Rudolf Stürzer
Die Lamplgasse
Rudolf Stürzer

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Die Greislerin.

Frau Hammerer war eine reife Witwe. Außerdem war sie die Greislerin in der Lamplgasse. Ihr Laden war sozusagen deren geistiger Mittelpunkt, denn da kam alles zusammen, was kundschaftsschwanger und wissenslüstern war. Der Herr Franz meinte zwar einmal: »Dös Tratschnest sollt ma urndli ausschwefeln«, aber diese abfällige Meinung entsprang einer verdrießlichen Regung über eine angeblich ungenaue Statistik der von ihm tagsüber vertilgten Vierteln Wein, die im Greislerladen aufgestellt und ihm dann hinterbracht worden war.

Immer war der Laden gesteckt voll und immer klang es aus dem Chor heraus: »Ja, was S' net sagn! Daß dös mögli is! Gengans d'rzähln S'! Ah, dös muaß i no hörn . . .«

Die Wetti vom Sechserhaus ging einmal um neun Uhr vormittags hin, um »ein Grüns« zu kaufen, kam erst um ein Uhr heim, mußte auf der Stelle ihre vierzehn Tag machen, kam um halb zwei wieder in den Greislerladen und hatte um dreiviertel drei bereits einen neuen Platz, natürlich in der Lamplgasse.

»Ah freili, a so a bravs Madl werdn ma weglassn!« hatte Frau Hammerer entrüstet ausgerufen. »Dö blöde Gnauschn von ana Gnädign hätt ihrn Pantsch von ana Suppn aa amol ohne Grüns papperln könnan, wegn so was glei so a Wetta z'machn – na, mei liabe Wetti, a urndligs Madl so wia Sö kriagt allaweil an guatn Platz – – richti, i waß Ihna aa scho an – im Dreierhaus, bei die Engl! San zwar Judn, aber das macht nix, is a sehr a 22 guata Platz, die vurige is nur weg, weil ihr Zeit schon da war, ja, an klan Buabn hats kriagt, ja – da können S' glei einstehn . . .« »Der junge Herr Engl soll aber so viel schlimm sein«, wandte die Wetti schüchtern ein, aber Frau Hammerer hob den vollen Busen und den Zeigefinger: »Wer net will, halt net still!«, sprach sie ernst und die Wetti seufzte: »Is eh wahr!« – – und stand bei Engel ein.

Die Ware der Frau Hammerer fand nicht immer den ungeteilten Beifall der Kunden, aber sie gab Kredit. Frau Wotruba sagte einmal bei einer häuslichen Zwiesprach zum alten Gfrieß: »A Glumpert hat s' schon, die Blade, das muaß i sagn, 's Grüne is welch wia-r-a Schabnkräutl, dö Erdäpfel san wasserig wia-r-a Badschwamm und d'r Feignkaffee is schimpli, aber was will ma machn, wann ma aufschreibn lassn kann.« Und das Töchterchen ergänzte: »Teurer is aa alles bei ihr als am Markt und beim Z'sammzähln bringt s' allaweil an Balawatsch außa – i waß heut no net, für was s' uns dö zwölf Kreuzer aufgschriebn hat im Mai – wann s' im Tratschn drinn is, bringt s' alles durcheinander . . .«

Ganz und gar in ihren Bann aber zwang Frau Hammerer die Lamplgasse durch eine Einrichtung auf gesellschaftlichem Gebiete: sie gab nämlich regelrechte Jours, allerdings mit stark greislerischem Einschlage, aber es waren Jours dem Wesen und der Sache nach.

Das war ganz wie von selbst gekommen.

Eines Abends trat die Frau Direktorin in den Laden und kaufte ein »Flaschenbier«. Sie war eine gesprächige Natur und hub daher also an: »Gott, ich weiß heut wirklich nicht, was ich zum Nachtmahl machen soll, meine 23 Freundin ist heut auch nicht zuhaus', ich bin ganz verlassen – – übrigens, was ich gehört hab, Frau Hammerer, Sie solln sich ja einen neuen Hut kauft habn, auf der Mariahilferstraße, ich hab gehört, er soll sehr schön sein . . .«

»Wann S' 'n sehgn wolln, Frau Direktor, i kann Ihnan glei zeign – i bin neugiri, was Sie dazu sagn . . .«

»Ach, das ist lieb von Ihnen, mein Gott, wir Frauen interessieren uns halt für solche Sachen, wir haben ja sonst auch nicht viel vom Leben, nicht wahr?«

