Auguste Supper
Der schwarze Doktor
Auguste Supper

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14. Kapitel.

Um mein angstvoll Herz zur Ruhe zu zwingen, begann ich mit des Tages Anbruch meine Hantierung, wie jeder Morgen sie brachte. Als ich auf meines Vaters Lager das Bettstroh aufschüttelte, merkte ich, daß nur noch etliche Rüben da waren von unserem ganzen Vorrat. Ich trug sie auf den Tisch, sie zu schälen für unser Morgenmahl, und es erschien mir als ein bös Vorzeichen, daß gerade am heutigen Tage unser Proviant sollte zu Ende gehen.

Mein Vater sahe mir finster zu und seine Finger spielten mit den Schalen. Da kam es mich plötzlich wie Reue an, daß ich neben ihm noch einen andern Mann sollte so heiß im 143 Herzen tragen; ich schluchzete laut auf in bitterlichem Schmerz um unser aller Geschick und schlang meine Arme fest um des düsteren Mannes Hals und netzete sein Haar mit meinen Tränen.

Wie er mich so unbändig sahe, zog er mich nieder auf seine Knie, und er sprach zu mir mit jener ruhigen Stimme, der Ursula und ich so oft gelauscht hatten. Ich hörete ihm zu unter leisem Weinen, und bald danach trat der Magister mit seinem Samuel ein, der einen Korb mit sich schleifte.

Der Alte nahm Rüben und Messer vom Tisch, und indes er sich vor mir neigete, sprach er: »Gestattet, zukünftige Frau Domherrin oder Rätin, oder was Ihr werden sollt, daß ich Euch ein Mahl herrichte, wie es sich zu einem Verspruch besser ziemet.« Mir stieg das Blut in den Kopf und ich schaute verwundert auf den Knecht, der seinen Korb auf den Boden stellte. Der Magister griff hinein und deckte ein feines linnenes Tuch über den Tisch. Dann befahl er dem Knecht: »Heraus mit dem Bienenkorb!« Alsbald stellte Samuel einen Teller mit gesalzenem Hering auf den Tisch. Der Magister rückte ihn in die Mitte und sprach kurz: »Jetzt das vierhörnige Jesuwiderhütlein!« Da legte der Knecht vier Eier zu dem Hering. Der Lamprecht befahl weiter: »Der Barfüßer Sekten und Kuttenstreit!« Da zog Samuel ein rundes Brot, wie es dazumal gern einen Taler kostete, aus seinem Korb hervor und schob es zu dem übrigen. Indes mein Vater und ich voll Verwunderung auf diese seltenen Dinge sahen, stellte der Magister noch einen Topf heißer Milch dazu, dann faltete er die Hände und betete zum Essen. Dem Samuel reichte er sein Teil hin und hieß ihn gehen, ehe er uns geschäftig die Schüsseln bot. Mein Vater griff nach einem Ei und sagte mit Lächeln: »So denn doch des Johann Fischart artige Werke wider die Pfaffen verspeist sein müssen, so will ich mich zuerst an ein Horn von diesem vierhörnigen Jesuwiderhütlein machen. Aber saget mir zuvor, Magister, wie kommet Ihr zu solchem Einfall?« Dieser warf dem Hund einen Heringskopf hin und begann mit Lachen:

»Ihr wisset wohl, Doktor, daß ich harmlos Magisterlein von den Steckenpferden, so für die Menschheit parat stehen, ein ganz artiges ausgewählt habe, nämlich die Sucht, allerlei Bücher und Bände, Gedrucktes und Geschriebenes zu sammeln. 144 Ihr werdet es hoffentlich nicht für böse Absicht oder ketzerische Frechheit erachten, daß insonderheit Schriften der Protestanten, oder solche, die von Protestanten handeln, oder aber auch diejenigen, die an allerlei Gebresten der römischen Kirche rühren, sich in meiner eichenen Lade zusammenfinden. So ist mir auch der Fischart dazwischen gekommen, zu einer Zeit, da der Lamprecht noch dann und wann einige gute Taler übrig hatte für sein Pläsier. Ich muß Euch gestehen, Doktor, daß ich diese Schimpfereien auf Eure und meine Freunde oft ergötzlicher fand, denn zu Würzburg rätlich und erlaubt ist, und daß ich manches Stündlein darüber saß und lachte, wo ein armer Magister vielleicht anderes hätte treiben sollen. Darum habe ich auch mannhaft widerstanden, wenn mir der Bernhard Kärn in der Pfaffengasse, mit dem ich in aller Stille Geschäfte mache, zuweilen namhafte Gebote darauf tat. Aber da ich in dieser Nacht den Jesuiten reden hörete, und da ich sahe, wie der Domherr an Eurer verlassenen Renata handelt, ist mir mein lustiger Fischart einigermaßen entleidet worden; darum eilete ich, ihn gegen diese nützlichen und guten Sachen zu verhandeln, ehe andere geistliche Herren zu Würzburg ihn mir wieder lieb und wert machen, so daß aus dem Handel und diesem fürstlichen Mahl nichts würde.«

