Bertha von Suttner
Franzl und Mirzl
Bertha von Suttner

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IV.

Drei Jahre vergingen. Unsere Spiele wurden nach und nach weniger kindisch, aber sie dauerten fort. Die Staatskarosse und das verbrämte Purpurkleid waren weggefallen, aber der Kern des Ganzen, nämlich die Liebe zu Franzl und meine Bestimmung, dessen Frau zu werden – das blieb unverrückt. – »Vielmehr verrückt?« meint ihr. – Bitte mich nicht mit schnöden Wortspielen zu unterbrechen. – Die Zeit war gekommen, wo der Militärdienst meines – hinter seinem Rücken – Verlobten zu Ende ging; auch wo wir beide zu erwachsenen Fräulein geworden, an welche verschiedene Freier sich heranmachten. Ich erklärte übrigens mit Bestimmtheit, daß ich jetzt noch nicht gesonnen sei zu heiraten, und war mit den jungen Leuten, die es dennoch versuchten, mir den Hof zu machen, von einer Kälte, welche, glaub' ich, hart an Grobheit streifte. Ich liebte ja einen anderen, ich war diesem anderen unwiderruflich zugedacht: es wäre eine Entweihung meiner selbst gewesen – besonders in den Augen Aglaes – wenn ich geduldet hätte, daß ein Unberufener mir mit Heiratsabsichten nahe.

Sie selber, die gute Aglae, welche nebenbei ein auffallend hübsches Mädchen war, kokettierte ganz gewaltig mit den jungen Herren, die unser Haus besuchten. Sie war ja frei und makellos. Auf ihren Lippen hatte noch kein solcher Kuß gebrannt wie jener, welcher mich – immer in ihren Augen – von der Möglichkeit ausschloß, noch frei zu wählen. Sie konnte immerhin darauf ausgehen, eine standesgemäße und vorteilhafte Partie zu machen; nichts auf der Welt zwang sie, ihre Zukunft dem Erben einer Dorfschmiede zu weihen.

Und von dieser Freiheit machte sie Gebrauch, indem sie einem adligen Gutsbesitzerssohn die Hand reichte. Es war dies für das vermögenslose Mädchen in jeder Hinsicht ein Glück und ich nahm freudigen Anteil daran. Andererseits konnte ich einiges Mitleid nicht unterdrücken, denn ihr Los war neben dem meinigen doch ein kleinliches: sie war zwar in ihren Bräutigam verliebt, aber erst seit acht Tagen und oberflächlich; was war das gegen meine schon seit drei Jahren genährte, tiefe, treue Liebe? Und dann: sie war arm und ihr Bräutigam reich – alle Güter des Lebens würde sie nun durch ihren Mann erhalten, während mir die entzückende Genugtuung bevorstand, über meinen Gatten mit eigener Hand das Füllhorn des Reichtums auszuschütten!

Aglae war keine Egoistin, diese Gerechtigkeit mußte ich ihr widerfahren lassen. Jetzt, wo sie in den Glückshafen eingelaufen, war es ihre größte Sorge, daß nunmehr auch ich meinem Ziele entgegengeführt werde. Sie hatte ja geschworen, ihr Leben meinem Dienste zu weihen, und wenn sie auch dem Vorsatz untreu geworden, für sich auf Liebe zu verzichten, um nur an der meinen sich zu sonnen, so war sie doch beständig in dem Wunsch und dem Bestreben geblieben, mich mit dem seelengroßen Franzl vereinigt zu sehen. Sie war auch sehr bescheiden und einsichtsvoll. Obschon ihr der Bräutigam sehr wohl gefiel und sie allerlei Eigenschaften an ihm erkannte: hohe Bildung, Geist und Witz, Zartgefühl usw., das eine gestand sie freiwillig zu: groß war er nicht.

Jetzt mußten wir auseinandergehen. Als Braut konnte sie nicht mehr – noch weniger als Gattin – sich in die Rolle eines in mich verliebten Jünglings denken; mein mir durch täglichen Umgang so teuer, ja fast unentbehrlich gewordener Phantasiefranzl würde mir verloren gehen; es war also dringend nötig – das sah Aglae selber ein – mir nunmehr den wirklichen Franzl als Beute zuzuführen.

Die Umstände fügten es, daß Aglae Gelegenheit fand, mir mit der Tat beizustehen.

Franzl hatte seine Zeit ausgedient. Doch war er nicht – so erfuhren wir – in dem Dorfe geblieben, das sein und des Stieres Geburtsort war, sondern hatte in einer anderen Provinz – in Oberösterreich – als Gärtnergehilfe Stellung genommen. Daß er nicht in seines Vaters Schmiede arbeiten würde, sondern die Gärtnerei erlernt hatte, das war uns erst später bekannt geworden.

