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Am andern Tag, der ein Dienstag war, packten wir unsere Habseligkeiten zusammen. Die Frankenres spannte ihre Kuh vor ein alt Wägelein, und so zogen wir von dannen.
Der Rupprecht heulte laut auf und klemmte den Schweif zwischen die Hinterbeine, da wir das kleine Haus verließen, als habe ihn Angst überkommen. Mein Vater schritt hinter dem Wägelein her, wie in tiefen und trüben Gedanken, und auch mir legte sich eine Last auf mein jung Herz.
Als wir an die Stelle kamen, wo der Weg sich wendet, so daß die Frankenres mit ihrem Fuhrwerk für eine kleine Zeit unseren Augen entschwand, blieb mein Vater stehen und hielt mich am Arm fest.
»Renata,« sprach er, und seine Stimme klang leise und 29 traurig, »ich halte dafür, daß wir, dem kleinen und wahrscheinlichen Übel zu entrinnen, dem großen und sicheren in die Arme laufen.«
Da fragte ich voll Kummers: »Wie das, Herr Vater?«
Aber er ging stumm weiter der Stadt zu.
Am Burkharder Tor stand ein starker Wachtposten, daneben auch der Torwart Beck; doch schien es mir, als sei er wieder trunken. Seine kleine Augen blinzelten auf mich, und er sagte zu den Soldaten: »Laßt sie ein, laßt sie ein; man kann nie genug schöne Jungfern in der Stadt haben.«
Der Hauptmann der Wache, ein noch junger und feiner Mann, trat vor meinen Vater und sprach ihn nach Gebühr an um Namen und Ausweis.
Mein Vater sagte laut und fast unwillig: »Johann Friedrich Burkhard, Doktor medicinae, ehemaliger Spitalmeister an der Stiftung des hochseligen Bischofs Julius, heischt für sich und seine Tochter Schutz hinter den Mauern der Stadt.«
Der Hauptmann sahe meinen Vater von oben bis unten an, einer von der Wache schrie frech: »Das ist eine lange Litanei.« Dann trat der Torwart herzu und sagte lallend zum Hauptmann: »Es stimmt schon, es ist der schwarze Doktor vom Käppelesberg, der die schöne Isabel gefreit hat.« Mein Vater schob den Mann von sich weg, wie man häßlich Gewürm abwehrt, und der Trunkene taumelte gegen die Mauer.
Danach mußten wir unsere Barschaft vorweisen, und ich sah, wie mein Vater in einem linnenen Beutel eine gute Zahl schwerer Joachimstaler hinreichte. Alsdann durften wir durch das Tor, und der Hauptmann neigte sich höflich vor uns.
Wir zogen über die Brücke und blieben vor einem kleinen Haus, das nah am Main liegt zwischen dem Holztor und dem Mühltor. Mein Vater ging hinein und kam bald mit einem grauhaarigen, kleinen Mann wieder heraus, der mich herzlich willkommen hieß und den ich als den Magister Lamprecht begrüßen mußte.
Ich wollte der Frankenres helfen, unsere Habe ins Haus zu schaffen; aber der Magister wehrte mir solches und rief seinem Knecht, der Samuel hieß und ein buckelig Männlein mit einem sommersprossigen Gesicht und mächtig langer Nase war. 30 In einer kurzen Zeit war alles in zwei Gelassen zur ebenen Erde wohl untergebracht, und mein Vater reichte der Frankenres ihren Lohn hin. Da wehrte das Weib ab und nahm nichts, sondern fuhr rasch mit ihrer Kuh von dannen.
Am Abend desselbigen Tages saß ich in meiner Kammer, indes mein Vater oben bei dem alten Magister war. Der Main rauschete, und aus den nächtlichen Straßen drang lautes Treiben zu mir herüber, so daß ich, an die Stille der Heide gewöhnt, nicht Ruh noch Schlaf fand. Oft klang es wie wilde Schreie, oft wie ein wüst Gejohl, und gegen den Morgen, da ich immer noch wachte, läutete es Sturm.
Mir ward so bang und weh, insonderheit, da der Vater immer noch nicht in seiner Kammer war, daß ich auf mein Bette hinfiel und heftig weinte und schluchzete.
