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Während Desiré sich auf einem Seitenweg davonschlich, hörte Vater Charmois ein Geraschel von seidenen Röcken und sah Florence, die ältere, mit Prosper Vigneron, ihrem Mann, und Marius Lavaur, ihrem Schwager, langsam durch den Garten gehen. Jetzt hatte sie ihn entdeckt, flog auf den Vater zu und umarmte ihn stürmisch. Charmois küßte sie herzlich, denn wenn er auch nicht immer zufrieden war mit seinen Töchtern, ihnen böse zu sein, brachte er nicht fertig. Die Hände der Tochter in den seinigen behaltend, sah er sie mit väterlicher Bewunderung an und brach in die Worte aus: »Sieh' mal einer an! Hat sich der Racker fein gemacht!«
Florence Vigneron hatte allerdings ihr Möglichstes gethan. Ein Kleid von myrtengrüner Seide brachte die schönen Farben der rotblonden Frau zu voller Geltung. Unter dem mit Blumen überladenen Hut war das üppige leuchtende Haar hoch aufgekämmt und ließ ein blütenweißes verführerisches Stückchen Nacken frei. Der breite Hutrand beschattete die großen grünlichen Augen und das Näschen mit den weit geöffneten Nüstern, der sinnliche hübsche Mund leuchtete herausfordernd. Die etwas rundliche aber gut gewachsene junge Frau, schnürte sich ziemlich stark und war jetzt mit achtundzwanzig Jahren eine voll erblühte, wenn auch nicht edle Schönheit, mit einer Mischung von Gefallsucht und Sinnlichkeit, die nicht nur alle Jünglinge, sondern auch reife Männer anzog.
»Ja, Papa, dir zu Ehren habe ich mich so schön gemacht!« sagte Florence, sich anmutig wendend, daß er sie von allen Seiten bewundere.
»Nun und dem Mann zu Ehren doch auch,« erwiderte Charmois, seinem Schwiegersohn vergnüglich zunickend.
»Ach, der Mann kommt dabei nie in Betracht,« warf dieser sauertöpfisch hin. »Wenn Ehemänner nur die Schneiderrechnungen bezahlen, ob ihnen die Kleider gefallen, ist einerlei.«
Prosper Vigneron war ein langer, magerer, gelbsüchtiger Herr in mittleren Jahren mit schleichendem Gang und je nach Anlaß unterwürfigem Gebaren. Haare hatte er nicht mehr viel, auch waren Kinn und Oberlippe glatt rasiert, während ein Backenbart die Magistratsperson ankündigte. Die blinzelnden Augen verdeckte ein Kneifer mit blauen Gläsern und die schmalen Lippen gaben beim Sprechen gelbe, schlecht gestellte Zähne preis. In seinem unwandelbar schwarzen Anzug sah er halb einem Bauern, halb einem Kirchenältesten ähnlich und war ein mustergültiger Vertreter der kleinlichen, mürrischen, sich immer zurückgesetzt fühlenden Beamtengattung.
»Wo bleibt denn Leontine?« fragte der Vater, ohne Vignerons Ausfall zu beachten.
»Meine Frau bespricht sich mit ihrer Mutter,« gab der Professor, ein untersetztes, ungemein bewegliches Männchen, zur Antwort.
»Und da sie kein Ende fanden,« setzte Floren« hinzu, »bin ich davongelaufen, denn ich mußte doch den neuen Chevalier zuerst grüßen! Nimmt sich riesig gut aus, das rote Bändchen auf dem blauen Rock! Wenn ich denke, daß dir deine Rosen solche Ehren eintragen!«
Vigneron ließ ein ungläubiges meckerndes Lachen hören.
»Die Rosen ... haha ... schon mehr die Konnexionen! Gestehen Sie nur, Schwiegerpapachen, daß unser Präfekt die Hand im Spiel gehabt hat.«
»Da täuschen Sie sich aber gründlich, Vigneron!« gab Charmois gereizt zurück. »Ich habe gar keine Schritte gethan, der Minister hat mich aus freien Stücken vorgeschlagen, nachdem er die Rosen gesehen hatte.«
»Unter Napoleon dem Ersten«, bemerkte Vigneron, »verschwendete man das Kreuz nicht an Zivilisten, man sparte es für die Soldaten, die es mit ihrem Blut bezahlten.«
»Auf Rosen waren die allerdings nicht gebettet!« warf Lavaur, über den eigenen Witz schmunzelnd, hin.
