Auguste Supper
Der schwarze Doktor
Auguste Supper

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4. Kapitel.

Am St.-Josephs-Tag des Jahres 1628 läuteten gegen den Mittag die Glocken.

Ich stand mit meinem Vater dort, wo man hinabsieht auf die Stadt, und wir lauschten den gellen Klängen, nicht wissend, was sie bedeuteten, da die Stunde des Gottesdienstes vorbei war.

Es war ein lieblicher Tag, und die Luft voll von Gerüchen der Veilchen, die am Rain wuchsen. Über mich kam eine große Freudigkeit, wie der Lenz sie wecket in einem Herzen von so jungen Jahren. und ich ließ einen hellen Jauchzer hinklingen über das sonnige Tal, in dem der Main glitzernd dahinzog.

Da wandte sich mein Vater zu mir und sprach, als sei er ein Prophet: »Wahrlich, Renata, das wird für lange Zeit der letzte Jauchzer gewesen sein, der über dieser Stadt verklang, und diejenigen Schatten, die ich dort unten lagern sehe, die durchdringet und scheucht keine Lenzsonne.«

Dieweil ich aus solchen Worten vernahm, daß meines Vaters Düsterheit immer größer ward, war es auch mit meinem Frohmut vorbei, und ich merkete nicht mehr den Veilchenduft, sondern die Schwere der Zeit, die allerorts in der Luft lag.

Die Sonne stand am selbigen Tag im Sinken, als Ursula eilends daherkam. Sie tat uns kund, daß sie von jetzt an wohl 23 für lange Zeit nicht mehr kommen könne, dieweil das Burkharder Tor wie die anderen streng geschlossen gehalten werde, da schweifendes Kriegsvolk sich in der Nähe gezeigt, auch böse Greuel verübt habe. Deshalb habe man die Glocken geläutet, denn der Friede der Stadt sei bedroht, und die Rede gehe, es seien kaiserliche Scharen, die brandschatzten wie Feinde.

Philipp Adolf lasse Wachtstuben für Soldaten an jedem Tor herrichten, auch Zugbrücken und Gräben bessern und den Dienst streng handhaben; die städtische Wehr habe neue Musketierröcke bekommen, dazu blaue Hüte mit blau und weißen Federn.

Schon sei das Landvolk aus der Nähe in die Stadt geflüchtet; doch habe man bis jetzt nur die hereingelassen, die einen Vorrat an Mundbedarf oder gut Reichsgeld oder brauchbares Gewaffen aufgewiesen, dieweil fast nur minderwertig Geld und wenig Speise in der Stadt vorhanden, auch die Bewehrung nicht im besten Stand sei.

Ursula hatte solches in Eile mit dem Vater verhandelt; dann streckte sie ihm ihre schmale Hand hin und sagte: »Gott schütz und behüt Euch, Herr, und versprechet, daß Ihr mit Renata hinter die Mauern flüchtet, so sich für Euch eine Gefahr weist.«

Mein Vater nahm ihre Rechte in seine beiden Hände und sprach: »So ich Renata nicht hätte und Euch nicht kennete, wollte ich eher gespießt, gedolcht und erwürget werden vom rohesten Landsknecht, ehe ich hinter Philipp Adolfs Mauern Schutz suchete. Doch um Euretwillen, Ihr Mägdlein, will ich's wohl versprechen.«

Wie ein alt Sprichwort sagt: ›So kein Winter ist, so ist auch kein Sommer!‹, also geschah es im selbigen Jahr.

Es war allezeit kühl und über die Maßen regnerisch. Im Juli trat der Fluß über sein Bett und schwoll so an, daß er bis an das Schodershaus auf dem Markt ging. Das Wasser riß viele Wohnstätten, Weinberge und Viehweiden fort, auch kamen etliche Leute in den Fluten um.

War es fernd zu trocken gewesen, so war es heuer zu naß: was zuletzt dabei herauskam, war doch das gleiche, nämlich Hunger und Krankheit bei Mensch und Vieh. 24

Von den Bürgerssöhnen gingen viele unter die Soldaten, sonderlich die, welche durch die Münzer, die man Kipper und Wipper nannte, um das Ihre gekommen waren.

Auch ließen sich viele Studenten und zuvörderst alle Pennäle anwerben, denn die waren dazumal so ungebärdige, wilde und zügellose Gesellen, daß ihnen das Landsknechtleben, das Hin- und Herziehen in den Landen, das Plündern, Rauben, Morden, Brennen am ehesten zusagte.

