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Am anderen Morgen herrschte schon früh eine rührige Geschäftigkeit im Haus. Fanny und die Mutter standen in der Küche mit hochgestreiften Aermeln, in hellen grossen Schürzen. Auf dem Herde dampfte und zischte es schon und das Holz im Bratofen knackte. Sie berieten eben, ob Ragout fin genug sei oder ob man lieber Fisch vor dem Braten geben solle; Fanny war für beides. Und hinterher Eis, das sei immer das feinste und dabei billigste.
»Es ist nur gut, dass wir die eingelegte Schöpskeule haben. Wenn wir sie richtig schneiden, essen sie es alle für Wild. Etwas Hautgout hat sie so schon, das macht es noch täuschender. Solche Kenner sind wir ja alle nicht.«
»Na, ich danke – aber in der Freude und Verliebtheit, da merkt er's auch nicht, sicher nicht.«
»Also, Eis denkst du, müssen wir haben? Das kostet doch eine Menge, Fanny?«
»Nein, Muttchen, dazu schickt uns Lotte ihre Maschine. Verlass dich nur ganz auf mich, ich will's schon machen. Das kann ich alles allein. Du kannst ruhig drin bleiben. Musst dich nun zur Ruhe setzen.«
Und lachend drehte Fanny die alte Dame an den Schultern herum und schob sie zur Küchenbank, wo der Professor eben sorgfältig Weinflaschen abwischte, die Kellerschlüssel noch in der Hand. Ob sie wohl reichten? Es waren die letzten der guten Sorte.
»Weisst du, wir geben erst den guten Wein und wenn sie trunken worden sind, alsdann den geringeren. So heisst's doch?« Fanny lachte nervös: »Da kann sogar Ernst damit zufrieden sein, ganz nach hohem Vorbild geht's bei uns zu.«
Sie brach rasch ab, denn mit hochbepacktem Korb kam Anna zurück, keuchend in der Eile und Hitze packte sie ihre Schätze aus. Alle sahen ihr interessiert zu und fuhren ordentlich zusammen, als die Klingel gezogen ward.
»Eine Empfehlung an Fräulein Eva Weidmann!« Ein Bote von »Schmidt« gab einen Riesenstrauss ab, in Seidenpapier gewickelt.
»Na, das lass ich mir gefallen, der fängt gut an. Eva kann sich freuen!« fast neidisch klang es.
Die Augen der Mutter glitten liebevoll über die Blumen. Lauter Moosrosen! Von den kleinsten Knöspchen am Rande bis zu den voll Erblühten in der Mitte tadellos schöne Exemplare. Kein Band, keine Spitze oder Schleife, nur in dem ihnen eigenen Schmuck der graugrünen Blättchen prangend, entzückend in ihrer einfachen, ungekünstelten Lieblichkeit, ein Meer von rosa und grün.
»Aber wo sie nur bleibt? Gewiss wird sie nicht allein fertig. Diese Verwirrung, – ich kann mich ja noch so gut besinnen ...«
Ordentlich jugendlich rasch drehte sie sich zur offenen Tür, um hinaufzueilen. Mit einem Male fuhr sie zurück. Da lehnte ja Eva!
Mit beiden Händen hielt sich die schlanke Gestalt am Türpfosten, ein paar weitgeöffnete Augen starrten in das Treiben in der Küche, verständnislos, keinen Sinn erfassend, in all dem, was hier vor sich ging.
»Mein liebes Kind, Gott segne dich!« Zärtlich drückte sie die Tochter ans Herz. »Ich war schon heute früh mal bei dir, es liess mir ja keine Ruhe, aber du schliefst so schön, ich brachte es nicht über mich, dich zu wecken.«
Und die zitternden Hände des Vaters griffen jetzt auch nach ihr:
»Mein Kind, mein Liebling, mein Herzenskind! Gottes reichster Segen über euch! Was machst du mir für eine Freude. So ein lieber, lieber Sohn – – Wie wirst du glücklich sein!«
Eine Träne lief ihm über die gefurchte Wange, als er Eva jetzt an sich drückte und mit den greisen Lippen, ihre Stirn suchte. Sie merkte mit einem Male wie alt er war, wie welk seine Lippen und wie grau und dünn die wenigen Haare an seiner Schläfe.
»Was? ... Was? ...« stammelte sie dann.
Da trat Fanny vor und drückte ihr lachend das Bukett in die Hand:
»Ich glaube, du hast alles wieder verschlafen! Du sagtest mir doch gestern, dass du ihn nehmen wolltest, – Illner, – weisst du, wie ich noch bei dir war abends, du lagst schon im Bett. – Und da hat Papa gleich den Brief abgeschickt. Heute mittag kommt dein Paul und Lotte und Ernst essen auch bei uns, wir wollen gleich die Verlobung feiern.«
Sie hatte hastig, mit einem freudigen, lebhaften Ton gesprochen, verstummte nun aber doch vor dem Blick, der sie traf. Ein Blick, in dem plötzliches Verstehen so rasch in tiefste Verachtung umschlug, dass sie erschreckt einen Schritt zurücktrat und ihre Augen unsicher am Boden hin und herirrten.
Eva wollte rufen, schreien: Nein, nein, es ist alles Lüge, nichts wahr! Da glitt ihr Blick weiter auf die Gesichter der beiden alten Eltern, die sich eben gegenseitig umhalsten und küssten, wie sie es noch nie gesehen, als wäre ihnen das grösste Glück zu teil geworden. Die kleinen gebeugten Gestalten sahen ordentlich verjüngt und verklärt aus; ein Leuchten lag über ihnen, wie ein Abglanz ferner, ferner Zeit, der eigenen längst entschwundenen Jugendtage, da des Lebens Sorge und Not ihre Züge noch nicht mit der harten Hand gestreift hatte.
Und Eva brachte kein Wort über die Lippen. Wie Entweihung wäre es ihr erschienen, wie ein Frevel, dieses Licht zu verlöschen. Ein Gefühl kam über sie, wie sie es noch nie gekannt, fremd und neu: ein Gefühl überwältigenden Mitleids. Mitleid mit den beiden alten Menschen da drüben, die ihr so hilflos vorkamen, Rührung über ihr Glück, und eine heilige Scheu, es zu zerstören mit brutaler Gewalt.
Da nahm sie ihre Blumen, drückte leise die Tür der Küche hinter sich zu und ging ins Wohnzimmer.
Es war eine tiefe Freude in ihr, eine wehe Freude, dass sie unter schmerzlichem Lächeln die Hände faltete, als könne sie sich mit dieser unwillkürlichen Bewegung Kraft und Stärke holen. Kraft und Stärke, die sie in sich zu finden hoffte, in ihrem freien Willen, aus dem heraus der Entschluss geboren war, alles nun auf sich zu nehmen und durchzuführen um jenes unendlichen Mitleids willen mit den beiden alten, müden Menschen.