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Wie oft lachen wir über die Franzosen wegen ihres Hanges zur Prahlerei und wegen ihrer unleidlichen Eitelkeit auf la France, la gloire, l'empereur und ähnliches; und dennoch glaube ich im Grunde meiner Seele, daß der britische Snob in bezug auf Dünkel, Selbstzufriedenheit und Prahlerei auf seine Art nicht seinesgleichen hat. In dem Dünkel der Franzosen liegt immer etwas Unfreies. Er prahlt mit solchem Ungestüm, Stimmenaufwand und solchen Gestikulationen, er schreit laut heraus, daß der Franzose das Haupt der Zivilisation, der Mittelpunkt des Denkens usw. ist, daß man dem armen Kerl seinen innerlich nagenden Zweifel anmerken kann, ob er auch wirklich das Wunder ist, welches er zu sein vorgibt.
Der britische Snob im Gegenteil macht keinen Lärm, prahlt auch nicht so laut, zeigt aber die Ruhe tiefster Durchdrungenheit: »Wir sind besser als die ganze Welt, das steht ein für alle Male fest, darüber brauchen wir gar nicht mehr zu streiten.« Und wenn ein Franzose brüllt: »La France, monsieur, la France est à la tête du monde civilisé«, so lachen wir gutmütig über den exaltierten armen Teufel. Wir aber stehen obenan in der Welt. Die Tatsache ist so fest in unsere Herzen gegraben, daß ein Anspruch, der von anderer Seite darauf gemacht würde, einfach lächerlich wäre. Mein lieber Bruder Leser, sage mir als Mann von Ehre, ob das nicht auch deine Meinung ist? Hältst du einen Franzosen dir für ebenbürtig? Du tust es nicht – du galanter britischer Snob du – und der Snob, dein ergebener Bruder und Diener, tut es vielleicht ebenfalls nicht.
Ich neige der Ansicht zu, daß diese Überzeugung und das konsequente Verhalten des Engländers gegen die Ausländer, die er mit seinem Besuche beehrt, dieses Vertrauen auf seine Überlegenheit, welches den Eigentümer jeder englischen Hutschachtel von Sizilien bis Sankt Petersburg den Kopf so hoch tragen läßt, uns in ganz Europa so verhaßt gemacht hat, wie wir es nun einmal sind. Und zwar hierdurch in höherem Grade als durch alle unseren kleinen Siege, von denen viele Franzosen und Spanier nie etwas gehört haben – ich meine diesen erstaunlichen und unbezähmbaren Insularstolz, der den Lord in seiner Reisekutsche wie den Johann auf seinem Bock beseelt.
Wenn man die alten Chroniken über die Kriege in Frankreich liest, so trifft man darin schon genau auf denselben Charakter des Engländers, und die Scharen Heinrichs V. legten die nämliche kühle und herrische Art an den Tag wie unsere Veteranen, die in Frankreich und Spanien gekämpft haben. Haben Sie nie den Oberst Cutler nach Tische mit dem Major Slasher über den Krieg sich unterhalten hören? Oder die Beschreibung des Kapitän Boarder über sein Gefecht mit dem »Indomptable«? »Die Teufelskerle schlugen sich sehr gut, ich wurde dreimal abgeschlagen, ehe ich das Schiff nahm.« »Donnerwetter, die Milhaudschen Karabiniere«, sagt Slasher, »haben unserer leichten Reiterei tüchtig zugesetzt!« In diesen Ausdrücken liegt eine Art Überraschung, daß die Franzosen überhaupt den Briten standzuhalten wagten, ein gutmütiges Erstaunen, daß die verblendeten, verrückten, von eitler Ruhmsucht beseelten, tapferen, armen Teufel wirklich den Mut gehabt haben, einem Engländer Widerstand zu leisten. Legionen solcher Engländer zeigen Europa in diesem Augenblick ihre Gönnerschaft, indem sie gütig gegen den Papst und gutmütig gegen den König von Holland sind oder indem sie sich dazu verstehen, die preußischen Paraden anzusehen.
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Als der Kaiser Nikolaus zu uns kam, der morgens zum Frühstück schon immer eine Heerschau über eine Viertelmillion Schnurrbarte abhält, nahmen wir ihn mit nach Windsor hinaus und zeigten ihm zwei ganze Regimenter, sechs- oder achthundert Mann stark, mit einer Miene, als ob wir sagen wollten: »Hier, mein Junge, sieh dir mal das an; dies sind Engländer, dies sind gefälligst Eure Herren und Meister« – wie es in dem bekannten Ammenliede heißt. Der britische Snob ist lange, ach wie lange schon über jeden Zweifel erhaben und kann es sich leisten, über die dünkelhaften Yankees oder über die törichten, kleinen Franzosen zu lachen, die sich als Vorbilder für die Menschheit hinstellen. Ausgerechnet diese!