Mein Vater sagte im Zulangen: »Lasset Euch nicht reuen, Magister, daß Ihr Euern Fischart der Not der Zeit geopfert habt. Seitdem vor dem Sandertor der Boden schwarz ist vom Brennen, ist's übers Lachen hinüber. Vielleicht Ihr und meine Renata erlebet noch die Zeit, da mit lustigem Geschimpf und etlicher Grobheit der Würzburger Pfaffen Treiben hinlänglich gegeißelt ist; aber in diesen Tagen wäre Feuer vom Himmel noch ein mild Gericht.«

Der Magister drückte die Eierschalen mit der Hand zusammen, und seine grauen Äuglein leuchteten auf unter den buschigen Brauen: »Ja, Herr, nur um diese gesegnte Zeit zu erleben, hat sich der Lamprecht zu den Stillen im Lande gesellet und hat sich angewöhnt, zu schleichen wie ein Kätzlein mit sammetnen Pfoten. Oder haltet Ihr dafür, es wäre besser, wenn er die Krallen wiese?« 145

Mein Vater streckte die Hand vor, wie zur Abwehr: »Fraget nicht mich, es tut jeder nach seiner Art!«

Der Magister bekam einen roten Kopf und schlug zornig auf den Tisch: »Ob das Schleichen nach meiner Art oder gegen meine Art ist, Herr, das kommt nicht in Betracht; aber ich sage Euch: wer etwas wirken will, der muß am Leben sein, und es soll vorkommen, daß ein lebendiger Magister mehr leistet, denn ein verbrannter Doktor.«

Mein Vater lächelte über des Männleins Eifer und entgegnete: »Ei, Magister, so muß ich Euch sagen, daß Ihr noch lange kein Meister im Schleichen seid, sonst hättet Ihr dem schwarzen Doktor und seinem Kind Euer Haus nicht aufgemacht und Euer letztes, sogar Euern Fischart, mit ihm geteilt.«

Das Männlein wehrete hastig mit der Hand ab: »Laßt das! Wenn ich nicht im Schleichen geschickt wäre, so könnte schon lange der Henker von Würzburg das bißchen Rauch, das ein dürres Magisterlein gibt, durch seine große Nase ziehen, niemand zu leid, denn ein paar Würmern, denen ein schmaler Bissen hinterzogen würde.«

Da legte mein Vater dem Mann die Hand auf die Achsel und sahe ihn scharf an, indes er sagte: »Wär's nicht auch denen zuleid, die im Hochstift und darüber hinaus den Nutzen haben von Eurem Steckenpferde in der eichenen Lade? Denen, die sich an Luthers und Melanchthons Postillen, an deutschen Psaltern und Neuen Testamenten, an Traktätlein und Schreibereien erfreuen, die froh und stark machen in dieser gottesjämmerlichen Zeit! Und wäre es nicht auch denen zuleid, die fürstbischöfliche Lindigkeit in den letzten zwanzig Jahren hinausgetrieben hat zum Hochstift, von Haus und Hof weg? Wer sollte wohl fürder diesen Teufeln von Lutheranern unter der Hand ihre Liegenschaften verkaufen und vertauschen, wer ihnen gute Taler leihen und mit tausenderlei an die Hand gehen, wenn das gewisse Magisterlein sein Schleichen verlernen und seinen grauen Kopf in schuldiger Aufrichtigkeit in die Schlinge stecken würde!«

