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Aber endlich nahte sich auf »Immergrün« der selige Tag, wo ich die Bekanntschaft einiger Großgrundbesitzerfamilien der Grafschaft machen sollte, mit denen es für Leute in Pontos Stellung zu verkehren allein möglich war. Obgleich nun der arme Ponto wegen der neuen Uniform seines Sohnes gerade so fürchterlich hatte bluten müssen und obwohl er in der denkbar trostlosesten und selbstmörderischsten Stimmung war, weil er sein Konto beim Bankier überzogen hatte und weil ihn nun auch noch andere Übel, die die Armut mit sich bringt, bedrückten, obgleich bei Tisch für gewöhnlich eine Zehnpennyflasche Marsala gereicht wurde und auch sonst die größte Sparsamkeit herrschte, so mußte der arme Kerl doch wohl oder übel eine Miene gewinnender Herzlichkeit zur Schau tragen. Die Überzüge wurden von den Möbeln entfernt, neue Kleider für die jungen Damen besorgt, das Familiensilber aus den Schränken geholt und zur Schau gestellt, so daß das ganze Haus ein behagliches und festliches Aussehen annahm. In der Küche prasselte lustig das Feuer, der Wein kam aus dem Keller ans Tageslicht, und ein gelernter Koch war eigens aus Guttlebury herübergeeilt, um kulinarische Ungeheuerlichkeiten zu vollenden; Stripes hatte seinen neuen Rock an, ebenso wunderbarerweise Ponto; der knopfübersäte Anzug von Tummus wurde in Permanenz erklärt. Ich ertappte ihn einmal, wie er in strammer Haltung in diesem Kostüm die Rumsauce von einer Punschtorte naschte, die Mrs. Ponto eigenhändig zum Genuß für ihre Gäste gebacken hatte.
Und das alles geschah nur, um, wie ich annehme, dem jungen Lord etwas vorzumachen. Alle diese Umstände zu Ehren eines dummen, nach Zigarren duftenden Dragonerfähnrichs, der kaum seinen Namen schreiben konnte, während ein hervorragender und tiefsinniger Moralist wie »ein Gewisser« mit kaltem Hammel- und Schweinebraten als Eingangsgericht abgefüttert wird. Schon recht: ein Martyrium mit kaltem Hammel- und Schweinebraten ist noch zu ertragen. Ich verzeihe es Mrs. Ponto; aus tiefstem Herzen verzeihe ich ihr, besonders da ich mich nicht aus dem besten Schlafzimmer, trotz all ihrer zarten Andeutungen, verdrängen ließ, sondern meinen Kattunbetthimmel behauptete, weil ich der Ansicht zuneigte, daß ein so junger Mensch wie Lord Gules klein und abgehärtet genug wäre, um es sich auch anderswo bequem machen zu können.
Die große Gesellschaft bei Pontes war wirklich eine sehr auserlesene. Die Hawbucks kamen in ihrer Familienkutsche, die überall mit der blutigen Hand bemalt war, und ihr Diener in gelber Livree bediente sie nach Landessitte selbst bei Tische. Ihn übertraf an Pracht allein der Diener des mit ihnen rivalisierenden Baronets Hipsley in hellblauer Livree. Die alten Ladies Fitzague kamen in ihrem kleinen alten Wagen mit den dicken Rappen, dem dicken Kutscher und den dicken Lakaien vorgefahren – (warum mögen wohl stets die Pferde und Diener von Witwen dick sein?). Bald nach Ankunft dieser Persönlichkeiten mit ihren rotbraunen Chignons, roten Zinken und Turbanen erschien der Ehrenwerte Reverend Lionel Pettipois, der mit dem General und Mrs. Sago den Beschluß der Gesellschaft bildete. »Lord und Lady Frederick Howlet waren auch geladen, aber sie haben selbst Gäste bei sich auf ›Efeustock‹«, erklärte mir Mrs. Ponto, und gerade heute früh noch hätten die Castlehaggards abgesagt, da die gnädige Frau einen Rückfall von Influenza bekommen habe. Unter uns – Lady Castlehaggard bekommt stets Influenza, wenn sie zum Diner in »Immergrün« eingeladen ist. Wenn die Abhaltung einer feinen Gesellschaft eine Frau glücklich machen kann, so war an diesem Tage meine liebenswürdige Wirtin sicherlich eine glückliche Frau. Denn jeder Anwesende (mit alleiniger Ausnähme des unseligen Flunkerers, der ihr seine Verwandtschaft mit der Familie Snobbington weisgemacht hatte, und des Generals Sago, der, ich weiß nicht wieviel hunderttausend Rupien von Indien heimgebracht hat) war mit einem Pair oder Baronet verwandt. Der Herzenswunsch von Mrs. Ponto war erfüllt. Hätte sie, selbst als Tochter eines Earl, wohl bessere Gesellschaft erwarten können? – Und sie entstammte doch, wie all ihre Freunde wußten, einer Ölhändlerfamilie in Bristol.
