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Unsere Kreise verengern sich. Aus dem Bereich des Allgemeinen senken wir uns mehr und mehr zu dem Besonderen herab. Wir hatten uns das letzte Mal mit unerbittlicher Wahrhaftigkeit einzugestehen, daß die bildende Kunst des XIX. Jahrhunderts als ein Ganzes sich nicht vergleichen läßt mit großen künstlerischen Perioden vergangener Zeit, mit der hellenischen, der mittelalterlichen, der Renaissance. Vier Schwächesymptome wurden uns bekannt: die Stillosigkeit, das Vorwalten der Reflektion, die Abhängigkeit von älteren Vorbildern und der Wechsel der Richtungen. Drei dieser Erscheinungen verlangen eine noch etwas eingehendere Betrachtung, ehe wir kurz den historischen Verlauf der Dinge uns vergegenwärtigen.
Eine Kunst, die nicht aus volksthümlichen Ideen und Nothwendigkeiten ihre Nahrung und Kraft zieht, ist von jeher gezwungen gewesen, sich an fremde Muster zu halten. Eine solche Anlehnung ist nicht zu verwechseln mit der Lehre, die ein noch jugendliches und unerfahrenes Volk bei Völkern sucht, welche eine vorgeschrittene Kunst und Kultur besitzen, wie z. B. die Griechen bei den Orientalen, auch nicht mit dem zeitweiligen Sichaneignen der Fortschritte, welche mitstrebende Nachbarn gemacht, wie es sich in den Wechselbeziehungen der Nationen im Mittelalter zeigt, auch nicht mit dem Suchen nach Belehrung und Inspiration seitens der alten Kunst behufs Lösung eigener großer Aufgaben in schon entwickelten Stadien des Könnens, wie in der italienischen Renaissance. Vielmehr handelt es sich um bewußte Versuche der Wiedergestaltung alter Ideale, durch die man die Leere an eigenen Konzeptionen ausfüllen und dem Mangel an Gestaltungskraft abhelfen will, von ehrlicher Überzeugung beseelt und auch bemüht zu lernen, aber in wunderlichen Fiktionen befangen, denn wohl kann man dem großen Alten wichtigste Belehrung entnehmen, aber niemals dessen Anschauungen und Sprache sich wirklich zu eigen machen. Diese Art der Anlehnung ist der neueren Kunst bis in ihre dritte Phase hinein eigenthümlich, in der letzten jüngsten wehrte der Naturalismus einer gleichen Abhängigkeit.
Die Einflüsse künstlerischer Vorbilder, die im XIX. Jahrhundert nacheinander eintreten, waren folgende. Zuerst in den Zeiten, in denen durch das hellseherische Auge Winckelmanns die einfache, kraftvoll erhabene Schönheit des Griechenthums wieder entdeckt worden war, wurde die Antike das Ideal. Dann in der Reaktionsbewegung der Romantik, welche sich den alten Besitzthümern mittelalterlichen christlichen Lebens zuwandte, ward an Stelle des Antiken, welchem sich bereits italienische Muster des XVI. Jahrhunderts zugesellt hatten, die Kunst des Mittelalters und der Renaissance zum Leitstern. Einerseits die italienische: Raphael, Michelangelo und solche altere Maler der florentinischen und umbrischen Schule, welche dem Wunsche nach innigem Seelenausdruck besonders die Wege zu weisen schienen, und andererseits die empfindungsvollen, bald zart träumerischen, bald gewaltig leidenschaftlichen Schöpfungen der deutschen Kunst, der primitiven sowohl, als Dürers und Hohlbeins. Als hierauf das Interesse von koloristischen Fragen und Problemen erregt wird, tritt der Augenblick ein, da man das Heil in der Nachfolge der großen spezifisch malerischen Erscheinungen der Vergangenheit, die man bis dahin noch nicht beachtet hatte, erkennt. Nun halten die Venezianer, die Niederländer ihren Einzug. Und wollen wir noch weiter gehen bis in die neuesten Zeiten, so vernehmen wir die Parole, die, in Frankreich ausgegeben, auch in Deutschland wiederhallt: die Spanier, vor allem Velasquez! und fast zu gleicher Zeit, wie man diesen die Berechtigung zu rücksichtslosem, gewaltsamem Naturalismus entnimmt, wendet man sich, als die Fundgruben europäischer Kunst ganz erschöpft sind – Sie wissen, wie im Kunstgewerbe auch das Rokoko und das Empire verwerthet ward, ja schließlich der Biedermeiergeschmack –, nach Asien an die Japaner, ja liebäugelt mit der alten orientalischen und auf dem Gebiete der Ornamentik mit der prähistorischen Kunst. Bis auf den heutigen Tag sind wir, wenn auch das eifrige Naturstudium in den letzten Jahrzehnten ein Gegengewicht bot, aus der Anlehnung an fremde Vorbilder und aus deren Ausnützung nicht herausgekommen. Gar Vieles, was von einem nicht näher unterrichteten Publikum für originell und für gänzlich neu gehalten wird, erweist sich für den Kenner bei näherer Betrachtung trotz aller Verkleidung und trotz einer nicht seltenen Verzerrung als entlehntes Gut.
