum Ausgangspunkt zu nehmen – denn um ihn, nicht um Rembrandt, so oft man diesen unter den Ahnen der neuesten Kunst genannt findet, handelt es sich. Nun! Nach meinem Dafürhalten und wohl dem Aller seit langer Zeit, die sich mit der Entwicklungsgeschichte beschäftigen, ist Velasquez, wie Rembrandt, eine allerhöchste und letzte Erscheinung in einem großen Entwicklungszusammenhang. Von einem solchen letzten und höchsten Gipfel künstlerischer Gestaltung bestimmter Ideale aus noch weiter höhere erstreben zu wollen, scheint mehr als verwegen. An Meister wie diese anzuknüpfen ist nicht allein gefährlich, sondern in wahrem künstlerischen Sinn unmöglich. Wenigstens haben alle derartigen Versuche bisher nur zu künstlerischen Übertriebenheiten geführt. Gleichwohl, von Velasquez ist man ausgegangen und hat seiner Kunst die Berechtigung des neuen Prinzips, das dem Schaffen zu Grunde gelegt ward, entnommen. Was man aber nicht von ihm übernommen hat, ist die wunderbare Durchführung und Vollendung, durch welche dieser Große, wie alle Großen, die Einheit der Anschauung gewahrt hat.
Der angebliche Fortschritt in der Luft- und Lichtmalerei ist vielmehr eine Verirrung. Indem man das Licht selbst – nicht die Beleuchtung – malen wollte, ward man naturgemäß zur Wiedergabe solcher Erscheinungen gedrängt, in denen man die Thätigkeit des Sonnenlichtes gleichsam erhaschen konnte in der Vielheit und Mannigfaltigkeit aufblitzender Momente. An Stelle ruhiger Einheitlichkeit trat flackernde Unruhe.
Was aber die gerühmte Entdeckung der Farbenwerthe von Licht und Schatten betrifft, so muß wenn auch neue Wahrnehmungen hierin nicht bestritten werden können wohl die Frage aufgeworfen werden: haben die großen Meister der Lichtkunst diese Farbigkeiten nicht gesehen? Das will mir doch eine sehr gewagte Behauptung erscheinen. Hätten sie nicht vielmehr etwa mit Bewußtsein auf die Wiedergabe solcher Erscheinungen verzichtet? Und zwar im Hinblick auf die einheitliche, ruhige Wirkung ihrer Werke, unbekümmert um die wissenschaftliche Naturwahrheit, der zu Liebe die Neueren sich vor Buntheit nicht scheuen. Vermieden die Alten nicht gerade aus solchen Rücksichten die heutzutage besonders gesuchten Sonnenlichtphänomene?
Aber, so höre ich mir einwerfen, diese Licht- und Farbenprobleme schweben nicht in der Luft, sondern erhalten ihre Begründung durch ein ganz bestimmtes künstlerisches Prinzip, welches sich auf die Art des Sehens bezieht. Der Impressionismus will einen Ausschnitt aus der Natur so wiedergeben, wie wir ihn sehen, wenn wir nicht bestimmt eine Erscheinung ins Auge fassen, also nicht den Blick auf diese so richten, daß die Sehlinien konvergiren, sondern wie wir ihn sehen, wenn die Sehachsen parallel oder wenigstens annähernd parallel eingestellt sind. Ganz recht, das ist ein Prinzip, aber ist es ein künstlerisches? Ein solches Sehen ist ein verschwommenes, wir sehen alle Gegenstände unbestimmt. Ja, wir sehen eigentlich nicht. Menschen, die so sehen, sind in Gedanken entrückt, ihr Gesichtssinn ist depotenzirt. Und nun sollte es künstlerische Aufgabe sein, sich wider die Natur zu zwingen, die bei solchem verlorenen Sehen empfangenen Sensationen wiederzugeben? Denn es gehört Zwang dazu. Aus etwas so Widerspruchsvollem sollte das Kunstwerk entstehen? Der Betrachter also, der vor einem Gemälde gerade seiner Sehkraft sich freuen will, soll genöthigt werden, etwas so anzusehen, wie er es ansieht, wenn er nicht mit Bewußtsein sieht? Eine erstaunliche Zumuthung, die dem künstlerischen Bedürfniß nach deutlicher Anschauung direkt entgegen ist. Die Frage läuft auf eine andere hinaus, die ich gleich noch besprechen werde. Bei solchem Sehen – das ist das Entscheidende – ist nämlich nicht nur die Verstandes-, sondern auch die Phantasiethätigkeit ausgeschlossen, denn die Sinnesempfindung, die einem vagen Traumbild gleicht, liefert ihr kein Material zu Vorstellungen. Bloße Sinnesempfindung, wie wir früher sahen, ist noch kein künstlerischer Eindruck.
