Bertha von Suttner
Franzl und Mirzl
Bertha von Suttner

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I.

»Soll ich euch eine Geschichte aus meiner Jugend erzählen?« fragte die lustige, weißhaarige Tante.

»Gewiß, gewiß!«

»Sie kann aber lang werden.«

»Desto besser!«

»So lang, daß ich nach einiger Zeit erschöpft sagen muß: Fortsetzung folgt.«

»Dann versammeln wir uns morgen um dieselbe Stunde bei dir und lauschen deiner Erzählung weiter!«

»Ihr seid wie die kleinen Kinder, ihr erwachsenes Volk! Immer noch so gierig auf mein ›Es war einmal‹ wie vor so vielen Jahren, wo ich euch die alten Märchen von Aschenbrödel und Dornröschen erzählte . . . Gute Menschen bleiben doch immer Kinder . . .«

»Wovon du ein lebendes Beispiel bist, Tantchen; wenn es gilt, närrisch und toll sein –«

»Respekt bitte ich mir aus! Ich lasse mich nicht für irrsinnig erklären; am wenigsten von euch – unartiger Affenchor!«

»Und wir fühlen uns durch diese Benennung gar nicht getroffen: wenn man so schön ist wie wir . . . denn du wirst doch zugestehen, Tante, daß wir nicht üble Erscheinungen sind – voll Anmut und Zauber . . . Unser Herr Bruder da, der Leutnant, bricht alle Herzen und wir –«

»Ihr Prachtmädels habt wohl an jeder Fingerspitze einen grausam leidenden Anbeter baumeln? – Also hört mir zu; in meiner Geschichte ist diesmal auch von Liebe und allerlei Sentimentalem die Rede. Das sieht mir freilich nicht sehr ähnlich, wie? Schwärmerei, Augenverdreherei, alles was melancholisch und pathetisch ist, das verträgt sich schlecht, meint ihr, mit meiner einfachen und nüchternen Heiterkeit, mit meinem kalten Verstand und gesunden Sinn – mit meinem fröhlichen Gleichmut?«

»Mit deiner kreuzfidelen Lebensweisheit – würde ich's ausdrücken,« schaltete der Leutnant ein.

»Danke. Zünde dir eine Zigarette an, wenn du willst – und ich beginne: Ich war damals vierzehn Jahre alt –«

»Eine Kindergeschichte?« fragte der junge Mann enttäuscht.

»Deine Schwestern werden dir bezeugen, daß wir Frauen, von dem Augenblicke, als wir – wie die Engländer sagen, »in our teens« angelangt sind, keine Kinder mehr, sondern meist Romanheldinnen abgeben. Ohne Julia in Betracht zu ziehen, die sich im Alter von vierzehn Jahren mit Romeo vermählt hat, sind auch die meisten übrigen Jungfrauenknospen, wenn sie gleich äußerlich mit Puppen spielen, innerlich doch von dem Bewußtsein getragen, daß sie voll holdseliger Wichtigkeit sind. Und sie beginnen zu träumen, wie sie es wohl anstellen sollen, um so erhaben und lieblich zu erscheinen, wie es dem hehren Ideal entspricht, als das sie durchs Leben wandeln wollen. In was soll sie sich hineinarbeiten? Geistsprühende Salonkokette? Opfermutige Samariterin? Rege Schaffnerin am häuslichen Herd? Aus Liebesschmerz Dahinsiechende? Unnahbar grausame Männerfeindin? . . . Sie weiß noch nicht recht was – aber ein großer Charakter wird sie werden. Bewunderung, Furcht oder Rührung – je nach Umständen – wird sie einflößen; aber was es immer sei: sie wird's in hohem Maße einflößen und während ihres ganzen Erdenlaufes.«

»Ist es wahr,« wendete sich der Leutnant an seine Schwestern, »daß ihr alle so unmäßig gänsemäßig seid?« –

»Wir sind schon zwanzig und darüber,« entgegnete die eine, – »während du mit deinen neunzehn Jahren vermutlich in der ärgsten Heldenträumerei versunken bist. Nicht wahr, Tante?«

»Wie soll ich in die Tiefe eines Knaben- – pardon: Männerherzens blicken? Da fehlt mir die Erfahrung – ich habe nur die weibliche Gefühlsskala durchgespielt; als junges Mädchen in Moll, als alte Frau in Dur. Jetzt erbitte ich mir aber einige Aufmerksamkeit – stille halten und freundlich schauen, denn diesmal beginne ich unwiderruflich.