So viel über die Abhängigkeit. Was die Beeinflussung der Malerei durch die gleichzeitigen Wissenschaften und die anderen Künste betrifft, so schieben wir die Erörterung dieses Momentes noch ein wenig auf, um uns zuvor über das Vorwalten der Reflektion klar zu werden.
Auch hier haben wir wieder, um jede irrige Auffassung auszuschließen, eine Bemerkung vorauszuschicken. Ohne Reflektion kommt kein Kunstwerk zu Stande. Den Künstler sich als ein gedankenloses Werkzeug bloßer Gefühlsimpulse zu denken, so weit würde wohl selbst der verstiegenste mystische Romantiker nicht gegangen sein. Kein Kunstwerk entsteht ohne vieles Denken, sowohl was die Komposition, als was die Ausführung anbetrifft. Die Frage ist nur die, was das Erste, das heißt: welcher Art die Konzeption ist. Geht sie aus einer das Gefühl bewegenden Anschauung, die dann während der Ausführung weiter wirkt und sich des Verstandes nur als Gesellen bedient, oder von vornherein aus einer Verstandesabsicht hervor? Das erste ist das Künstlerische, das zweite das Unkünstlerische. Und wenn ich hier von Reflektion spreche, so meine ich sie in dem zweiten Sinne.
In zweierlei Weise nun zeigt sich diese an Stelle der Anschauung tretende Reflektion, welche die künstlerische Schwäche im XIX. Jahrhundert verräth. Einmal, indem die Kunst zum Vehikel von Gedanken gemacht wird, gedankenhaft wird. Es kann nicht verwundern, daß gerade in Deutschland, bei dem Volke der Denker, dies ganz besonders der Fall ist. Ein Programm, häufig genug ein tendenziöses, das viel zu denken geben will, wird aufgestellt und das Kunstwerk hat es zu verdolmetschen. Es genügt, wenn ich auf die wohlbekannten lehrhaften Allegorien – die von künstlerischen wohl zu unterscheiden sind –, auf die Historienbilder und auch auf sittenbildliche Darstellungen hinweise, die vom Verstande eingegeben auch nur an den Verstand appelliren. Sie waren besonders der ersten Hälfte des Jahrhunderts eigenthümlich; doch tauchen neuerdings wieder solche Dinge auf. Die andere Art der Bethätigung der Reflektion, welche in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in den Vordergrund tritt, betrifft nicht den Inhalt der Darstellung, sondern das Formale. Es ist die Bestimmung des künstlerischen Schaffens durch Theorien und Probleme, denen Prinzipien entnommen werden. Auch hier ist das Künstlerische ernstlich bedroht. Nicht eine unmittelbare Anschauung ist das Erste, sondern alle Anschauung hat sich einem aufgestellten Gesetze zu fügen. Die Natur wird mit voreingenommenen Augen angeblickt; man will sie in einer besonderen Weise sehen und wiedergeben, oder aber man entnimmt gewisse Vorstellungen von Gesetzmäßigkeit den Werken hohen Stiles und arbeitet nun nach dieser Regel. Da aus Theorien niemals wirkliche Kunst hervorgehen kann, so gewiß das Studium des Gesetzmäßigen nicht vernachlässigt werden darf, begreift es sich, daß jeder solchen Theorie nur ein kurzes Leben beschieden ist. Sie wechseln ähnlich wie die Vorbilder älterer Kunst, an die man sich hielt. Daß sie aber gerade in der allerneuesten besonders mächtig wurden, erklärt sich leicht. Je mehr sich die Erkenntniß einstellte, daß man keinen großen Stil besaß und zudem nicht originell war, daß in der That die alte Kunst etwas Unvergleichliches voraus hatte, desto mehr mußte man zum Sinnen darüber aufgefordert werden: einerseits wie ist denn Stil, wie ist Gesetzmäßigkeit zu erlangen, und andererseits: wie können wir