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Fünftes Buch: Die Siegerin


Siebenunddreißigstes Kapitel

Gegen den Frühling faßte Steffen Tromholt den Entschluß, die »Sintflut« der nötigen Umarbeitung zu unterwerfen.

Die vier Panneaus waren fertig, für die Ausstellung standen ein paar Gesellschaftsbilder – darunter jene Proszeniumsloge – bereit. Nichts mahnte, nichts drängte, man konnte über Kraft und Zeit verfügen, wie man nur wollte.

Als er Brigitte von seinem Plane erzählte, machte sie ein ernstes, ein fast erschrockenes Gesicht, das er im ersten Augenblick mißdeutete.

»Du meinst wohl, sie sei es nicht wert?« fragte er beinahe beleidigt.

Aber hiergegen wehrte sie sich voll Entrüstung. »Wie kannst du so etwas Übles von mir denken? Ich sehe nur die ungeheure Aufgabe und überlege, wie lange du brauchen wirst, um ihr gerecht zu werden. Denn vor deinem heutigen Können hält ja das meiste drin nicht mehr stand.«

»Also du meinst wirklich, daß ich gewachsen bin inzwischen?« fragte er, während er den Balsam ihrer Worte wohlig über sich herrinnen ließ.

»Aber, Steffichen!« sagte sie – mehr nicht – und zuckte die Achseln.

»Und sie machten damals so viel von mir her,« murrte er in sich hinein.

»Laß sie nur einmal überblicken, was dein Lebenswerk ist,« rief sie voll Eifer, »und sie werden ihr blaues Wunder sehen. Ach, das noch erleben dürfen!«

Und sie breitete sehnsüchtig die Arme ins Leere.

Er dachte im stillen: ›Wenn du nicht wärst!‹

Denn außer ihr lobte ihn niemand mehr. Auch Astrid nicht. Was immer er schuf, ihr war es selbstverständlich, da sie in ihm nur den Meister sah, dem alles von selber entstand. Und sonst kümmerte sich keiner um ihn. Seit der Kunsthandel daniederlag, wollte auch Naschke nicht viel von ihm wissen. Ein paar sehr tüchtige und sehr wirkungsvolle Bilder – das sagte ein jeder von ihnen – hingen an seinen rotbrokatenen Wänden herum und waren längst zu Ladenhütern geworden.

Die Panneaus auszustellen, hätte nach Maxels gelegentlichem Tamtamschlag gewiß einen Sinn gehabt, auch den Platz dazu würde man ihm kaum verweigert haben, aber Herr Piefke wollte nicht länger warten. Die vertragliche Zeit war längst überschritten, und wenn auf Neuheide die ersten Sommergäste eintrafen, mußte der Speisesaal in unerhörtem Glanze erstrahlen.

So war es wohl erwägenswert, in dieser »Sintflut« ein Werk auszugestalten, das mit der Glut jung-trotziger Phantasie die Reife erprobten Könnens vereinte. Was an den »Schinken« erinnerte, mußte weg; nichts als Traum, Vision, Ahnung, Symbolik durfte drin bleiben.

Zuerst wurde den »Orgelpfeifen« ein Ende bereitet, und als die ersten freieren Bildungen an ihre Stelle traten, schlug er sich vor den Kopf, in Staunen darüber, daß er dergleichen jemals geduldet hatte.

Und Brigitte war glücklich mit ihm.

Von nun an herrschte zwiefache Stille im Hause. Keine Störung, keine Mißhelligkeit durfte an ihn heran. Alles ging auf Zehenspitzen herum, und wenn er sich zu Tische setzte, fand er nur noch Lieblingsgerichte.

War es schon immer Brigittens Bestreben gewesen, so wenig als möglich bemerkbar zu werden, so löschte sie sich fortan vollkommen aus. In irgend einem Winkel saß sie über ihrer Handarbeit, stunden- und stundenlang, und ein Kunstwerk nach dem anderen entstand unter den Händen, die so häufig erschlafften.