Nun fügte es der Zufall – nein, nein, nicht der Zufall, das war uns beiden klar – nun fügte es das Fatum, daß Aglae mit ihrem Mann in die Nachbarschaft jenes Schlosses übersiedelte, wo mein Franzl mit Gartenschere und Gießkanne waltete. Bei einem der Schloßfrau – Gräfin Lotz – abgestatteten Besuch erzählte ihr diese, daß sie eben ein Kammermädchen verloren – eine wahre Perle, welche ihr zugleich eine Art Gesellschafterin abgegeben, da sie gebildeter Eltern Kind war, sehr hübsch vorzulesen verstand und überhaupt ein sehr liebes, aufmerksames, anspruchsloses Ding gewesen; jetzt heirate sie den Verwalter und die arme Gräfin würde sie nimmermehr ersetzen können.

Bei dieser Mitteilung stieg meiner Freundin ein ganzer Schlachtplan auf. – Ihr habt es schon erraten: ich sollte an die Stelle dieser unersetzlichen Perle treten. Da wäre mir Gelegenheit geboten, mit Franzl zusammenzukommen und unerkannt seine Liebe zu gewinnen.

Die Idee war alles; die Ausführung dann nur noch Nebensache. Einerseits eine warme Empfehlung seitens meiner Freundin für eine Müllerstochter, die für den erledigten Dienstplatz wie geschaffen war; andererseits eine dringende Einladung für mich, einige Wochen in Aglaes neuem Heim zuzubringen – eine Einladung, gegen deren Annahme meine Vormünder nichts einzuwenden hatten; – und so kam es, daß nach einigen gewechselten Briefen, in denen alle unsere Finten und Listen festgestellt worden, ich nach Oberösterreich abreiste und in das Haus der Gräfin Lotz als »Marie Schulze, Kammermädchen« eintrat.

Kinder, ich kann euch nicht schildern, mit welchem Lampenfieber ich meine Rolle übernahm. Aber kein Fieber der Angst – vielmehr eine Art Hochgefühl – war doch das Schauspiel, das ich da aufführen wollte, zugleich die Komödie meines Schicksals! Und IHN sollte ich wiedersehen – dieses persönliche Fürwort schrieb ich in Gedanken immer mit drei großen Buchstaben – SEIN Herz sollte ich nur im Sturm gewinnen und uns beide zu unaussprechlichem Glücke führen. Welch ein Aktschluß! Ich dachte mir ein Publikum von geheimnisvollen Wesen – Vorsehung, Parzen, Schutzengel, was weiß ich? – die dazu lebhaft befriedigten Beifall klatschen sollten. Unwillkürlich würde ich in dem Augenblick, wo ich dem Franzl die Hand zum ewigen Bunde reichte, mit einer graziösen Verbeugung zu den Wolken hinaufgrüßen müssen.

Aglae hatte den Gegenstand unserer Ränke gesehen, und sie versicherte mich, daß sie ihn wunderschön gefunden. Ich sei ein beneidenswertes Geschöpf. Besäße sie ihren Edgar nicht, so wollte sie keinen anderen als Franzl haben; da aber dieser mein unbestrittener Besitz war, so hätte sie gar nie gewagt, zu ihm aufzuschauen.

Als sie seiner gewahr wurde, war es übrigens ein Aufschauen im buchstäblichen Sinne des Wortes – denn er saß auf einem zwei Stock hohen Schragen und stutzte Spalier. Das war auch keine vorteilhafte Situation, um ein Gespräch anzuknüpfen, und da Aglae in Begleitung der Gräfin sich befand, konnte sie unmöglich, ohne etwas Auffälliges zu tun, den Gärtnergehilfen da oben in die Unterhaltung ziehen. Überdies gestand sie mir, daß eine eigene Scheu sie gehindert hatte, mit Franzl zu reden, da sie noch immer die Idee nicht ganz los werden konnte, daß sie selber ein Stück Franzl sei, und es wäre ihr einigermaßen unheimlich gewesen, mit dieser abgetrennten Ich-Parzelle in dualistischen Verkehr zu treten.

Ihr habt schon öfter Liebhabertheater gespielt, Kinder, und wißt, was es für eine große Unterhaltung gewährt, sich in Kostüm zu werfen und auf ein paar Stunden eine andere Person vorstellen als die, welche man von Geburt auf gewohnt ist, mit sich herumzutragen. So könnt ihr euch wohl in die angenehme Erregung hineindenken, mit der ich mein Soubrettengewand anlegte. Es stand mir auch wahrlich nicht übel: glattes Leinwandkleidchen, kokettes Häubchen, Schürze, kurze Ärmel, zierliche Schuhe; dazu mein siebzehnjähriges, von goldblondem Haar umrahmtes Lärvchen: ich hatte meine Freude daran. Und wie lustig das war: wissen, daß man ein Edelfräulein ist mit einer Million Mitgift, und von einem ganzen Haushalt für ein Stubenmädchen gehalten zu werden – das war ja amüsant wie eine Faschingsmaskerade. Nebenbei noch das bevorstehende Wiedersehen mit dem seit drei Jahren geliebten Jüngling: – das war durchzuhandelnder Roman, durchzulebendes Gedicht!