etwas Neues, noch nicht Dagewesenes machen? Gewiß soll nicht geleugnet werden, daß diese Versuche aus ernstestem Streben hervorgingen. Sogleich aber stellte sich, abgesehen von der Lähmung der schöpferischen Phantasie, die Gefahr ein, daß durch Theorien und Prinzipien, auf die man schwor, Alles heilig gesprochen werden konnte. Und es kam zu höchst bedenklichen Folgen, zu einer Rechtfertigung selbst des künstlerisch Absurdesten und Perversesten, worüber ich mich noch zu äußern haben werde. Denn wo der Verstand bei der künstlerischen Thätigkeit das erste Wort spricht, da wird Alles möglich, da können die Grenzen, die durch Scheu und Anstand bestimmt werden, unberücksichtigt bleiben, denn diese werden nur vom Gefühle innegehalten. Da werden Dämonen losgelassen, die, dem Ächten und Guten feind, alle bösen Triebe zu entfesseln die Fähigkeit haben. Die Beispiele dafür, wozu bloße Phantome von Reflektionen, von formalen Prinzipien, die zu Herrschern der Kunst gemacht werden, verleiten können, sind uns Allen vor Augen. Theorien können zur Vergewaltigung, zur Vernichtung der Kunst überhaupt führen!
Die jüngsten Prinzipien sind der Naturwissenschaft entlehnt worden. Die Untersuchung, in wie weit die neuere Malerei auch von anderen geistigen Mächten beeinflußt ward, was und wie sie von allen Seiten aufnahm, wäre eine sehr fesselnde. Ich beschränke mich auf die Hervorhebung einiger allgemeiner Thatsachen. Sie sind bezüglich der Wissenschaften diese, daß in der ersten Hälfte des Jahrhunderts die Geschichte bestimmend einwirkte, wovon die Historien, Allegorieen und auch die Sittenbilddarstellungen ein untrügliches gemeinsames Zeugniß ablegen, in der zweiten Hälfte aber die Naturwissenschaft, deren nicht minder starke Einmischung nicht nur in jenen Theorien, sondern in der ganzen Art des Naturstudiums sich äußert. Von den herrschenden Künsten der Zeit war es zuerst die Dichtkunst, die die Malerei ihre Macht fühlen ließ. Zu allen Zeiten hat die Dichtung Plastik und Malerei inspirirt – dichterisch geformte Vorstellungen sind Vorwürfe größter Kunstwerke geworden. Nicht von diesen gesunden und natürlichen Verhältnissen ist die Rede. Das Unkünstlerische lag darin, daß die Malerei, ihre eigenen Vorrechte aufgebend, die Dichtkunst nachahmen wollte und damit aus ihrem Bereich herausschritt. Indem sie erstens Gedanken mittheilen wollte, was zu allegorischem Spintisiren führte, zweitens zu Gunsten der gegenständlichen Erzählung die sinnlichen künstlerischen Faktoren vernachlässigte und drittens theatralische Effekte suchte. – In der Malerei seit den fünfziger Jahren gewann der Einfluß der Musik die Überhand. Wenn Schiller die Stimmung, aus der seine dichterische Konzeption hervorging, eine musikalische genannt hat, so darf diese Äußerung wohl auf die Gefühlsbewegung, die allem künstlerischen Schaffen vorangeht, ausgedehnt werden. Hier, in dieser neuesten Malerei aber handelt es sich um etwas Anderes, um ein Wetteifern mit der Musik, um ein Verwerthen der Farben im Sinne von Tönen. Ein äußerster Gegensatz zu den dichterischen Neigungen tritt ein: das Gegenständliche wird gleichgültig. Nur Farbensensationen sollen hervorgebracht werden, die unser Auge stimmen wie die Töne das Ohr. Auch hier verzichtet die Malerei auf ihre eigene Machtvollkommenheit und begiebt sich, ihre reichen Fähigkeiten der Weltschilderung aufgebend, in die Sklaverei einer anderen Kunst. Hierauf komme ich später zurück.