Charmois kehrte ihnen plötzlich den Rücken, Florence aber hing sich an seinen Arm und rieb sich schmeichelnd an ihm.
»Was hat denn dein Mann? Speit ja Gift und Galle!«
»Schlechter Laune ist er, Väterchen, wegen einer Rechnung ... Denk dir, mich gelüstete rasend nach einem Armband, und da er mir ja doch nichts schenkt, hab' ich mir's gekauft ... als dann die Rechnung kam, verführte er ein Geschrei, gräßlich sage ich dir!«
»Hm ... so unrecht hatte er nicht,« bemerkte Charmois mit mildem Vorwurf. »Unvorhergesehene Rechnungen sind ärgerlich.«
»Der würde am liebsten gar keine bezahlen!«
»Recht leichtsinnig war's von dir, Kind ... was willst du denn jetzt machen?«
»Bequem ist's freilich nicht ... vielleicht, daß ich's nach und nach am Haushaltungsgeld abspare oder ... Väterchen, wenn du mir die Summe vorstrecken wolltest und ich sie dir allmählich abzahlen könnte?«
»Abzahlen? Bis zum jüngsten Tag etwa? Ich bin nämlich auch nicht sehr bei Kasse eben ... wie viel ist's denn?«
»Ach, eine Kleinigkeit! Dreihundert Franken ...«
»Das nennst du eine Kleinigkeit? Man sieht, du hast nie erfahren, wie sauer Geld verdient wird! Wenn's noch das erste Mal wäre ... aber du kommst oft' mit derartigen Anliegen und meine Kasse ist wahrhaftig nicht unerschöpflich ... ich muß dir sagen, Kind, du hast Anlage zur Verschwenderin.«
»Was, jetzt soll ich noch einmal Schelte bekommen, Väterchen? Ich sehe mein Unrecht ja ein und will mir's gewiß zur Warnung dienen lassen, aber an einem Tage wie der heutige, deinem Ehrentag, wirst du mich doch nicht stecken lassen!« bat sie mit einem Kuß.
»Hast du die Rechnung da?« fragte er.
»Gewiß, Papa, hier ...«
»So gib sie her. Ich will die Geschichte selbst ins reine bringen, aber in Zukunft nimm dich zusammen und kaufe nichts, was du nicht bezahlen kannst.«
Sie waren inzwischen an das mit Schlingrosen überwachsene Haus gelangt und traten in die gute Stube, die Empfangsraum und Comptoir zugleich war. An den Wänden des mit verschossenen und abgeschabten Ripsmöbeln ausgestatteten Raumes hingen Aquarellbildchen und Farbendrucke, die von Firmin Charmois gezüchtete Rosen darstellten, und zu beiden Seiten des Kamins sauber eingerahmte Diplome, die ihm diese Rosen eingetragen hatten. Frau Charmois, die mit ihrer Tochter Leontine allein im Zimmer gewesen war, mußte mit dieser eine etwas unerfreuliche Unterredung gehabt haben, denn die Mutter sah sehr verstimmt aus und die Tochter hatte rote Augen. Beim Eintritt der andern trat ein verlegenes Schweigen ein. –
Regine Charmois, eine kleine, magere Frau, trug ein sehr einfaches pflaumenfarbiges Wollkleid. Sie beharrte eigensinnig bei dem gefältelten weißen Häubchen, das früher alle Bäuerinnen in der Umgebung von Paris getragen haben, und diese Kopfbedeckung über glatt gescheiteltem grauen Haaren, wie der strenge verschlossene Gesichtsausdruck verliehen ihr das Aussehen einer Klosterfrau. Die blauen Augen blickten scharf, klar, hart, die Nase war spitzig, die Lippen schmal, ihre Redeweise so nüchtern, wie ihr Anzug, nur durch volkstümliche Redensarten belebt. Die zweite Tochter, Leontine, glich ihr äußerlich, trug auch glatte, allerdings noch braune Scheitel, und das. schwarze Seidenkleid, das die magere eckige Gestalt umschloß, zeigte keinerlei Ausputz, dabei trug sie nie Schmuck und sah bedeutend älter aus als Florence; ihre einzige Schönheit waren die Augen.
Ein mißtrauischer Blick streifte den Vater wie die Schwester, die zärtlich angeschmiegt an seinem Arm hing, dann stand sie auf und berührte Charmois' Stirn mit ihren schmalen, trockenen Lippen.