Es kostete im selbigen Jahr zu Würzburg eine Henne 1 Gulden, 1 Pfd. Schmalz 1 Reichstaler, 1 Pfd. Fleisch 24 Kreutzer und ein Maß Wein 30 Kreutzer. Und dies alles in gutem Reichsgeld. Von der leichten Münze, so die Münzstätten der Stadt verausgabten, hätte man wohl müssen das sechs- oder zehnfache bezahlen. Wenn mein Vater von solchen Dingen hörete, sprach er oft: »Nur zu, nur zu!« und lachte dabei, daß der Frankenres und mir bange ward. Einmal sagte er auch: »Des armen Volkes Leib ist jetzt so nackt und bloß, daß des nahen Krieges Geißel ihm wohl jämmerliche Striemen aufmessen mag.«

Nachdem die Ursula etliche Monde fern geblieben war, kam sie gegen das Ende des Sommers wieder häufiger. Dieweil jenem Kriegslärm nicht sogleich die blutige Tat gefolgt war, hatte man in der Stadt schnell wieder die Vorsicht vergessen. Die Landleute waren aus den Mauern gezogen, um das Feld zu bestellen, denn der Hunger nahm überhand und hatte niemand gute Zeit, als allein die Münzer.

Ursulas Base, ein ledig Frauenzimmer von streng katholischer Frömmigkeit und des Torwarts ältere Stiefschwester, war in ihrer Jugendzeit eine schmucke Dirne, aber von leichtfertigen Sitten gewesen und danach in einem adeligen Hof zu Nürnberg Amme geworden. Der Knabe, den sie damals getränket hatte, war nun ein Domherr zu Würzburg, der im Hof Bibra wohnete und für des Bischofs Liebling galt. Diesem besorgte sie die feine, zierliche Wäsche, denn sie hatte eine geschickte Hand im Sticken und Nähen und Kräuseln.

Auch hatte sie in der letzten Zeit am langen Rupprecht einen Freund gewonnen, der ihr manchen Verdienst zuwies und 25 sie reichlich versorgte mit allerlei neuen Geschichten, wie sie ein klatschsüchtig Weib wohl lieben mag.

Ursula tat uns wieder kund, was sie durch ihre Base vernahm von all dem Treiben in der Stadt und am Hof, an dem derzeit ein reges Leben war, dieweil der Bischof fast immer unten und selten auf dem Frauenberg wohnete.

Am Montag nach dem Bartholomäustag kam Ursula abends heraufgestiegen. Sie sahe im Gesicht aus wie ein Wachsbild und in ihren offenen Augen lag sonderbarer Glanz.

Wie sie so vor uns dastand, kam über mich ein jäher Schreck und große Angst. »Doktor,« sagte sie, und trat über die Schwelle, »es wird doch nicht sein!« Dann fing sie zu weinen an wie damals.

Mein Vater sprach leise auf sie ein, und hätte ich nicht selbst die Macht solchen Zuredens gekannt, das wie ein Strom von stiller Kraft und sicherer Ruhe über einen dahinging, so hätte ich sie oft und deutlich an Ursula erkennen mögen. Und sie begann danach zu erzählen.

Am Vormittag war sie mit der Base in den Dom gegangen, denn sie liebte die Stille und Kühle daselbst.

Da sie neben der Base kniete und ihre Seele zu dem hin aufschickte, vor dem ein zerknirscht Herz und ein sehnlich Verlangen überall und zu jeder Zeit gilt, ward sie jäh aufgerüttelt aus ihrer Andacht. Nämlich der Priester, der zuvor leise und lateinisch gebetet hatte, fing mit einer lauten Stimme an also zu verlesen: »Nicht ohne große Beschwer ist es zu den Ohren Sr. Gnaden des Bischofs Philipp Adolf gekommen, daß in der Stadt und im Hochstift Würzburg immer mehr Personen beiderlei Geschlechts, ihrer eigenen Seligkeit vergessend und vom wahren Glauben abfallend, sich mit Teufeln vermischen, Mißbrauch treiben und in schändlichen Lastern leben. Derethalben gebietet Se. Gnaden, daß in seinen Landen strenger denn zuvor gegen jede verdächtige Person eingeschritten, zuvörderst auch die leidigen Häretiker und Schismatiker wohl überwachet und ihr scheußlich Tun und Treiben zu Ohren der bestellten Richter gebracht werde. Ihr Betsaal soll geschlossen und danach abgebrochen werden. Auch die große Münzstätte im Kanzleihöflein soll zu einem Gefängnis mit acht Gewölben umgebaut werden, 26 daß mit Hilfe Gottes und eines strengen Gerichts der Frieden einkehre im Hochstift.«

Mein Vater ward weiß im Gesicht und konnte lange nicht sprechen, sondern starrte in das vergehende Rot am Himmel. Danach wandte er sich uns zu und sagte: »So ihr alle beide meine Kinder wäret, so sähe uns der morgende Tag auf dem Wege gen Rotenburg.«

Ursula aber schrie ängstlich auf: »Herr, verlaßt mich nicht!« Mein Vater schüttelte den Kopf: »Seid ohne Sorge, Ursula, es hält mich auch noch anderes zu Würzburg.«

Da lächelte die Blinde mit bleichen Lippen und sprach: »So wollen wir uns des getrösten, das geschrieben steht: In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.«

Ich sahe einen bitteren, fast bösen Zug in meines Vaters Antlitz steigen, als er entgegnete: »Kind, es stehet noch viel mehr geschrieben, und ist doch von alldem noch keine Daumenschraube locker oder der spanische Bock zum Federpfühl worden; auch lodern die Stöße ganz prächtig, die unter frommen Gesängen geschürt werden.«

Ich machte das heilige Kreuzeszeichen, und Ursula sprach leis: »O Jesus, Jesus!«

Im Herbst desselbigen Jahres begann die Weinlese zu Würzburg erst spät, denn der Oktober brachte viel warmen Sonnenschein, den die Winzer den Trauben gönnen wollten, die in großer Menge gewachsen, aber sauer waren.