Die Gräfin hatte mich auf Aglaes Empfehlung aufgenommen, noch ehe sie mich gesehen; also mußte ich nicht erst eine bange Vorstellung durchmachen, sondern trat sofort in Funktion.

Meine neue Herrin war zufällig nicht zu Hause, als ich ankam; die Haushälterin übernahm es, mich in mein Zimmer zu führen und mir meine neuen Pflichten anzuweisen. Ich mußte die Gräfin ankleiden, ihr abends, wenn sie im Bette lag, eine Stunde vorlesen und einem zweiten Stubenmädchen in der Näharbeit helfen. Zum Glück war ich mit der Nadel immer sehr geschickt, also bangte mir vor diesem Teile meiner Obliegenheiten nicht. Es wäre mir nämlich nicht angenehm gewesen, wegen Ungeschicklichkeit etwa schon in den ersten Tagen entlassen zu werden, denn ich wollte längere Zeit vor mir haben, um unauffällig Franzls Liebe zu gewinnen. Auch nachdem ich sie gewonnen, sollte er ja noch eine Zeitlang schmachten und den Kampf mit dem Vater auskämpfen – denn die Schlußszene in der Schmiede, mit der wollte ich doch gar so gerne meine Komödie krönen . . . – Das Zimmerchen, welches mir bestimmt war, war klein und mit der äußersten Einfachheit eingerichtet. Ich, die ich seit frühester Kindheit an allen erdenklichen Luxus gewöhnt worden, konnte gar nicht begreifen, wie sich's in einem solchen Zimmer wohnen konnte: keine Federmatratze, kein anstoßendes Badekabinett, kein Ankleidespiegel, kein Bücherregal, keine weichen Sitzmöbel, keine Blumentische – kurz, nichts von dem allernötigsten Zubehör des täglichen Lebens. Ich nahm dies alles aber von der heiteren und mutigen Seite auf – und machte mich gefaßt, hier so auszuharren, wie ein auf eine wilde Insel verschlagener Gestrandeter. In den Reisebeschreibungen hatte ich oft von Leuten gelesen, die noch ärgere Entbehrungen standhaft ertragen – und diesen winkte ja nicht, wie mir, so entzückender Liebeslohn.

Als die Gräfin nach Hause kam, ließ sie mich sofort rufen. – Eine ziemlich streng und hochmütig aussehende alte Dame. Sie musterte mich eine Weile schweigend. Endlich eine tiefe Altstimme:

»Wie heißt du, Kind?«

»Mirzl, gräfliche Gnaden.«

»Hätt' ich dich nicht schon aufgenommen – auf deine Erscheinung hin tät' ich's sicher nicht . . . Bist viel zu hübsch . . . Das ist ja ein Rokokobild – eine Watteau-Schäferin und kein heutiges Stubenmädel. Daß mir nur keine Liebschaften angezettelt werden! Verstanden? . . . Da wird die Frau Nani, die Haushälterin, Auftrag bekommen, streng zu wachen . . . Wie ich etwas erfahre von einer Courmacherei, ob's jetzt ein Stallbursche sei, oder der junge Graf, so – auf eins, zwei, drei – marsch aus dem Haus! . . . Deine Vorgängerin war sehr brav – da hat sie auch einen braven Mann gefunden und ein ordentliches Brautgeschenk von mir bekommen . . . Doch sie war zehn Jahre bei mir . . . So lange mußt du auch bleiben – wenn ich mit dir zufrieden bin, heißt das. Du redest aber gar nichts – bist du stumm?«

»Frau Gräfin haben keine Frage an mich zu stellen geruht, also hatte ich keine Veranlassung, zu sprechen; ich brauche doch nicht erst zu versichern, daß ich keinem Rokokowandgemälde entsprungen bin und daß ich durchaus nicht beabsichtige, meine Anziehungskünste an dem Stallburschen und an dem erlauchten Sohn des Hauses zu üben.«

Die Gräfin schaute mich erstaunt an, dann äußerte sie ihre Meinung in dem einen Worte: »Schnabel.«

Ich knixte. »Was befehlen sonst?«

»Vorläufig nichts. Wenn ich dich brauche, werde ich klingeln.«

Ich habe mir den Wortlaut dieser ersten Unterredung so gut gemerkt, weil ich ihn sofort in ein Tagebuch eintrug, das ich mir für die Zeit meines Aufenthaltes in Schloß L. angelegt hatte. Ich wollte nämlich alle Ereignisse und Stimmungen dieses denkwürdigen Lebensabschnittes festhalten und namentlich die Gespräche der Vergessenheit entreißen, welche zwischen Franzl und mir geführt werden sollten.

Dieses Tagebuch habe ich aufbewahrt . . . Es liegt in meinem Bücherschrank, im untern Fache, rechts, in blauem Einband – sei so gut, Malwine, und hol es mir. Das Erzählen wird mir leichter werden, wenn ich, während ich fortfahre, bisweilen darin nachschlage und auch einige Stellen daraus ablese.«

 


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