Wurde sie heraufgerufen, dann war sie da.

Freilich nicht immer, denn an manchem Tage stand sie gar nicht erst auf.

»Ich bin so furchtbar müde heut, Steffichen,« klagte sie, wenn er mittags herunterkam. »Erlaub es mir schon.«

Aber ließ er dann den Tisch zur Mahlzeit vor ihr Bette rücken, dann lachte sie und scherzte mit ihm, als wär' es ein Fest.

In der Nacht durfte die Verbindungstür zwischen den Schlafzimmern nie mehr offenstehen. Und ob er sich noch so sehr dagegen wehrte, sie gab nicht nach.

»Du mußt hart arbeiten,« sagte sie, »hast Modell halbe Tage lang und gönnst dir selbst abends nicht Ruhe, da darf dein Schlaf keinen Schaden erleiden.«

Und dabei kam's heraus, daß sie selber des Nachts viele Stunden umherging, weil beim Liegen der Atem ihr fehlte, oder daß sie im Bette aufrecht saß, bemüht, ihr Keuchen nicht hörbar werden zu lassen.

Aber der Hausarzt hatte glücklicherweise gar keine Bedenken.

»Wenn sie nur erst wieder in Nauheim gewesen ist,« sagte er ein Mal über das andere, »dann werden sich diese nervösen Erscheinungen von selber verlieren. Für den Notfall sind ja auch meine Wässerchen da.«

Und damit ließ sich Steffen gerne beruhigen.

Was er freilich nicht wissen konnte, war, daß Brigitte den Arzt beschworen hatte, ihm die Wahrheit verborgen zu halten, solange es anging. »Er darf durch nichts in seinen Gedanken beirrt werden,« so hatte sie dem vielverstehenden Mann eingeschärft, der ihr blindlings ergeben war. »Keine Sorge darf an ihn herantreten und keine Angst um mich. Das verlang' ich von Ihnen, wenn Sie es gut mit mir meinen.«

Trat Steffen morgens in ihr Zimmer, dann fand er sie oft matt vor Anstrengung, aber für den Tag schon zurechtgemacht und mit schön geordneten Haaren in ihren Kissen, schneeweiß wie sie.

»Ich muß doch was zu tun haben«, sagte sie, »in den endlosen Stunden der Frühe, und es ist ja auch sehr erfreulich, dich als frischgewaschene Ehrenjungfrau begrüßen zu können.«

Ausgehen und einkaufen tat sie noch immer trotz ihrer wachsenden Schwäche. Ein Glück war's, daß das Haus seit etlichen Jahren mit einem Fahrstuhl begabt war, denn um die Treppen zu steigen, hätten ihr wohl die Kräfte gefehlt. Nun zog sie nach wie vor auf den Markt, geradeso wie in den Zeiten der Not. Sogar die Wachstuchtasche schleppte sie mit sich, obgleich Loni ja da war, sie ihr zu tragen.

Sonst verließ sie das Haus kaum noch. Aber immer war sie besorgt darum, daß er sich Zerstreuungen gönnte.

»Du hast ja jetzt Astrid,« sagte sie. »Früher meintest du, es sei niemand da, mit dem du bummeln gehen könntest, aber die Entschuldigung gilt nun nicht mehr. Und Geld ist ja auch wieder ein bißchen vorhanden. Drum wirf dich hübsch in den Smoking und los.«

Vor allem waren Astrids Gesellschaftsabende da, die sie – das mußte er den beiden Frauen wohl glauben – eigens für ihn geschaffen hatte. An ihnen dürfe er schon deshalb nicht fehlen, das schärfte Brigitte ihm ein.