In meinem vierzehnten Jahre – ihr wißt, daß ich eine Waise war – lebte ich unter der Obhut meines Vormundes. Die Frau desselben vertrat Mutterstelle an mir, oder versuchte wenigstens es zu tun; es gelang ihr jedoch nicht, sich meine besondere Zuneigung, am allerwenigsten aber meinen Gehorsam und meinen Respekt zu gewinnen. Dazu behandelte sowohl sie, als auch ihr Gatte, das kleine, ohnehin eigenwillig veranlagte Mädchen mit viel zu großer Verehrung. Grund dieser Verehrung war wohl mein sehr bedeutendes Vermögen und mein adeliger Name, die ihnen, den Bürgerlichen, die bisher in bescheidenen Verhältnissen gelebt, so sehr imponierten, daß sie mich wie eine Art Königstochter behandelten, bei der sie eher Hofstaat abgaben, als Elternstelle vertraten. Meine Launen waren Gebot. Daß ich unter solchen Umständen mich nicht zum hoffärtigsten und widerwärtigsten »Rangen« herangebildet habe, ist mir noch immer unbegreiflich, und deutet auf große angeborene Liebenswürdigkeit des Charakters . . . Bitte, ich verlange im Vorübergehen Anerkennung meiner vortrefflichen Angeborenheit . . . Einstimmig? Gut. Ich fahre fort.

Meine Erzieherinnen, um es den Pflegeeltern recht zu tun, enthielten sich auch aller Strenge und ließen meine Launen – gewähren. Ich hatte ungeheuer viel Freiheit. Freiheit im Umherlaufen durch Park und Wald; Freiheit besonders im Lesen. Die Bibliothek stand mir offen. Es waren zwar keine schlechten Bücher darin, aber doch eine große Anzahl von Romanen, welche für mein Alter nicht paßten. Ich verschlang täglich einen halben Band. Daß ich daraus Schaden gezogen, will ich nicht sagen; aber ich war dadurch im Gemüte um mehrere Jahre früher erwachsen als andere Mädchen und mit vierzehn Jahren fühlte ich mich als ein fertiges Weib, das über seine Zukunft selbstbestimmend verfügen durfte.

Eines Tages – es war im Hochsommer – hatte ich wieder einmal, ohne Erlaubnis einzuholen, einen langen, einsamen Spaziergang unternommen. Wir lebten in einem mir zugehörenden Schlosse, das von einem weiten, großen Park umgeben war. Da ich meine Spaziergänge nicht außerhalb des an den Park grenzenden Waldes auszudehnen pflegte, so hegte man keine Besorgnis um meine Sicherheit. Diesmal aber hatte ich mich doch aufs Feld hinausgewagt und war bis in ein fremdes Dorf gelangt.

Ich hielt einen großen Strauß Feldblumen in der Hand, den ich unterwegs gepflückt – zumeist Mohnblumen. Das paßte zu dem roten Aufputz meines Hutes und zu meinem gleichfarbigen Gürtelband. Das hatte ich mir schon so eingerichtet, denn ich war seit jeher eine Freundin von Farbenharmonien. Von allen Harmonien überhaupt – dieselben sind ja die Trägerinnen dessen, was da gut und entzückend ist: in Tönen heißt's Musik; im Herzschlag – Liebe; im Geistesschwung – Poesie; im Urteil – Gerechtigkeit und in der Gedankenfügung – Weisheit. An jenem Tage aber hieß mein schöner roter Farbenzusammenhang einfach – Stierwut.

Stellt euch vor: da lustwandelte ich in höchster Lebensfreudigkeit querfeldein; froh, eine so schöne Welt, eine so lange Jugend vor mir zu haben, als plötzlich dieses Gefühl in die schaurigste Todesfurcht umschlug. Von einem Seitenweg in wildem Lauf hervorgestürzt kam ein wütender Stier und – die harmonische Abtönung meiner Toilette vermutlich gewahr werdend, blieb er eine Weile stehen, schüttelte grimmig den Kopf und lief in gerader Richtung auf mich zu.

Von der fürchterlichen Spannung dieses Augenblicks kann ich in meine Erzählung leider nichts übertragen, denn die Schreckensfrage: »Endet's mit dem Tode«, welche auch die Zuhörer einer Geschichte erregen kann, wenn diese in dritter Person erzählt wird, die fällt bei einer Ichgeschichte gänzlich weg. Ihr wißt, daß ich's erlebt habe; ihr nährt keinen Zweifel, daß, wenn eins von uns beiden seither gestorben – so ist's der Stier.

Sterben, sterben sollen, wenn man so jung ist und ein so herrliches Leben vor sich hat – sterben auf eine so martervolle Art: zerstampft, zerspießt, zerfetzt . . . in der Gewalt des schnaubenden, brüllenden, fletschenden Ungeheuers, das mit bluttriefenden Augen und geiferspeiendem Rachen in Wut und Wucht auf sein Opfer stürzt . . . Könnt ihr euch in die Angst versetzen, die mich an den Boden gewurzelt hielt, während der – eine Marterewigkeit scheinenden – zehn Sekunden, die das Tier brauchte, um auf mich zuzulaufen, bis ich unter seinem dröhnenden, heißen Pesthauch mit einem Jammerschrei zusammenfiel – –«

»Gräßlich!« riefen die andern schaudernd.

 


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