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Wenn das Überschwemmung ist, das läßt sich ertragen!
Wohl stehen Hof und Garten zollhoch unter Wasser, auch ist der Knüppelweg zur Chaussee an vielen Stellen unbegehbar. Und der Estrich in der Stube fühlt sich an, als möchte er sich von neuem kneten lassen. Aber schließlich – zu seinem Vergnügen lebt man nicht im Moor, und alles geht vorüber. Die Wege trocknen, über Hof und Gräben legt man Bretter; und der Estrich wird wieder glatt gewalzt.
So ist es nun im Märzenmonat schon zweimal gewesen, und die Erdme denkt nicht mehr mit Angst an die finsteren Prophezeihungen, mit denen der alte Raubmörder einst ihre Hoffnungen vergiftete.
Manchmal fragt sie die Nachbarn, aber die scheinen ungern davon zu sprechen, und darum unterläßt sie es. –
Jetzt im vierten Jahre zeigt es sich, daß man stark genug ist, noch weitere Sprünge zu machen. Die Wiese liefert Heu genug, um eine zweite Kuh zu ernähren, und deshalb muß ein Stall gebaut werden. Der Abschlag am Giebelende reicht schon für die eine nicht aus, besonders wenn die Mastferkel an den Pfosten herumwühlen, so daß an manchem Morgen das ganze Dach der Kuh auf dem Rücken liegt.
Gespart ist ja, aber ob man ausreichen wird, ist zu bezweifeln. Und da zu gleicher Zeit wegen der Pachtung eines zweiten Hektars mit dem Moorvogt gesprochen werden muß, könnte man vielleicht aus dem Raiffeisenverein ein Darlehen von ihm erlangen.
Eines Sonntagsnachmittags zu Anfang April stellen sie die Lampe hoch, verstecken die Streichhölzer, schließen die Kinder ein, und dann gehen sie zum Moorvogt.
Er hört ihnen schweigend zu und schlägt darauf sein großes Buch auf. Ach, dieses fürchterliche Buch! Je länger er darin liest, desto zittriger werden der Erdme die Beine, denn die Ulele hat ja einmal gesagt – man wagt gar nicht auszudenkeh, was die Ulele gesagt hat.
Dann sieht er sie eine Weile an, gerade wie damals, und endlich macht er den Mund auf.
»Also alles in allem geht es euch gut?« fragt er.
Nun möchte ich den Landmann sehen – ob litauisch oder deutsch, ob Bauer oder Graf –, der auf eine solche Frage mit einem schlichten Ja geantwortet hätte.
Sie fangen also alle beide fürchterlich zu klagen an. Die Nachtfröste im vorigen Herbst – und die verschorften Kartoffeln – und die wartungsbedürftigen Kinder – und die Überschwemmungen noch jüngst!
»Was wißt ihr von Überschwemmung!« sagt er, und ein bitteres, ein fast verzagtes Lächeln fliegt über sein starkes Gesicht.
»Jedenfalls geht es euch so gut«, fährt er fort, »daß ihr eine erhebliche Vergrößerung eurer Wirtschaft in Angriff nehmen könnt. Es kommt mir das nicht unerwartet, denn ich habe euch natürlich im Auge behalten. Das zweite Hektar ist euch bewilligt, und auch für das Darlehen werde ich eintreten. Nur – nur –« er stockt und sieht sie wieder an, »nur scheint mir, daß ihr noch von der Bauzeit her dies und jenes in Ordnung zu bringen habt.«
Jons und Erdme werfen sich einen heimlichen Blick zu. Was kann er nur meinen?
Und er sieht sie immer weiter an mit starren, bohrenden Augen, als ob sie splitterfasernackt vor ihm stünden.
»O Gott, o Gott!« denkt die Erdme. Denn was hat die Ulele gesagt?
Und das Versprechen fällt ihr ein, das sie sich am Abend ihrer Trauung im Matzicker Chausseegraben gegeben haben. Ach, wie bald ist das vergessen gewesen!
