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Der große Abend war gekommen. Ich hatte ein Rokokosoubrettenkostüm angelegt und mein Gesicht unter einer Atlaslarve versteckt. Meine Freundinnen, der ausgegebenen Verordnung, von der sie sich nur erhöhtes Vergnügen versprachen, bereitwilligst sich fügend, waren auch alle maskiert erschienen.
Das Fest war sehr lebhaft – alles belustigte sich köstlich. Durch meine Maske war ich der Hausfräuleinpflicht enthoben, die Gäste zu empfangen und mit ihnen liebenswürdig zu sein – was mir bei meiner großen inneren Erregung auch sehr schwer gefallen wäre – und ich konnte in einer versteckten Fensternische bleiben, von wo ich unverwandten Blickes zur Eingangstür schaute, um den bang Erwarteten kommen zu sehen.
Und er kam! Wie vornehm und vorteilhaft er doch im Gesellschaftsanzug – ein Vergißmeinnichtsträußchen im Knopfloch – aussah! Mein Herz flog ihm entgegen.
Er näherte sich meiner Vormünderin, die einzige unmaskierte Dame im Salon, und diese mußte ihm verraten haben, wo ich zu finden sei, denn er kam geraden Wegs auf meine Fensternische zu.
Ein heftiges Zittern ergriff mich.
»Gnädiges Fräulein,« sagte er mit einer Verbeugung – »die Hausfrau war so gütig, mich an Sie zu weisen. Erlauben Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle – ich habe bereits die Ehre, mit Ihnen im Briefverkehr zu stehen – mein Name ist Paul Lotz.«
»Ich war nicht darauf gefaßt, ein Maskenfest hier vorzufinden,« fuhr er fort. »Gehört dies auch zu der Vergißmeinnicht-Scharade?«
Jetzt hatte ich meine Fassung einigermaßen wiedererlangt.
»In der Tat ja,« antwortete ich, »Und wenn Sie mir folgen wollen, Graf Lotz, so soll Ihnen die Lösung werden – hier läßt sich nicht ungestört sprechen: kommen Sie . . .«
»Ich bin bereit, Ihnen bis zum Nordpol zu folgen, schöne Maske – an Mut fehlt es mir nicht. Ihre Stimme könnte mich auch noch weiter locken . . . Ich kann Ihnen nicht sagen, was für Erinnerungen diese Stimme in mir weckt.«
»Eine Erinnerung? Das ist vielleicht schon eines der versprochenen Vergißmeinnicht . . . Hierher.«
Ich zeigte den Weg durch die ganze gefüllte Salonreihe, an deren Ende sich mein, den Gästen nicht geöffnetes kleines Schreibzimmer befand; in dieses ließ ich den Grafen nach mir eintreten, und die Portiere fiel hinter uns zu.
Der Raum, ganz mit rosa Atlas austapeziert – mit rosa Atlasmöbel auf weißem Plüschteppich – war nur durch eine von der Decke herabhängende Ampel aus rosa Mattglas beleuchtet und von heftigem Fliederduft erfüllt. Es war mein Geburtstag: und hier hatte ich sämtliche Blumengaben aufgespeichert, die mir aus diesem Anlaß geschickt worden. Alle übrigen Sträuße an Größe überragend, standen zu beiden Seiten des Kamins zwei mit Riesengarben weißen Flieders gefüllte Vasen.
»Sie führen mich ja in den Palast der Blumenfee, mein Fräulein . . . Ich gestehe, mein Mut beginnt zu sinken.«
Ich setzte mich und zeigte mit dem Fächer nach einem gegenüberstehenden Sessel.
»Auch ich empfinde etwas Angst,« sagte ich; »vermutlich mehr als Sie – doch jetzt lassen Sie uns sprechen.«
»Gern,« antwortete Paul, sich auf den angewiesenen Platz niederlassend; »sprechen wir, d. h. beginnen wir mit der Rätsellösung. Vor allem, wollen Sie nicht Ihre Maske ablegen? . . . Ich weiß, wer Sie sind – was bezweckt also das Verhüllen Ihres Antlitzes? Vielleicht ist's Barmherzigkeit – auf daß ich nicht geblendet sei, auf daß ich nicht bereue, was ich Ihnen geschrieben habe?«
»So eitel bin ich nicht. Aber ich habe einen gewichtigen Grund, die Maske noch vorzubehalten –«
»Ah, diese Stimme! . . .«
»An wen erinnert Sie die?«
»An wen? An das Mädchen, das ich liebe.«
Ein freudiger Schreck durchzuckte mich bei diesen Worten . . . so war es doch vielleicht Mirzl Schulze . . .