»No natürli – bitte, kommen S' nur herein, Frau Direktor, Sie warn ja eh no net bei mir, glei wir i a Licht machn . . .« Frau Hammerer entzündete die Hängelampe und während sie den Hut aus dem Kasten hervorsuchte, sagte die Frau Direktor: »Gott, Sie haben es aber nett da und gemütlich, das erinnert mich so an Ödenburg, wie ich dort einmal gastiert hab – – – Gott, der Hut ist schön, so einfach, aber so fein – ja, auf der Mariahilferstraße kauft man halt doch am besten, ein bisserl teurer, aber dafür halt geschmackvoll; der Hut kostet sicher seine zehn Gulden, wenn nicht mehr.«

»Beinah deratn, ma siecht, Sie kennen sich aus mit solche Sachn – elf Gulden fufzig, er war mir beinah schon a bisserl z' teuer, aber i hab ma 24 denkt, du hast eh sunst ka Freud, kaufst d'r amal an schön Huat . . .«

»Ganz recht haben Sie, Frau Hammerer, aber der Hut erinnert mich an einen, den ich mir einmal in Graz kauft hab . . .« und so floß die Rede noch weiter fort, bis die Klingel der Ladentüre ertönte und der Papp-Schani erschien.

»Gschwind zwa Quargln und an Nagl.«

»Zu was denn an Nagl?«

»No, damit ma dös ane annagln kann, daß 's net davon rennt, so lang d'r Vatta 's andre ißt . . .«

»Meine Quargln rennen nöt, dös bitt i ma aus – – aufschreibn? natürli!«

Das gab der Frau Hammerer den grundlegenden Gedanken ein: »Jessas, Frau Direktorin, wie wär 's denn, wenn S' glei dableibn möchtn und da bei mir nachtmaln? I hab a feine Extrawurst, a frisch Brot – – aber nein, nur keine Gschichtn machn, mir is a große Freud, nein, gar keine Schererei, so, bitte, nur auf 's Sofa setzn, so, die Flaschn is glei aufgmacht – – um wie viel Extrawurst? glei ist alles da! Na, wie mich das gfreut, Frau Direktor, das kann i gar net sagn . . .«

Dann kam der Herr Franz ebenfalls um eine Flasche Bier, auch er wurde eingeladen, dann noch ein paar Kunden, die das sehr gemütlich fanden, und der Jour war fertig, freilich am ersten Tag noch etwas ungewohnt und beinahe feierlich, aber man sah es gleich: die Sache wird sich halten.

Sie hielt sich nicht nur, sie schwang sich sogar auf einen ungeahnten Höhepunkt, als der Herr Janko Simonics auftauchte.

25 Seinem Erscheinen ging eine richtige Verkündigung voraus. Da waren sie wieder einmal beim Jour zusammen, die Frau Direktor mit ihrer Freundin, der »Fräuln Tini«, als Vertreter der Intelligenz, dann »mir Gschäftsleut«, wie Frau Wotruba feinfühlend die Grenze zog, nämlich sie selbst, dann die Blumenmacherische, die schwerhörige Trafikantin und der Herr Franz.

»Ja, die Herrschaftn nehmen ja gar nix«, mahnte Frau Hammerer sanft, denn über einem Berichte des Herrn Franz, daß das Fünferhaus verkauft worden sei und demnächst auf den Glanz hergerichtet werden würde, war eine Stockung im Verbrauch von Flaschenbier, Würsten und anderen Genüssen eingetreten.

»Also gebn S' no a Flascherl Tramwaypilsner her«, bestellte der Herr Franz in seiner noblen Art, die Blumenmacherische flötete: »Um fünf Kreuzer a dürre Blunz'n«, und die Trafikantin, die nichts gehört, sondern nur gefühlt hatte, wählte umständlich: »Mir bringan S' an Emmenthaler – aber na, wartn S', der is ma z' hart, liaba an wachn Kas – was, kaner da? – was? a Afrikaner? – a so, a Paprikaspeck, na, der is ma z' scharf – was? a Weberlachs? – a so, a Leberkas, no jo, also recht, an Leberkas . . .«

Die Frau Direktor überhörte geflissentlich: »Und sagen Sie, Herr Franz, wer das Haus kauft, das wissen Sie nicht?«

»A Fabrikant, hab i ghört, aber nix Gwiß waß ma no net.«

»Ah, also ein Besitzender! das ist intressant! Da kann ja ein Lebn in die Lamplgasse kommen!«

Frau Hammerer lehnte sich an den Tisch, lächelte schalkhaft und sagte beinahe geziert:

26 »Na, wann sa si grad nur ums Lebn allani handelt, da kann i den Herrschaften aa was Neuchs sagn: Am Montag krieg ich an Zimmerherrn . . .«