Ein buntes Gemisch von allen Rassen und Sprachen war dort zu finden. Lauter elegante, weltgewandte Männer und schöne – oder schön sein wollende – Frauen, wie der neubelebte Weltmarkt sie nach Berlin verschlagen hatte. Viel Diplomatie, viel fremde Finanz, doch fast gar keine Künstler. Und das war ihm gerade recht, denn so kam er mit Astrid nicht in Verdacht und blieb ihrem Salon mit seinem silbrigen Lockenkopf und seiner auf Kredit hingenommenen Berühmtheit eine unverfängliche Zierde.

Alle die Weiber sahen aus und blickten um sich, wie wenn es nichts Dringenderes gäbe, als auf der Stelle mit ihm oder einem anderen in ein Liebesverhältnis zu treten, aber bald war er darüber im klaren, daß in ihnen nichts als eine gleichsam frauenberufliche Koketterie fast automatisch ihr Spiel trieb. Dunkel erinnerte er sich, daß diese Formen in der großen Welt schon immer geherrscht hatten; nur durch Deutschlands Absperrung und die eigene Verbürgerlichung waren sie ihm fremd und fast ein Wunder geworden.

Umso rascher fand er sich wieder hinein; den leichten und niemals eindeutigen Ton hatte auch er sich zu eigen gemacht, und Astrid, die anfangs seine Art sich zu bewegen mit zwiefacher Sorge verfolgt hatte, durfte zufrieden sein.

Aber ob er sich noch so wohl fühlen mochte, – wenn die elfte Stunde nahte, begann er unruhig zu werden, und war die Uhr erst halb zwölf, dann hielt ihn kein noch so schwarzumrandeter und belladonnendurchtränkter Augenaufschlag in seinem Bannkreis zurück.

Wußte er doch, daß Brigitte niemals einschlief, ehe er heimkam. Und jede Stunde des Ausruhens war ihr vonnöten.

Stand er im Treppenhause und sah auf der Hofseite hoch oben die Fenster ihres Zimmers erleuchtet, dann blieb er wohl stehen und dachte erschauernd: ›Wie, wenn das einmal finster sein wird?‹

Aber dann rief er sich zu: ›Noch hab' ich sie ja!‹ Und mit diesem Troste gab er sich wieder zufrieden.

Und da lag sie und lächelte ihn an, brennend vor Neugier, und er mußte erzählen.

Alle die Männer und Frauen, deresgleichen sie niemals gekannt hatte, sah sie leibhaftig vor sich, und während er noch sprach, dachte sie sich schon Geschichten aus, deren Helden sie waren. Oft wob sie weiter daran die ganze Nacht hindurch.

Um ihr Freude zu machen, schwindelte er gern noch ein wenig hinzu, und wenn er ausmalte, wie er bei dieser oder jener der schönen Frauen Erfolg gehabt hatte, war sie ganz glücklich.

Dieses Schwindeln wurde Notwendigkeit, wenn eine Liebesstunde hinter ihm lag. Sie kam selten genug, denn seine Sorge ließ ihm kaum jemals die Freiheit, sich ihrer zu freuen, und Astrid war längst davon angesteckt. Wollte Vertrauen sich in Vertrauen ergießen, dann redeten sie fast nur noch von ihrer Brigitte.

Damit sie, sei's plaudernd, sei's eingeschlafen, die Stunde des Abschieds nie versäumten, hatte Vibecke, der sie nichts zu verhehlen brauchten, die Order bekommen, um elf an die Tür zu pochen, denn vor Mitternacht – das blieb ihm auch jetzt Gesetz – mußte er wieder zu Hause sein.

An solchen Abenden erzählte er natürlich Räubergeschichten, und immer glaubte sie blindlings. – –

So kam allmählich der Frühling ins Land – und mit ihm die Hoffnung, von der sich narren zu lassen kein Menschenkind jemals zu klug war.

Die Morgensonne schien ihr vergnüglich aufs Bett, Schneeglöckchen füllten die Vasen, und wenn die Fenster geöffnet standen, hörte man selbst von den Höfen her an dem blauen Himmelsfleck Lerchengewirbel.

