Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drei Fabeln

Ein Professor der Zoologie erklärte seinen Schülern die Abstammung der Purzlertaube von der Felsentaube. Er sagte, eine Laune der Züchter hätte Jahrhunderte hindurch solche Tiere bei der Zuchtwahl bevorzugt, die die sonderbare Neigung zeigten, von Zeit zu Zeit einen Purzelbaum zu schlagen. So wäre denn endlich jenes merkwürdige Tier entstanden, das es sich zur Lebensaufgabe gemacht zu haben scheine, sich in der Luft zu überschlagen. »Wie abgeschmackt!« rief einer der Schüler. »Abgeschmackt ist das nicht«, erwiderte der Professor. »Das Leben ist nun einmal so. Auch bei den Menschen beobachten wir heute eine ähnliche Entwicklung. Nicht die besseren überleben die minderwertigen, vielmehr jene, die es am besten verstehen, Kapriolen zu machen. Wer weiß, – wenn es so weiter geht – was für ein merkwürdiges Geschöpf eines Tages das Ergebnis sein wird?«

*

Unser Herrgott wurde Kommunist. Er schaffte die Hölle und das Fegefeuer ab und wies allen Menschen einen gleichen Platz im Paradiese an. Alle waren zufrieden und erfreuten sich der ewigen Glückseligkeit.

Da geschah es, daß ein reicher Mann starb und ins Paradies gelangte. Er war anfangs darüber sehr erstaunt, gewöhnte sich aber so schnell an diesen neuen Zustand, daß er schon bald etwas daran auszusetzen fand.

»Worüber beklagst du dich denn?« fragte zornig der Herr.

»Ich bitte dich,« erwiderte der Reiche, »schicke mich auf die Erde zurück! Dein Paradies ist kein Paradies. Man sieht hier niemand leiden.«

*

Ein Bösewicht, den seine verderbte Natur getrieben hatte, einen Wehrlosen zu töten, ward sich der Größe seiner Schuld bewußt, ging in sich und trat in eine Kirche, um zu beten.

Während er noch, tief zerknirscht, auf den Knien lag und inbrünstig betete, hörte er den Priester auf der Kanzel sagen: »Freuet euch, daß es Schwache und Arme unter euch gibt, denn sie geben euch Gelegenheit, mildtätig zu sein, und öffnen euch die Tore zur Seligkeit.«

»Er lügt!« dachte der Sünder bei sich. »Die Schwachen sind ja gerade unser Unglück. Wäre mein Opfer nicht schwach gewesen, hätte es sich wehren können, und ich hätte nicht den Frieden meiner Seele verloren.«


 << zurück