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Das Fünferhaus wurde mit ockergelber Ölfarbe gestrichen!
Wochenlang waren Maurer da, legten Zimmerwände nieder, bauten einen Stall und einen Wagenschupfen, erweiterten die Fenster und als sie abzogen, wurde ein schweres, reichverziertes, knallrotes Haustor eingesetzt, die Fensterhölzer gleicherweise knallrot gestrichen und der Lamplgasse ein nie geahnter Farbenschwelg geboten.
48 »Elegant, net zum sagn«, urteilten die Pepi und die Wetti, nur der Herr Franz meinte: »Brennrot und gagerlgelb, dös is a Gmisch, dös reißt a'm ja d' Augn außa.«
Dann kamen umfangreiche Möbelwägen und starke Männer luden eine Märchenpracht ab von Schränken, Stühlen, Tischen und ein gewaltiges Messingbett mit einem Baldachin aus schwerer ockergelber Seide, dann weiche, mollige Teppiche, Glasluster, die in tausend Farben sprühten, Klubsessel, mit Wildleder überzogen, hohe Spiegel mit breiten Goldrahmen, Bildwerke aus sattbrauner Bronze und gleißendem Marmor, schlanken Mädchenleibern in allen anmutigen und dergleichen Stellungen nachgebildet – – selbst Frau Wotrubas so wohlgeübte Zunge war nicht fähig, alles herzuzählen und zu schildern.
Da ging Herrn Jankos Stern auf!
Ganz gleichgültig, wie einer, der mit hohen Werten lässig zu spielen gewohnt ist, warf eines Abends Herr Simonics das Gold seines Wissens in die Runde.
»Kenn ich gut den Kretschmann, war an ganz klaner Spenglergsell . . .«
Der Einsturz des Greislerladens hätte nicht erschütternder gewirkt.
»Was S' net sagn!« – »Ja gengan S', Jessas na, is 's denn mögli!« – »Das sagen Sie uns erst heut, Sie Schlimmer?«
»Hab ich nit nachdenkt, erst wie ich Mann hab gsehn, is mir eingfalln . . .«
»Gsehn habn S' ihn auch schon?« – »Wie schaut er denn aus?« – »War er leicht gar schon da?«
49 »I paß do auf wia-r-a Haftlmacher; daß er mir auskumma is, begreif i anfach net«, wunderte sich Frau Wotruba und alle sogen sich nun wie Blutegel an dem Syrmier fest.
»A Spenglergsell war er?« – »Is er scho alt?« – »Wia is er denn zu dem Geld kumma?« – »I kann 's gar net glaubn, daß die Spenglerei heutzutag no so viel tragt . . . !« – »So erzähln Sie doch schon einmal, Herr Janko.«
»No, war er ganz gwöhnlicher Gsell bei klan Spenglermasta am Hernals, war ganz klans Gschäftl mit an Lehrbu, hat 's aber Masta Sohn ghabt, was war so blähd und is ausgrennt nach Schweiz vor Assantirung, hat nit zu Kaiserliche wolln – – no, is Desantehr wurdn und hat's nit mehr her derfn, is Erschießung drauf – no, hat sich Vater aber so kränkt, hat's Sohn ganz narrisch gern ghabt, hat's nit ausghalten auf zuhaus, is ihm nach in Schweiz, hat Gschäft Gschäft sein lassn, hat's zu Gsell gar nix gsagt, is auf amal nit mehr kummen! No, da hat's Gsell den Gschäft übenummen, hat 's weitegführt, hat's Glück ghabt, hat's für Konserfnfabrik Schachtln gmacht, is immer größer wurdn, hat's dann Fabrik aufgmacht und is jetzt an Milloniär!«
»Ein Millionär! Wunderbar, der reine Roman!« seufzte verzückt die Frau Direktor – Fräulein Tini flötete: »So ein Glück, was mancher hat!« – Frau Wotruba aber richtete: »Eigentli is net urndli herganga dabei – wann er 's Gschäft net kauft hat oder 's is eahm net vaschriebn wordn, dann ghört 's heut no dem andern, denn dös haß i a Gschäft an abgschastln – übrigens hab i mir 's ja 50 glei denkt, da is was dahinter, auf grade Weis' kummt ma net zu so viel Geld . . .«
Frau Hammerer widersprach sofort ganz lebhaft: »Ah freili, wann 's ana bessa vasteht als der andre – war net schlecht, wann er si net rührn derfat – der teppate Masta hätt halt da bleibn solln und selber schaun, daß er sein Werkl in d' Höh bringt – – vaspielt is vaspielt . . .«
»Master hat's ja gar net zruck derfn, war eingspirrt wurdn«, ergänzte Herr Simonics trocken.
Da leckte der Herr Franz das letztemal wider den Stachel:
»Dös is aber gspaßi, wia Sö alles so genau wissn – dös muaß do schon an Affähr von a zwanzg Jahr sein, mindastns – und Sö san do net so lang in Wean, damals warn S' ja no in Agram oder Parndorf . . .«
Eiskalt durchfuhr es da ein halbes Dutzend verschiedenartig gestalteter Weiberbusen – ein großer Augenblick war da, das fühlten alle.