Da – eines weichen Apriltags – geschah es, daß sie, die frischer denn sonst aufgestanden war und sich gerade mit Steffen an den Frühstückstisch setzen wollte, unter noch niemals erlebten, furchtbaren Schmerzen aufschreiend zusammenbrach.

Und als sie zu ihm emporschaute, da gewahrte er wieder jenen flehenden Hundeblick, den er nur wenige Male in all den Jahren an ihr erlebt hatte, den Blick, mit dem sie in tiefster Not und aus gläubigster Zuversicht sich zu ihm flüchtete, zu ihm, der ja alles vermochte.

Er und Loni brachten sie schleunig zu Bette, und sie, obwohl ihr sonst das Herbeirufen des Arztes ein Greuel war, wimmerte immerzu: »Der Doktor soll kommen! Der Doktor soll kommen.«

Ein Glück war's, daß Steffen ihn auf der Stelle erreichte, und eine Viertelstunde später stand er an ihrem Bette. Die Morphiumspritze hatte er gleich mitgebracht, und so sank sie alsbald in erlösenden Halbschlaf.

Aber seine Miene blieb ernst – mit dem Verheimlichen war es zu Ende –, und ehe er ging, sagte er: »Wir müssen auf alles gefaßt sein.«

Zwei Tage und zwei Nächte lag sie, mit Morphium getränkt, in dumpfer Benommenheit da, dann – wider Erwarten – erholte sie sich.

»Ich hoffe, wir haben sie über das Schwerste hinweg,« sagte der Arzt, und die Krankenschwester, die jetzt bei ihr wachte, eine alterfahrene Pflegerin, meinte dasselbe.

Aber Steffen, der sicher gehen wollte, verlangte einen der vielgenannten Kliniker zu Rate zu ziehen, und zwar den, der in der Reichshauptstadt jetzt als der erste galt.

Der große Mann kam und war ein derb-schlichter Greis, der seine Berühmtheit trug wie einen unerheblichen Zufall.

Er untersuchte lange, und noch längere Zeit besprach er sich mit dem Hausarzt.

Dann wünschte er Steffen noch einmal zu sehen.

»Ich glaube,« sagte er, »wir werden sie Ihnen noch eine Weile erhalten. Nur geschont muß sie werden. Fern von allen Erregungen muß sie sein. Eine Art Traumleben muß sie führen … Denken Sie an die italienischen Seen, wo es schon Sommer ist, oder an sonst etwas Liebliches, wo mit dem Leib auch die Seele sich ausruht, denn sie scheint in ewiger Spannung zu leben.«

Als die Ärzte gegangen waren und er an ihr Bett trat, lächelte sie ihm glücklich entgegen.

»Es ist Gott sei Dank nichts,« sagte sie. »Du darfst ganz unbesorgt sein.«

So leicht war sie zu täuschen.

Und zu gleicher Zeit fing sie an, Pläne zu schmieden. Er mußte ihr einige Baedekers ans Bett bringen, und sie, die seit undenklichen Zeiten nicht im Süden gewesen war, schwelgte in den geahnten Freuden des Wiedersehens. Vor allem hatte Locarno es ihr angetan. Und schon träumte sie von einer Dampferfahrt nach Pallanza und den Borromäischen Inseln.

Dann aber kamen Rückschläge, die bewiesen, daß sie in Todesbereitschaft dahinlebte.

Eines Tages wollte sie Lonis Knaben sehen, den sie schon lange nicht mehr hatte besuchen können.

Steffen äußerte seine Bedenken, denn die Hausleute durften ja von der Mutterschaft der als Unschuldslamm gehänselten Loni nichts ahnen, aber sie bat voll Sehnsucht: »Gönn es mir doch! Es ist doch mein Enkel!«

Da brachte er selber den Knaben über die Hintertreppe heimlich zu ihr. Sie ließ ihn auf ihrem Bettrande sitzen, strich ihm das Blondhaar aus der eckigen Stirn und suchte und suchte.