Daß solchen Studien nach der Natur Manches verdankt wird, daß einzelne bedeutende Künstler Interessantes und Hervorragendes geschaffen haben – ich möchte dies laut aussprechen –, würdige ich wohl. Die schnell, ja von Anfang an eintretenden extremen Ausartungen aber zeigen, daß an der Art und Weise der Stellung des Problems etwas künstlerisch Unrichtiges war.
Mit der These, betreffend Licht und Luft, hängt eine weitere zusammen, welche besagt, daß der Künstler, dem es einzig auf Licht und Atmosphäre ankommt, und dem die Farbe nur in dieser Hinsicht Werth hat, in seinem Werke ungebundene Elemente giebt, deren Synthese, das heißt einheitliche Zusammenfassung, von dem Beschauer vollzogen wird. Hierauf komme ich später. Gesellt wird der Satz von einer größten Vereinfachung. Gewiß: alle Kunst besteht in Vereinfachung im Hinblick auf klare Einheit des Eindruckes, und sie ist von allen Künstlern immer gebracht worden. Aber die Vereinfachung, um die es sich hier handelt, ist etwas Anderes. Sie geht so weit, daß ihr bloße Andeutungen, gegeben mit einzelnen Pinselstrichen, genügen und die Erscheinungen zerfetzt werden. Und dann wieder zeigt sich bei anderen impressionistischen Künstlern doch auch gerade das Gegentheil: eine Überfülle von Farbentheilchen, die erst unser Auge zur Einheit zwingen soll.
Als Letztes endlich macht sich, wie eine Konsequenz aller angeführten Prinzipien, die Behauptung geltend: das Gegenständliche der Darstellung ist gleichgültig. Von deren höchst bedenklicher Bedeutung in künstlerischem und in kulturellem Sinne wird noch die Rede sein. – –
Der Augenblick ist gekommen, da wir, zum Schlusse, unsere früher gewonnenen Gesichtspunkte, den ästhetischen und den psychologischen, der aus der Definition dessen, was deutsch ist, sich ergab, auf diese moderne Malerei anwenden. Zuvor aber betone ich nochmals Folgendes.
Die Erscheinungen dieser Kunstrichtung sind sehr verschiedenartige und, wie in den früheren Phasen der Malerei des XIX. Jahrhunderts, treten auch jetzt einzelne Persönlichkeiten hervor, deren Begabung die Aufmerksamkeit erregt. Es wäre eine Unsinnigkeit, an ihnen ohne Weiteres vorbeigehen zu wollen. Wir finden sie in Frankreich und in den anderen von dort beeinflußten Ländern überall da, wo – ich mochte sagen, den Prinzipien zum Trotz – Künstler gefühlvoller Art diese harte und spröde Formensprache zum Ausdruck seelischer Stimmung zwingen. Und weiter, wie schon bemerkt, ist nicht zu übersehen, daß schnell hinter einander verschiedene Formulirungen der Prinzipien, gemäßigtere und extreme, eingetreten sind. Die Freilichtmalerei, in der die Wirkungen ganz hellen Lichtes studirt würden, war die erste. Sie drang nach Deutschland ein und eroberte sich schnell ihre Stellung. Vornehmlich durch zwei Männer, welche die ersten ausgesprochenen Vertreter des Plein air bei uns wurden, ihrer Art nach aber durchaus verschieden sind: Max Liebermann und Fritz von Uhde.
