Hermann Sudermann
Jons und Erdme
Hermann Sudermann

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7

Wenn gegen Mitte August ein Fremder quer durch das Moor die Lynckerstraße heruntergeht und dann links um die Ecke biegt, so fragt er wohl seinen Begleiter: »Wer hat sich das hübsche kleine Häuschen gebaut?«

Und wenn der Ortskenntnis hat, so antwortet er: »Das ist der Losmann Jons Baltruschat, der mit seiner jungen Frau im Frühling zugezogen ist.«

Und der Fremde sagt wohl: »Das müssen fleißige Leute sein.«

Aber durch die himmelblaue Türe darf er bei Jesu Leibe nicht' eintreten, denn drin sieht es fürchterlich aus. Nichts ist getan, rein gar nichts. Nicht einmal die Ritzen, die zwischen den Schwarten klaffen, und die Astaugen darin sind richtig verschmiert, und überall hängen die Fasern der Moorschicht.

Doch lange darf die Schande nicht dauern.

Vor allem der Fußboden! Viele wohnen ja auf dem nackten Moor, und das soll sogar trocken halten und im Winter gar nicht so kalt sein. Aber da kennt ihr die Erdme schlecht! Neuer Lehm wird im Finstern geholt und ein Estrich gewalzt, auf dem man tanzen könnte zu Fastnacht. Dann werden die Wände verklebt, und dann kommt das Feinste: der Bildschmuck. Überall in den Heydekrüger Läden sind wunderschöne, bunte Bilder ausgehängt. Die preisen Zichorienpulver und Chinawein und Malzextrakt und Hühneraugenringe in der Uhr und tausend andere nützliche Sachen. Und immer kommen neue Plakate. Die alten aber, die auf dem Speicher herumliegen, die bettelt man sich zusammen. Und die jungen Gehilfen lachen und holen sie gern. Außerdem war doch – Erdme besinnt sich genau – in der Rumpelkammer der Frau Schlopsnies ein Haufen alter Blätter aufgestapelt mit Ansichten aus allen fünf Erdteilen. Der Niagarafall und die Pariser Weltausstellung und die Spitze des Monte Rosa und so manches andere.

»Liebe Frau Schlopsnies, gute Frau Schlopsnies, ich hab' mich so sehr nach Ihnen gebangt! Und wenn ich ein Mädchen kriege, möcht' ich's fürs Leben gern nach Ihnen benennen.«

Und dabei weiß sie gar nicht, wie die Frau Schlopsnies mit Vornamen eigentlich heißt. Aber die Blätter bekommt sie geschenkt, sogar die Kupferstiche aus einer Modenzeitung sind dabei, die Frau Schlopsnies sich einst gesammelt hat, als sie noch keine alte Schachtel war und als Kellnerin hochkommen wollte.

Die sind noch so gut wie neu. Und wenn die Erdme wirklich einmal Töchter kriegt, dann müssen sie genau so angezogen gehen wie alle diese schönen Damen, die einem das Herz vor Neid im Leibe umdrehen.

Und nun wird die Stube geschmückt! Bild neben Bild geklebt, und die buntesten kriegen die vornehmsten Plätze. Schließlich sind ihrer so viele, daß man den Niagarafall wegschmeißen muß, und die Spitze des Monte Rosa schon deshalb, weil es da oben so kalt ist.

So schön wie bei den Baltruschats ist es wohl nirgends. Der Taruttis hat ja auch Bilder geklebt, aber die sind bloß griesgrau und stammen aus Kindergeschichten und heiligen Büchern. Und bei Witkuhn hängt nur das Kaiserpaar mit dem Bismarck darunter, genau wie im Zimmer des Moorvogts.

Dem Witkuhn hat sie noch nichts gezeigt. Die Tage werden kürzer, und darum getraut sie sich nicht, ihn zum Helfen zu holen. Aber wie die Zimmerdecke gedichtet werden muß, da braucht sie ihn doch. Denn wenn der Jons heimkommt, dann ist es schon immer fast dunkel.

Erst will er gar nicht hereinkommen – gewiß hat er wieder mal Angst –, als er aber die Farbenpracht sieht, da geht doch ein Lächeln – ein Lächeln der Freude natürlich, daß es so schön ist – über sein stilles Gesicht.

Und der Erdme wird das Herz voll von Dankbarkeit.

»Ohne dich, Nachbar«, sagt sie, »hätten wir's nie so weit gebracht.« Und sie legt ihm die Hände auf beide Schultern.

Da plötzlich klappt er vor ihr zusammen wie ein Taschenmesser, sinkt auf den Bock, wo der Kleistertopf steht, schlägt die Hände vors Gesicht und weint.

»Was ist? Was ist?« fragt sie erschrocken.

Und weil sie ihn trösten will, beugt sie sich zu ihm nieder und streichelt ihn.

Und – was tut er? Er umschlingt ihre Hüften und küßt ihr den Rock und küßt ihr die wehrenden Hände und will sie gar zu sich niederziehen.