Steffen wußte wohl, was, und störte sie nicht.

Dann wurde wie zu irgend einer Befragung Loni hereingerufen, und nun gab es des Jubelns kein Ende, bis Brigitte erschöpft in die Kissen zurücksank.

Mutter und Sohn verschwanden, und als sie sich wieder erholt hatte, sagte sie: »Du wirst immer gut zu ihm sein, ja? Weil er doch mein Fleisch und Blut ist, ja?«

Und da sie nun einmal bei den Gelöbnissen angelangt waren, kam gleich auch Wichtigeres an die Reihe.

»Und du wirst auch immer gut zu Atta sein, wenn sie auch jetzt einem fremden Manne gehört, ja? Und zu ihm wirst du auch immer gut sein, ja, weil er sie doch glücklich macht und auch weil der Krieg ihm soviel Leid angetan hat?«

Er versprach alles, und sie ließ ihren Geist weiterwandern zu allem, was sie an Liebem besaß, aber außer Susi, über die sie hinwegglitt, da sie sich von ihm losgelöst hatte, und ihrer einsamen Schwester, der sie viel innige Grüße bestellte, fiel ihr niemand mehr ein.

Denn er war ja Inhalt und Inbegriff ihres Lebens gewesen.

Und plötzlich erstand um ihre Lippen jenes wehe und bittere Lächeln, das er wohl an ihr kannte, war es ja immer ihre einzige Waffe gewesen, wenn er sie in Nichtachtung oder in Ärger – oft unversehens – gekränkt hatte. Aber nein doch! Dieses Lächeln kannte er nicht. In so herzzerreißendem Gram war es noch niemals aus ihrer Seele gequollen.

»Was ist?« fragte er tieferschrocken.

Und langsam ließ sie die Worte aus ihrem Munde tropfen: »Wenn ich erst – weg – bin – dann wirst du ja eine andere heiraten – und wir wissen auch wen.«

Im ersten Augenblick fuhr ihm der Ausspruch durchs Hirn, den sie einmal getan hatte: wie gut er bei Astrid geborgen sein würde, aber zugleich erkannte er, daß sie im Innersten mit diesem Gedanken keinen Frieden gemacht hatte, daß sie sich vielmehr zergrämte, ihn einer Glücklicheren lassen zu müssen.

Deshalb wehrte er sich dagegen mit großer Empörung, als würde etwas Unerhörtes ihm zugemutet.

Brigitte antwortete nichts, aber das Lächeln wollte nicht weichen, und daraus erwuchs ihm ein Jammer, so riesengroß, daß es ihm plötzlich ganz klar erschien, er würde das Leben ohne sie niemals ertragen. Wie sollte er auch? Wie konnte er auch? Sie war ja dieses Lebens Sinn. Die Luft war sie, in der er atmete.

»Bleib mir noch!« rief er. »Bleib mir noch, bis ich das Nötigste beendet hab'! Die ›Sintflut‹ wenigstens noch! Und dann gehen wir beide zusammen.«

Sie stutzte und sah ihn verwundert an. Reden tat sie auch jetzt nicht, aber das Lächeln veränderte sich, wurde still und weich, und dann verschwand es ganz.

Wie wenig sie ihm auch glauben mochte, jetzt war sie wieder beruhigt. – –

Eines wurmte sie in der Folgezeit: daß Astrid nie kam. Nicht um ihrer selbst willen. Für sich verlangte sie nichts. Aber da er das Haus jetzt kaum noch verließ, hatte die Freundin die Pflicht, sich nach ihm umzusehen.

Ordentlich gekränkt war sie, und das sagte sie ihm auch.

Daß er selbst diesen Besuch verhindert hatte, um jede etwaige Erregung von ihr fernzuhalten, das durfte er ihr freilich nicht gestehen. Er sagte nur: »Ach, sie wird schon kommen,« und meldete Astrid sofort, wie sehr sie erwartet wurde.