Max Liebermann hat seine Anregungen von der holländischen und französischen Malerei erhalten, nachdem er zuvor seine Studien in Deutschland gemacht, und er hat dauernd an dem, was ihm damals als künstlerisches Ideal im Auslande aufging, festgehalten. Er knüpfte besonders an Israels an und verfolgte unbeirrt seinen Weg weiter bis auf den heutigen Tag. Seine Arbeiten zeugen von großer Geschicklichkeit – das ist frei anzuerkennen – und von einem andauernden Studium der Naturphänomene, die ihm als die wichtigen erschienen. Von dieser Seite betrachtet, ist er eine markante und interessante Persönlichkeit. Fragen wir uns aber vom Standpunkt unserer allgemeinen Betrachtungen aus: ist er in seiner Kunst von deutscher Eigenart? so müssen wir diese Frage verneinen. Liebermann könnte gerade so gut in Holland oder in Frankreich arbeiten und zu Hause sein, etwas ausgesprochen Deutsches ist bei ihm nicht vorhanden. Bei aller Geschicklichkeit der Technik und Finesse des Lichtes zeigt seine Kunst keine Originalität. Er bringt Dinge, die alle schon vorher gegeben worden waren und die er nur in persönlicher Weise weitergebildet hat.
Hierin unterscheidet sich der Andere, der die französische Freilichtmalerei sich zu eigen machte, sehr wesentlich von ihm: Fritz von Uhde. In ihm zeigt sich, bei Behandlung verwandter Probleme, das deutsche Wesen stark wirksam. Ihm genügte die einfache Abspiegelung der Wirklichkeit nicht, er ging weiter und übersetzte das Fremde in deutsche Gefühlssprache. Indem er die schlichte Wirklichkeitsdarstellung auf religiöse Vorstellungen anwandte, gerieth er freilich in einen verhängnißvollen Konflikt, aber, was er zu erreichen suchte, indem er die Gestalt des Heilandes in unsere Zeit übertrug und sie in Beziehung zu den Armen und Bedürftigen unserer Welt setzte, war ein Hohes und Edles. Über den Widerspruch zwischen der Idealfigur und der zeitlichen Realität ist er nicht hinausgekommen.
Inzwischen entwickeln sich aber die Dinge in Frankreich in schnellem Verfolg. Mehr und mehr treten koloristische Probleme in den Vordergrund so bei Monet, Renoir, Degas und Anderen und man kommt zu solchen Extremen, daß eigentlich nur noch mit Farbenflecken operirt wird. Zugleich tauchen bestimmte Theorieen auf, welche die Anwendung unvermischter Spektralfarben, die Auflösung des Lichtes in die verschiedenen Farben gebieten. Immer unverbundener werden die Farbenpartikel in bunter Mannigfaltigkeit neben einander gesetzt, alle Formen in einzelne blitzende Punkte aufgelost. Man pflegt diese Theorie und Manier, durch Seurat aufgestellt, als die des Neo-Impressionismus zu bezeichnen. Bei Anderen verflüchtigen sich Formen und Farben zu nebulosen Erscheinungen. Und schließlich haben wir nur noch ein Flimmern und Flattern von Farben vor Augen.
Die Frage kehrt wieder: ist alles dies Kunst in dem Sinne, wie wir in unseren einleitenden Betrachtungen Kunst definirt haben? Diese waren so allgemeiner Art, daß von irgend einem einseitigen philosophischen System nicht die Rede sein konnte, sondern nur von den Ergebnissen einfachster und natürlichster Erfahrung: der Feststellung, daß zwei Faktoren bei der künstlerischen Empfängniß zusammenwirken: Sinnlichkeit und Phantasie. Ist dies im Impressionismus der Fall? Nein! Durch die eine erwähnte These wird es von Vertretern dieser Richtung unvorsichtig, aber offen bekannt: man wendet sich nur an die Sinnlichkeit. Impression ist also nur als sinnliche Empfindung zu interpretiren. Faßt man das Wort nach seiner stärkeren Bedeutung auf, als Eindruck, welchen die Phantasie und damit das Gefühl vermittelst der Sinne empfängt, so ist alle Kunst Impressionismus, denn alle Kunst beruht auf Eindrücken und ist ein gesetzmäßiger Ausdruck dessen, was durch Eindrücke gewonnen ward. Die Bezeichnung Impressionismus also ist eine mißverständliche und unzutreffende. Ich mochte vorschlagen, statt dessen Sensationismus zu sagen. Denn es handelt sich um bloße Sensationen, um Sinnlichkeit mit möglichstem Ausschluß der Phantasie.