»Und nicht nur die Stimme,« fuhr er fort, »auch die Gestalt – ja sogar das Kostüm mahnt mich an die Geliebte. Denn, daß ich's Ihnen gestehe: sie ist keine Dame Ihres Standes – sie ist das, als was Sie verkleidet sind: eine Soubrette. Dabei eine Heldin. Ihr Leben hat sie hingeopfert – der Ehre willen.«
»Ist sie tot?«
»Vielleicht. Ich habe ihre Spur verloren.«
»Und doch sind Sie ihr treu?«
»Mein Herz und mein Kopf sind so voll von ihrem Bilde, daß es ein Verbrechen an einer andern wäre, wenn ich einer andern mich verbinden wollte. Ihnen, mein Fräulein – mehr noch als mir – war ich diese offene Erklärung schuldig. Ob ich sie jemals wiederfinde, das weiß Gott. – Und wenn ich sie wiederfände, so gäbe es heiße schwere Kämpfe – denn nicht leichten Herzens könnte ich meiner Mutter den Schmerz antun, eine solche Mißheirat einzugehen. Kurz, ich liebe unglücklich und hoffnungslos – aber ich liebe – und das habe ich Ihnen nicht verschweigen dürfen.«
Kinder – es war eine schöne, eine selige Minute, als ich diesen Worten lauschte . . . Ich war geliebt – kein Zweifel – ich war geliebt. Unter dem Sonnenstrahl dieser Sicherheit brach in meinem eigenen Herzen die längst darin verborgene Knospe meiner Liebe zu voller, süß betäubender Pracht auf . . . und ich genoß dieses glücklichste Bewußtsein, das es auf Erden gibt: geliebt zu sein und wieder lieben . . . Ihr müßt nicht staunen, daß ich in meinen alten Tagen noch so schwärmerisch von Dingen rede, die ja nur in der Jugend empfunden werden: ich habe mir diese Stunde so eingeprägt, mir so oft ins Gedächtnis gerufen, so als meinen wertvollsten Erinnerungsschatz gehütet und bewahrt, daß mir alle ihre Einzelheiten gegenwärtig geblieben sind. – Darum sehe ich ja noch die rosa Seidenreflexe der mich umgebenden Stoffe; atme beinah' noch jene Fliederdüfte, die mich da umfächelten, und höre die Walzermelodie, die vom Tanzsaal leise herüberklang . . . Folgt darin meinem Beispiel, Kinder: wenn sich eine Stunde des Glücks auf eurem Pfade findet – und welches Menschenleben wäre so arm, daß nicht eine liebverschönte Stunde dasselbe zu verherrlichen käme? – o, dann genießet sie mit Inbrunst und lasset sie eurem Gedächtnis nicht entfliehen; solang' als nur immer möglich lasset den Widerhall des Glücksakkordes in eurem Herzen nachklingen, der in jener einen Stunde ertönte, wo, wie der Volksmund sagt, der Himmel voller Geigen hing'.«
»Tante, du sprichst ja mit einer Weihe von der Freude, wie solche von andern Leuten nur für die Erhabenheit des Schmerzes gespart wird.«
»Es ist wahr, Georg! ich gestehe es; es ist ein andächtiges Gefühl, das ich dem Glück entgegenbringe, dasselbe flößt mir Ehrfurcht ein – es ist ein Abglanz aus anderer, höherer Welt . . . Aber ich bitt' euch, Kinder, lasset mich nicht metaphysisch werden . . . Wo waren wir geblieben?«
»Im rosafarbenen Boudoir, wo es nach Flieder duftet und wo eine maskierte Soubrette en tête-à-tête mit einem jungen Ritter in Liebe glüht – allerdings eine hübsche Sachlage –«
»Um so hübscher, als mir eine Steigerung des Interessanten bevorstand: – die Demaskierung. Welche große, gewaltige Freude hatte ich da in der Macht, demjenigen zu reichen, der sich von meiner Gunst weiter nichts als ein Körbchen erbat . . .«
»Graf Paul,« sagte ich, auf ein vor meinen Füßen liegendes Kissen zeigend, »knien Sie nieder – hier.«
»Ich gehorche. – Aber wenn jemand mich so fände –?«
»Hierher kommt niemand. Und schließlich –« ich legte meine beiden Hände auf seine Achseln – »einem Bräutigam könnte man diese Stellung verzeihen und als solcher werden Sie sich von hier erheben –«
»Fräulein Seraphine! . . . Sie fahren fort, mir Scharaden aufzugeben.«
»Ich bin nicht Seraphine – ich bin –«
Er riß mir die Maske vom Gesicht, und mit einem hellen Freudenschrei mich umschlingend:
»Mirzl! – mein Mirzl!« rief er unter Küssen.
*
Jetzt, Kinder, ist die Geschichte aus; denn die nachträglichen Erklärungen und Erläuterungen über meine Identität, meine vorangegangene Verkleidung, meine törichte Schwärmerei für den Lebensretter, über die Krankheit Pauls, über meine Flucht, das alles könnt ihr euch ja denken – auch wie die alte Gräfin in der Folge sich mit dem »Schnabel« aussöhnte, weil ihr Aglae zu verstehen gegeben, daß die reiche Erbin unter einer Verkleidung ins Haus gekommen sei, um den ihr bestimmten Bewerber zu studieren.
»Ich finde, Tante, daß die Geschichte weniger aus ist denn je,« sagte Georg. »Es muß ja noch eine Tragödie abgesetzt haben, ehe du dich von Paul Lotz losgetrennt, um Onkel Alfred zu heiraten.«
»Ach – habt ihr's denn nicht erraten? Mein Held hieß Alfred und nicht Paul – hätte ich das gleich zu Anfang gesagt, so war ja das ganze Ende vorauszusehen. Die einzige Unwahrheit, die ich mir erlaubt habe, war diese, im Interesse eurer Spannung vorgenommene Namensänderung.«
»Also eigentlich dankst du dein Lebensglück – denn wir wissen, daß dich Onkel Alfred sehr glücklich gemacht hat –«
»Und – bis zur Stunde – noch macht,« schaltete die alte Frau ein.
»Dankst du einem wütenden Stier –«
»In der Tat – schreckliche Ursachen –«