Abhängigkeit, vorwaltende Reflektion – es bleibt das Dritte: der Wechsel der Richtungen. Große Kunstepochen weisen, wie wir früher betrachteten, Einheitlichkeit in der gesamten Entwicklung künstlerischer Ideale, sowohl dem behandelten Vorwurf als der Formensprache nach, auf. Wie in einer Kette lassen sich die Glieder des Zusammenhanges verfolgen, von der Entstehung der Ideale bis zu deren Verwirklichung. Einen solchen einheitlichen Zusammenhang können wir im XIX. Jahrhundert nicht feststellen, nicht eine sich steigernde Ausbildung bestimmter Vorstellungen, daher nicht eine Entwicklung, vielmehr nur erstaunlich schnell wechselnde Tendenzen, Moden, die einander, und zwar zumeist in Gegensätzen, ablösen. Daher muß jeder Versuch einer Bestimmung und Unterscheidung von Entwicklungsstadien scheitern. Ja, fast scheint es, als könnten wir nur, indem wir den Thatsachen Gewalt anthun, die Erscheinungen in bestimmte Gruppen zusammenfassen, denn immer wieder lassen sich einzelne Persönlichkeiten nicht in diese einfügen, und zwar um so weniger, je bedeutender sie sind. Persönlichkeiten, die, dank starker Intuition und unabhängiger Phantasie, Wege finden, die von der Heerstraße ganz abliegen. Gerade diese aber sind, wenn sie auch Nachahmung finden, nicht eigentlich Begründer von Richtungen, sondern stehen abseits von diesen, indessen für der letzteren Entstehung allgemeine Zeitanschauungen, die von begabten Einzelnen zum Ausdruck gebracht oder zu Theorien gemacht werden, maßgebend sind. Nicht unter den Urhebern der zu ausgedehnter Herrschaft gelangenden Strömungen also, muß solchen auch eine besondere Stellung zugewiesen werden, sind die größten künstlerischen Persönlichkeiten zu finden, sondern unter den mehr oder weniger isolirt schaffenden Geistern. Dies beweist, daß den Richtungen an sich etwas Unkünstlerisches anhaftet, dem eben die wirklich schöpferischen genialischen Naturen das Künstlerische gegenüberstellen, und es beweist ferner, daß von einer eigentlichen Entwicklung, wie in großen Kunstepochen, nicht die Rede sein kann. Denn in diesen sind die Genies die Pfadfinder und Leiter der gesamten Bewegung, die Gestalter der großen Fortschritte, welche neue Phasen eröffnen. Sie wachsen natürlich, wenn auch mächtig über die Anderen sich erhebend, aus der ihnen vorangehenden Kunst heraus. Denn sie sind Verkündiger vorwärts drängender Ideen, auf deren Verwirklichung es einem ganzen Volke ankommt, sind deren Träger, die Führer der Entwicklung.
