Hermann Sudermann
Jons und Erdme
Hermann Sudermann

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21

Das Geld muß hergegeben werden. Da ist nichts zu machen. Denn ohne Anzahlung kommt das Grundstück nicht in ihren Besitz. Es wird aus Vorsicht auf den Namen der Tochter geschrieben, damit der junge Herr Schmidt vor der Hochzeit nicht etwa noch abschnappt.

Die Kühe und die Schweine und alles, was vom Hausrat herübergetragen ist, sollen mit in die Wirtschaft kommen, denn es fehlt ja nicht weniger als alles.

Der Kontrakt wird unterschrieben, und das Geld ist weg – so schnell, wie man eine Fliege in der Hand sterben läßt. Den Kauftrunk spendiert die Erdme, aber gemütlich ist er nicht. Der bisherige Besitzer behauptet, er hätte sein Hab und Gut wegwerfen müssen, und der junge Herr Schmidt ist der Ansicht, die Hälfte des Preises wäre auch noch reichlich gewesen. Daß es zum Prügeln nicht kommt, daran ist nur die Urte schuld, die nach beiden Seiten schöne Augen macht und dadurch das Schlimmste verhindert.

Hierfür belohnt sie sich, indem sie hernach noch ein bißchen spazierengeht, wobei sie alsbald die jungen Herren mit den Schmissen trifft, die ihr vorsichtig folgen, bis man sich auf der Chaussee freundschaftlich einigen kann.

Die Katrike will mit dem jungen Herrn Schmidt über Nacht zu den Schwiegereltern fahren, was ihr nicht zu verdenken ist, und darum geht die Erdme allein nach Hause.

Nach Hause? – Als ob sie ein »Zuhause« hätte – das soll erst morgen kommen. Denn für morgen hat der Rechtsanwalt den Ausgedientvertrag bereitgelegt. Darin steht aufs genaueste geschrieben, was ihr bis zu ihrem seligen Tode zukommen wird – ja sogar für die Zeit nach dem Tode hat sie gesorgt. Nicht weniger als zehn Fladen und sechs Achtel Bier müssen den Begräbnisgästen vorgesetzt werden, und das Kreuz auf ihrem Grabe muß aus Gußeisen sein.

So ist alles aufs beste geordnet. Aber wohl ist ihr doch nicht zumut. Wenn jetzt zum Beispiel der Jons des Weges käme, wie könnte sie ohne ein Wort an ihm vorübergehen?

Da ist nun die lange Brücke, die über die Sumpfniederung führt! Und sie muß des Frühlingstages gedenken, an dem sie vor fünfundzwanzig Jahren mit Jons zum Moor hinauszog. Da kuckten die Kuhblumen vergnügt aus dem blauen Stauwasser, und sie sagte zu ihm: »Wie die Blumchen da vorwärts kommen, ohne zu ertrinken, so werden auch wir vorwärts kommen.«

Genau so sagte sie. Ihr ist, als wäre es gestern gewesen.

»Aber was hilft das Vorwärtskommen«, denkt sie, »wenn einem zuguterletzt alles wieder zunichte wird.«

In ihrer Unwissenheit hat sie gemeint, sie seien längst über den Berg, und Hader könnt's gar nicht mehr geben; da ist er mit einmal dagewesen wie der Dieb in der Nacht und hat alles – aber auch alles – zunichte gemacht.

Übrigens: eine Wut hat sie auf die Katrike, die ihr das Geld aus den Händen riß! Kaum einmal warten konnte die Kröt', bis sie die Wiste aufgehakt hatte.

»Aber morgen«, denkt sie, »morgen wird alles festgemacht werden.« Aus dem Hause wird sie keiner fortekeln können, dafür hat der Rechtsanwalt schon gesorgt, und das Brautpaar hat wohl oder übel seine Zustimmung geben müssen.

Bloß daß die Unterschrift fehlt. Morgen um elf werden sie sich wieder in Heydekrug treffen, und übernächsten Sonntag kann dann die Hochzeit sein.

Wie sie beim Nachbar anlangt, ist ihr zumut, als muß sie sich wieder krank hinlegen, so zerschlagen fühlt sie sich. Aber das kommt nicht vom Rücken her, das ist das Herzweh, weil sie alles hergeben muß.

Der Nachbar erkennt ihren Zustand wohl und redet ihr Trost zu. Aber was kann er viel sagen?

Zwei Stunden nach ihr kommt die Urte. Sie hat heiße Backen und sieht verjucht und verjachert aus. Sie ist dem Moorvogt begegnet, und der unverschämte Kerl hat sie angehalten und verlangt, sie soll ein Führungsattest beibringen. Was der sich wohl denkt?

Sie macht sich viel an ihrem Koffer zu schaffen, aber zu der ermatteten Mutter ist sie voll Zärtlichkeit und besteht darauf, daß der Nachbar einen Wagen besorgt und sie morgen selber nach Heydekrug fährt. Denn der weite Gang zwei Tage gleich nacheinander könnte zuviel für sie sein.

Spät abends kniet sie noch vor der Mutter Bett und streichelt und küßt ihr die Hände und bittet ihr alles ab, was sie ihr Böses getan hat und weiter noch tun muß. Die Erdme weiß zwar nicht, was sie meint, aber von solcher Weichherzigkeit ist sie heut, daß sie den Kissenbezug ganz naß weint.

Und morgens, wie sie mit dem Nachbar davonfährt, fängt die Urte von neuem an, gerade so, als wär' es ein Abschied für immer.

Heut achtet sie nicht darauf. Sie hat nur Augen für drüben. Ob nicht der Jons sich irgendwo sehen läßt. Aber drüben ist alles leer und still. Auch keine Petruschka blitzt irgendwo auf. Freilich, blitzen tut die nicht mehr, denn die ist jetzt dreckig, wer weiß wie.