Der Magister wurde rot, als wäre er scheu und befangen, dann lachte er kurz auf und sagte, als ob er sich entschuldigen müßte: »Wisset, Herr, oft gehört auch Mut zum feig sein. 146 Und ich sahe schon jämmerlich feige und fade Gesellen sich als Märtyrer dahingeben, denn dazu ist in diesen Tagen die Gelegenheit in Würzburg allzu wohlfeil. Es hat nicht Hund noch Katze Gewinn davon, nur sie selber schneiden fromme Gesichter, preisen sich selig und sagen, daß sie leiden für ihren Glauben. Ob sie aber auch gelebet haben nach ihrem Glauben, das halten sie für ein unwichtig Ding. Ich aber vermeine: Mit dem Leiden ist in dieser Welt, insonderheit unter Philipp Adolf und denen mit den schwarzen Hütlein, nicht viel geschehen, sonst müßte wahrhaftig nach diesen letzten zwei Jahren die protestantische Sache in bestem Flor stehen, dieweil so viel dafür ist gelitten worden, daß man stumpf wird vor Jammer und Herzeleid. Auch wisset Ihr, Doktor, daß ich von jeher gern etwas Besonderes hatte, und so ist mir das Verfolgt- und Vertriebenwerden bald als ein jämmerlich alltäglich Schicksal erschienen. Da habe ich mich denn daran gemacht, zu tun, was Jesus Christus in einer bösen Zeit seine Jünger tun hieß: ich habe mir ein Schwert gekauft und bin so klug geworden wie die Schlangen. Ja, lacht nur, Doktor! Ob ich auch mein Schwert nicht frei schwingen darf, ist doch mancher Schuft schon in seine Schärfe getreten, und manchem von den Unseren hat es den Rücken gedeckt, wenn er von dannen mußte. Aber dabei ging's nicht ohne Heimlichkeit, denn so ich elend Magisterlein mich wollte gegen die Herren mit den schwarzen Hüten aufspielen, so wär's nicht anders, denn man wollte einen nackten Knaben gegen ein Heer von Vipern führen.«

Mein Vater lächelte traurig und sprach: »Was kann und darf ich dawider sagen! Aber an das Augustinermönchlein muß ich denken, das niemals hinterm Berge hielt.«

In des Magisters grauen Äuglein blitzte es; er schlug auf den Tisch und lachte laut: »Gebet mir des Luthers Maulwerk, Doktor, und seinen überschäumenden Zornmut! Meinet Ihr, es komme alle hundert Jahre ein Luther? Nicht alle tausend, sage ich Euch. Was in dem einen Manne gelebt hat an Eifer für Wahrheit, Frömmigkeit und Sitte, Ihr findet es nicht in der ganzen Herde derer, die sich seitdem Lutheraner nennen. Der Strom, der damals in dem Mönchlein brausete, ist allmählich ein flach und seicht Wässerlein geworden in seiner 147 Anhänger Herzen. Aber ich tue, was ich kann, Doktor. Glaubet nicht, daß ich das Leiden fürchte, dazu ist die Zeit zu miserabel und das Leben zu düster; aber sehet nur ein, daß ich recht habe, wenn ich sage: Das Tun kommt zuerst, das Leiden zuletzt.«

Mein Vater nickte mit dem Kopf und schwieg, aber der Magister fuhr zornmütig fort in seiner jähen Art: »Wohl müßte auch im Sanftesten unter uns des Luthers Eifer aufleben, so wir alles uns überlegen und ansehen! Da ist der Herr Jesus gekommen und hat gesagt: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid! Ja, das wäre schon recht, schon gut, aber der Pfaff steht und hebt die Kutte rechts und links breit hinaus wie ein Mägdlein, das Haschen spielt, und er schreit: Halt, Freund, fein langsam! Sag erst mir, was dich drückt, ich will's schon ausrichten! Da sperrt sich das Menschenkind und will selber hin zu dem lebendigen Gott – – hui – fort auf den Stoß! Der Pfaff hat recht und der Herr Jesus unrecht. Oder da stehet geschrieben: Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes! Ei, jawohl, bis auf den heiligen Krispin, der das Leder stahl, oder den Peter von Saragossa, der in Blut und Asche dahin watete, oder den heiligen Makarius, der sich um der Anfechtung willen mit dem Hintern in einen Ameisenhaufen setzete, oder der heilige Dominikus, der die noch heiligere Inquisition erfand – – diese und die andern alle haben Ruhms genug. Ja, ja, Gott und der Herr Christus, sie wollten uns das Leben wohl leicht machen; aber sie haben nicht mit den Pfaffen gerechnet. Halt nur still, du lieber Ochs, man wird dir das Joch schon auflegen. Und wenn du opferst, dann wirf zuerst dein bißchen Vernunft in den Kasten, und aber hinterher so viel als möglich von allem übrigen.«