Nun frage ich: ist das wahre Kunst? Heiß das ein künstlerisches Prinzip? Nein! Von jeher ist doch die Phantasie als die künstlerische Schaffenskraft betrachtet worden, welcher die sinnlichen Anschauungen nur dienen. Und hier eine bloße Thatsachenfeststellung, der gegenüber die Phantasie des Beschauers nur auf die allergeringste Bethätigung, nämlich auf die Umdeutung des Flachenhaften in räumliche Wirklichkeit, beschränkt ist! Ist unsere Einbildungskraft, die durch die des Künstlers bestimmt wird, nicht in höherem Sinne vor einem Bilde thätig, können wir von künstlerischer Auffassung nicht sprechen. Aber die Phantasie soll eben nicht in solchem Sinne wirken: die Sinnlichkeit allein soll walten – und wie?
Ich möchte noch einmal, um jedem Zweifel vorzubeugen, bemerken, daß ich das Prinzipielle der Frage im Auge habe, und von einzelnen Erscheinungen nur die extremen, diesem Prinzip entsprechenden, nicht solche, bei denen den Thesen zum Trotz das Künstlerische sich geltend macht. Gerade diese Extreme ja sind es, die neuerdings als der Gipfel der Malerei überhaupt gepriesen werden.
Wie waltet die Sinnlichkeit in dieser Kunst? Ich kehre da zurück zu dem Satze von den ungebundenen Elementen, die wir verbinden sollen. Er ist gar nicht zu begreifen. Ist es doch von jeher gerade des Künstlers Aufgabe gewesen, Ungebundenes zu einer Einheit zu verbinden, und ist es doch eben diese Einheit, die das Kunstwerk ausmacht, indem wir nicht, wie in der Natur, das Ungebundene, sondern das Gebundene sehen, das heißt: anschauen, nicht wahrnehmen. Dies gerade ist das Wesen der Künstlerthat, daß durch sie das Mannigfaltige, Zerstreute in einheitlichen Zusammenhang gesetzt wird. Der impressionistische Künstler vereinfacht wohl, aber er vereinheitlicht nicht.
Was heißt das also: wir sollen die Synthese des Ungebundenen vollziehen? Es heißt: wir selbst erst, wir Betrachter sollen die künstlerische That vollbringen. Also ist eine solche Darstellung kein Kunstwerk, sondern nur das Material zu einem solchen! Und nun denken Sie sich die Konflikte, die in Ihnen entstehen. Befragen Sie Ihre eigene naive Erfahrung: Sie befinden sich vor solchen Bildern in einem Zustande des Unbehagens. Dies erklärt sich einfach aus Folgendem: Sie verlangen einen einheitlichen Eindruck und Sie erhalten ungebundene Erscheinungen. Unwillkürlich versuchen Sie, die vereinheitlichende Thätigkeit auszuüben, aber Sie scheitern daran, daß in dem Bilde ja bereits eine Vereinfachung des Mannigfaltigen in der Natur vorgenommen worden ist, während wir eine Vereinfachung im Sinne der Vereinheitlichung doch nur angesichts dieses Mannigfaltigen und Vielen vornehmen können. Wie sollten wir da, selbst wenn wir willig statt des Künstlers die eigentliche künstlerische Aufgabe auf uns übernehmen, die Vereinheitlichung vollziehen können? Das ist unmöglich und ein Widerspruch. Wir bleiben bei bloßen Wahrnehmungen, unsere Phantasie erhält keine Anschauung.