»Guten Morgen, Vater,« sagte sie sauersüßlich. »Wenn ich gewußt hätte, daß Florence bei dir war, wäre ich auch gekommen ...«
»Ich glaubte, du kämest mir nach,« warf Florence gelassen hin; nun sie ihren Zweck erreicht hatte, war sie sehr menschenfreundlich gestimmt.
»Da schlägt's zwölf Uhr und mein Essen ist fertig,« sagte Frau Charmois. »Die Herren aber lassen auf sich warten.«
»Desiré zieht nur einen andern Rock an und Vigneron und Lavaur sind schon im Haus. Du kannst auftragen lassen, Mutter,« beschwichtigte Charmois ihre Hausfrauensorge.
Das Eßzimmer ging auf den Garten hinaus. Die durch weiße Rollvorhänge vor den offenen Fenstern gedämpfte Sonne verbreitete eine gleichmäßige freudige Klarheit über den Tisch mit dem blendend weißen Tischzeug und seinem Rosenschmuck. Charmois saß zwischen seinen Töchtern und ihm gegenüber zwischen den Schwiegersöhnen die Hausfrau, die den kalten gesulzten Schinken aufschnitt. Eine andächtige Stille verbreitete sich, bis der Professor, ein Freund der Tafelfreuden, seinen Gefühlen Luft machte.
»Ganz famos, dieser Schinken ... schmeckt nach mehr,« sagte er, seinen rasch geleerten Teller hinhaltend.
»Gesulzter Schinken ist ja der Stolz unserer guten Mutter, die als Köchin ihresgleichen sucht,« bemerkte Charmois.
»Und offenbar ihre Geheimnisse sogar vor den eigenen Töchtern hütet,« schaltete Vigneron gereizt ein, »denn ich werde nicht verwöhnt.«
»Rezepte machen's eben nicht allein,« erwiderte Frau Charmois mit vorwurfsvollem Blick auf die Töchter. »Man muß das Kochen selbst beaufsichtigen und Hand dabei anlegen, aber die jetzigen Frauen wollen Damen sein und sind mehr auf der Straße, als in der Küche zu sehen.«
»Das hängt von der Stellung ab, die man im Leben einnimmt,« entgegnete Leontine gereizt. »In Gelehrtenkreisen hat man gesellschaftliche Pflichten ...«
»Und Vergnügen will man auch haben und nicht daheim hocken wie eine Nachteule,« pflichtete ihr Florence bei.
»Vergnügen! Euer Vater und ich, wir nehmen uns nicht einmal die Zeit, daran zu denken! Den ganzen Tag Arbeit und oft nachts auch keine Ruhe! Wie oft ist Firmin nicht im Frühling bei Nacht aufgestanden, und wenn es hieß: »Frau, ein Frost kommt!« war ich gleich auf den Beinen, und wir haben vor Sonnenaufgang unsre Rosen gedeckt. Vergnügen! In dreißig Jahren sind wir keine dreimal im Theater gewesen ...«
»Das hast du uns schon oft erzählt,« fiel ihr Florence ungerührt ins Wort, »und du thust uns herzlich leid, Mama. So lebte man früher, jetzt aber, wo man in einer halben Stunde in Paris sein kann, hockt man nicht mehr daheim, wie die Schnecke in ihrem Haus.«
»Ja, ja, unsre Kinder machen sich's bequem,« sagte Charmois begütigend. »Das ist eben der Zeitgeist, der Fortschritt ...«
»Kommt was Nettes heraus dabei!« grollte Frau Regine.
Der jetzt erscheinende zweite Gang lenkte die Unterhaltung ab. Das Essen war gut, aber einfach wie der ganze Haushalt: eine Hammelskeule, Salat, die letzten Spargeln und ein selbstgemachter Kirschkuchen. Das Mädchen für alles trug die Speisen auf, während Charmois den Wein eingoß. Frau Charmois machte den Salat auf dem Tisch zurecht und der Professor betrachtete sich in dieser Pause seine Schwägerin.