Das Männlein glühte im Gesicht und fuhr sich über die Stirn. Alsdann sprach er ruhiger weiter: »Der Luther war kein Ochs. Er war ein Mann, ein deutscher Mann, mit einem stolzen und steifen Nacken. Er stieß die Pfaffen weg und ging frank und frisch vor seinen Gott, und er sprach ihn an: Du lieber Vater! Stein um Stein räumte er aus seinem Weg; er fegte mit scharfem Besen den römischen Kehricht hinaus aus unsern deutschen Landen, und wenn er auf einen Misthaufen 148 stieß, so sagte er nimmermehr, er habe einen Rosengarten gefunden. Dazumal ging ein Sturm über die Welt, der die Nebel verjagte, also, daß selbst der Mann auf Petri Stuhl für eine Stunde sehend wurde und ausrief: ›Die Sünde des Volks stammt von den Priestern und die Krankheit ziehet vom Haupt in die Glieder.‹ O Doktor, dazumal konnte man atmen; aber jetzt ist's stickicht, als stecke man im Sumpf.«

Mein Vater nickte wie in schweren Gedanken, doch antwortete er nicht. Der Magister warf die übrigen Brocken dem Hunde hin und stellte die Teller zusammen, dann stunden wir alle auf zum Gebet. Danach begann mein Vater von Ursula zu reden, und der Magister fiel ein, die Blinde zu loben um ihres Eifers willen. Mein Vater erwiderte fast abweisend: »Ihr kennet sie nicht und wisset nicht, was sie war! Nur einer, der in Banden und Knechtschaft dahinlebete, kann ihren tapferen Mut, ihre gerade und starke Zuversicht völlig bewundern. Sie war mit ihrem wahrhaftigen Wesen wie ein Hauch von reiner Luft, der über mein verdorben Leben dahinfuhr, und ich habe ihr niemals und mit nichts dafür danken können. Und nun, was ist ihr Los? Wie wird sie enden? So doch selbst der wackere Friedrich Spee nichts für sie hat, denn nur den Rat, möglichst rasch zu bekennen.«

Da mußte ich laut aufweinen und ich sprach: »Herr Vater, was soll sie denn bekennen, ist doch ihr Leben hell wie der Tag.«

Mein Vater antwortete: »Einfacher gibt's nichts auf Erden, Renata, denn das Verfahren, das man einen peinlichen Prozeß nennet: Der Inquierent fraget, der Malefikant sagt: ›Nein‹; der Henker torquieret. Der Inquierent fraget zum andernmal, der Malefikant sagt: ›Ja,‹ und der Henker brennt. Mich soll solche Praxis nicht kümmern, denn ich tausch eine lange Knechtschaft ein gegen einen kurzen Schmerz, und bin's zufrieden; aber wie sollen der Blinden weiße Händlein den Schrauben widerstehen, wie ihr zarter Leib den Griffen der Henker!«

Es war zum Erbarmen, wie meines Vaters Antlitz wurde bei solchen Worten; der Magister schlug hart auf den Tisch und rief: »Es darf nicht sein, Doktor, es darf nicht sein.« 149 Mein Vater sahe hastig auf und fragte voll Gier: »Ihr achtet auch, Gott kann solches nicht wollen?«

Der Lamprecht entgegnete voll Zorns: »Lästert nicht, Herr, die Teufel wollen solches, die Teufel oder die Narren.«

Da glättete sich meines Vaters Gesicht; er strich über seine Stirne, als müsse er den Schweiß abwischen, und danach rief er den Hund zu sich. Er streichelte ihm seinen klugen, mageren Kopf voll Zärtlichkeit und sprach so ruhig wie in besseren Zeiten: »So wäre denn für alle gesorgt nach Menschenvoraussicht; nur für dich nicht. Aber ich achte, auch du treibst es nicht mehr allzulang. Laß dich solches nicht anfechten, es bleibt nichts für dich dahinten auf dieser jämmerlichen Welt, denn etliche Mainratten, die dem Samuel entwischt sind.« Der Hund drückte seine Schnauze an den Tischrand und begann kläglich zu heulen. Es mag vor Hunger gewesen sein. Der Magister aber legte ihm die Hand auf den Rücken und sprach leis: »Solange in der eichenen Lade noch ein Blättchen und im Beutel noch ein Stückchen zu finden ist, soll das Tier nicht an Hunger zugrunde gehen.«

Mein Vater lächelte und sprach: »Wie aber, Magisterlein, wenn einer einen Scherz machte und sagte: Der Lamprecht verköstigt aus einer Lade die Hunde und die Lutheraner!«