»Es scheint, ihr wißt nicht, was ich meine«, fährt der Moorvogt fort. »Geht also nach Hause und denkt darüber nach. Wenn ihr findet, daß ich Unrecht habe, dann kommt wieder, aber nicht früher.«
Damit sind sie entlassen.
In stolzer Hoffnung waren sie gekommen. Stillschweigend, mit gesenkten Köpfen gehen sie wieder heim.
»Allwissend ist Gott allein«, denkt die Erdme.
»Hier hilft bloß eines«, sagt schließlich der Jons, »daß wir nun doch noch unter die Gebetsleute gehen.«
»Warum?« fragte die Erdme. »Wir sind ja fromm genug.«
»Wenn man unter die Gebetsleute geht«, sagt der Jons, »kann man seine Sünden bekennen und alles gutmachen, ohne daß einem daraus ein Schade erwächst.«
»Gutmachen kann man auch so«, sagt die Erdme. »Wozu noch erst viel bekennen?«
»Das ist nicht das Richtige«, sagt der Jons.
Sie beschließen also, den frommen Taruttis zu besuchen und zu sehen, ob es lohnt, sich in die Gemeinde der Erleuchteten aufnehmen zu lassen.
Der fromme Taruttis empfängt sie mit Freuden.
»Ich habe schon oft gebetet«, sagt er, »daß ihr den Weg zum Heile finden möget, und nun ist mein Gebet erhört.«
So mager und so sanft sieht er aus wie ein Sendbote des Herrn. Und seine Augen leuchten wie zwei weinende Sonnen. Er ruft auch die Taruttene, die ihnen Schmand mit Glumse vorsetzt. Sie ist nun ganz hutzlig geworden und will gleich zu singen anfangen. Sie hält es schon gar nicht mehr aus. Aber er beruhigt sie. Damit habe es bis zur nächsten Versammlung Zeit. Erst müsse ein Sündenverzeichnis hergestellt werden. Und bei dem öffentlichen Bekenntnis werde die ganze Gemeinde Gott auf den Knien um Vergebung anflehen. Das habe noch immer geholfen.
Jons und Erdme sehen sich an. Sie haben es zwar oft schon mitgemacht, aber nun sie selbst daran glauben müssen, wird es ihnen doch fürchterlich sauer.
Der Taruttis legt auch gleich ein Blatt Papier auf den Tisch, macht eine römische Eins und sieht sie erwartungsvoll an. Da nimmt die Erdme das Wort und sagt: »Damit das Bekenntnis ganz vollständig wird, wollen wir uns vorerst im einsamen Kämmerlein gehörig kräftigen. Sonst könnte es geschehen, daß etwas fehlt, und das würden wir uns niemals verzeihen.«
Der fromme Taruttis lobt den Ernst ihrer Bestrebungen und ladet sie zu der nächsten Versammlung. Und dann gehen sie heim.
»Nein«, sagt die Erdme entschieden, »damit die Leute hernach mit Fingern auf uns weisen: ›Da seht das verstohlene Pack‹. Das könnte mir passen.«
Der Jons meint zwar schüchtern, man könne das Bekenntnis so undeutlich sprechen – besonders wenn man zu zweit ist –, daß niemand was Rechtes versteht. Aber die Erdme bleibt fest. »Unsere Kinder sollen einmal in Samt und Seide gehen«, sagt sie, »für die muß vorgesorgt werden.«
Auf alle Fälle machen sie jetzt das Verzeichnis. Der Mann, dem sie die Saatkartoffeln ausbuddelten, bekommt die erste Nummer. Und dann folgt eine sehr lange Reihe. Einzelnes bietet Schwierigkeiten. Wem zum Beispiel sollen sie das Heu für die Ziege ersetzen, das sie im Dunkel der Nacht aus den fahrenden Fudern zupften? Oder: Wem hat der Jons Schaden getan, als er mit dem Abgebrannten wegen der Türen und Fenster den heimlichen Handel abschloß? Denn was eine Versicherungsgesellschaft ist, wer kann sich das vorstellen? Und dann das Allerschlimmste: die Veruntreuungen auf dem Holzplatz, auf dem der Jons ja heute noch arbeitet! Der Möbeltischler ist nicht der einzige gewesen. Gar manchem, der eine offene Hand hatte, ist beim Verladen eine oder die andere Planke mehr auf den Wagen geschmissen worden. Und der Aufseher hat dann den Rüffel gekriegt.