Ist nun auch eine solche Entwicklung nicht zu erkennen, so läßt es sich doch gewiß nicht bestreiten, daß bei allem Wechsel der Richtungen ein gewisser genereller Fortschritt im Verlaufe des Jahrhunderts sich geltend gemacht hat. Daß so viele ausgezeichnete und eifrige Bestrebungen nicht Früchte getragen haben sollten, ist ja undenkbar. Dieser Fortschritt, mit dem die Veränderungen in der Technik zusammenhängen, ist der vom rein Zeichnerischen zur Farbe. Wie die Kunst des XIX. Jahrhunderts in raschem Fluge die historische Folge der älteren Kunstepochen: Antike, Mittelalter, Renaissance und spätere Zeit, wiedergespiegelt hat, so hat sie gleichsam auch die geschichtliche Aufeinanderfolge der formalen Prinzipien, wie sie innerhalb einer Kunst stattfindet, in kürzestem Zeitraum wiederholt. Wie in einem kurzen Überblick hat sie veranschaulicht, welchen Weg die Malerei, nach ihrem gesamten großen Werdegang betrachtet, durchläuft: den Weg von der Umrißzeichnung bis zur Lichtdarstellung. Also ein Fortschritt in der malerischen Anschauung und Gestaltung ist gewiß unverkennbar. Es fragt sich nur, wie hoch wir seine Bedeutung einschatzen sollen, es fragt sich, ob die impressionistische Malerei, die solchen Anspruch erhebt, einen Fortschritt über die ihr vorangehende koloristische Kunst darstellt oder in ihr bereits wieder ein Verfall zu sehen ist. Eine Antwort hierauf kann ich jetzt noch nicht geben. Sie hängt von der Auffassung der einzelnen Erscheinungen und im Besonderen davon ab, welchen Werth wir der Malerei in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, die ja zumeist heute abfällig beurtheilt wird, und dann wieder der gegenwärtigen, die von Vielen für das Höchste gehalten wird, zuerkennen müssen. Wir wenden uns diesen einzelnen Erscheinungen zu.
Ich möchte hier von vorneherein jedem Mißverständniß vorbeugen. Eine eigentliche Darstellung beabsichtige ich nicht zu geben, nur eine kurze Hervorhebung dessen, auf was es mir besonders ankommen muß. Die Namen aller derer, die einen ehrenvollen Platz in der Geschichte der neueren deutschen Malerei einnehmen, kann ich auch nicht entfernt anführen. Ich hebe nur solche Persönlichkeiten hervor, die in irgend einem Sinne für meine Betrachtungen bezeichnend und wichtig sind. Manche bedeutende und der Beachtung höchst würdige nenne ich nicht, darunter auch Jetztlebende, denen Dankbarkeit und Hochschätzung bezeugen zu dürfen, mir eine freudige Genugthuung sein würde. Es ist mir um die allgemeinen, von mir aufgestellten Fragen, nicht um eine gleichmäßig auf Alles eingehende Schilderung zu thun. So werde ich mich auch bei der Besprechung des Klassizismus und der Romantik, indem ich nur die ja allgemein bekannten Thatsachen in die Erinnerung rufe, kürzer aufhalten und das Schwergewicht der Betrachtungen auf die neueren und neuesten Dinge legen.
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Der Klassizismus trat ein als eine Reaktion gegen das verschnörkelte Wesen der lüstern-spielerischen Gesellschaftskunst des Rokoko. Erhabene, ruhige, klare Formen werden das Ziel. Geist und Auge richten sich mit frischer Empfänglichkeit empor zu den Höhen der keuschen Schönheit des Griechenthums. Da die erhaltenen Reste des Alterthums im Wesentlichen plastischer und architektonischer Art waren, auch an diesen die einstige Bemalung geschwunden war, erhielten die Maler keine Anregung nach der Seite der Farbe hin, sondern erkannten ihre Aufgabe, die Farbe ablehnend, in einer strengen Zeichnung. Diese allein schien der gesuchten Reinheit und Schönheit der Form gerecht zu werden. Die Malereien des Bildhauers Michelangelo machten tiefen Eindruck. Was man ausdrücken wollte, das waren ideale Vorstellungen vom Menschlichen nach seinem ewigen, in der Mythologie geformten Gehalte. Von neuem erschließt sich die Gestaltenwelt alter Dichtung, Dem gedankentiefen Carstens genügt es, sein reiches, inneres Leben in Zeichnungen auszusprechen, Bonaventura Genellis dichterischem Geiste bleibt der Stift das eigentliche Werkzeug. Die klassische Richtung wird nicht in solchem Sinne von der romantischen abgelöst, daß die eine die andere aufhöbe und ausschlösse, wie man anzunehmen gerne geneigt ist. Auf lange Zeit hinaus bleibt sie wirksam bis in die Werke Böcklins hinein und weiter. Das Klassische ward ein Bestandtheil der deutschen Kunstanschauung, und niemals, wie manche neueste Dinge wieder zeigen, hat man mit ihm ganz abgeschlossen. Der Augenblick, in dem dies einträte, wäre, wie für unsere allgemeine Bildung, so auch für die Kunst von unheilvoller Bedeutung. Aber es ist auch nicht zu befürchten, denn das Griechenthum hat ein unverwüstliches Leben. Auch die Wiedergabe der südlichen Natur in großer Linienführung, wie sie Joseph Anton Koch zum Thema seiner großartigen Landschaftsdarstellung gemacht, erhielt sich bis weit in das Jahrhundert hinein. Die Zeiten bereits durchlebter Romantik sehen Friedrich Prellers Odysseebilder entstehen. Nur daß vielfach die klassischen Formen mit romantischen Stimmungselementen sich vermahlen.
