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Nach zwei Stunden war ich an meinem Bestimmungsort angelangt.
Aglae war eben erst aufgestanden und empfing mich bei ihrem Frühstück. Ihr Mann war zum Glück abwesend und so traf ich sie allein – worüber ich sehr erfreut war. Sie war die einzige auf der Welt, der ich mich anvertrauen konnte, wenngleich ich auch voraussah, daß sie mich schwer verurteilen würde, denn ihr gegenüber war ich ja gewissermaßen verpflichtet, den Franzl zu heiraten, und davon konnte jetzt doch keine Rede mehr sein.
»Du, Seraphine – wirklich du?« rief sie bei meinem Eintritt. »Ich wollte es kaum glauben, als man dich meldete . . . Was kommst du in aller Gottesfrühe daher? . . . Und so verstört aussehend – bist du unwohl? Ist etwas geschehen?«
»Ach, Aglae, meine Herzensfreundin, viel – viel ist geschehen . . . Und mir ist in der Tat nicht wohl –«
»Hast du vielleicht noch nicht gefrühstückt?«
»Gar nicht dran gedacht.«
»Da, nimm eine gute warme Tasse Tee – da, noch ein Löffelchen Rum dazu – so wird dir gleich besser werden.«
»Ja – das tut wohl!«
»Und jetzt erzähle . . . Franzl? Ich errate – o meine arme Freundin – er liebt eine andere?«
»Eine andere liebt ihn?«
»Ich meine, eher ich . . . aber darum handelt es sich nicht. Franzl ist unmöglich . . . und auch ich bin dort im Hause unmöglich geworden. Du mußt mich verstehen, Aglae . . . ich kann der Gräfin Lotz nicht mehr unter die Augen treten.«
»Um Himmels willen, Seraphine, – ist dir ein Unglück geschehen? . . . Du bist so bleich – ich fürchte das Ärgste – –«
»Ach, Aglae, wie konnte ich so töricht lieben? . . .«
»Kind, sprich offen – ich bin ja deine beste Freundin . . . Wie hast du die letzte Nacht verbracht?«
»Auf Mehlsäcken.« Aglae blickte ein erstauntes Fragezeichen. »Ich war in den Tod gesprungen!«
»In was warst du gesprungen?«
»O, wenn du wüßtest, wie schön, wie verführerisch er war . . .«
»Nun, ja, ein recht hübscher Bursch, soviel ich da unten schließen konnte – du weißt, ich habe ihn nur auf dem Schragen gesehen – aber gar so verführerisch –«
»Von wem sprichst du?«
»Ja – von Franzl. Von wem sprichst denn du?«
»Graf Paul – –«
»Was! Der hat dich auf Mehlsäcke gelockt?«
»Niemand hat mich gelockt. Ich bin darauf gesprungen – ganz allein –«
»Sonderbares Vergnügen.«
»Ich hatte keinen andern Ausweg, Aglae. Du hättest dasselbe getan.«
»Bisher habe ich keine ähnliche Neigung verspürt; noch nie habe ich mich in so schwieriger Lage befunden, daß ich als einziges Auskunftsmittel zum Mehlsackspringen gegriffen hätte . . . Es will mir scheinen, Herzchen, du machst dir einen Spaß mit mir.«
Es dauerte noch lange, bis es mir gelungen, meine Geschichte auf verständliche Weise vorzubringen. Endlich war alles klargelegt, und zu meiner großen Beruhigung nahm ich wahr, daß Aglae nicht nur es mir nicht übelnahm, daß ich mich von Franzl losgesagt, sondern daß sie sich dessen sogar freute – daß es ihr ein Stein vom Herzen war. Auch tröstete sie mich wegen des vor drei Jahren erhaltenen Kusses: – das sei weiter nichts gar so Bedeutendes. Ärger war das Vergehen der jetzt durchgemachten Maskerade – aber hoffentlich lasse sich die Sache vertuschen, und käme sie doch ans Tageslicht, so war mir nichts Schlimmeres nachzuweisen, als ein mit dem Gärtnerburschen getriebener unschuldiger Scherz und eine gleichfalls unschuldige, auf einem Müllerwagen zugebrachte Nacht.
So wie mir Aglae zu meinem Streiche verholfen, so verhalf sie mir auch wieder zur unerkannten Rückkehr. Noch am selben Tage reiste ich heim. Hierauf begab sich meine Freundin zur Gräfin Lotz und erzählte, daß Mirzl Schulze zu ihr gekommen, von da aber, ohne zu sagen, wohin sie ihre Schritte wende, wieder fortgegangen sei, vielleicht hatte sich die Arme in irgend einen Fluß gestürzt; man wisse gar nichts von ihr.
Über das Befinden des Grafen Paul mußte mir Aglae natürlich Bulletins zuschicken. Er machte eine Nervenkrankheit durch, die ihn mehrere Wochen aufs Lager streckte. Seine erste Frage, als er zur Besinnung kam, galt der Mirzl Schulze, und die Nachricht, daß sie beim Fenstersturz nicht verunglückt sei, schien ihm große Erleichterung zu gewähren.
Nachdem er gesundet, machte er allerlei Schritte, um über das weitere Schicksal des interessanten Zöfchens Auskunft zu erhalten, jedoch ohne Erfolg. Aglae hatte strengsten Auftrag von mir, ihm nicht auf die Spur zu helfen. Um ihren Schützling befragt, gab sie an, von dessen Familie nichts anderes zu wissen als den Namen: Schulze – und den Aufenthaltsort: Wien. Damit war es schwer, ans Ziel zu gelangen.
Dem Franzl ließ ich eine anonyme Schenkung von ein Paar hundert Gulden (über mehr konnte ich vor meiner Großjährigkeit nicht unauffällig verfügen) zukommen, mir vorbehaltend, die Summe später zu verzehnfachen, um so vor meinem eigenen Gewissen meinen Lebensretter doch einigermaßen gelohnt zu haben; – schließlich war ich doch nicht verpflichtet, ihm zum Lohn mich selber zu geben.