Bertha von Suttner
Franzl und Mirzl
Bertha von Suttner

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VIII.

Im Laufe des Nachmittags. Ein leises Klopfen an der Tür des Nebenzimmers. Ich trat hinaus, um zu sehen, wer da sei. Es war Graf Paul.

»Wie geht es meiner Mutter?«

»Sie schläft, gnädiger Herr.«

»Dann will ich jetzt nicht hinein. Ich habe nach dem Arzt geschickt – er muß wohl bald kommen, ich werde ihn hier erwarten. Bleiben Sie doch einen Augenblick da, Mirzl – Fräulein Mirzl . . .«

»Ich bin kein Fräulein.«

»Gleichviel – Sie gehören zu jenen, die man entweder mit Du oder mit Majestät ansprechen sollte – entweder stürmisch ans Herz drücken oder bis zu Boden grüßen . . . Das ist die Macht der Schönheit: sie stößt uns Leidenschaft oder Ehrfurcht ein.«

»Mirzl!« ruft es aus dem Schlafzimmer.

»Hier bin ich, Frau Gräfin.«

Paul tritt hinter mir ein. »Ich komme nachsehen, Mutter –«

»Das ist schön von dir . . . Setz dich her an mein Bett – und du, Mirzl, du brauchst nicht fortzugehen. Laß dich nur dort am Arbeitstischchen nieder und säume meine Taschentücher ein! Du störst uns nicht.«

Und die Gräfin begann mit ihrem Sohne Englisch zu sprechen. Ein Ehrlichkeitsgefühl drängte mich zu sagen, daß ich dieser Sprache kundig sei, aber ich hielt inne – eine Handwerkerstochter, welche Englisch spricht: das hieße doch sich verraten. Zudem war mir auch gar zu interessant, was da Graf Paul eben zu reden anhub:

»What a remarkably nice girl you've got there!«

»Ja, sie ist nicht übel,« antwortete die Mutter. »Mit einem Dorfschmied oder so etwas verlobt.«

»Wie schade!«

»Warum schade – sie wird doch ihre Hand nicht für den Kronprinzen aufheben wollen? Aber da wir gerade vom Heiraten sprechen, Paul, hör mich an –«

»Schon wieder, Mutter? Du benutzest dein Unwohlsein, um mich meuchlings mit den alten Ermahnungen zu überfallen,«

»Freilich benütz' ich diese Gelegenheit, denn sie ist eine gute und feierliche. Wenn man krank ist, denkt man an den Tod – und du weißt, ich könnte nur ruhig sterben, wenn ich dich gut und glücklich verheiratet sähe.«

»Sprich doch nicht so düstre Sachen, anläßlich einer so unbedeutenden Unpäßlichkeit – morgen bist du hoffentlich wieder gesund . . . Und was nennst du gut heiraten?«

»Das will ich dir sagen. Ein Mädchen, das jung und schön, aus guter Familie und reich ist.«

»Du verlangst viel – vergissest aber die zwei Haupteigenschaften, die zwei einzigen Eigenschaften eigentlich, die ich fordere, nämlich: liebend und geliebt.«

»Die finden sich, wenn alles übrige stimmt. Ich habe jetzt eine herrliche Partie für dich im Sinn.«

»Die wäre?«

»Du weißt doch, die junge Aglae Dürrhof? – Nun, die ist mit einer Cousine aufgezogen worden, von der sie mir nicht genug Schönes zu erzählen wußte. Fräulein Seraphine – so heißt dieses Wunderwesen – ist eine siebzehnjährige Waise, sehr hübsch, und besitzt ein selbständiges Vermögen von einer Million. Es ist dir nicht unbekannt, daß unser Gut sehr belastet ist –«

»Ich weiß, daß meine eigene Arbeit genügen wird, es zu entlasten. Nicht umsonst studiere ich Landwirtschaft, und wenn ich einmal unsere Steinbrüche in Betrieb gesetzt habe –«