Und was ergiebt sich nun des Weiteren hieraus? Wir gehen wieder vom Einfachsten, Unbestreitbaren aus, nämlich von dem Satze, daß wir von einem Kunstwerk sinnlich Wohlgefälliges verlangen. Wird es uns durch diese Kunst zu Theil? Nein! Denn solches Wohlgefallen beruht eben auf harmonischer, das heißt einheitlicher Wirkung. Diese kann entweder auf linearen Beziehungen oder auf Farben- und Lichtbedingungen beruhen. Das Lineare spielt naturgemäß in diesen Farbengebilden eine untergeordnete Rolle; wo es, wie in einzelnen neueren Bildern, wieder aufgenommen wird, geschieht es in kindisch primitiver Weise – Betonung von
Parallelen und dergleichen –, die tief beschämt, denkt man, bis zu welchem wundervollen Reichthum der Mannigfaltigkeit in der Einheit die alte Kunst gelangt war. Wie aber steht es mit den Farben und dem Lichte? Das Eine ist bestimmt durch das Andere. Jene oben besprochenen Theorieen führten zur Analyse der Erscheinungen, und die Folge ist, daß statt einer Einigung eine Auflösung eintritt. Von den großen alten Meistern, die das Licht zum Hauptfaktor in ihren Gemälden machten, ward ihm die Aufgabe ertheilt, alle Einzelerscheinungen zu großer einheitlicher Wirkung zu bändigen. Und zu welcher Bedeutung für den Ausdruck seelischen Lebens ward es gebracht! Jetzt, da das Gegenständliche gleichgültig ist und das Licht an sich dargestellt werden soll – als ob das überhaupt möglich wäre! –, da man es behufs dieser Absicht nothwendig gleichsam in große Bewegung versetzen muß, wird es zu jenem Flimmern und Flackern, das eine geschlossene einheitliche, befriedigende Empfindung nicht aufkommen läßt, sondern zerstreuend und beunruhigend in den Farbenerscheinungen wirkt.
Und dazu kommt noch Eines – ich sehe von meiner subjektiven Empfindung, auf welche auch die Farbenzusammenstellungen allgemein als unharmonisch und daher unschön wirken, ab –, die beunruhigende Technik! Sie wird zur Schau getragen und macht sich anspruchsvoll bemerkbar. Unvermittelte, häufig roh wirkende Pinselstriche, sich aufdrängende Farbenmaterie. Wenn man die Kenner in den Ausstellungen hört, könnte man meinen, ein Gemälde sei nur der Schaustellung der Technik wegen da. Virtuosität, nicht Kunst! Denn ich wiederhole – daß man eine so einfache Wahrheit überhaupt aussprechen muß! –, so lange wir auf das Technische achten, empfinden wir nicht künstlerisch. Ein Werk, in dem das Technische nicht so verhehlt ist, daß wir es vergessen, ist kein rein künstlerisches. Virtuosität, nicht Kunst! Wenn große Meister, wie Tizian, Hals und Rembrandt, in hohen Jahren dank der Souveränität ihres Genies und langer Erfahrung zur breiten, vereinfachten Pinselführung gelangten, so ist dem weder ein Prinzip noch eine Berechtigung zu entnehmen. Jedem sensitiven Auge müßte doch die Brutalität des Farbenauftrages, die seit Manet, man darf wohl sagen, allgemein in der Malerei herrscht, unerträglich sein! Aber freilich – ein sensitives Auge ist kein normales.