Am andern Tag fragte ich unsern Hauswirt um die Ursach solchen Getümmels; er antwortete: »Ihr, Jungfer, möget Euch wohl des Lärms verwundern, da bisher nur der Nachtwind der Heide an Euer Fensterlein pochte; Ihr werdet Euch daran gewöhnen müssen, denn die Stadt Würzburg ist zurzeit wie ein Faß gärenden Mostes. Die letzten Nächte hat es Sr. Gnaden treues Stadtvolk toller denn sonst getrieben, aus eitel Freude darüber, daß Kitzingen wieder ans Hochstift gekommen ist mit Hilfe guter Freunde und des Reichsgerichts.«
Am Nachmittag ging ich mit meinem Vater gegen den Kanal und das Burkharder Tor, ob wir nicht Ursula erspähen möchten, denn in ihr Haus wollten wir nicht gehen.
Bei St. Burkhard sahen wir sie an der Seite der Kirche hinschreiten, mit ihrem Stab den Weg suchend. Mein Vater ging eilends auf sie zu und ergriff ihren Arm, sie zu führen.
Ihr still und weiß Gesicht ward ganz aufgehellt von großer Freude, da sie uns erkannte und erfuhr, daß wir in die Stadt gezogen. Ich fragte, wo sie hingehe, worauf sie sagte: »Ich wollte in St. Burkhard beten.« Ich sprach: »Aber du bist doch lutherisch!« Da sah mich mein Vater streng an und entgegnete: »Und du bist vorlaut!« Ursula aber sagte leise: »Es ist überall derselbe Gott.«
Wir gingen alle drei in die Kirche, darin es kühl und dunkel war. Sie war voll von Andächtigen, insonderheit von 31 Frauen. Wir knieten nieder im linken Schiff, nahe an der Kanzel, und blieben lange in stillem Beten, bis eine Unruhe um uns her uns aufsehen machte.
Ein junger Priester war auf die Kanzel gestiegen, ein Mann, der aussah, als hätte er noch niemalen satt zu essen bekommen. Wir hörten um uns her ein Flüstern, also daß wir daraus entnahmen, der Priester sei wohlbekannt. Ein Mann in einem Kittel, als sei er ein Fleischer, kniete zu meiner Linken und sagte: »Scharf ist er auf die Lutherischen, wie mein Hund auf die Kälber.« Dazu lachte er halblaut. Da der Priester zu sprechen begann, mit einer dünnen und schrillen Stimme, fast wie ein Weib, ward er mir fast zuwider, und ich spürete, daß ich ihm nicht zuhörte, um mich erbauen zu lassen und Speise zu nehmen für meine Seele, sondern es war in mir eine Sucht, ein unrecht Wort von ihm zu vernehmen, um dessetwillen ich ihn mit Grund hassen und verachten möchte.
Ursula kniete zu meiner Rechten, still und in tiefer Andacht, als sei ihr Geist aus den Hallen St. Burkhards hinausgezogen und ruhe droben vor Gottes Thron.
Es sprach der Priester von den klugen und törichten Jungfrauen. Seine Worte flossen ihm schnell vom Munde, auch ward seine Stimme männlicher und tiefer, je mehr er in Eifer geriet. Als er an die törichten Jungfrauen kam, rief er plötzlich laut: »Alle ihr, die ihr eure Augen rechts und links wendet, statt allezeit geradeaus zu blicken, wo die heilige römische Kirche euch hinweist, alle ihr, die ihr von dem Gift der Häresie nippt, die ihr zweifelt und bang erwäget, alle ihr, die ihr euch ein Urteil anmaßet über Lehren und Sätze, darauf Jahrhunderte lang so viele zufrieden gelebt haben und selig gestorben sind; alle ihr, die ihr da leugnen und die ewigen Wahrheiten der Kirche knechten wollt, wo ihr nicht mit leiblichen Händen greifen, mit leiblichen Augen sehen könnet – ihr alle seid törichte Jungfrauen, die kein Öl in der Lampe haben, wenn der Bräutigam kommen wird.« Seine Stimme schnappte ihm fast über vor zornigem Eifer, und ich sahe meinen Vater den Kopf erheben.
Der Priester fuhr fort zu reden von der Hoheit und Macht und Göttlichkeit der römischen Kirche; sein hohl Gesicht 32 begann sich zu röten, seine Augen öffneten sich weit, und es war mir, als sehe er zumeist zu meinem Vater her.