Abseits von dieser Kunst, welche das deutsche Wesen freilich in sehr fremdartiger Verhüllung und nur im Ringen starken Ausdrucks mit übernommenen Formen zeigte, spricht sich unverhüllt die deutsche phantasievolle Art und innige Empfindung mit großer Natürlichkeit, aber unbeholfen an manchen Orten, in verborgenen Künstlererscheinungen, die lange unbeachtet blieben, aus. Ich nenne von Vielen, über die uns die nachstjährige Jahrhundertausstellung in Berlin neue Aufschlüsse zu geben verspricht, nur einen, den Hamburger Philipp Otto Runge, um dessen wie Anderer Kenntniß Lichtwark ein so schönes Verdienst sich erworben hat. Man darf in seiner erfindungsreichen, natürlich lebendigen, warmen Kunst die ersten Erscheinungen der Romantik sehen, welches Wort wir in dem bestimmten, beschränkten Sinne fassen, den es in der Literaturgeschichte hat. Sonst läge die Gefahr vor, die auch nicht immer vermieden worden ist – noch neulich nannte man Thoma einen Romantiker –, deutsch und romantisch zu verwechseln, und alle besonders phantasievolle Kunst als romantisch zu bezeichnen.
Die Romantik, die nicht minder innig, ja noch näher mit der Poesie zusammenhängt wie der Klassizismus, in schwärmerischen Fiktionen von einer Neubelebung christlichmittelalterlicher Ideen und Vorstellungen befangen, ging vor Allem auf Rührung und Bewegung der zarteren Gemüthssaiten aus. Stimmungen von geheimnißvoller, inbrünstiger Art sollen erweckt werden. Da konnte es denn nicht ausbleiben, daß die Zeichnung allein nicht befriedigte, daß man der Farbe bedurfte – in Deutschland freilich zunächst noch in geringem Maße, denn während in Frankreich das Kolorit sofort zu großer Wichtigkeit gelangte, bleibt in der deutschen Malerei das Zeichnerische lange vorherrschend. Christliches, Sage, Märchen, Geschichte, bürgerliches Volksleben werden Gegenstand der Darstellung, die Wiedergabe heimischer Landschaft tritt ein. Alles in Allem drängt es den Deutschen, sich gleichsam sein eigenes Wesen zu vergegenwärtigen und sich hierin zu gefallen und genießen. In dieser Absichtlichkeit ist die Schwäche der künstlerischen Produktion begründet, sie zeitigt das Sentimentalische und das Pathetische. Wenige Persönlichkeiten haben die Kraft, sich von dem Einen oder dem Anderen ganz freizuhalten. Die gesamte Bewegung umfaßt verschiedenartige Erscheinungen.