»Nicht doch, Nachbar«, sagt sie mit einem Blick auf den Kleistertopf, »so was mußt du nicht tun.«

Und er sagt, sie solle sich seiner erbarmen, sonst muß er ins Torfloch.

»Schade, Nachbar«, sagt sie und lacht, wie sie immer gelacht hat, wenn sie einer hat haben wollen, »schade, daß du nicht früher gekommen bist. Als Mädchen nahm ich's nicht so genau. Da hat mich bald der geliebt und bald jener. Aber jetzt, wo wir uns so quälen müssen, der Jons und ich, da würde ich mich vor ihm schämen, wenn er des Abends nach Haus kommt. Außerdem, wenn du's wissen willst, in andern Umständen bin ich wohl auch.«

Da steht er langsam auf, greift nach der Wand, sich festzuhalten, und geht hinaus wie betrunken.

Dem Jons sagt sie auch hiervon nichts, denn innerlich hat sie den Nachbar gern. Und um so gerner, seit sie weiß, daß er so an ihr hängt. Und weil ihr ist, als habe sie was an ihm gutzumachen, so hält sie es mit der Frau und hilft ihr, wo sie nur irgend kann. Ihr eigenes Tagwerk kommt zwar dabei oftmals in Rückstand, aber über das Schwerste ist sie ja weg. Und die Frau kann kaum noch den Eimer tragen, wenn sie vom Melken kommt. Zur Dienstmagd aber reicht es auch dort nicht.

Und die Frau sieht sie immer mit großen, bittenden Augen an, als will sie was sagen. Aber sie sagt es nicht, soviel die Erdme auch nachhilft.

Was kann es nur sein, was sie will? Manchmal denkt die Erdme: »Jetzt weiß ich's.« Aber das geht wider Natur und Religion, und darum wirft sie es weit von sich weg.

Der Nachbar wagt sich ihr nun gar nicht mehr in die Nähe, und wenn er vom Felde kommt und hört auf dem Hof ihre Stimme, kehrt er lieber noch einmal um. Sie möchte ihm manchmal entgegengehen, aber das sähe ja aus, als ermuntere sie ihn, und darum läßt sie es lieber.

Das Haus ist nun so weit, daß es bezogen werden kann, aber alles Geräte fehlt. Nur die Bank an der Giebelwand, die in jedem litauischen Hause steht, ist gleich beim Bauen festgemacht worden.

Und der Jons kommt immer später. Er sagt, er habe Überstunden, aber das glaubt sie ihm nicht.

Der Winter steht vor der Tür, und noch ist die Bettstatt nicht da, und auch kein Tisch und kein Kasten.

Sie mahnt ihn tagtäglich, er solle nun zimmern, aber er schüttelt bloß immer den Kopf.

»Mein Gott, mein Gott«, denkt sie, denn sie geht mit der Katrike – so wird es heißen, wenn es ein Mädchen ist – nun schon im vierten Monat.

Ein Glück ist noch, daß die Kartoffeln gedeihen. Wie andere heimlich nach einem vergrabenen Schatze sehen, ob er noch da ist, so geht sie wohl dreimal am Tage zum Acker und kuckt sich erst um, ob niemand am Wege ist, dann kniet sie rasch nieder und scharrt an der Stelle und jener, nicht mehr, als ein Hündchen mit dem Vorderfuß klaut, – und siehe da! überall sagt ihr ein junges Knollchen: »Labsriets« und »da bin ich«. – Jetzt sind sie wie Walnüsse so groß und nach vierzehn Tagen schon, wie Katrikes künftige Fäustchen sein werden, und so wachsen sie immer noch weiter.

Aber der Jons tut, als gehe es ihn nicht das mindeste an. Für nichts hat er Sinn und Verstand, und nicht einmal den Wochenlohn liefert er ab. Er kommt und geht – das ist alles.

Da fängt sie an zu glauben, er habe sich nicht weit vom Wege was Liebes angekramt – und da sitzt er nun wohl die Abende über und wird sie zum Winter verlassen.

»Dann steck' ich das Haus in Brand«, denkt sie, »und zieh' hinüber zum Nachbarn.«

Aber eines Abends so um die Michaeliszeit – da kommt nach Sonnenuntergang ein Einspänner den Weg entlang – beladen mit allerhand Zeug – man weiß nicht recht was. Und neben dem Fuhrmann sitzt einer – der hat so breite Schultern wie Jons – und sieht auch sonst aus wie Jons – und schließlich ist es auch Jons.

Und der Wagen hält vor dem Zufahrtssteg und tut, als will er aufs Moor einbiegen. Aber das trägt ja noch nicht. Das Pferd hat keine Schuhe an und würde versinken bis an den Leibgurt.

Und wie sie herzuläuft – um Gotteswillen, was sieht sie da? Hoch auf dem Wagen steht ein Schrank, schön grün gestrichen mit roten und gelben Blumchen, und eine Bettstatt ebenso grün, und ein Tisch mit kreuzweisen Füßen, und sogar – man kann es nicht fassen, ob auch das Abendrot draus in die Augen sticht wie mit feurigen Nadeln – ein Spiegel ist da! – Wahrhaftig, in goldblanker Leiste ein Spiegel!

