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Der Entwässerungsgraben ist das erste. Ohne den geht nichts.
Erdme hat ihn fast allein gezogen. Denn wenn Jons auch um drei aufsteht, um fünf muß er ja auf dem Weg zur Sägemühle sein, und abends ist sein Helfen auch nicht viel wert. Dann hängen ihm die Arme immer wie Säcke am Leibe.
Aber Erdme – die schafft es. Sie steht bis zu den Knien im eiskalten Wasser und sticht und gräbt und gräbt und sticht – quer durch das widerspenstige Wurzelwerk, das manchmal durch keine Menschenkraft bezwingbar scheint.
Der fromme Taruttis – so heißt der Wirt – sieht von weitem ihr maßloses Mühen, und da sein mitleidiges Gemüt es ihm befiehlt, so läßt er oft die eigene Arbeit im Stich und kommt, ihr über die schwersten Stellen hinwegzuhelfen.
Dafür aber sieht sich Jons zu seinem bitteren Ärger genötigt, die kostbaren Freistunden des Sonntags mit Singen und Beten zu verschwenden. Frommsein ist gewiß eine schöne und notwendige Sache, aber man muß Zeit dazu haben. Sonst wird es zur Landplage.
Die Arbeitsgelegenheit in der Sägemühle hat sich übrigens als ein Glücksfall erwiesen. Denn aus den Gesprächen mit den Fuhrleuten kann man auf unauffällige Weise tagtäglich erfahren, in welchem Walde und an welcher Stelle geeignetes Holz zu nächtlicher Abholung bereit liegt.
Aber Jons ist nicht der Mann dazu, sich mit gebundenen Händen irgend einem Aufseher auszuliefern, dem es beliebt, ihn anzuhalten.
Die erste der kräftigen vier Kiefernstangen, die als Eckpfeiler eines zu erbauenden Hauses nun einmal unentbehrlich sind, kauft er sich für blankes Geld von einem Besitzer, der wegen leidiger Hypothekenzinsen ein schönes Eckchen seines Waldes niederlegt. Dabei bekommt er einen regelrechten Kaufschein, den er fortan als Schirm und Schutz in seiner Tasche mit sich führt. Und als er mit Erdme in der übernächsten Nacht einen zweiten Stamm nach Hause bringt, der nicht ganz so rechtsgültig erworben ist, da kann er sich des guten Gewissens erfreuen, das solch ein Stückchen Papier seinem Träger verleiht.
Den Handwagen borgt der fromme Taruttis, der natürlich nichts Böses ahnt, und legt sogar noch einen goldumränderten Spruch hinein. Ob der nun hilft oder was anderes, kurz, auch der dritte Stamm gelang unangehalten nach Hause. Als aber der vierte an der Reihe ist, da kommt als ein unaufschiebbares Hindernis die Hochzeit dazwischen.
Die muß wegen der Wirtsleute in strengster Heimlichkeit vollzogen werden und kostet beim Standesamt allein zwei Fünfzigpfennigstücke für die fremden Zeugen, die sich Jons von der Landstraße mitgebracht hat. Ein Glück ist, daß die sich bereit erklären, auch bei der Trauung am nächsten Sonntag das Zeugenamt zu versehen, vorausgesetzt, daß sie hernach drei süße Schnäpse bekommen.
Der Moorvogt verhält sich nicht im mindesten feierlich, er hat nicht einmal die Lichter angesteckt, so gering achtet er sie. Zum Schlusse reicht er ihnen die Hand und sagt: »Von nun an könnt ihr in Ehren beieinander wohnen.«
Als ob das ohne den Pfarrer so ginge!
Der fromme Taruttis ist zwar wenig erfreut, als er am Sonntag das junge Paar im besten Staate zur Kirche gehen sieht, denn ihm erscheint die Kanzelpredigt nur als ein heidnischer Tand; aber da sie schon halbwegs zu den Erleuchteten gehören, so hofft er, sie durch inbrünstiges Gebet bald ganz und gar bekehrt zu haben, und trägt es ihnen weiter nicht nach.
