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Eine wohlerzogene Engländerin wird der herzzerreißenden Geschichte von Sackville Maine, die ich jetzt erzählen will, nie ihre Teilnahme versagen können. Von den Klubfreuden haben wir gesprochen, nun aber müssen wir auch einen Augenblick bei den Gefahren, die diese Einrichtungen im Gefolge haben, verweilen, und zu diesem Zwecke werde ich Ihnen meine neue Bekanntschaft, Sackville Maine, vorstellen.
Ich selbst wurde ihm und seiner entzückenden Frau auf einem Balle bei meiner verehrten Freundin Mrs. Perkins vorgestellt. Ich sah ein junges Wesen in einem weißen Seidenkleide und mit weißseidenen Schuhen an mir vorüberschweben, eine rosa Schärpe von reichlich der Breite einer halben Elle umwehte sie wie ein brennendes Band, als sie in einer Polka an mir vorbeiwirbelte, die sie mit Herrn von Springbock, dem deutschen Gesandtschaftsattaché, tanzte. Ein grüner Kranz bildete ihren Kopfschmuck, und ihr Haar war das schwärzeste, das mein Auge je erblickte. Wie gesagt, ich sah vor mir eine reizvolle junge Frau, die in einem graziösen Tanze graziös dahinschwebte, die, mochte sie je nach den wechselnden Bewegungen des Tanzes sich von vorne, in halbem oder dreiviertel Profil zeigen, stets ein süßes, rosiges und glückliches Gesicht blicken ließ. Ich fühlte, wie ich gestehe, eine unbezähmte Neugierde, den Namen der Besitzerin dieses lieblichen Antlitzes zu erfahren, und fragte Wagley, der in meiner Nähe im Gespräch mit einem seiner Bekannten stand, wer diese Dame sei.
»Welche?« fragte Wagley.
»Die dort mit den kohlschwarzen Augen«, erwiderte ich.
»Pscht!« machte er, und der Herr, mit dem er soeben gesprochen, entfernte sich mit etwas ärgerlicher Miene.
Als er außer Hörweite war, brach Wagley in Lachen aus. »Kohlschwarze Augen«, sagte er, »Sie haben es erraten. Es ist Mrs. Sackville Maine, und der Herr, der soeben von uns ging, ist ihr Gatte. Er ist Kohlenhändler, mein guter Snob, und ich zweifle nicht, daß die Wallsender Steinkohlen von Mrs. Perkins aus seiner Grube stammen. Wenn er Kohlen nur erwähnen hört, ist er einem Hochofen vergleichbar. Er sowohl wie seine Frau und seine Mutter sind sehr stolz auf die Familie von Mrs. Sackville, sie war eine geborene Miß Chuff, die Tochter des Kapitäns Chuff von der königlichen Marine. Jene starke Dame mit dem hochroten Umhang, die sich am Spieltisch gerade mit dem alten Mr. Dumps wegen unrichtigen Bedienens streitet, ist seine Witwe.«
Und wirklich, so verhielt es sich. Sackville Maine (dessen Name hundertmal eleganter klingt als der Name Chuff) nannte eine schöne Frau und eine vornehme Schwiegermutter sein eigen, und um beide mögen ihn manche Leute sicherlich beneidet haben.