Der Magister sprach schnell dagegen: »So wollt ich erwidern: Der Lamprecht steht denen bei, die Treue erweisen, und der Scherz sollte mich nicht kränken.« Indes die Männer redeten, saß ich da mit bebendem Herzen, denn die Stunden rückten vor, und ich vermeinte, einmal der Häscher, einmal des Herzliebsten Schritt zu vernehmen. Aber niemand pochte an unsere Türe. Es ging gegen den Mittag. Man hörete das Läuten vom Dom und von St. Burkhard, als Samuel hastig in die Stube trat und rief: »Herr, es ist etwas in der Stadt, die Leute rotten sich zusammen im Burkharder Viertel und auf der Brücke, und vom Marienberg herunter sahe ich Bischöfliche reiten, wohl ein ganzes Fähnlein.« Der Magister tat das Gerät vom Tisch in den Korb und sprach: »Sie werden wieder brennen dort draußen.« Aber der Knecht schüttelte den Kopf und entgegnete: »Darob gibt es nicht mehr solchen Auflauf, auch ritten dann die Bischöflichen außen herum.« 150

Der Magister sagte: »Nimm den Korb fort, Samuel, und laß dich das andere nicht kümmern!«

Der Knecht war noch unter der Tür, da scholl plötzlich wilder Lärm vor dem Haus, also, daß wir zumal aufsprangen, zu sehen, was es gebe.

Es war aber ein wüst und zornig Getümmel vieler Menschen; darunter erblickte man auch die Kittel bischöflicher Leute und die blauen Musketierröcke der Stadtsoldaten. Dieweil ich neben den Männern noch durchs Fenster spähete, kam Samuel wieder gelaufen und schrie: »Herr, es sind Lutheraner, und sie haben den langen Rupprecht; in der Stadt sei ein ganzer Aufruhr!«

Der Magister fuhr mit einem Ruck herum, mein Vater stieß einen Schrei aus, fast wie ein Jauchzen, dann waren die Männer beide davon und ich stund allein in der Stube.

Man hörte jetzt deutlich wilde Schreie: »Laßt ihn Mainwasser saufen, den Spionen!« Danach brüllte ein anderer: »Tut es dem Main nicht an, daß ihr das Scheusal hineinwerft!« Und wieder etliche schrien: »Brennen soll er, brennen, er ist dürr genug!«

Auf einmal hörte ich eine Weiberstimme, und ich sahe das Göbel Jettle gegen den Haufen laufen. Es flogen aber ihre grauen Haare um ihr Gesicht, und sie war schrecklich anzusehen, wie sie die geballten Fäuste drohend vorstreckte und gellend schrie: »Brennen soll er, wie mein Babele; sie hat brennen müssen, dieweil sie den dürren Hund nicht hat wollen.«

Es wichen die zornmütigsten Männer zurück vor dem Weib, und ich sahe sie vor dem langen Rupprecht stehen mit gekrallten Fingern. Da streckte der heillose Mann die Arme aus mit einem bösen Fluch, und seine Augen wurden schreckhaft groß, also, daß man ihm sein gräßlich Entsetzen ansahe.

Jetzt tauchte mein Vater auf, den Hund zur Seite; neben ihm lief ein großer Mann, der sahe aus wie die leibhaftige Wut, und schrie heiser: »Laßt den Schuft dem Weib nicht; nicht sie allein hat ein Dirnlein an ihm zu rächen!«

Nun war die ganze Rotte wie ein wüster Knäuel und wälzte sich dem Main zu, und da ich an das hintere Fenster 151 lief, sahe ich eben den fremden, zornmütigen Mann den Rupprecht in das Wasser stoßen.

Ehe noch die Wellen über dem Unseligen zusammenschlugen, klang ein schriller Schrei herauf, und das unsinnige Weib war nachgesprungen in die wilde Flut. Ich hörete meinen Vater rufen: »Rupprecht, faß an!«, denn er wollte den Hund, der ein starkes Tier und des Schwimmens gewohnt war, den beiden nachsenden. Der Hund sprang mit einem mächtigen Satz von dannen, bis weit hinein in den Strom, wo der lange Rupprecht brüllend auftauchte, dann war es wie ein kurzes, wildes Ringen, und man sahe nicht Mensch noch Tier mehr im Wasser.

Eines Augenblick Länge stund die Menge wie erstarrt in Schrecken und Grausen; dann aber wandten sich die Bischöflichen gegen die Soldaten und das Stadtvolk.