Zu dieser Abschweifung bin ich durch einen alten Knaben gekommen, den ich in Boulogne im »Hotel du Nord« belauschte und der augenscheinlich vom Schlage der Slashers war. Er kam aus seinem Zimmer und setzte sich mit finstrer Miene an den Frühstückstisch; sein Gesicht war dunkelrot und seine Augen blutunterlaufen, da er von einer karierten, engen Halsbinde fast erdrosselt wurde. Seine Wäsche und seine Kleidung waren so steif und fleckenlos, daß ihn jeder sofort als teuren Landsmann erkannte. Nur unser Portwein und andere bewunderungswürdige Einrichtungen konnten ein so unverschämtes, dummes und doch auch wieder gentlemanartiges Äußere hervorgebracht haben. Nach einer Weile wurde unsere Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt, als er mit einer Stimme, die. übermäßige Wut auszudrücken schien, »O« brüllte.
Jeder drehte sich bei dem »O« herum, da wir bei dem ganzen Gebaren des Obersten annehmen mußten, daß er äußerste Schmerzen zu ertragen hätte. Aber die Kellner wußten es besser, und anstatt Unruhe an den Tag zu legen, brachten sie dem Oberst einen Teekessel. »O«, wie es scheint, ist im Französischen die Bezeichnung für heißes Wasser. Der Oberst glaubt, er spräche die Sprache, die er gleichwohl in seinem Innern herzlich verachtet, ganz besonders gut. Während er noch den dampfenden Tee trank, der rollend und zischend durch seine Gurgel glitt, was sich so anhörte, als ob das auf das Kupferantlitz dieses alten Kriegers gegossene Wasser zum Zischen gebracht worden wäre, setzte sich ein Freund mit vertrocknetem Antlitz und sehr schwarzer Perücke an seinen Tisch – offenbar gleichfalls ein Oberst. Die beiden alten Krieger steckten ihre alten Köpfe zusammen, frühstückten und fingen danach an sich zu unterhalten, wodurch wir den Vorzug genossen, etwas über den letzten Krieg und einige erbauliche Konjekturen über den nächsten zu hören, den sie für unmittelbar bevorstehend hielten. Sie verlachten die französische Marine und prusteten über die französische Handelsflotte; sie legten dar, wie im Fall eines Krieges ein Kordon (ein Cordong, zum –) von Dampfern an unserer Küste gezogen werden würde, der, zum –, jede Minute bereit sein würde, irgendwo an der jenseitigen Küste zu landen und die Franzosen, zum –, ebenso zu verprügeln, wie es schon im letzten Kriege der Fall war, zum – – –! Wirklich, eine donnernde Kanonade von Flüchen wurde während der ganzen Unterhaltung von den beiden Veteranen abgefeuert.
Auch ein Franzose befand sich im Zimmer, der aber, da er sich nur zehn Jahre in London aufgehalten hatte, natürlich unsere Sprache nicht verstand und so des Vergnügens der Unterhaltung verlustig ging. Ich aber sagte zu mir: »O du mein Vaterland, es ist kein Wunder, daß du so geliebt wirst. Wäre ich ein Franzose, wie wollte ich dich hassen!«
Dieser rohe, unwissende, mürrische und prahlerische Engländer zeigt sich in jeder europäischen Hauptstadt. Er ist eins der ödesten Geschöpfe unter der Sonne, er tritt Europa mit Füßen, drängt sich rücksichtslos durch Galerien und Kathedralen und tobt durch die Paläste in seiner steifleinenen Uniform. In der Kirche wie im Theater, bei Galavorstellungen wie in der Gemäldegalerie – niemals verändern sich seine Züge. Tausend entzückende Aussichten gehen an seinen blutunterlaufenen Augen vorüber, ohne ihn freudig zu bewegen. Unzählige reizvolle Lebens- und Sittenbilder bieten sich ihm dar, rühren ihn aber nicht. Er geht in die Kirchen und nennt die Zeremonien, die er dort sieht, herabwürdigend und abergläubisch; als ob sein Altar der einzig annehmbare wäre. Er geht in die Gemäldegalerien und weiß von Kunst nicht mehr als ein französischer Schuhputzer. Kunst und Natur ziehen an ihm vorüber, ohne daß eine Spur der Bewunderung in seinem stumpfsinnigen Auge wahrzunehmen wäre. Nichts bewegt ihn, außer wenn ein sehr vornehmer Herr in seine Nähe kommt. Dann kann der steife, stolze, selbstbewußte, unbeugsame britische Snob so untertänig wie ein Lakai und so geschmeidig wie ein Hanswurst werden.