Schlimme Sache! Schlimme Sache!
Trotz alledem gehen sie ans Werk. Der Jons bringt Postanweisungen und Linienpapier, und nun schreiben sie einen Brief nach dem anderen, gerade so, als ob sie wirklich bei den Gebetsleuten eintreten wollten . . . Und das tun sie aus Klugheit, denn sie wissen, deren Sündenbekenntnisse werden von den Deutschen mit Lustigkeit, von den Litauern mit Andacht aufgenommen und niemals weiter verfolgt. Aber in zweifelhaften Fällen vermeiden sie der Sicherheit halber, ihre Namen anzugeben.
Einer der Briefe lautet so:
»Wehrter Herr Hahn!
Da ich den Herrn Jesus gefunden und er mich eretet hat aus allen meinen Sünden. Bezeugt mir der Heilige Geist Gottes meine Ibelthat. Um mit Gott und Menschen ins reine zu kommen, soll ich mihr reinigen wie auch der Herr Jesus rein war. Der Herr zeiget mir, daß ich auch Ihnen währent meinem Hausbau beschädigt habe indem ich aus Ihrem Walde Holz stahl. Ich biete um Vergebung der Schuld, das sie mir nicht vor dem Throne Gottes verklagen wirde. Darum läge die 30 Mark für den Wert des Entwändeten Matirials. Der liebe Gott ist selber Richter und weis am bästen den Weg. Er hat meinem Gewissen soviel geurteilt. Ich biete nochmals um Verzeihung und vergebung der Schuld, das ich Frieden mit Gott häbe und mein Gewissen mich nicht verklagen wirde. Der Herr Jesus hat mir schon vergäben, als er am Kreuze auf Golgatha das Wort ausrief Es ist vollbracht,
Achtungsvol
J. Baltruschat.«
Und ein anderer lautete so:
»Hochgerter Herr!
Als ich in einen neien Abschnit meines Lebens mich mit meinem Gott versähnen wolte, fand ich unter den verbannten Gegenstenden, das ich mich auch an Ihnen vergangen habe. Zwar glaubte ich früher das wen man von einen reichen Herrn Kleinigkeit stiehlt, keine Sünde ist. Komme daher ihnen dankbar um Vergebung zu bieten, wenn Sie so gütig sind. Ich befand mich vor langer Zeit bei meinem bauen in großer Verlegenheit und da ging ich hin und holte mir aus ihre Grube den Lähm gleichwie es Gott gefiel. Daher sände Sie gefälligst 10 Mark. Biete wenn möglich um Sündenvergebung.
Hochachtend
ein Nachbar.«
Diese beiden Briefe, den frömmeren und den weltlicheren, nehmen sie sich zum Muster und richten danach die übrigen ein.
So schreiben sie noch manchen Brief und berechnen genau die Beträge, die sie den Empfängern schuldig sind.
Der Abgebrannte, zu dem der Jons geht, um zu erfahren, an wen er sich wegen des Ersatzes zu wenden habe, wohnt in einem nagelneuen Hause. Dessen Türen und Fenster sind tausendmal schöner als die, die er damals beiseitegeschafft hat. Er lacht zuerst fürchterlich, als er aber hört, daß Jons zu den Gebetsleuten gehen will, sieht er gleich ein, daß es sein muß, und gibt ihm genaueste Auskunft.
So bliebe also nur noch das Holzgeschäft übrig, denn das Ziegenheu kann auch von selber gefallen sein. Aber das Holzgeschäft!