Die eine und erste, die mit so besonderer Ersichtlichkeit in der Literatur hervortritt, ist die dem Katholizismus zustrebende religiöse. Die Maler suchen ihre Vorbilder in den gefühlsinnigen Werken primitiver Meister: der Vorgänger Raphaels, sowie Raphaels selbst, deren Kompositionsweisen für sie maßgebend werden, und der Deutschen des XV. Jahrhunderts. Die Führung übernahm der sanftgesinnte kraftlose, aber ernst bestrebte Friedrich Overbeck, dem sich der schwachmüthige Philipp Veit anschloß. Die klösterlich künstlerische Genossenschaft von S. Isidore in Rom gewann den Charakter einer Schule, deren Anhänger die Nazarener genannt wurden. Der impulsive Joseph von Führich, der feinfühlige Eduard Steinle setzten diese Bestrebungen fort. Dem Religiösen gesellen sich profane Momente illustrativen Charakters, Züge aus einer träumerisch verklarten Wirklichkeit.
Verglichen mit dieser Richtung, die in dem Trachten nach sanfter Schönheit in Süßlichkeit, in der Verschwommenheit des Empfindens bis zur Unwahrhaftigkeit führen konnte, aber in ihren besseren Schöpfungen feine malerische Qualitäten aufweist, erhebt sich kraftvolles deutsches Gefühl und starke deutsche Phantasie, wenn auch gebunden in der Formensprache, zu mächtigem Ausdruck in der Kunst des Peter Cornelius. Außer in kunstgeschichtlichen Schilderungen kümmert man sich heute wenig mehr um ihn, und doch war er einer der potentesten Meister der neueren Zeit, eine leidenschaftliche, energische Persönlichkeit, von höchstem deutschen Idealismus erfüllt. Aus dem Klassizismus hervorgehend, aus dessen Elementen und dem Studium Dürers und Michelangelos seinen persönlichen Stil sich bildend, ist er Zeit seines Lebens immer ein Zeichner geblieben. Mit der Farbe sich zu befassen, widerstrebte ihm. Scharfe plastische Bestimmtheit der Formen erschien ihm als die einzige überzeugende Verdeutlichung starken inneren Erlebens. Und er hatte für sich Recht. Wer vom Standpunkte moderner malerischer Anschauung mitleidig auf diesen Kartonzeichner herabschauen wollte, verriethe die Einseitigkeit seines Urtheiles. An Intensität und Größe künstlerischen Wollens dürften nur Wenige im XIX. Jahrhundert sich ihm vergleichen lassen. Daß einem solchen Geiste nicht die Befreiung von dem Banne älterer Kunstformen vergönnt war! Vielleicht bei keinem Anderen offenbart sich die Tragik des Künstlerlooses in der Neuzeit wie bei ihm. An seine Kunst, die auf monumentalen Freskenstil ausging, knüpften Andere an, unter denen ich den freilich viel schwächer gearteten Julius Schnorr von Carolsfeld anführen möchte, ohne daß sich eine eigentliche Schule hätte bilden können. Vielmehr ward der Wahn der Monumentalität zum Verhängniß.
In bescheideneren Grenzen verharren andere Maler, welche durch Sagen und Märchen inspirirt werden. Alfred Rethel freilich, in seinen Fresken und Holzschnitten, welche die eindringliche Erzählerkunst der Dürerschen Zeit wiedererwecken sollen, hat einen Zug zum Großen und Gewaltigen. Aber ihn mit Cornelius vergleichen zu wollen, geht doch nicht an. Eine krampfhaft erregbare Phantasie, die von düsteren Vorstellungen beherrscht ist, reißt ihn zu Gewaltsamkeiten hin. Das Leidenschaftliche seiner Werke kann den Eindruck fast des Gewollten machen. Man vergleiche seinen Totentanz mit dem Holbeinschen, um die Grenzen, die seiner großen Begabung gesetzt waren, zu erkennen.
Nach seiner heiter sinnigen, das Leben freudig auffassenden Natur bildet Moritz von Schwind zu ihm einen Gegensatz. Zarte Naturempfindung und dichterische Veranlagung lassen ihn zum Märchenerzähler werden. Nicht glücklich, sobald er Gemälde monumentalen Charakters schaffen will, weiß er seinen kleinen Bildern selbst gewisse koloristische Reize zu verleihen, so zaghaft, ja kränklich sein Farbengefühl ist. Das Deutsche, auch nach der Seite des Humors wirksam, drückt sich hauptsächlich in seiner Waldesverherrlichung aus, wird aber in den Figuren durch ein konventionelles Schönheitsideal gehemmt. Indem er Landschaft und Menschenwesen zu stimmungsvollen Eindrücken verbindet, weist er auf Möglichkeiten hin, die auszunützen ihm freilich versagt blieb. Denn hierzu gehörte eine ursprünglichere Kraft der Anschauung, als ihm zu eigen war.