So viel in Andeutungen über die Sinnlichkeit! Selbst wenn wir bloß sie in Betracht ziehen, ist der Impressionismus unkünstlerisch, denn er erweckt keine einheitlichen, wohlthätigen Empfindungen. Und nun die Phantasie! Die Phantasie ausschließen zu wollen, ist ein Unding. Sie will sich bethätigen und sie bethätigt sich und sie wirkt bestimmend auf das Gefühl ein. Es fragt sich nur, wie? Hier ist das Gegenständliche entscheidend. Unser Gefühlsverhältniß zu den Erscheinungen ist entweder Zuneigung oder Abneigung. Dazwischen liegt gleichsam der Nullpunkt: die Gleichgültigkeit. Das künstlerische Gefühl wird geweckt nur durch das, was uns in wohlthuender Weise fesselt und anspricht. Was bringt nun diese moderne Kunst? Gewiß wäre es unbillig, zu behaupten, daß sie das Anmuthende in Landschafts- und Figurendarstellung ausschließt. Aber das für sie besonders Charakteristische ist doch, bei dem ihr innewohnenden Realismus, daß sie gerade das wiedergiebt, was wir täglich sehen können, und so, wie wir es sehen, und was daher im besten Falle unserer Phantasie und damit auch unserem Gefühle keine Anregung giebt, weil es uns gleichgültig ist, und zumeist, wie eben das reale Leben, nur unseren Verstand wachruft. Die angeblich künstlerische Auffassung solcher Darstellung ist in der That nichts weiter als ein nüchternes Urtheil darüber, ob Erscheinungen richtig wiedergegeben sind, und ein Registriren derselben. Und dazu kommt, daß diese Kunst, die sich so frei gebärdet, vielfach eine tendenziöse Lebensillustration ist, einen kulturgeschichtlich oder naturwissenschaftlich lehrhaften Charakter trägt. Ihre Vertreter haben wahrlich keinen Grund, verächtlich von dem Gedankenhaften der früheren Malerei des XIX. Jahrhunderts zu sprechen. Die Tendenzen des Impressionismus sind mindest ebenso unkünstlerisch, weil doktrinär, als die Thatsachenberichte der älteren Historienmaler. Gleich in der Schilderung des Arbeiterlebens, das man zuerst zum Vorwurf nahm, sprach sich eine lehrhafte Absicht unumwunden aus. Und auch bei der Schilderung des Gesellschaftslebens wurden kulturgeschichtliche Fakta demonstrirt. Alle Versuche aber, nur durch die malerische Behandlung uns künstlerisch zu stimmen, sind vergeblich. Wir können uns der Wirkung des Gegenständlichen nicht verschließen. Und die Art dieses Gegenständlichen und seine Auffassung, indem sie den Verstand beschäftigt, verhindert das künstlerische Walten der Phantasie.
Aber ein Schlimmeres, ja höchst Bedenkliches kommt hinzu! Wenn das Gegenständliche gleichgültig ist, was kann nicht Alles in die Kunst eindringen und ist nicht schon eingedrungen? Auch das, was niemals trotz aller Behandlung ästhetisch sein kann, was unsere Phantasie verunreinigt, Gefühle des Abscheues erregt. Ich werde darauf zurückkommen.
Wir fassen zusammen: weder was die Sinnlichkeit, noch was die Phantasie betrifft, ist der Impressionismus, prinzipiell betrachtet, künstlerisch.
Die zweite Frage lautet: wie verhält er sich im Besonderen zum deutschen Wesen? Steht er uns Deutschen an? Nein! Und immer wieder nein!
Was ergab sich bei unseren allgemeinen Betrachtungen als Eigenthümlichkeit des Deutschthums? Zunächst war es die Gefühlsstärke. Wie traurig steht es damit in dieser von Theorieen beherrschten Thätigkeit! An Stelle der Gefühlsbedeutung deutscher Kunst wird eine bloße Sensationsbedeutung gesetzt. Das Zweite war die Universalität. Wie ärmlich und beschränkt ist das Bereich der Vorstellungen! Und das Dritte: die freudige Erfindungskraft der Phantasie? Gerade sie soll ja in dieser Kunst, so weit es nur geht, ausgeschlossen werden. Und endlich die Naturliebe und -treue? Wenn man nur auf Licht- und Farbenwirkungen sieht, wo bleibt da das Verhältniß zu den Einzeldingen, die – auch die kleinsten – innigste Beachtung verdienen? Wird denn Spott getrieben mit dieser herrlichen Natur, die gestaltet ist von den kleinsten bis zu den höchsten Wesen? Früher war es gerade das Lebendige dieser Gestalten in aller seiner unendlichen Fülle, was das Künstlerauge und -gefühl mit Entzücken erfüllte! Und jetzt soll nur das, was darum und daran ist, Atmosphäre und Licht, das einzig Wichtige sein? Wie ganz widerstrebt eine solche Vernachlässigung der Einzelerscheinung, eine solche Lieblosigkeit gerade dem deutschen Gefühl, welches das göttliche Walten in einer jeden sucht und findet!