»Der deutsche Kerl kann Wind auf dich kriegen und zeigt dich am Ende noch an«, warnt die Erdme. »Selbst ohne Unterschrift kann es dir schlecht gehen.«
Das sieht er auch ein und schreibt darum zur Sicherheit den Namen eines anderen Arbeiters, der vor kurzem nach Rußland zu den Holzfällern gegangen ist und der ebenso gemaust hat wie er. So reinigt er zugleich auch dessen Gedenken, was als eine doppelte Guttat angesehen werden muß.
Als die Briefe und die Postanweisungen weg sind, wird ihnen beiden sehr wohl zumut. Die Ersparnisse haben sich zwar erheblich vermindert, aber statt dessen hilft ja der Moorvogt.
Darüber vergessen sie ganz, daß sie auf der nächsten Versammlung der Gebetsleute das Sündenbekenntnis ablegen sollen.
So kommt der Sonntagnachmittag heran. Sie sitzen vergnügt vor der Tür. Er raucht seine Pfeife, sie riecht an einem Marienblatt, und die Kinder spielen um sie herum. Da hören sie mit einem Male einen feierlichen Gesang.
»Es wird ein Begräbnis sein«, meinte die Erdme.
Aber der Gesang kommt immer näher, und was sehen sie? Der fromme Taruttis und zwei andere fromme Männer gehen zwischen den Kartoffeln geradeswegs auf sie zu, und jeder hält sein Gesangbuch in der einen Hand und sein Schnupftuch in der anderen, und eine Mütze hat keiner auf.
O Gott, wie wird ihnen da! Weglaufen können sie nicht, und Ausreden haben sie auch nicht.
Der Jons in seiner Verlegenheit heißt sie willkommen und fragt, ob er den werten Gästen vielleicht einen Schnaps anbieten kann. Wo er doch wissen muß, daß die Erleuchteten geistige Getränke nicht zu sich nehmen.
Der fromme Taruttis tut, als habe er die Frage gar nicht gehört, und sagt: »Teurer Bruder und geliebte Schwester. Die Stunde des Segens ist da. Die Pforten der Himmelsstadt sind aufgetan! Folget uns nach Jerusalem, wo ihr alsbald in weißen Kleidern dastehen werdet zur rechten Seite des Herrn.«
Der Jons, der wie vor den Kopf geschlagen ist, will richtig schon gehen, aber die Erdme hält ihn gerad' noch am Ärmel.
»Lieber Nachbar und ihr anderen geehrten Gäste«, sagt sie und macht ein scheinheiliges Gesicht, »seit wir unseren Entschluß kundgetan haben, prüfen wir uns unaufhörlich, aber es will uns gar keine Sünde einfallen. Nun müßten wir uns jedoch schämen, so selbstgerecht vor euch zu erscheinen, wo doch ein jeder sonst sein Bündelchen auspackt. Darum lasset uns Zeit, ein Monatchen oder ein Jahrchen – oder noch mehr, damit wir ein gehöriges Bekenntnis zusammenkriegen. Vielleicht sündigen wir inzwischen auch noch was Neues, und das ist dann gleich ein Abwaschen.«
So einfältigen Glaubens der fromme Taruttis auch sein mag, – daß diese freche Person sich lustig macht, das sieht er doch ein.
»Warum seid ihr denn zu mir gekommen?« fragt er sie ganz verdutzt.
»Ihr seid ja auch zu uns gekommen«, gibt sie zur Antwort.
Darauf wissen die frommen Männer nichts zu erwidern und heben sich wieder von hinnen. Und Jons geleitet sie bis an den Grenzgraben, dorthin, wo das Brett 'rüberführt.
Wie er zurückkommt, sieht er, daß Erdme die beiden Kleinen im Arm hat und liebkost.
Dann läßt sie sie fallen, hebt beide Fäuste hinter den Weggehenden her und ruft: »Meinen Töchtern die Heirat verderben, das wär' euer ganzer Segen, ihr Schufte!«
Der Jons ist beinahe erschrocken. Nie hätte er gedacht, daß sein Weib so böse sein kann.