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Irgendwo im Gewirr der Längs- und Quergassen eines der alten Wiener Bezirke – da ist die Lamplgasse.
Ein- und zweistöckige Häuser mit dicken Mauern, kleinen Fenstern und großen Haustoren, runde Prellsteine davor und oben in verstaubten Nischen Heiligenbilder oder Wahrzeichen, lauschige Höfe, große Wohnräume, halbdunkle Geschäftsläden, ein Haus ans andere geduckt und hinten überragt von den Feuermauern neuzeitlicher, von allen guten Geistern verlassener Zinskasernen – alles noch ganz so wie anno dazumal und doch so heimelig und liebvertraut, wie es eben nur eine solche alte Wiener Seitengasse sein kann.
Einmal ging es sogar hochpolitisch her um die Lamplgasse.
Sie hieß nämlich früher Blumengasse, in Wien war jedoch damals eine Zeit, in der man alte Gassen gerne mit neuen Namen versah, und da traf es auch die Blumengasse.
Das ging so zu:
»Wünscht noch jemand das Wort?« fragte in jener Sitzung der Bezirksvorstehung der Vorsitzende Herr Scheibenreif, denn es war noch eine halbe Stunde Zeit zum Tapper beim Gabesam und er dachte sich: »Vielleicht fallt an no was Gscheits ein . . .«
Da hob Herr Bimstengl das Haupt aus der stützenden Rechten, bewegte die Hand ein paarmal auf und ab und Herr Scheibenreif hatte eine unangenehme Empfindung: 4 »Gschiecht d'r scho recht, warum hast net Schluß der Sitzung gsagt . . .«, aber damals war man noch sehr parlamentarisch und so sagte er mit ernster Würde: »Herr Bezirksrat Bimstengl hat das Wort.«
Die anderen rückten sich zurecht, Herr Bimstengl räusperte sich und sprach:
»Ich möcht den Antrag stelln, daß die Blumengassn umtauft wird – und zwar in Lamplgassn und das zwegn dem, indem daß in Wien wieder das histurische Gfühl aufwacht, indem daß man vardiente Männer ehrt und weil – indem daß in d'r Blumengassn noch nie nicht kein Blümerl gwachsn is und ein jeder lachen muß, wann er in die Blumengassn kummt und siecht ka Blumen, außa a paar Fuchserl- oder Pelagoniestöckerl in die Fenster – und weil indem daß ich hab nachgforscht in d'r Vagangenheit von Wien und indem daß ein histurisches Gfühl aufkummt und für die Jugend ein Beispiel von Bürgertugend da sein soll, indem – weil – und – und – indem – no so halt – also daß die Blumengassn in Lamplgassn umtauft wird nach dem Wiener Bürger und Schnallenmacher Tobias Lampl, der was auch die Schnalln für den Kaiser Josef seine Schuach gmacht hat – also für den libaräulen Volkskaiser – und daß also sein Andenken geehrt wird, dem Lampl seins – so soll halt die Gassn nach ihm heißn – das ist mein Antrag!«
Bimstengls Gesinnungsgenossen murmelten »Bravo!«, einer aber sagte: »Mir is ganz Buttn, wia dö blöde Gassn haßt«, und ein zweiter meinte: »Von mir aus soll s' Schafgassn haßn, i geh eh net hin« – aber da erhob sich Herr Petrischek, der war ein Demokrat, und sagte:
5 »Ich bin ich dagegen, den Namen is nit schehn und wird ein Gespött sein, weil jeder denken wird an klane Schaf oder klane Latern und wenn schon anderer Namen sein soll, so soll an demokratische sein und stell ich daher Gegenantrag, daß Gassn soll heißen nach Volksmann Kronawetta!«
Dem widersprach Herr Elias Siebenschein, und der war ganz liberal: »Warum die alte Gass' mit etwas an naien Namen? Lassen wir der alten Gass' ihren alten Namen, sie soll heißen, wie sie hat geheißen, Blumengass' soll sie heißen . . .«
Nun sprach Herr Grundlinger und der war damals auch noch liberal: »Zu was die Umtauferei von die altn Gassn? Weil ana auf amal den histurischen Klamsch kriagt hat . . .«
»Oho, oho!« riefen Bimstengls Anhänger, der Vorsitzende läutete und Rat Grundlinger fuhr fort: »I hab damit nix gsagt habn wolln – aba wann ma ana altn Gassn schon an neuchn Nam gebn muaß, dann soll 's ana sein, der was im Bezirk bekannt is – ich richte daher an den Herrn Antragsteller die Anfrage, ob der Schnallnmacher Lampl im Bezirk glebt hat?«
Jetzt stand Herr Bimstengl auf und durch die Versammlung ging ein fröstelndes Ahnen.