An malerischer Beanlagung übertrifft ihn Karl Spitzweg. Dessen kleine Bildchen, welche mit Witz und Schrullenhaftigkeit humoristische Typen in der engen Umgebung deutscher winkliger Straßen schildern und durch Reize der Lichtwirkung ausgezeichnet sind, gehören zum Feinsten und Originellsten der Epoche.
Am ausgeprägtesten deutsch aber unter diesen Kleinmeistern ist wohl Ludwig Richter, der die Kraft und Einfalt besaß, über Eindrücken der heimischen Landschaft alle in Italien gemachten Studien zu vergessen und in der täglichen schlichten Umgebung seine Motive zu suchen. In eng umgrenztem bürgerlichen Dasein, voll Liebe zu der es traulich umfriedigenden Natur und zu der Kinderwelt, hat er in seinen anspruchslosen Zeichnungen dem reichen Leben eines treuen Gemüthes einen schier unerschöpflichen Ausdruck verliehen.
Auf dem Gebiet der eigentlichen Landschaftsdarstellung erhalten sich neben den eben erwähnten Verwerthungen heimischer Motive, die wir auch bei anderen erst neuerdings beachteten und auf der augenblicklich veranstalteten interessanten Landschaftsausstellung in Berlin zur Geltung kommenden schlichten Künstlern finden, noch lange, wie ich bereits bemerkte, klassische Traditionen, die sich mit Elementen deutscher Natur verbinden. Unter den Malern, in deren Kunst solche Eigenthümlichkeiten auftreten, mochte ich nur einen nennen, den Lehrer Böcklins und Thomas, Johann Wilhelm Schirmer, dessen Schule in Düsseldorf und in Karlsruhe eine große gewesen ist. Ihm zur Seite, aber ganz der deutschen Natur und, wie Schwind, besonders dem Wald ergeben, steht in ersterer Stadt Karl Friedrich Lessing, der sich, viel mehr als in seinen Historien, in seinen Landschaften künstlerisch bewährt hat.
Das Urtheil über den Verfertiger der Fresken im Treppenhaus des Neuen Museums zu Berlin, Wilhelm von Kaulbach, der eine höhere Berühmtheit als die meisten Anderen seiner Zeit besaß, ist längst gefällt. Der Einfluß seiner Malerei, die zwischen dem Gedankenhaften und sinnlich Pikanten hin und her schwankt, ist für das deutsche Publikum verderblich geworden. Die Unwahrhaftigkeit in seinem Schaffen ist es, die Einen sagen läßt: hier ist man nahe an die Grenze dessen gekommen, was als künstlerisch pervers zu bezeichnen ist.
Auch ein Anderer, auf den dieses Wort aber nicht anzuwenden ist, und dessen Bedeutung wir als Landschafter schon schätzten, Lessing, hat durch seine Historienbilder gefährlich gewirkt. Sie leisteten, kraftlos in Form und Farbe, der Vorliebe der Menge für Pathos und Pose, für theatralische Effekte, sowie dem unkünstlerischen Interesse rein für das Gegenständliche Vorschub.
Schon aber zeigen sich Bestrebungen ganz anderer Art. Eine neue Richtung stellt sich ein, die man bezeichnen könnte als die Wiederbelebung koloristischer Ideale. Zum ersten Male macht sich der französische Einfluß geltend, gleichzeitig mit Einflüssen großer älterer koloristischer Schulen. Auf Frankreich hat sich zunächst unser Blick zu richten, und zwar mit freudiger Bewunderung der großen Errungenschaften, welche dort die Malerei, der deutschen voraneilend, gewonnen hat, in Schöpfungen, die zu dem Schönsten und Bedeutendsten gehören, was die Kunst des XIX. Jahrhunderts überhaupt hervorgebracht hat.