»Donnerwetter, Frau Vigneron! Ihre Ohrringe funkeln ja, daß es einen schier blendet! Müssen ein nettes Sümmchen kosten, solche Kieselsteine!«
»Ein Gelegenheitskauf ... ich will Ihnen die Adresse geben. Sie werden sehen, daß Sie Ihrer Frau auch so etwas leisten können.«
»Danke sehr,« versetzte Leontine schnippisch. »Meine Art ist es nicht, von meinem Mann Geschenke zu verlangen, die über seine Verhältnisse gehen.«
»Sehr richtig, Frau Schwägerin,« versetzte Vigneron. »Man hat heutzutage genug zu thun, um das Nötige zu bestreiten ...«
»Und trägt sein Geld besser zum Bäcker als zum Juwelier,« fiel Frau Charmois ein. »Die Hauptsache aber ist, keinem etwas schuldig bleiben. Was ich nicht bar bezahlen kann, lasse ich ungekauft, und wenn jedermann diesem Grundsatz huldigte, bliebe viel Verdruß in der Ehe und manches Familienunglück erspart.«
Lavaur warf seiner Frau einen fragenden Blick zu, als er diese Worte hörte; doch die stumme Antwort, die ihm zu teil wurde, mußte nicht befriedigend sein, denn sein Gesicht wurde bekümmert und finster.
»Wollen wir nicht lieber von etwas anderm reden!« schlug Charmois vor, indem er aufstand und eine Sektflasche vom Anrichtetisch holte. »Ihr kommt heut' an lauter kitzliche Punkte!«
Er löste den Draht von der Flasche, der Kork sprang hinaus und die Gläser wurden gefüllt.
»Meine Kinder,« begann der Hausherr, seinen Kelch hochhaltend, »ich habe euch heute bei mir versammelt, um meine Medaille und dieses rote Bändchen, das sie zur Folge hatte, mit einem Trunk zu begießen ... Diese Ehre ist mir zu teil geworden, ohne daß ich danach getrachtet hätte, und sicher wollte die Regierung, indem sie zum erstenmal einem Rosenzüchter solche Auszeichnung verlieh, aller Welt zeigen, welch hohen Wert sie auf die Rosenzucht legt ...«
Der Biedermann ahnte in seines Herzens Arglosigkeit gar nicht, daß er mit jedem Wort die Eigenliebe seiner Schwiegersöhne aufs grausamste verletzte. Prosper Vigneron, der schon zehn Jahre auf seinem Posten als zweiter Kanzleivorstand war, strebte längst nach dem roten Bändchen, und Marius Lavaur, der alle Hebel ansetzte, um die akademischen Palmen zu erlangen, ärgerte sich wütend über die Bemerkung, daß Charmois keine Schritte gethan habe, diese Ehre zu erringen. So wurde der Trinkspruch sehr kühl aufgenommen, und erst nach geraumer Weile entschloß sich Vigneron zu einer Erwiderung.
»Verehrter Schwiegerpapa,« begann er in süßlichem Ton, »Sie sind wirklich glücklich zu preisen ... Während wir Staatsdiener jahraus jahrein unsre mühsame Arbeit verrichten, ohne daß die Regierung es der Mühe wert fände, den schlecht bezahlten Diensteifer anzuerkennen und uns zu ermutigen, tragen Ihnen die Rosen Reichtümer und ein Band ein, das der Staat oft seinen eifrigsten Dienern vorenthält. Sie sind Ritter der Ehrenlegion, in ein paar Monaten Bürgermeister ...«
»Oho!« unterbrach ihn Frau Regine. »So weit sind wir noch nicht und ich weiß auch nicht, ob wir's nur wünschen sollen!«
»Es wird nicht ausbleiben!« beteuerte Vigneron mit Bitterkeit. »Saint-Saviol wird sich damit brüsten wollen, einen Ritter der Ehrenlegion zum Ortsvorstand zu haben, das rote Bändchen wird der Köder sein, womit man die Wähler angelt ... ich wiederhole also, daß unser Schwiegervater glücklich zu preisen ist, und leere mein Glas auf seine Glücksader!«
Die Gläser klangen aneinander, aber ohne Lust; die Wolke von Verstimmung und Neid, die über diesem Familienfest lag, löste sich nicht auf, bis Desiré einen frischen Luftzug hereinbrachte. Er hatte sich einen Augenblick entfernt und kehrte jetzt zurück mit einem Wasserglas, worin eine wundervoll abgetönte Rose stand.
»Mein lieber Vater,« sagte er, »ich möchte auch mit dir anstoßen auf deine wohlverdienten Ehren, aber laß mich's mit Wasser statt des Weines thun! Diese Rose ist die köstlichste Gabe, die ich einem Kenner wie dir darbringen kann, sie ist eine Schöpfung des Hauses Charmois!«
»Mein Junge!« rief der Vater, ihn bewegt in die Arme schließend. »Eine schönere Weihe hättest du diesem Tag nicht geben können!«
»Was ist denn an diesem Röschen da so Besonderes?« fragte der Kanzleidirektor verächtlich.