Mußten wir die Moderne eine unkünstlerische Richtung nennen, so haben wir jetzt hinzuzufugen: sie ist in Sonderheit dazu auch noch durchaus undeutsch, ja antideutsch!
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Und nun gilt es zu bedenken: was hat sie uns kulturell gebracht? Die verhängnißvolle Theorie: das Gegenständliche ist gleichgültig, hat Dinge in die Kunst eingeführt, die, Gott sei es geklagt! auch in Deutschland in erschreckender Weise sich verbreitend, auf das Leidenschaftlichste von uns zurückgewiesen werden müssen, wollen wir hoch von der Kunst und hoch auch von uns selbst denken! Ich spreche nicht von der kläglichen Banalität, die sich breit macht, ich spreche vom niedrig Gemeinen! Jener Satz hat die bösen Instinkte geheiligt: Erscheinungen und Elemente, die niemals früher sich hervorwagten, zeigen sich heute mit frecher Herausforderung. Wir haben uns nicht gescheut, auch das Widrigste französischer Cabaretkunst zu übernehmen, und sind so albern, uns dabei einzubilden, nun wären auch wir hochmodern. Es ist empörend!
Ich erwähne nur Eines, aber vor Allem! Was war dereinst das Verhältniß des Deutschen zur Frau? Und was ist aus ihm in der neuesten Kunst geworden? Zu Dirnen jeder Art und jedes Standes ist sie hinabgestiegen, bei uns, die wir der Frau wie einem geweihten Wesen scheue Verehrung darbrachten, und gerade durch den schwärmerischen Aufblick zu ihr gut und stark wurden. Denn ich möchte sagen, der Kern unseres Idealismus war zu allen Zeiten dieser Frauenkultus. Nun aber müssen wir an den Straßen, an den Schaufenstern in Nachahmung dessen, was die Gossenkunst in Paris hervorgebracht hat, müssen wir in unsern illustrirten Blättern, Plakaten u. s. w. das Schamloseste täglich sehen. Und so erlebt es unsere Jugend und wächst damit heran und gewöhnt sich an niedrigste, unsittliche Dinge. Und die Virtuosität solcher Zeichnungen wird als Kunst hoch gepriesen! Mögen die Fliegenden Blätter in ihren Humoresken auch manchmal schwach gewesen sein, so ein Oberländer, der für sie gezeichnet hat – ich könnte auch Andere nennen –, wie viel feinfühliger und origineller erscheint seine Art! Dieser harmlose Geist aber ist fast ganz verschwunden, und überdies, was man jetzt bei uns bewundert, vergleicht sich schließlich an Geschicklichkeit doch nicht mit dem Französischen. Und aus all dem, was wir übernommen haben, wächst so der Cynismus hervor. Ich will von dieser erschreckenden Erscheinung nichts weiter sagen. Ich kann es nicht leugnen: wenn ich von solcher Verkommenheit nur spreche, kehrt sich Alles in mir um! Und kann es nicht fassen, daß so Etwas in Deutschland möglich ist und noch dazu von allen Seiten als geistreich und interessant gepriesen wird! Sind wir denn ganz verblendet?