Herr Simonics schoß einen scharfen Strahl aus seinen schwarzen Augen auf den Gegner, dann sprach er ganz gelassen:
»Hat's mir Kolleg alles erzählt, was war Kutscher bei Kretschmann und jetzt is Stallmasta bei Schwarzenberg – – hat mir Kretschmann amal zagt, wie is ausgfahrn am Blumenkorso, wo hab ich Zelt hergricht bei Baron Königswarter, wo war ich . . .«
»Jessas ja, Herr Janko, wia S' in da Gartnkanzlei warn, ja freili, i kann mi no guat erinnern«, fiel Frau Hammerer mit ängstlicher Hast ein, aber der Herr Franz war schon »aufs Mäul gschlagn«, wie Frau Wotruba anderntags 51 versicherte, und der Syrmier sonnte sich im Glanze seines Sieges.
Er war überhaupt gar rasch emporgediehen. Zuerst wortkarg, vorsichtig den Grund, auf dem er baute, abtastend, war er immer sicherer und damit mitteilsamer geworden, er wußte bald eine Menge Neuigkeiten, stand meistens im Greislerladen und war bald ein mächtiger Magnet für die dienenden Mädchen der Lamplgasse. Nachmittags saß Herr Simonics oft in tadellosem Schwarz im Café Casa piccola, las die Abendblätter und streute dann im Greislerladen seine Lesefrüchte aus. Er wußte einfach alles und ein untrüglicher Spürsinn ließ ihn das Verborgenste entdecken. Frau Hammerers Greislerei nahm einen Aufschwung, der den Neid der Götter erregen mußte.
Frau Wotruba sagte zum »alten Gfrieß« einmal beim Abwaschen: »Dö Blade hat an Terno gmacht mit ihrn schwarzn Gschwufn – aber alles, was recht is – wissn tuat er amal alles.«
Der Herr Franz aber sagte ganz gehässig zur Pepi: »I waß net, was dö blödn Mentscher mit dem gwichstn Krowotn habn? – A so a Angehn, was dö mit dem Schligowitzer machn – dabei halt 'n sei Blade eh mit alle Viere . . .«
Die Pepi zuckte die runde Achsel und sagte etwas spitzig: »Es is halt amal was anders in der Lamplgassn – – und die Madln habn halt das Feurige gern.«
»No, mir scheint gar, Fräuln Pepi, Sö habn aa schon an Affn gfressn an dem Zwieflkrowotn – no, i dank schön, ghört schon Ihna – i red Ihna da nix drein, von mir aus soll a jede glückli werdn wi-r-da wöll – – aber dös 52 waß i, i bring 's scho no außa, was der schwarze Haderlakl früher war, ganz koscher is der net . . .« Richtig zornig schied der Herr Franz und durch Pepis Herz zog eine wohlige Genugtuung: »Da schauts her – eifersüchtig is er!«
Dann kam der große Tag: Herr Kretschmann hielt Einzug in sein neues Heim. Ein zierlicher Wagen fuhr im schlanken Trab durch die Lamplgasse; neben dem Kutscher saß ein Diener, beide in Schwarz, mit knallroten Mascherln im Knopfloch und gelb- und rotgestreiften Krawatten.
»Mutta! Er kummt schon!« schrie der Menzel und im Nu waren alle Fenster und Ladentüren voll von Auslugern.
Der Kutscher zügelte geschickt die unaufhörlich trippelnden kecken Jucker vor dem Fünferhaus, mit kühnem Sprung schied der Diener vom Bock, riß den Wagenschlag auf und half einem Mann heraus, bei dessen Anblick die dichte Kinderschar, die bereits rundum stand, ein schauriges Gruseln 53 durchfuhr, während die Großen beinahe die Maulsperre ankam.
Es war ein hochgewachsener Mann in seidengefüttertem, ockergelbem Überzieher, eine blutrote Centifolie im Knopfloch, einen blanken Zylinder auf dem Haupte, das eine dichte Haarfülle zierte, die sich über das ganze Gesicht als nußbrauner Vollbart verbreitete, der bis über den tiefen Westenausschnitt herabwallte. Als der Mann, auf den Diener und einen Stock gestützt, langsam ins Haus schritt, einen Fuß merklich nachschleifend, verharrten die Zeugen des Ereignisses noch einige Atemzüge lang in starrem Schweigen, und erst als auch der Wagen eingefahren war und das Tor mit schwerem Schlage alles verschlungen hatte, lebte die Lamplgasse wieder auf.