»Dieses ›Röschen‹, Herr Schwiegersohn,« versetzte der alte Charmois, den Kopf in den Nacken werfend, »ist eine in Frankreich noch nicht eingeführte Spielart der Rose Kapitän Fertune, die jeder Liebhaber gern mit Gold aufwiegen würde! Mein Sohn hat sie geschaffen – das lernt sich freilich auf keiner Kanzlei!«
»Sie ist sehr hübsch,« flötete Florence. »Ich hoffe, daß du mir die Rose widmen wirst, Desiré?«
»Warum denn gerade dir und nicht mir?« rief Leontine wütend.
»Ihr seht,« erwiderte Desiré lachend, »daß es ganz unmöglich wäre, eine von euch als Taufpatin zu nehmen, und beide geht auch nicht an, drum wähle ich eine dritte,«
»Wie willst du denn die Rose nennen?«
»Das ist vorderhand mein Geheimnis,« versetzte Desiré, das Glas an sich nehmend, denn der schwesterliche Neid drohte seiner Rose Gefahr.
»Ach!« sagte Leontine in ihrem essigsaueren Ton. »Ein Geheimnis wie im Lustspiel! Natürlich soll sie Sabine heißen, man weiß ja, daß du an Toucheboeufs Nichte einen Affen gefressen hast!«
»An der mit dem vorgeschützten Kinn? Merkwürdiger Geschmack!« warf Florence verächtlich hin.
Die Gesellschaft erhob sich nun, um den Kaffee im Garten zu trinken, und der Professor benützte die Gelegenheit, zu seiner Frau zu treten und ihr zuzuflüstern:
»Nun, wie steht's?«
»Unerbittlich ... keinen Heller ...«
»Dachte mir's! Dann ist der Krach da!«
»Nein, nein ... ich mache noch einen Versuch beim Vater ...«
Im Hinausgehen hielt Leontine den Vater im Flur zurück, weil sie ihm etwas anzuvertrauen habe.
»Was hast du denn, Titine?« fragte er mit einem beunruhigten Blick in ihr verstörtes Gesicht. »Du hast mir über Tisch einen sehr verdrießlichen Eindruck gemacht und siehst so gequält aus?«
»Ich habe eine große Bitte an dich,« fiel sie ihm ins Wort, »und wenn du sie mir abschlägst, wie die Mutter es schon gethan hat, bleibt mir nichts übrig als ... der Tod.«
»Ja, was ist denn los?« fragte Charmois erschrocken.
»Marius hat einen Wechsel ausgestellt ... morgen ist der Verfalltag und wir können nicht einen Franken bezahlen.«
»Was ... so weit seid ihr ...«
»Mein Gott, ja! Mein Mann erhält sein Gehalt nicht vor dem dreißigsten ... wenn du uns die Summe nicht vorstreckst, sind wir verloren.«
»Sapperlot! Ich ... ich habe auch meine Verbindlichkeiten ... wie viel brauchst du denn?«
»Vierhundert Franken.«
»Ja, Kind, glaubst du denn, daß ich das Geld auf der Straße finde? Nein, nein, thut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen ... rein unmöglich.«
»Das ist sehr schlimm ... dann haben wir Protest zu gewärtigen.«
»Aber bedenke doch ... das würde einen sehr schlechten Eindruck machen, Aufsehen erregen!«
»Ich weiß es wohl, aber da ihr uns nicht helfen könnt ... an fremde Leute können wir uns doch nicht wenden? Ich dachte, du würdest an diesem Freudentag eher zum Beistand geneigt sein, das ist aber nicht der Fall ... sprechen wir also nicht weiter davon.«
»Hol's der Teufel! Eine nette Art habt ihr, mir das Messer auf die Brust zu setzen! ... Nun, in der Patsche will ich euch ja nicht sitzen lassen ... wenn die andern fort sind, kannst du in mein Zimmer hinaufkommen, dann wollen wir sehen, was sich machen läßt ... Deine Mutter braucht nichts davon zu erfahren ...«
»Danke dir, Väterchen! Ich halte reinen Mund, da kannst du ruhig sein!«
Und mit beschwingtem Schritt eilte sie in den Garten, indes der Vater mit einiger Wehmut auf sein Knopfloch schielte.
»Scheint gesalzen teuer zu sein, das kleine Kreuzchen,« brummte er vor sich hin.