Im Anfang des November, an einem warmen, klaren Tag, als wär's im Maien, nahm mich mein Vater mit hinunter in die Stadt. Unterwegs, schon vor dem Kronentor, in der Saalgasse und Burkharder Gasse begegneten uns Haufen der städtischen Wehr und bischöfliche Leute. Sie schleppten Hakenbüchsen, Handrohre, Pechringe, Schwefelkugeln, Falkonetlein und Steinbüchsen gegen den Marienberg.

Auf der Brücke begegnete uns Se. Gnaden, der Bischof selbst, mit ihm waren etwa sechs oder acht Domherren. Ich hatte ihn nie zuvor so nahe gesehen, und es mag wohl sein, daß ich mich in kindischer Neugierde allzusehr an den Trupp Männer, die sämtlich zu Pferde saßen, herandrängte, denn mein 27 Vater rief laut und zornig: »Renata Isabel!« Und es war das erstemal, daß er mich mit meinen beiden Namen, darauf ich getauft bin, anredete.

Da sahe ich, wie der Bischof rasch zu uns herüberblickte, dann sein Pferd mit den Schenkeln drückte und im Trab über die Brücke ritt.

In der inneren Stadt stand auf dem Platz hinter dem Dom ein neuer Galgen. Viele Leute liefen hin und wieder, als wären sie besonders verstört.

Mein Vater fragte ein alt Weiblein, warum der Galgen dastehe, und was das Getümmel bedeute; sie zog ihre schmierige Haube tiefer ins Gesicht und sprach: »Meine Tochter soll daran gehenket werden, und das wollen sie alle sehen.« Dazu kicherte sie ganz unsinnig und lief weiter.

Ein ander Weib, das der Alten Worte gehört hatte, lachte laut auf und sprach zu meinem Vater: »Das Göbel Jettle ist im Kopf verwirrt, seit heut in der Früh ihr Babele, was ihre Tochter und eine schöne Dirne ist, gefänglich eingezogen wurde, dieweil sie im Verdacht einer Unholdin steht. Den Galgen aber ließ Se. Gnaden aufrichten, um einen Juden daran zu hängen, der Joachimstaler aufgekauft und eingeschmolzen hat.«

Wir gingen weiter und sahen auf der einen Seite des Kanzleihöfleins die Bauleute hantieren. Mein Vater streckte die Hand aus gegen den Ort und sprach: »Renata, an dieser Stätte wird Verblendung und falscher Eifer, aber mehr noch Bosheit und Härte Triumphe feiern, die gen Himmel schreien!«

Das hörete einer der Bauleute, ein großer, starker Mann, der neben uns gestanden war, ohne daß wir es wußten. Er klopfte meinem Vater auf die Schulter und sagte: »So Se. Gnaden Euch hörte, würdet Ihr wohl der Erste sein, die Stätte einzuweihen.«

Mein Vater sprach ruhig dagegen: »Der Erste nicht, und nicht der Letzte, nur einer unter den Vielen.« Der Maurer deutete mit dem Finger auf seine Stirn, als zweifle er an meines Vaters Verstand, dann ging er mit Lachen an seine Hantierung.

In der Gasse bei St. Agneten begegnete uns die Frankenres. Sie war ganz verstört und in Hast, also, daß sie uns fast 28 nicht erkannt hätte. Als ich sie anrief, fing sie allsofort an zu schluchzen: »Sie kommen, sie kommen!« Wir wußten nicht, was dies bedeuten sollte, und mein Vater hieß sie sprechen, worauf sie sagte: »Die Kaiserlichen hausen in ganz Franken wie die Räuber und Mörder. Morgen können sie hier sein.«

Mein Vater entgegnete: »Ei, was will das gutkatholische Würzburg von des Ferdinands Scharen besorgen?«

Aber das Weib schluchzete: »Es sind Banden, die dem Wallenstein zuziehen; zusammengewürfelt Volk, Heiden und Türken und Lutheraner!«

Da gingen wir weiter und ließen sie stehen. Wir kamen gegen den Katzenwicker, wo eine Schar Männer in der Kleidung der Würzburger Landwehr ein mächtig Geschütz in den Hof schob, wie ich zuvor nie eines gesehen, größer denn die, die auf dem Marienberg stunden.

Mein Vater sagte: »Wenn der Bischof auf den Marienberg reitet und die Stadt also bewehrt wird, dann muß der Frankenres Botschaft wohl wahr sein, und ich will tun, was ich der Ursula versprochen habe: Morgen ziehen wir hinter die Mauern.«



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