Am selbigen Abend war sie da.

Er führte sie an Brigittens Bett und blieb im Nebenzimmer, um im gegebenen Moment zur Stelle zu sein.

Durch die geschlossene Tür hörte er die beiden Frauen scherzen und lachen, wie es in früheren und besseren Tagen so oft geschehen war, und alle Sorge schien weggewischt. Nun war die Dreisamkeit wieder beisammen, die ihnen allen das Glück gebracht hatte, wenn er auch angstvoll lauernd beiseite stand.

Nach einer Viertelstunde schon pochte Astrid bei ihm an.

»Ich soll Sie holen kommen,« sagte sie, und leiser fügte sie hinzu: »Ich glaub', sie wird müde.«

Da lag sie, den Lilienbusch, den die Freundin ihr mitgebracht hatte, vor sich auf dem Bettuch, und schaute mit fröhlichen Augen zu ihm empor. Aber die Hand, die sie nach ihm erhob, sank kraftlos wieder zurück.

»Sie will schon gehen,« bat sie leise. »Sag ihr doch, daß sie bleiben soll.«

»Sie kommt bald wieder,« begütigte er, und bei sich dachte er: ›Gott sei Dank, sie haben nicht von der Zukunft geredet.‹

Mit hellem Lachen nahm Astrid Abschied. Schweigend führte er sie durch den langen Korridor nach der vorderen Tür.

Auch sie sprach kein Wort, und als sie ihm die Hand zum Abschied reichte, gewahrte er, daß sie weinte. – –

Am nächsten Tage hatte Brigitte ihre Pläne geändert. Sie warf die Baedekers fort und sagte: »Du, ich möchte gar nicht mehr an die Seen. Ich hab' einen ganz anderen Wunsch. Nacht für Nacht kommt er. Ich kann machen, was ich will.«

»Was wird es denn so Großes sein?« fragte er.

Sie seufzte tief auf und sagte: »Nach Neuheide möcht' ich im Leben noch ein einziges Mal.«

Er überlegte hin und her und antwortete dann: »Ich glaub', dir kann geholfen werden.«

»Aber nicht ins Schloß!« rief sie. »Auch nicht in den Park! Die gehören jetzt den neuen Königen der Welt. Da darf unsereins bloß über den Zaun gucken. Aber ins Försterhaus möcht' ich gern. Noch einmal davor im grauen Moose liegen, wie damals, als Attas Wägelchen neben mir stand, die Eichkätzchen sich jagen sehen und die Elstern schnattern hören – das möcht' ich so gerne.«

›Seltsam,‹ dachte er, an Attas heimliches Trachten und Susis Abschiedswunsch sich erinnernd. ›Ihnen allen ist dieser ärmliche Erdenfleck lieber als meine sämtlichen Zauber.‹ –

»Na, wie is denn?« fragte Herr Piefke am Telephon. »Liefern Sie nu bald – oder was?«

»Ich liefre nicht nur bald,« sagte Steffen, »sondern ich werde die Bilder auch selber einlassen und den Raum dazu stimmen, denn ich will für den Gesamteindruck die Verantwortung tragen.«

»Det is ja pieke, pieke,« lautete die Antwort. »Wann soll die Schose denn losjehn?«

»Aber es ist noch eine Bedingung dabei,« erwiderte Steffen. »Ich möchte natürlich meine Frau gerne mitbringen. Könnten Sie uns vielleicht so lange das kleine Försterhaus zur Verfügung stellen, damit wir Ihnen im Schloß durch Wohnung und Kost nicht lästig fallen?«

»Det wirden Sie nu jerade nich. Im Jejenteil. Aber janz wie Sie wollen … Wat da jetzt drin is, wird schtantepee an de Luft jesetzt.«

Damit war Brigittens Sehnsucht Erfüllung verheißen.

Wachend und träumend lebte sie fortan nur noch in dem verlorenen Paradiese.


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