»Du bist doch nicht geschaffen, das ganze Jahr hier zu verbringen?«

»Warum nicht? Übrigens so viel bliebe mir immer noch, um manchmal einige Zeit in der Stadt zu verleben oder zu reisen –«

»Das alles wäre mit einer steinreichen Frau viel leichter –«

»Und wenn's eine angenehme Frau wäre, auch viel angenehmer, das gebe ich zu. Aber ich muß abwarten, daß mir eine so gefalle, so gewaltig in die Seele greife, daß ich mir sage: ›Die oder keine!‹ – Dann wird's aber auch die – auch wenn sie ein armes Bürgermädchen wäre.«

»Gegen meinen Willen, Paul?«

»Reden wir nicht davon, Mutter – wozu uns beide aufregen?«

»Sobald ich gesund werde, reise ich nach Niederösterreich und nehme mir einen Empfehlungsbrief Aglaes an die Pflegeeltern des Fräulein Seraphine mit. Du wirst mich doch begleiten?«

»Mit Vergnügen –«

»Und wenn du dich verliebst . . .«

»Aber auch nur dann. Doch gerade in diesem Augenblick wird mir's schwer fallen, mich zu verlieben . . . Denn ich habe in jüngster Zeit ein Frauenbild gesehen, welches meinen Sinn so eingenommen hat, daß ich wohl für lange keine andere schön und begehrenswert finden kann . . .«

»Und wer ist dieses Phänomen, wenn man fragen darf?«

»Das sag' ich nicht. Doch du hast nichts zu fürchten: die Betreffende ist nicht frei.«

Was war's, was mich bei diesen Worten in meinem Innern bewegte? War's eine frohe Ahnung, daß jenes Frauenbild dasselbe sei, zu dem er vor einer Viertelstunde gesagt, daß er es in die Arme schließen oder bis zu Boden grüßen wollte? . . . Oder war's eine eifersüchtige Regung, daß es eine andere sein könnte – irgend eine reizende und kokette Frau aus der Gesellschaft? . . . Doch, was hatte ich denn überhaupt für Freud' und Leid zu fühlen anläßlich der Liebesangelegenheiten des Grafen Paul – ich, die Schicksalsverlobte des Franzl? . . . Aber ein lieber, achtungswerter Mensch, dieser junge Graf! . . . wie er eine reiche Heirat ohne gegenseitige Liebe verschmähte, wie stolz und tapfer er sich durch eigene Arbeit sein angegriffenes Vermögen wiederherstellen wollte . . . Doch dieser geplante Besuch bei meinem Vormund – das könnte eine schöne Geschichte werden! Da mußte ich vorher mein Schicksal mit Franzl schon zum Abschluß gebracht haben . . .

Zum Abschluß – aber wie? Jetzt, wo sie zur Wirklichkeit geworden, kam mir die Sache nicht mehr so leicht vor, wie die Jahre über, wo sie in meiner Phantasie sich abgespielt. Die Energie, welche erforderlich war, um aller Welt zum Trotz zu erklären, daß ich des Schmiedfranzls und keines anderen Frau werden wolle, diese Energie begann in mir zu erlahmen . . . Aber hatte ich denn überhaupt noch eine andere Wahl? Mußte ich nicht – wenn ich auch auf Franzl zu verzichten hätte – mußte ich dem Grafen Paul und jedem anderen Ehrenmanne nicht sagen: Nein, ich bin nicht würdig von dir zum Weibe genommen zu werden, denn ich habe schon geliebt und schon einen Kuß getauscht? – Und jetzt, nach diesem Abenteuer, nach dieser Verkleidung, wer würde mich denn überhaupt noch für unbescholten nehmen – Paul am allerwenigsten. Nein, nein, es war das beste, gleich die Schiffe hinter mir verbrennen, gleich dem Franzl mich versprechen.

 


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