»Habn S' 'n gsehgn, Frau Wotruba?«
»I hab nur lauta Bart gsehgn und daß er hatscht.«
Die Pepi schwärmte: »Wi-r-a Graf schaut er aus, wia der im Kino, wia s' die dunklen Höllenmächte gspielt habn.«
Die Frau Direktor murmelte verzückt vor sich hin: »Monte Christo«, und Fräulein Tini schmachtete: »So was Feines von einem Mann, wer da sein Glück machn könnt . . .«
In der Unschuld seines Herzens prägte der Menzel den Ausdruck: »der Bartete« und er bekam Laufwert in der Lamplgasse. Diese stand im Banne des Mannes mit dem nußbraunen wallenden Vollbarte, dessen Lebensweise bald zur Quelle reichlichster Betrachtung wurde.
Um 10 Uhr vormittags öffnete sich das knallrote Tor, der Wagen fuhr heraus, der Bartete, vom Diener unterstützt, stieg mühevoll, aber doch mit Würde ein, der Kutscher 54 schnalzte mit der Zunge, die Jucker duckten sich und funkenstiebend flitzten sie mit dem Gummiradler aus der Gasse. Um 4 Uhr nachmittags kehrte Herr Kretschmann zurück, manchmal fuhr er dann auch noch abends aus und kam zuweilen erst beim Morgengrauen heim.
Was aber die Lamplgasse ganz besonders erregte, das waren jene Nächte, in denen hie und da ein schwerer Vorhang von einem der Fenster des ockergelben Fünferhauses verschoben wurde, da strahlte dann heller Lichterglanz heraus, wie aus weiter Ferne vernahm man gedämpfte Musik und girrendes Lachen, man sah bloße Frauenschultern und weit enthüllte Büsten, Fiaker fuhren an und ab, es ging zu wie »im ewigen Leben« – wie die Wetti sagte – kein Zweifel, in dem Fünferhaus wurden Feste gefeiert, von deren Glanz und Herrlichkeit die Leute in der Lamplgasse nicht einmal träumen konnten, so unerhört prächtig mochten sie sein.
»Der laßt 's umagehn, da gibts schon nix«, lobte Frau Wotruba, »der hebt si sein Geld net bis z'letzt auf, wann 's ihm nur glengt, bis oha is, er wird übrigens schon wissn, warum er si so tummelt, daß er mit dem Gerstl firti wird, denn wann der andere do amal zruckkummt, is 's aus mit d'r Gaudeh, dann haßt 's abrechnen und dös net z' wenig . . .«
»Ja, ja, so is 's in der Welt: d'r ane hat 'n Beutl, der andere hat 's Geld«, philosophierte die Pepi und Frau Hammerer stellte fest: »Mein Gott, ka Weib und kane Kinder, mitnehma kann er 's ja aa net am Zentralinger, ganz recht hat er, wann er si was vagunnt.«
Frau Klempas Meinung griff weiter aus: »Wann ma denkt, daß er do nur a klana Spenglagsell war und jetzt 55 gibt er sich an solchen Fum – – ja, ja, es haßt net umasunst: wann d'r Bettla aufs Roß kummt, kann 'n der Teufl net dareitn.«
Frau Wotruba wurde zur Seherin: »Hütet euch vor die Gezeichneten! – dös steht schon in d'r Schrift! An Deuter hat er schon kriagt, sunst tat er net so hatschn – net um sei ganz Geld gebat i meine gradn Glieder her . . .«
Da berichtete Herr Simonics: »Hat's ihn amal Schlagl troffn, hat stark draht und is z'sammgfalln, hat's lang nit redn kenna, is aber wieda ganz aufanand, kann's nur den ane Haxn nit hebn . . .«
»Aha, da hat ma's ja«, sagte Frau Wotruba mit Genugtuung; »amal hat si d'r Tod schon gmeldt, auf ja und na putzt er 'n ganz weg und d'r andre setzt si ins warme Nest – a Gerechtigkeit muaß gebn und d'r Teufl schlaft net . . .«
Die Frau Direktor verzehrte sich in sehnsüchtigstem Verlangen nach einem Blick ins Fünferhaus und das Fräulein Tini ging wie im Traume umher.
Einmal erzählte der Syrmier beim Jour: »Is an großer Lebermann, der Herr von Kretschmann, fangt sich lauta schene Madln z'samm und fliegt auf Mollerte – – hat's lauta Verhältnissn und halt's aa mit Vaheirate, is ihm allasans, wann siecht wo an Mollerte, ghört schon sein . . .«
Frau Wotruba wurde witzig: »Dös war ja was für Ihna, Frau Hammerer« – aber die wehrte entrüstet ab: »Na, na, a so a Kripplgspiel mag i net, und Gott sei Dank, i bin a anständige Gschäftsfrau!«
Die Frau Direktor und die Blumenmacherische seufzten wie in trostloser Aussichtslosigkeit, nur die Augen der Tini bekamen einen schier verklärten Glanz.
56 Der Herr Franz spielte den kühl Überlegenen, als ihn die Pepi einmal um seine Meinung über das Treiben des Barteten fragte: »I kümmer mi um mein Gschäft und da hab i grad gnua z' tuan – von mir aus kann der Bartete drahn, so viel er will, i brauch nix von ihm und er nix von mir, i zahl eahm nix und er mir nix – – also an halbn Zentna? Guat is, um drei bring i 'n.«