Im Innern meines Herzens hatte ich mich aber nicht etwa über das Essen – denn diesmal war es gewiß reichlich und wohlschmeckend –, sondern über die Fadheit der Unterhaltung in der Gesellschaft zu beklagen. Oh, ihr meine lieben Brüder Snobs in London, wenn wir uns auch nicht mehr untereinander lieben wie unsere Brüder auf dem Lande, so unterhalten wir uns doch jedenfalls besser; und wenn wir uns auch gegenseitig dulden müssen, so verlangt doch niemand von uns, daß wir deshalb zehn Meilen weit fahren.
So kommen zum Beispiel die Hawbucks zehn Meilen weit von Norden her nach »Immergrün« und die Hipsleys zehn Meilen weit aus südlicher Richtung, da sie ihre Güter gerade in entgegengesetzter Richtung der Grafschaft Mangelwurzelshire haben. Hipsley, ein Baronet von altem Adel, mit einem verschuldeten Gut, war nicht gerade sehr entzückt von Hawbuck, der neu geadelt und reich ist. Hawbuck seinerseits tut so, als ob er den General Sago mit Gönnermiene behandeln müßte, und dieser wiederum hält die Pontes nur für wenig besser als Bettler. »Die alte Lady Blanche«, sagt Ponto, »wird hoffentlich ihrem Patenkind – meiner Zweiten – etwas vermachen, haben wir uns doch alle mit ihren Quacksalbereien ihr zuliebe vergiftet.«
Lady Blanche und Lady Rose Fitzague haben beide ihre Steckenpferde. Jene macht in Medizin und diese in Literatur. Ich neige der Ansicht zu, daß Lady Blanche einen nassen Umschlag um den Leib trug, als ich das Glück hatte, sie kennenzulernen. Sie verarztet jeden in der Umgegend, der sie zur Zierde gereicht, und sie hat jedes Mittel an sich selbst ausgeprobt. Sie hat vor Gericht ihren Glauben an St. John Long bezeugt, sie schwor auf Doktor Buchan, sie nahm Unmengen von Gambouges Universalmedizin und ganze Schachteln von Parrs Lebenspillen. Sie hat vielfach Kopfweh mit Squinstones Augenschnupftabak geheilt, sie trägt ein Bild Hahnemanns in ihrem Medaillon und eine Locke von Prießnitz in ihrer Brosche. Jeder anwesenden Dame, von unserer Wirtin angefangen bis herab zu Miß Wirt, erzählt sie von ihren eigenen Leiden und denen ihrer augenblicklichen Busenfreundin. Alle nacheinander nahm sie in eine Ecke und tuschelte mit ihnen über Bronchitis, Hepatitis, Neuralgie, Veitstanz, Kopfrose und so weiter. Ich sah die arme dicke Lady Hawbuck in schrecklicher Aufregung, nachdem sie mit ihr Rücksprache über das Befinden ihrer Tochter Miß Lucy Hawbuck genommen hatte, und Mrs. Sago wurde ganz gelb und setzte ihr drittes Glas Madeira auf einen mißbilligenden Blick von Lady Blanche hin von den Lippen ab.
Lady Rose sprach über Literatur und über den Leseverein in Guttlebury – sie ist besonders in Reise- und Entdeckungsbeschreibungen beschlagen. Sie nimmt das größte Interesse an Borneo und entwickelt eine Kenntnis von Pandschab und dem Kaffernlande, welche ihrem Gedächtnisse alle Ehre macht. Der alte General Sago, der ganz schweigsam und in sich gekehrt dagesessen hatte, erhob sich plötzlich aus seiner Lethargie, als das erstere Land genannt wurde, und verzapfte der Gesellschaft
seine Geschichte einer Schweinejagd bei Ramjug. Die gnädige Frau behandelte, wie ich bemerkte, Reverend Lionel Pettipois mit einer Art von Geringschätzung. Er ist ein junger Geistlicher, den man überall im Lande umherziehen und seine Erbauungsschriften, die ihm, wo er auch ist, aus der Tasche fallen, das Hundert zu einer halben Krone vertreiben sehen kann. Ich sah, wie er Miß Wirt einen Stoß »Die kleine Wäscherin auf dem Gemeindegut zu Putney« gab und Miß Hawbuck einige Dutzend von »Fleisch in der Mulde oder Der gerettete Schlächtergeselle«. Und als ich einmal dem Gefängnis zu Guttlebury einen Besuch abstattete, sah ich dort in Untersuchungshaft zwei notorische Spitzbuben (die zur Zeit gerade eine Partie Cribbage spielten), denen Seine Hochwürden gelegentlich eines Spazierganges über die Wiesen bei Crackshins Traktätchen angeboten hatte, worauf sie ihm zwar seine Geldbörse, seinen Schirm und sein Batisttaschentuch abnahmen, ihm aber dafür seine Traktätchen ließen, damit er sie anderwärts an den Mann bringen könnte.