Bald nach der Hochzeit hatte die gute alte Dame die Liebenswürdigkeit, ihn – nur auf vierzehn Tage – auf seinem hübschen Landsitz Kennington Oval zu besuchen. Sie hat aber eine solche Neigung zu diesem Heim im Herzen, daß sie es in den vier Jahren seither nie wieder verlassen hat. Sie hat auch ihren Sohn, Nelson Collingwood Chuff, von dem sie sich nicht trennen konnte, mit hingebracht; er ist indessen nicht so viel zu Hause wie seine Mama, da er tagsüber die von den Tuchhändlern gestiftete Schule besucht, wo er eine gediegene, klassische Bildung empfängt. Wenn auch diese Wesen, die seiner Frau so nahe stehen und ihr natürlich teuer sind, als Hemmnisse für das Glück Maines von ihm angesehen werden können, so frage ich, wer hätte sich nicht über irgend etwas im Leben zu beklagen? Und als ich zum erstenmal Mr. Maine kennenlernte, schien niemand zufriedener zu sein als er. Sein Landhaus war ein Muster von Behaglichkeit und Eleganz; Küche und Keller waren vortrefflich und reichlich mit allem versehen. Man gönnte sich jeden Genuß, aber ohne damit zu prahlen. Morgens fuhr er mit dem Omnibus in sein Geschäft, und abends brachte ihn das Dampfboot in die glücklichste aller Häuslichkeiten zurück, wo er an den langen Abenden seinen Damen, die mit Handarbeiten beschäftigt waren, die neuesten in der vornehmen Welt spielenden Romane vorlas. Hin und wieder begleitete er auch seine Frau auf der Flöte, die er so hübsch spielen konnte, oder nahm teil an den hundert harmlosen und heiteren Vergnügungen seines häuslichen Kreises. Mrs. Chuff stickte eigenhändig ungezählte Sofakissen für das Wohnzimmer, und Mrs. Sackville hatte eine besondere Geschicklichkeit in der Anfertigung gehäkelter und durchbrochener Schoner für diese Stickereien. Sie bereitete ferner Fruchtweine und war groß im Einmachen von Kompotts und Mixed Pickles. Sie besaß ein Stammbuch, in welches Sackville Maine während ihrer Verlobungszeit ausgewählte Verse von Byron oder Moore, die seiner verliebten Lage entsprachen, mit seiner sauberen Kaufmannshand eingeschrieben hatte. Außerdem besaß sie ein umfangreiches, selbstgeschriebenes Kochrezeptbuch – mit einem Wort, sie besaß jede Eigenschaft, die eine tugendhafte und wohlerzogene Engländerin auszeichnen.
»Und was Nelson Collingwood betrifft«, pflegte Sackville lachend zu sagen, »so könnten wir ohne ihn gar nicht fertig werden. Denn wenn er nicht die Stickereien ruinierte, so würden wir in wenigen Monaten in Kissen ersticken. Und wen anders als ihn brächten wir dazu, Lauras Fruchtwein zu vertilgen?« Denn in der Tat waren die Herrschaften, die zum Essen nach Oval eingeladen wurden, nicht dazu zu bewegen, ihn zu trinken, und ich gestehe, daß, als ich intimer mit der Familie wurde, ich mich auch geradeso wählerisch zeigte.
»Und doch, mein Herr«, pflegte dann Mrs. Chuff auszurufen, »ist dieser Ingwerwein von einigen der stolzesten Helden Englands getrunken worden. Der Admiral Lord Exmouth probierte und lobte ihn, mein Herr, als er im Jahre 1774 an Bord von Kapitän Chuffs Schiff ›Nebukadnezar‹ in Algier weilte. Und er nahm drei Dutzend Flaschen mit auf seine Fregatte ›Pitchfork‹ und teilte auch an seine Mannschaft davon aus, vor dem unsterblichen Gefecht, welches er mit der ›Furibonde‹, Kapitän Choufleur, im Golf von Panama hatte.«
Obwohl die alte Witwe uns diese Geschichte jedesmal erzählte, wenn der Wein auf den Tisch kam, so konnte sie uns doch nie bewegen, auch nur einen Schluck davon zu nehmen – und wenn auch der grüne Ingwerwein britische Teerjacken zu Kampf und Sieg angefeuert haben mag, so entsprach er doch nicht dem Geschmack von uns friedlichen und entarteten Söhnen einer neueren Zeit.