Auf einmal machte er eine Pause, und alsdann begann er langsam und mit feierlichem Nachdruck: »Sagen darf ich, daß ein Priester mehr sei denn Christus selbsten, im Bedenken, daß Christus einem Priester untertan und gehorsam sein muß, sich nach dessen Willen und Worten, wo, wann und wie oft er wolle, in der Meß und Konsekration unter die Hostiam zu stellen.« –
Er schwieg jäh und in der Kirche war es totenstill.
Da fühlte ich, wie durch Ursulas Leib ein Zittern ging, ein Schauder als wie von Kälte. Sie stand plötzlich aufrecht neben mir, bleich, mit starren Augen, und sie rief gellend gegen die Kanzel hin: »Schweigt still, Ihr frecher Gotteslästerer!«
Der Hall der Worte brach von allen Mauern; ich fühlte mein Blut erstarren in Schrecken und dann jäh aufwallen in Kampfeslust. Ich schlang meine beiden Arme um die Blinde und hörete wie im Traum den losbrechenden Tumult.
Der Fleischer zu meiner Linken faßte mich an der Schulter, daß ich aufschrie, doch ließ ich Ursula nicht.
Stöße und Püffe regneten auf uns, wir wurden zur Bank hinausgedrängt; ich sahe meinen Vater von zwei Männern gehalten, hörte seine tiefe Stimme rufen: »Weg, ihr Pfaffenknechte!« Der Priester auf der Kanzel schrie: »Faßt die Häretiker!«
Es war plötzlich, als sei die Hölle losgelassen. Mir schien das Volk wie trunken, und mich packte ein toll Verlangen, um mich zu hauen nach rechts und links; Ursula allein blieb stumm, reglos und bleich.
Es drängten sich jetzt vier oder fünf Männer in Ratsherrnkleidern zu uns her. Sie kamen aus der Sakristei, und einen davon hatte ich sehen den Tag zuvor mit dem Bischof über die Brücke reiten. Es war ein großer Mann mit einem bartlosen Gesicht und Pockennarben.
Die Menge wich von uns zurück und ich ließ Ursula los und stellte mich neben sie. Auch mein Vater trat zu uns her. Der pockennarbige Ratsherr runzelte finster die Stirn, da er 33 seiner ansichtig ward; er kam ganz nahe heran und sagte leis: »Könnt Ihr Euch nicht ruhig verhalten?«
Da flammten meines Vaters Augen auf den Großen und er sprach: »Nicht mehr allzu lange, Hans Bütthard!«
Einer trat jetzt zu Ursula, legte ihr die Hand auf die Schulter und fragte: »Wer kennt diese Dirne?«
Eine kreischende Weiberstimme ward laut, bei der die Blinde rasch den Kopf wendete. Ursulas Base war es, die kläglich schrie: »Meines Stiefbruders Tochter, die Ursula Beckin! Es ist rein der böse Geist in das Mägdlein gefahren, seitdem sie des schwarzen Doktors Tochter zur Gespielin hat!«
Als ich solches vernahm, kam es über mich wie eine große und bittere Verachtung dieser keifenden und zeterschreienden Menge. Ich sahe meinen Vater an, und sein Gesicht war fahl und verzerrt.
Jetzt trat ein junger, hochgewachsener Mann in der Tracht der Domicellare zu den Ratsherren. Er deutete auf Ursula und sagte mit wohlklingender Stimme: »Ich bitte euch, ihr Herren, leget kein Gewicht auf ein unüberlegt Wort, das dies Mägdlein gesprochen. Sie ist blind, meiner alten Amme Pflegekind und allezeit sanft und still gewesen. Lasset sie laufen; es braucht jetzt nicht des Handels mit kindischen Mägdlein; denn wisset, ihr Leute, vor dem Pleichertor und dem Spitaltor liegen verwilderte Haufen, und auch gegen das Burkharder Tor sahe man Scharen ziehen, die bald genug der Stadt werden zu schaffen machen.« Indes der Domherr also zu den Leuten redete, sahe er immerzu auf mich her, und ich fühlte das Blut in meine Schläfen steigen. Ich schaute verwirrt seitwärts und gewahrte der Ursula Base, wie sie mit gefalteten Händen nach dem Sprechenden sahe und halb lachte, halb weinte.
Der Domherr aber hieß Wolf Dietrich von Schaumberg.