Die Erdme denkt, sie muß in die Erde sinken, und das wäre auf dem Moor auch gar nicht so schwierig.

»Ist das für uns?« schreit sie ihn an.

Er lacht, wie er seit Wochen nicht mehr gelacht hat, und reicht ihr den Spiegel herunter. Sie solle ins Haus gehen, sich rasch das Haar zurechtmachen, sie sehe ja aus wie die Hexe, die Rágana selber.

Und sie kuckt in den Spiegel – der spiegelt zwar nicht – aber es ist doch ein Spiegel.

Der Schrank wird gleich in die Stube gestellt, aber die Bettstatt muß auseinandergenommen werden, denn die Tür ist zu schmal, und der Tisch geht erst recht nicht hindurch. Aber schließlich steht alles an seinem Platz, und der Fuhrmann kriegt seinen Freitrunk.

Nur schade! Stockfinster ist es geworden. Selbst die Blümchen der Schranktür sind nirgends mehr zu erkennen.

Da sagt der Jons: »Was du wohl denkst! Das Schönste ist immer noch draußen.«

Er geht, und sie wartet gehorsam. Nie im Leben hat sie gedacht, daß man so klein dastehen könne neben dem eigenen Mann.

Da läuft ein Lichtschein über sie her. Und was bringt er getragen? Eine Lampe. Eine richtige Petroleumlampe mit Glasbehälter und Glocke, wie sie im Hoffmannschen Laden im Schaufenster stehen. Selbst in der Wirtsstube der Frau Schlopsnies hat es das niemals gegeben. Dort hatten sie alle bloß blecherne Schilder.

Der Fuhrmann fährt ab, und der Jons steht da und läßt sich bewundern.

Wie hat das zugehen können?

Ja, wie hat das zugehen können? Die Bretter sind aus der Sägemühle, das ist klar. Aber weiter? Als der Tischler Kuntze sich auf dem Holzplatz seinen Bedarf aussuchte, hat Jons ihn gefragt, wie man wohl am besten zu einer Einrichtung kommen könne. Da hat der Tischler sich erst umgesehen und dann gesagt: »Wer mir beim Aufladen behilflich ist, so daß ich nicht etwa zu kurz komme, dem werd' ich nach Feierabend zur Hand gehen und ihm zeigen, wie er es macht.« Nun, der Tischler Kuntze ist nicht zu kurz gekommen. Im Gegenteil. Und zum Dank dafür hat der Jons sechs Wochen lang in seiner Werkstatt arbeiten dürfen bis in die Nacht hinein. Dann hat er noch zwanzig Mark zuzahlen müssen für Licht und für Ölfarbe, und noch heute können sie 'rüberziehen und im eigenen Hause wohnen wie jeder Besitzer.

So tüchtig ist der Jons und so gescheit. Es müßte wirklich mit unrechten Dingen zugehen, wenn zwei solche Eheleute nicht vorwärts kämen.

Und sie kommen vorwärts.

Die Kartoffelernte bringt zwanzig Scheffel. Davon kann neben ihnen noch ein Ferkelchen satt werden. An dem Giebelende, das fensterlos ist, erhebt sich alsbald ein Abschlag mit Schwarten als Dach und rohrgeflochtenen Wänden. Darin hat das Schweinchen Platz und später wohl auch eine Ziege, deren Milch man als Wöchnerin ungern entbehrt. Im Sommer nährt die sich selber am Wegrand, für den Winter aber muß vorgesorgt werden.

Das Heu rupft man sich, indem man in nächtlicher Finsternis hinter den Fudern daherläuft, die auf der Chaussee von den Wiesen kommen und Gott sei Dank bloß in kurzem Trab fahren – sonst würde die Erdme in ihrem Zustand ihnen nicht folgen können. Das Verstreute sammelt man auf dem hinterher fahrenden Handwagen, so rasch es nur geht, denn unverschämte Diebe gibt es genug, die einem das sauer Erworbene vor der Nase wegschnappen wollen. Manchmal findet man die Plätze hinter den Fudern bereits von anderen Schatten besetzt; mit denen prügelt man sich herum, oder man einigt sich besser in Güte.

So wird allmählich der Bodenraum voll. Nur für die Heizung muß Platz bleiben. Um die zu beschaffen, hat man vom Moorvogt das Randstück eines Torflochs gepachtet und ist auch diese Pacht schuldig geblieben – genau so wie jene. Denn der merkwürdige Mensch mahnt ja nicht. Warum soll man ihm also entgegenkommen?

»Er wird schon mahnen«, lacht die kleine Ulele. »Er hat ein dickes Buch. Darin steht alles geschrieben wie in dem Buch des ewigen Richters. Was ehrlich erworben ist und was nicht. Es steht alles darin.«

Der Erdme zittern die Knie, sie quiekt wie eine Maus und sinkt nach hinten zurück. Aber das hängt ja mit ihrem Zustand zusammen. Und so entschuldigt sie's auch bei der kleinen Ulele.

 


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