Ich hörete einen rufen: »Haut drein, Männer! War er auch ein giftiger Schuft, so war er doch des Bischofs Knecht, und dies hier ist ketzerisch Gesindel!«

Es ward nun ein bös Ringen vor dem Haus. Von den Stadtsoldaten schienen die meisten trunken, wie das dazumal Würzburger Soldatenbrauch war; aber von den anderen Männern sahe ich manchen mit zusammengebissenen Zähnen gegen die Bischöflichen anspringen, darunter den Philipp Baunach, dessen Vater man im vorigen Jahre gerichtet, und zwei Gutbrodsche Knaben von meinem Alter, denen man die Mutter verbrannt und das reiche Erbe eingezogen hatte. Ich stund und starrete hinunter in den wilden Kampf, ohne Regung, fast ohne Gedanken; und es war mir, als sei es ganz in der Ordnung, daß diese Männer sich also zerfetzten, zermalmeten und vernichteten. Mein Vater tauchte auf mitten in der Schar. Es rieselte ihm Blut über die Stirne, und seine tiefen Augen blitzten. Er hob seine knochige Faust und stieß einen zurück, der eben den jungen Baunach von hinten fassen wollte. Ich las etwas Fremdes, Unheimliches in des verschlossenen Mannes Angesicht, und es war der Fluch jener bösen Zeit, daß sie nicht nur Hunderte Unmenschliches leiden ließ, sondern auch, daß sie die übrigen hart machte, als stecke in jedem ein Stück von einem Henkersknecht. Von den Kitteln der Bischöflichen 152 war bald nichts mehr zu sehen; die Lutherischen hatten sie ihnen in Fetzen vom Leib gerissen. Die Stadtsoldaten schlichen einer nach dem andern mainaufwärts, denn so sie gleich des Bischofs Leute grimmig haßten, wollten sie doch in so blutigem Ernst nicht als die Gesellen der Lutherischen gelten. Der streitende Haufe war schon viel kleiner geworden, da kam der Magister mit rotem Kopf von der Brücke hergelaufen. Ich dachte voll Unmuts, daß das Männlein dem Kampf sei aus dem Weg gegangen; aber seinen zerschundenen Kleidern nach war er in der Stadt auch nicht friedlich durchgekommen. Schon von weitem focht er mit den Armen in der Luft, und als er meinen Vater sah, sprang er ganz nah herzu und schrie: »Doktor, haltet die Knechte Sr. Gnaden nicht auf! Ihr Herr möcht sie wohl nötig am Domplatz brauchen, denn dorten schmeißt Würzburger Stadtvolk Türen und Fenster ein.« Viele der erhitzten Männer wandten sich dem Magister zu, und jetzt hörte man helle Trompetenzeichen, wie sie das Fähnlein auf dem Marienberg gebrauchte. Fast zur gleichen Zeit fing es an, überall Sturm zu läuten, und mit einem Male stunden die Kämpfenden und lauschten hinüber. Der Magister nützte die Zeit und schrie laut: »Fort, Männer! Gut katholisch Stadtvolk krawallt, dieweil Se. Gnaden anfängt, von den Ketzern zu den Chorherren von Neumünster überzugehen. Den Jakob Thurnes, den Paul Grünewald, den Doktor Markus, den Johann Haas und den Nikodemus Hirsch habe ich selbst sehen vorüberführen, und zwei andere seien schon drinnen! Sieben Kapitulare, das ist viel auf einmal! Fort! Ihr Männer, und saget Eurem Herrn, der Magister Lamprecht vom Mühldamm wisse ganz andere, er wisse die Rechten, so ihn Se. hochfürstliche Gnaden nur darnach fragen wollten.« Ich stund und sahe zu dem Männlein hinüber und konnte den Blick nicht wegwenden, denn es lag in dem kleinen, verkniffenen Gesicht ein so schrecklicher Zug von Abscheu und verzweifeltem Jammer, wie ich ihn nie in eines Menschen Zügen gesehen hatte. Alle horchten herüber zu dem Magister, dann verlief sich der Haufe in scheuer Hast, und manchen wunden Mann sahe ich zum Main hinschleichen, sein rinnend Blut zu stillem Ich wandte mich um, nach meinem Vater zu sehen, da trat er schon an des 153 Lamprechts Arm über die Schwelle. Der wackere Samuel trug ein Becken mit Wasser, Linnen und Essig herzu, ehe ich mich auf alles besinnen konnte; dann ließ sich mein Vater schwer auf sein Lager niederfallen und unter des Magisters und meinen zitternden Händen vergingen ihm die Sinne von übergroßem Blutverlust.



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