Als die Menge hörete, daß Haufen Kriegsvolks vor den Toren lägen, drängte sie nach den Türen und hatte schnell unsere Sache vergessen; nur die Herren vom Rat, der Domherr, der Priester und die Base blieben zurück und ein klein Häuflein Neugieriger, die der Küster hinauswies. Der Fleischer war auch darunter, und er rief mit Lachen zu mir 34 herüber: »Der Hund ist wohl scharf, aber auch die Kälber beißen um sich.« Danach folgte er den andern.
Es ward wieder feierlich still in der Kirche, auch vor den Türen hörte man den Lärm sich verziehen.
Der junge Priester trat vor die Herren und sprach: »Ich bezichte diese dreie der Häresie und des vorlauten Unfugs im öffentlichen Gottesdienst, und verlange, daß die Sache vor ein Gericht gebracht werde!«
Ursula entgegnete leise: »Nicht einen Gottesdienst, sondern einen frevlen Menschendienst störete ich, da ich Eure Worte nicht länger anhören konnte.«
Ehe der zornmütige Priester entgegnen konnte, trat der Domherr ganz nahe an ihn heran und sagte eindringlich: »Ihr habet in der Tat Eure Worte schlecht gesetzt, Hochwürden, und so es Se. Gnaden gehöret, hätte auch er sie wohl nicht unwidersprochen gelassen; des wollen wir uns zu ihm versehen!«
Der Priester warf einen Blick auf den Domherrn, als wolle er ihn durchbohren und entgegnete: »Ihr scheinet die Ansichten Sr. Gnaden so wohl zu kennen, daß es schade wäre, so der Bischof nicht auch diejenigen Euer Hochehrwürden kennen lernen sollte!«
Da kehrete sich der Domherr um voll Hoheit und Verachtung, und indes er von dannen schritt, sprach er: »So lehret sie ihn kennen, wenn's Euch gelüstet!«
Der Große, der meinen Vater schon zuvor angeredet hatte, trat jetzt wieder auf ihn zu und sprach: »Ihr hättet sollen besser auf Eurer Einöd bleiben, Doktor Burkhard!« Mein Vater entgegnete voll Schärfe: »Ist etwa ein Verbrechen geschehen, Doktor Hans Bütthard, dieweil ich neben diesem blinden Mägdlein saß, das noch nicht weiß, daß man gerade dann zu Würzburg schweigen muß, wenn einen der Aufschrei in der Kehle würgt! Wes zeiht man mich?«
Der Priester rief voll Ärgers: »Ihr habt höhnisch gelacht, habt die Achseln gezuckt, habt die Augen wild auf mich gerichtet, da ich von den Häretikern sprach; ich sahe es wohl, denn ich ließ Euch nicht aus den Augen.« 35
Mein Vater faßte sich an den Hals, als sei ihm sein Mantel enge, und sagte mühsam: »Ich tat nur dies und tat nicht mehr, dieweil ich bei mir bedachte: So einer, der noch ein halbes Kind ist, die Kanzel schändet, so muß ich, der ich ein alter Mann bin, darum noch nicht das Gotteshaus schänden, indem ich Zank und Tumult darin entfache.«
Da ward Ursula ganz rot und streckte ihre Hand dem Vater hin, indes sie sagte: »Verzeihet, Herr!«
Die Herren vom Rat stunden fast verlegen daneben; plötzlich erscholl wieder Geschrei vor den Türen, auch hörete man ein dumpf Rollen, wie wenn man Geschütze lösete, dazu brüllte Vieh und bellten Hunde, auch Wagen hörete man über das Pflaster des Kirchplatzes fahren und den festen Schritt, wie von marschierendem Kriegsvolk. Eine große Unruhe kam über die Herren, und man merkte wohl, daß sie unsere Sache wollten rasch zu Ende führen und hinauskommen.
Auf einmal nahm das Getöse überhand und zu beiden Seiten wälzten sich schreiende Menschen herein, also daß wir in einem Augenblick von drängenden, stoßenden Massen umringt und zur Kirche hinausgeschoben waren. Ich wußte nicht, was das bedeutete; doch sahe ich, daß es nicht Würzburger Volk war, was um mich wogte, sondern fremde Männer, auch Dirnen von frechem Aussehen.