Heimlich pflücken sie sich im Garten ein paar jungsprossende Rautenblättchen, die sie als Merkmal ihrer Brautschaft nicht entbehren wollen, und treten dann den langen Weg zum Gotteshause an.
Die beiden Zeugen sind richtig zur Stelle, sie aber schämen sich, auf einer der vordersten Bänke Platz zu nehmen, wo immer die Hochzeitsleute sitzen, und verkriechen sich hinter einem der rückwärtigen Pfeiler. Nicht einmal die Rautensträußchen legen sie an, sondern bekneifen sie mit den heißen Fingern.
Der Gottesdienst ist zu Ende. Aber jetzt kommt erst eine große Hochzeitsgesellschaft, die mit ihren blumengeschmückten Wagen den halben Vorplatz erfüllt hat. Bebänderte Ordner laufen umher, und die Brautführer umgeben wie eine Königsgarde den Marschall.
Die beiden aber sitzen geduckt im Winkelchen, und ihre Zeugen riechen nach Mist.
Als der letzte von der großen Hochzeit den Kirchenraum verlassen hat, fassen sie sich ein Herz und schieben sich bis nach dem Mittelgang.
Der Pfarrer – ein junger Mann, mit einem Traumdeutergesicht – blickt ihnen freundlich entgegen, und da sie wegen ihrer Armut nicht vor den Altar zu treten wagen, öffnet er die rotgepolsterten Schranken und schreitet auf sie zu, um sie an seinen eigenen Händen dorthin zu führen.
Er spricht auch nicht bloß die Worte, die im Buche stehen, sondern hält ihnen eine genau so schöne Rede, als ob sie vorher dafür bezahlt hätten.
Er preist sie glücklich, daß sie, erfüllt von Jugendkraft und Hoffnung, die gemeinsame Reise durchs Leben anzutreten entschlossen sind, malt ihnen aus, was sie alles erreichen können, wenn sie fleißig und beharrlich an ihrem Glücke arbeiten und vor allem – vor allem, vor allem! – den schmalen Weg der Redlichkeit niemals verlassen wollen.
Jons und Erdme weinen sehr, und jeder von ihnen schwört sich zu, die Ermahnungen des Pfarrers nicht zu vergessen.
Als aber die Zeugen ihre drei Schnäpse erhalten haben und es dunkel zu werden beginnt, da müssen sie doch daran gehen, den vierten der Stämme aus dem Walde zu holen, denn jeder Tag Aufschub kann von Nachteil sein.
Sie suchen sich den Handwagen, den sie schon gestern in sicherem Gewahrsam untergestellt haben, und anstatt wie andere bei fröhlichem Tanz und Gelage das neue Leben einzuweihen, ziehen sie beschämt und beklommen auf Raub aus.
»Wenn man so arm ist wie wir, dann kann das unmöglieh eine Sünde sein«, tröstet die Erdme sich und ihn.
»Eine Sünde ist es schon«, antwortet der Jons, »das hat ja noch heute der Pfarrer gesagt. Aber wenn wir es nicht mehr nötig haben, dann wollen wir alles wieder gut machen, worin wir uns jetzt vergehen müssen.«
Und das geloben sie einander, während sie im Chausseegraben die Nachtstille abwarten.
Und noch manches geloben sie. Keinen Hader wollen sie aufkommen lassen und keine giftigen Worte in den Mund nehmen und in allem den Kindern ein gutes Beispiel geben.
»Ja, unsere Kinder sollen es einmal gut haben«, meint der Jons.
Und die Erdme gerät ins Schwärmen: »Wenn ich Töchter kriege, dann sollen sie in Samt und Seide gehen – und ihre Hochzeiten sollen acht Tage dauern – und der Bräutigamsvater soll nichts Geringeres sein als ein Gendarm.«
Doch der Gedanke an den Gendarmen ist ihnen unbehaglich, darum spinnen sie ihn nicht weiter, sondern eilen, im Dunkel des Matzicker Waldes zu verschwinden, wo der vierte Pfosten ihres künftigen Glückes als frischgefällte Kiefer mattschimmernd am Boden liegt.