»Im Bezirk glebt hat er nicht, sondern am Mehlmarkt, aber das is alles ans – – auf d'r Landstraßn habn s' a Gassn nach der Maria Theresia ihrn Zuckerbacher tauft, der hat aa net durt gwohnt – – und im übrigen ist es sehr traurig, daß man für einen Teppn hingstellt wird, indem daß man für die Wohlfahrt von dem Bezirk was getan hat – – und ich weiß nicht, aber ich will nur sagn: vielleicht hab ich in dieser Beziehung schon mehr geleistet als mancher andere – – und wann man nicht einmal mehr die 6 Erinnerung an den Volkskaiser, für den was die Schnalln gmacht wordn sind, also nicht einmal für den mehr hoch . . ., hoch . . .«
»Hoch! Hoch Kaiser Josef!« halfen einige Freunde Bimstengels aus, aber der winkte ab und setzte fort:
». . . also hochhaltet, dann is das sehr traurig für den Furtschritt und ich will die Herrn nur aufmerksam machn, daß aufs Jahr die Neuwahln sind, da red ma dann wieda mitananda, aber dem Herrn Bezirksrat Petrischek möcht i nur heut schon sagn, daß ka Mensch an a Schaf oda a klane Latern denkn wird, weil er ja heut aa an ka Blumen net denkt, wann er in der Blumengassn geht, weil kane durt is – – und an a Lampn oda a Schaf wird aa kana denkn, weil aa kans durt is . . .«
»Außa es rennt ans durch!« rief Herr Pfannenschmied und sah mit hochgezogenen Brauen auf den Demokraten, der aber sprang auf, warf beide Arme einige Male in die Luft und rief: »Lassn S' nur Neiwahln kummen! Mir fürcht me uns gar nit! Mir werdns aufräumen mit der liberalen Wirtschaft! Hoch Doktor Kronawetta!«
Man schrie und schimpfte, Herr Scheibenreif läutete und brüllte: »Ich bitt um Ruhe!!!«, und als dann nur noch 7 vier Räte auf einmal redeten, sagte der Vorsitzende: »Wer für den Antrag Bimstengl ist, soll die Hand erheben – – angenommen! Schluß der Sitzung!«
»Vergewaltigung! Paschawirtschaft!« riefen noch einige, dann ging man auseinander.
Auf dem Weg zum Gabesam sagte dann Herr Bimstengl zu seinen Anhängern: »Na, was sagts ös dazua? Heut habts ös s' ja wieda ghört, den Petrischek und den Siebenschein – – na, na, Freunderln, dös leimt si net, da muaß a Refurm her in den Bezirk . . .!«
Auf dem Wege zur alten Hühnersteige sagte Herr Grundlinger zu seinen Anhängern: »Habts nix gneist? Sei Alte is a Lamplsche, dafür das histurische Gfühl! Und dazua braucht er den Kaiser Josef! Ja, ja, Freunderln, mir derfn da net mehr lang umatrenzn, dar liberäule Gedanke is in Gefahr – sagts, i hab 's gsagt . . .«
Und so heißt die liebe alte Gasse schon seit langem Lamplgasse, aber sie schaut heute noch genau so aus wie dazumal als Blumengasse.
Eigentlich heißen sie Wotruba und »er« ist Hausmeister und Schuhmacher im Zwölferhaus. Das Haupt der Familie aber ist »sie«, die Frau Aloisia Wotruba, insgeheim die »alte Schuastazangen« genannt. Sie gab der Familie die große Bedeutung für die Lamplgasse, von ihr strahlte aller Glanz aus und jene zwingende Macht, die jede Kritik in den Winkel scheuer Betätigung bannte.
8 Eine gewaltige Rednergabe und eine ans Wunderbare grenzende Unermüdlichkeit der Zunge sind der Frau Aloisia starke Wehr und Waffen. Scharf ist ihr Blick, hart ihr Urteil, niederzwingend der Fluß ihrer Rede, der keinen Schutzdamm kennt und duldet.
»Die alte Schuastazangen bringt ihr Mäul Tag und Nacht net zu«, sagte einmal der Herr Franz und hatte damit buchstäblich recht, denn infolge einer bedauerlichen Entwicklungsstörung ragte der Frau Wotruba aus dem Unterkiefer ein schiefgewachsener und merkwürdig lang geratener Zahn heraus, der die lückenlose Verbindung zwischen Ober- und Unterkiefer ungünstig beeinflußte.
Er, der Herr Wotruba, war der ruhigste Mensch in der Lamplgasse. Nur wenige konnten sich entsinnen, von ihm je ein allzu lautes Wort gehört zu haben, dafür hieß er auch allgemein: »der stille Böhm«. Die Ursachen dieser steten inneren und äußeren Ruhe erklärte sich der Herr Franz in sinniger Art. »Entweder is er so stad, daß ma das Böhmakln net merkt, oder die alte Zangen hat 'n schon so owigredt, daß eahm sei Zungen gar nimmer gfreut.« – – – – – – – – – –
Herrn Wotrubas Lebenstraum war ein Gassenladen. Lange hatte er sein liebes Handwerk sozusagen nur im Verborgenen betrieben, nur Wissende fanden den Weg zu ihm 9 mit einem »Doppler« oder »Vorschub« – der Drang ins Freie und nach vorne hinaus wuchs und schwoll immer mächtiger im Schusterbusen und drängte endlich zur befreienden Tat.