Als ich mich noch ängstlich umschaute nach Ursula und dem Vater, von denen ich getrennt worden war, faßte mich ein bärtiger Mann, der ein beschmutzt, ledern Wams trug, am Kinn und küßte mich auf den Mund, ehe ich nur die Arme rühren konnte zur Abwehr.
Ich war starr vor Schreck und Scham; aber der Frechling klopfte mich auf die Schulter und sagte mit Lachen: »So ist es Brauch bei des Wallensteiners Leuten.«
Da mein sonst allezeit jäher Zornmut noch mit dem lähmenden Schrecken rang, sahe ich eine Faust gewaltig auf des Mannes bärtiges Gesicht sausen, also, daß sofort das Blut aus der Nase rann, und der Domherr stand vor uns mit einem bleichen Gesicht und blitzenden Augen.
Er sprach zu dem Geschlagenen: »Und so ist es Brauch bei Wolf Dietrich von Schaumberg!« 36
Damit ging er an dem blutenden Mann vorüber und schob sich durch die Menge.
Der Soldat stund eine gute Zeit ganz starr, danach fing er an, fürchterlich zu fluchen und vor Wut fast zu brüllen; aber dem Domherrn folgte er nicht.
Ich machte mich eilends davon durch das Gewühl und trachtete heim zu kommen.
Wie ich vor der niederen Tür an des Magisters Hause stand und durch starkes Klopfen Einlaß heischte, war es mir, als sehe ich des Domherrn flatternd Gewand gegen die Brücke einbiegen, doch war ich dessen nicht sicher.
Der Magister stund im Flur und kam mit einem frohen Rufen auf mich zu. Als ich ihn nach dem Vater fragete, ward er bekümmert und voll Sorge, denn er war nicht heimkommen.
Ich wollte stracks wieder davonlaufen, dieweil es mir schwer aufs Herz fiel, was aus ihm und der Blinden möchte geworden sein; aber der Magister hielt mich und sprach: »Danket Gott, Jungfer, daß Ihr einmal dem Gesindel entronnen seid. Der Teufel ist nicht so gefährlich für ein jung Mägdlein, denn diese zuchtlosen Scharen, die dem Wallenstein zuziehen, der aus jedem Strolch einen Soldaten macht und bei dem ein jeder Soldat zum Strolch wird. An mir altem, hutzeligen Männlein wird sich nicht Landsknecht noch Troßbub vergreifen, laßt mich Euern Vater suchen, so Ihr schon nicht auf ihn warten wollt; doch mein ich, er ist ein Mann und weiß sich zu helfen.«
Ich berichtete dem Magister alles, was sich zu St. Burkhard mit uns zugetragen, und sagte ihm von meiner großen Unruh um Ursula. Er machte ein finster Gesicht und sprach: »Wär's an den Soldaten nicht genug gewesen, mußtet Ihr auch noch unter die Pfaffen fallen!«
Betrübt schlich ich in meine Kammer. Dort lauschte ich voll Angst gegen die Brücke hin, allwo der Lärm und das Gedränge am größesten schien. Die Sonne ging am selbigen Tag blutrot unter. Mir grauete, wenn ich gegen den Himmel sahe, denn mein Gemüt war verstört von allem, was mir begegnet war. Da die Röte endlich zu verlöschen begann und sich in ein fahles Grau verwandelte, wurde mir bänger und bänger, 37 dieweil mein Vater immer noch fern blieb. Ich kauerte mich nieder auf meinen Schemel am Fensterlein und sahe, wie die Sterne aufgingen, einer da, einer dort, so still, so ferne.
Es kam über mich wie ein groß Heimweh nach etwas, das ich nicht kannte. Die Tränen begannen mir über mein Gesicht zu laufen vor sehnsüchtigem Jammer. Ich wußte nicht, nach was ich Verlangen trug, nach den güldenen Sternen oder nach meiner Einöd, nach dem verschlossenen Vater oder nach der Ursula weißem Gesicht; – ich schluchzete leise und legte meine Arme auf den schmalen Sims, meinen Kopf darauf zu betten.
Danach kam mir mit einemmal ein glatt und offen Mannesgesicht mit helleuchtenden Augen in den Sinn; eine hohe Gestalt in der schwarzen Gewandung sahe ich wieder vor mir, und mich packte ein fast übermächtig Verlangen, meinen müden Kopf an diese Gestalt zu lehnen, als sei dort die Ruh.