Pünktlich um elf hält der Wagen vor dem Rechtsanwaltshaus. Sie denkt, die Brautleute schon lauernd zu finden, aber keiner ist da. Auch um halb zwölfe noch nicht und um zwölfe ebensowenig.

Der Rechtsanwalt hat auf dem Gerichte Termin und sagt im Vorbeigehen, jetzt müßte sie warten bis zwei, denn früher käm' er nicht wieder.

Und wie er um zwei wiederkommt, sind die Brautleute immer noch nicht da.

»Jetzt ist Büroschluß bis um halb vier«, sagt er. »Inzwischen können sie immer noch kommen.«

Der Erdme, die auf der Schwelle sitzt, tut seit langem das Kreuz weh, und der Nachbar redet ihr zu, in die nächste Schenke zu gehen. Dort kann sie sich wenigstens ausstrecken. Aber sie will nicht. Sie könnte das Brautpaar am Ende verfehlen.

Der Nachbar kauft ihr Semmel und Schnaps, und dann geht es ja wieder.

Wie die Uhr sechs schlägt, kommt der Bürovorsteher heraus und sagt, für heute sei es nun leider zu spät, aber der Schriftsatz liege ja da und der Herr Rechtsanwalt werde morgen oder auch sonst wann zur Beglaubigung gerne bereit sein.

So fahren sie wieder zurück. Die Erdme hat das Kopftuch um Mund und Backen gebunden und redet kein Wort. Was soll sie auch reden? Man muß sich ja fürchten zu denken – um wieviel mehr noch zu reden!

Auch dem Nachbar ist die Kehle erfroren. Und so kommen sie an.

Was sie da finden, glaubt keiner. Ich kann es euch zehnmal erzählen, ihr glaubt es mir doch nicht.

Die Kühe sind weg. Die Schweine sind weg, die Betten sind weg. Auch der andere Hausrat von drüben ist weg. Die Urte ist ebenso weg. Und selbst die kröt'sche Marjell, die Jette, ist weg.

Dem Nachbar Witkuhn Seine, die ein ordentliches Mädchen ist, sieht die erschreckten Gesichter und fängt hell zu weinen an. Sie haben gesagt, es geschehe im Auftrag der Erdme, sonst hätte sie den Nachbar Smailus gerufen oder sonst wen – und sie schielt hinüber nach Baltruschats Haus.

Was bei Jesu Namen ist also geschehen?

Bald nach elfe ist ein Leiterwagen vorgefahren. Darauf haben die Brautleute gesessen und haben erklärt, sie wollten jetzt alles überführen, was in die künftige Wirtschaft gehört. Und die Mutter wäre schon dort, um einzurichten, und käme nur später noch einmal, die eigenen Sachen zu holen.

Und dann haben sie vorne das Hausgerät aufgeladen und hinten die Schweine. Und die Kühe haben sie angebunden, und so sind sie davongefahren. Und die Urte hat ihr noch fünf Mark geschenkt für die gute Bedienung.

Ja richtig! Zwei Briefe haben sie auf den Tisch gelegt. An wen die sind, weiß sie nicht, denn Aufschrift hat keiner.

Der Erdme wird das Kreuz ganz steif und gefühllos. Der Nachbar und die Magd müssen sie in die Stube tragen.

Da liegen die Briefe.

Die Katrike schreibt so:

»Mein geliebtes Mütterlein!

Es bereitet mir einen großen Schmerz, mich von Dir zu trennen. Mein Bräutigam, der junge Herr Schmidt, und seine Familie wollen es aber so. Die Deutschen sagen, es ist bei ihnen nicht Sitte, daß gleich die Mutter als Altsitzerin in die Wirtschaft mitgeschleppt wird. Und sie sagen, sie wollen dann lieber zurücktreten. Die Hochzeit wird in kleinstem Kreise gefeiert werden, und darum kann ich Dich nicht dazu einladen. Was mir auch gewißlich einen großen Schmerz bereitet. Das Vieh und die anderen Sachen habe ich gleich mitgenommen, denn mein Bräutigam, der junge Herr Schmidt, hat es schriftlich. Eine Klage würde also nichts nutzen. Ich bedanke mich auch sehr für alles, womit du mich beschenkt hast, und werde dich lieben in Ewigkeit.

Deine treue Tochter Katrike.«

Und die Urte schreibt so:

»Meine Mamusze!

Ich weiß, ich habe schlecht an Dir gehandelt, aber die Katrike bestand darauf. Darum habe ich Dich gestern und heute auch immerfort um Verzeihung gebeten. Bei der Katrike bleibe ich nicht, sondern fahre von Jugnaten aus gleich nach Berlin. Wenn ich trotz meiner schönen Kleider nicht arm wäre wie eine Kirchenmaus, noch weit ärmer, als die Ulele einst war, dann würde ich Dich jetzt mit mir nehmen. Aber so würden wir uns beide gegenseitig nur hinderlich sein. Darum rate ich Dir, laß Dich rasch scheiden und heirate den Nachbar Witkuhn, der Dich ja immer geliebt hat. Wenn man daran denkt, scheint es einem wie ein trauriges Buch, und das muß doch wenigstens einen befriedigenden Schluß haben. Zu dem bösen Vater kannst Du ja doch nicht zurück. Die untreue Petruschka mag bei ihm bleiben. Ich will sie nicht mehr. Lebe wohl, meine Mamusze, und sei mir nicht böse. Ich schicke Dir bald was Schönes.

Deine Urte.«

So lauten die Abschiedsbriefe der beiden Töchter.

 


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