Frau Wotruba fuhr ein gelinder Schreck durch die fettlosen Glieder, als eines Tages, ganz gegen Brauch und Herkommen, der Gatte sich vor sie hinstellte mit der verzweifelten Forderung: »Mir missens Gassnladn habn – sunst pfeif ich auf Arbeit . . .« Das Aufkrümmen des jahrelang Geknechteten verschlug zuerst der Frau Aloisia die Rede, der schiefe Zahn jappte einige Male auf und nieder, dann aber schoß ihr blitzschnell die Erkenntnis des Wertes und der Bedeutung eines Gassenladens durch den Kopf. Ja, da hatte man doch einen schnurgeraden, unmittelbaren Ausfall in die Gasse offen und dann war damit auch zugleich die Würde einer Geschäftsfrau verbunden, was gar manches Peinliche und Zurücksetzende milderte, so aller Aufklärung zum Trotze doch immer noch dem Amte eines Hausmeisters in hiesiger Stadt anzuhaften pflegt.
Und so erlebte »der stille Böhm« denn auch sein erstes Wunder.
»Jawohl, recht hast, Wotruba, an Gassnladn brauchn ma – i wer glei mit der Hausfrau redn, dö muaß das ane Fenster ausbrechn lassn, dös könna ma von der altn Funzn schon varlanga, mir san eh Bummerl gnua in dem 10 Haus und dö schelweankate Keuschn wird net einfalln, wann a Tür einigmacht wird – – ah, da wer i glei redn, den Gassnladn kitzl i dera schon außa!«
Fürs erste kam es doch anders. Frau Radlinger, die Hausfrau, widerstand hartnäckig der Wotrubaschen Redekunst, wollte nichts von einem »machen lassen« wissen, knickte aber endlich doch zu einem Vergleich ein: »Ich will Ihnen was sagn, Frau Wotruba, wann Sie das Fenster auf Ihnere eigenen Kosten wolln ausbrechn lassn, hab ich nix dagegen, aber auf meine Kosten laß ich das auf gar keinen Fall machn, zahln tu ich einmal schon gar nix, das muß ich Ihnen sagn . . .«
Immerhin, der Gassenladen war gesichert. Zwei Jahre wurde darauf gespart, dann kamen einmal zwei Maurer, brachen unter ungeheurem Aufsehen das eine Fenster der Schusterwohnung aus, setzten am dritten Tag einen Türstock ein, legten am siebenten zwei Stufen und feierten beim »lustigen Jäger« ein frohes Schlußfest.
Bald prangte auch über der neuen Türe im glitzernden Lackglanze ein Schild mit einem gelbbekappten englischen Reitstiefel und drum herum stand: »Johann Wotruba, Herren- und Damen-Schuhmacher«.
»Der stille Böhm« schwelgte. Er sonnte sich buchstäblich im Rahmen der offenen Ladentüre, die Hände auf dem Rücken, tiefinnerlich die Wonnen eines jeweilig feiernden Geschäftsmannes genießend. Aber nur ein paar Atemzüge lang balzte Herr Wotruba in seinem jungen Glücke, da bog die Gattin um die Ecke und schon vier Häuser weit scholl ihr Ruf: »Ja, was siech i denn dada? Wirst glei eini gehn! Dös 11 kunnt i brauchn! I wir d'r gebn, den gnä Herrn spieln – glei gehst eini! . . .«
Seine Sonnenblicke stahl er sich hinfort nur heimlicherweise, doch auch da geschah es dann noch ab und zu, daß er in der Wonne des Genießens den richtigen Zeitpunkt zum Verschwinden vor der Gattin Heimkunft versäumte und mit einer sich stetig steigernden Wucht in den Abgrund seines bedingungslosen Nichts zurückgeschleudert wurde.
Die Schusterischen hatten auch einen erwachsenen Sohn; der half dem Vater in der kleinen Werkstatt, da aber seine Tätigkeit sich vorerst hauptsächlich auf die sorgfältige Zubereitung des jedem Schuster so unentbehrlichen Klebemittels beschränkte, nannten ihn die Leute allgemein nur den Papp-Schani.
Dann war noch eine Tochter da, so zwischen vierzehn und fünfzehn, herb von Erscheinung, aber zungengewandt und redebegabt gleich der Mutter. Das war das Mariederl; es half schon fleißig in der Wirtschaft und betreute die zwei jüngeren Geschwister. Sie hatte einen etwas 12 verkniffenen Gesichtszug und lieblose Menschen gaben ihr deshalb den Namen »das alte Gfrieß«.
Auch eine Vierjährige war da, aber ihre Bedeutungslosigkeit erhellt schon aus dem harmlosen Decknamen »das Schuastakind«. Sie führte der Mutter Namen und wurde in deren Gegenwart mit Loiserl angesprochen.
Das letzte, aber nicht geringste Mitglied derer vom Stamme Wotruba, das war