Ich sehe Sackville noch vor mir, wie ich, von Wagley eingeführt, meinen ersten Besuch bei ihm machte. Es war eines Sonntagnachmittags im Juli – Sackville Maine kam gerade aus der Kirche mit seiner Frau an einem und seiner Schwiegermutter (in roter Pelerine wie gewöhnlich) am anderen Arm. Ein halbwüchsiger, etwas tölpelhafter Diener schritt mit goldschimmernden Gebetbüchern hinter ihnen her – die Damen trugen prächtige, mit Fransen und Bändern verzierte Sonnenschirme. Die große goldene Uhr von Mrs. Chuff, die sie vor ihrem Magen festgesteckt hatte, glänzte wie ein Feuerball. Nelson Collingwood war weit vor ihnen und vergnügte sich damit, ein altes, auf der Kenningtoner Gemeindewiese weidendes Pferd mit Steinen zu bewerfen. In der Nähe dieses grünen Platzes trafen wir uns, und nie werde ich die majestätische Verneigung von Mrs. Chuff vergessen, als sie sich mit Vergnügen daran erinnerte, mich auf der Gesellschaft bei Mrs. Perkins gesehen zu haben, nie auch den verachtungsvollen Blick, den sie im Vorbeigehen auf einen unglückseligen Herrn schleuderte, der von einem Fasse herab eine höchst unvorbereitete Rede an eine ihre Zweifel durch Zwischenrufe bekundende Zuhörerschaft von Omnibuskutschern und Kindermädchen hielt. »Ich kann mir nicht helfen, mein Herr«, sagte sie, »ich bin die Witwe eines britischen Seeoffiziers, man hat mich stets gelehrt, meine Religion und meinen König zu verehren, und ich kann einen Radikalen oder einen Dissidenten nicht ausstehen.«
Von diesen schönen Grundsätzen fand ich Sackville Maine ebenfalls durchdrungen. »Wagley«, sagte er zu meinem Begleiter, »wenn Sie und Ihr Freund nichts Besseres vorhaben, bitte ich Sie, Ihre Mahlzeit in Oval einzunehmen. Gerade in diesem Augenblick, Mr. Snob, wird der Hammel vom Spieß genommen. Laura und Mrs. Chuff (er sagte ›Laurar‹ und Mrs. Chuff, ich kann aber die Leute nicht leiden, die Bemerkungen über Eigentümlichkeiten in der Aussprache machen) werden gleichfalls über Ihren Besuch sehr erfreut sein, und ich kann Ihnen einen herzlichen Empfang und ein so gutes Glas Portwein, wie nur je in England zu haben ist, versprechen.«
»Das ist entschieden besser, als im ›Sarcophagus-Club‹ zu essen«, dachte ich mir, wo Wagley und ich unsere Mahlzeit vorhatten. So nahmen wir also die gütige Einladung an, aus der sich später eine schöne Intimität entwickelte.
Alles in der Umgebung dieser Familie und dieses Hauses erwies sich als so liebenswürdig, behaglich und behäbig, daß selbst ein Zyniker sein Schimpfen unterlassen würde. Mrs. Laura war eine lächelnde Grazie in Person und sah in ihrem reizenden Hauskleide ebenso vorteilhaft aus wie in ihrer großen Toilette bei Mrs. Perkins. Mrs. Chuff legte mit ihren Geschichten von »Nebukadnezar« aus dem Jahre 1774 los und dem Gefecht zwischen der »Pitchfork« und der »Furibonde«, sowie dem heldenmütigen Widerstand, den Kapitän Choufleur leistete, und der großen Menge Schnupftabak, die er konsumierte usw. usw., was ich alles, da ich es zum ersten Male hörte, unterhaltender als bei späteren Wiederholungen fand. Sackville Maine war der denkbar beste Wirt. Was auch jemand sagte, jedem stimmte er bei und änderte seine Ansichten ohne den geringsten Vorbehalt sofort auf einen sich nur im geringsten bemerkbar machenden Widerspruch hin. Er war gewiß nicht einer von denen, die es einem Schönbein oder dem Frater Bacon gleichtun wollten, noch gehörte er gar zu denen, die es darauf abgesehen haben, ihre Nachbarin, die Themse, in Brand zu stecken, sondern er war ein braver, gütiger, einfacher, ehrbarer und vergnügter Bursche, der seine Frau lieb hatte, aller Welt wohlwollte, der mit sich selbst zufrieden, ja sogar auch mit seiner Schwiegermutter zufrieden war. Ich erinnere mich, daß, als im Laufe des Abends aus irgendeiner Veranlassung Whisky mit Sodawasser gereicht wurde und Nelson Collingwood sich etwas beschwipste, dies Sackville nicht im geringsten aus dem Gleichgewicht zu bringen vermochte. »Bring ihn auf sein Zimmer, Joseph«, sagte er zu dem Tölpelhaften, und »Joseph, sagen Sie seiner Mama nichts davon.«
Wie konnte ein so glücklich veranlagter Mann bloß so unglücklich werden? Was konnte wohl Verdruß, Zank und Entfremdung in eine Familie hineintragen, deren Mitglieder so gut und so innig miteinander standen? Meine Damen, mein Fehler war es gewiß nicht – sondern es war die Schuld von Mrs. Chuff – ich will aber das Ende der Erzählung einem späteren Kapitel vorbehalten.