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Und nun ein letztes Wort über diese Fragen. Wir kehren zur historischen Betrachtung zurück. Wie haben wir den Impressionismus geschichtlich aufzufassen? Die Antwort scheint mir eine sehr einfache zu sein. Bei der Betrachtung der Malerei im XIX. Jahrhundert, in dem von einer großen Kunst, vergleichbar derjenigen vergangener Perioden, und von einer Entwicklung origineller hoher Ideale, wie in jenen, nicht die Rede sein kann, sind wir von einem Extrem zum anderen gelangt. Im Beginn dieses Zeitraums herrschte einzig und allein die Zeichnung, die Kontur, am Schlusse desselben nichts wie die Farbe, die Farbenpartikel! Eben so wenig wie die mit hochmüthiger Verachtung heutzutage behandelte Zeichenkunst des Carstens und Cornelius, darf die heutige Farbenkunst Manets, Cézannes, Vincent van Goghs und Seurats, die von Vielen als eine neue künstlerische Weltanschauung und als der Gipfel der Malerei aller Zeiten gepriesen wird, auch nur entfernt mit der großen alten Kunst verglichen werden. Ist jenes zeichnerische Extrem unkünstlerisch, so ist es das impressionistische nicht minder. Ja man könnte, vergleicht man den Impressionismus mit jener Kartonkunst, sich zu dem Bekenntniß gedrängt sehen: bei aller Armuth und Unansehnlichkeit war in den Werken der Carstens und Cornelius doch mehr ächt Künstlerisches, als in den virtuosen, raffinirten Leistungen der Manet und Degas, denn es waren edle und hochgegebene Vorstellungen, welche damals die Phantasie beschäftigten, und ich meine, was auch die Impressionisten von mystischer Wirkung ihrer Kunst behaupten, auf solche Ideen kommt es denn doch vor Allem in der Kunst an, in ihnen liegt die mystische Schöpferkraft. Jene Impressionsmystik ist der ungeheuerliche Wahn: indem man vom Gegenständlichen und von allen gestalteten Formen absehe und nur mit Farben operire, könne die Malerei, ganz sinnliche Sensation, die Wirkung der Musik erreichen. Man vergißt die grundsätzliche Verschiedenheit der beiden Künste, vergißt, daß der Vorwurf des Tonkünstlers unmittelbar das im Ton sich ausdrückende Gefühl ist, während der Maler nur mittelbar durch die Welt der Erscheinungen, denen ewig der gegenständliche Charakter anhaftet, Gefühl und inneres Wesen ausdrücken kann.
Fassen wir diesen Wahn scharf ins Auge, vergegenwärtigen wir uns zugleich das Obwalten von optischen Theorieen und Naturnachbildungsprinzipien, dann läßt sich die Erkenntniß nicht abwehren: wie die bildende Kunst, in ihrer Schwäche dem Einflusse anderer geistiger Mächte preisgegeben, in der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts unter den Einfluß der Geschichte und der Dichtung gerieth, so in der zweiten Hälfte unter den der Naturwissenschaft und der Musik. Sie ist jetzt so wenig selbstherrlich und aus sich ihre Gesetze bestimmend wie damals! –
Heißt dies aber so viel, als daß es ganz trostlos aussieht? Hier sage ich: nein, doch nicht. Der Impressionismus hat keine Zukunft, er hat sich langst selbst überboten. Er ist, genau betrachtet, schon todt. Schon regt sich, so allgemein er durch die Kunstliteratur als Evangelium gepredigt wird, der Widerspruch gegen ihn in Deutschland – und ganz besonders bei uns im Westen – als gegen ein Fremdes, zum Unheil Übernommenes. Schlichtheit, Deutlichkeit wird gesucht. Phantasie und Gefühl verlangen ihr Recht, und es zeigen sich hoffnungsvolle Erscheinungen, die wir freudig begrüßen wollen, verhindert uns auch der ernste Blick in unsere kulturellen Verhältnisse und deren unkünstlerischen Charakter an utopistischen Traumen. Edlen, jugendlichen Bestrebungen den Weg zu bahnen, sie vom Druck tyrannischer Dogmen zu befreien, das ist es, was ich mit diesen Vorlesungen möchte. Die Kunst ist krank. Schauen wir ihrer Gesundung entgegen!