Maßloses Erstaunen ringsum. Bisher hatte Frau Hammerer das Bett in der kleinen Nebenkammer hie und da an »vazierende« Dienstboten vermietet, die Vorstellung, daß nun da auf einmal und ständig ein Mann wohnen sollte, lastete lähmend auf der Runde. Frau Hammerer weidete sich beglückt an der Verblüffung der Gäste. »Ja, an sehr an feinen Herrn sogar, an Ausländer, er is a pensionierter Marktbeamter, er is ma empfohln wordn und i kenn ihn schon lang – – i bitt Sie, mit dem Mentscherwerk von Dienstboten is ja ka Drauskumma, die meist'n bleibn schuldi und unserana is ja aa net so, daß ma so a Madl druckn tät, net wahr? und a Mannsbild is halt do ganz was anders, no dazu a Mann wie der Herr Janko, ja – eigentlich heißt er Herr Simonics, aber i sag schon lang Herr Janko zu ihm, ja, ein sehr ein feiner Mann, der kann erzähln, der hat schon viel gsehgn . . .«

»Ach, das freut mich!«, jubelte die Frau Direktor, und das Fräulein Tini seufzte: »Ein feiner Mann – das hab ich so gern!«

Die Blumenmacherische und Frau Wotruba wußten vorläufig noch nichts zu sagen, die Trafikantin legte sich gleichgültig den Leberkäs aufs Brot, aber in Herrn Franz stieg die Ahnung kommenden Unheiles auf.

»Z'erscht anschaun, dann redn«, grollte er, aber Frau Hammerer verwies es ihm: »Grad Sie werdn Ihna am bestn mit ihm unterhaltn, er vasteht was von d'r Politik, grad so wia Sö, der waß a ganza Menge, Sie werdn schon sehgn . . .«

27 »Mir kann 's recht sein«, lenkte der Herr Franz sichtlich geschmeichelt ein. »I red mit Männer eh leichter als mit Wei . . . Fraun, hab i gsagt.«

»Ja gehn S', Frau Hammerer, wie schaut er denn aus? Groß? Blond? Was für ein Ausländer is er denn?« forschte die Frau Direktor.

»Na, net z' groß, aber aa net z' klan, guat gwachsn, blond is er net, a schwarz Schnurbartl hat er – recht fesch, ja, und i glaub, er is aus Schirmien, oder wia das Land haßt.«

»Ah so – a Krowot«, sagte Herr Franz wie nach scharfer Spannung aufatmend.

»Krowot is er kana, dös derfn S' net sagn, da müaßt er ja aus Krowotien sein, aber er is aus Schirmien oder Schmirnien, i kann das net so genau sagn, aber es is da bei Serbien . . .«

Herr Franz gab nach: »No, von mir aus is er von wo d'r wöll, bei mir schlaft er ja net – Sö müassn mit eahm auskumma, net i . . .«

Jetzt stieg aber in Frau Wotruba ein großer Gedanke auf: »Also d'r Herr muaß dann da durchgehn, wo Sie schlafn? Is Ihna das net schenant? I kann mir dös gar net vurstelln, a fremds Mannsbild bei mein Bett vurbeigehn – i tät mi in Tod eini scheniern, na ja, ma is ja zuadeckt bis auffi, aber es is do so a gwisses Gfühl, net wahr, Herr Franz?«

»Na ja, wia ma 's nimmt – i kunnt ganz ruhig vurbei gehn . . .«

»Aber ich bitt Sie, Frau Wotruba, bei d'r Nacht is ja finster und dann geht der Herr Janko ja früher schlafn als 28 i«, beschwichtigte Frau Hammerer – aber die Frau Direktor erhob Einspruch:

»A, das gibt 's nicht, der Herr Janko muß aufbleibn und auch beim Jour sein – ich freu mich schon sehr darauf, das wird dann lebendig werden, wenn gleich zwei Herrn da sind, nicht wahr, Tini?«

»Ja, ich freu mich auch schon, ich hab die Ausländer überhaupt sehr gern, die wissen so viel . . .«

»Das wird mich sehr freun, der Herr Janko is ein sehr ein unterhaltlicher Mensch«, stellte Frau Hammerer noch vor dem Aufbruch der Gäste fest.

Aus dem Heimwege sagte dann Frau Wotruba zum Herrn Franz: »Daß der Zimmerherr an dem Bett vorbei muaß, wo die Blade drinn liegt, dös gfallt ma gar net . . .«

»Wann 's nur ihr und ihm gfallt, uns braucht 's ja net z' gfalln – also guate Nacht.«

Die Blumenmacherische sagte zur Trafikantin: »Gfreun Sie Ihna aa schon auf den Herrn Janko?«

»Auf mein Janker? I kriag'n erscht auf d'Wochn, die Schneiderin wird mit nix firti.«

»Mit dera dörrischn Kapelln kann ma ka gscheits Wurt redn«, dachte sich die Blumenmacherische und dann sagte die Trafikantin »Gute Nacht!«, in der Voraussetzung, daß es die andere bereits gesagt habe.

Die Frau Direktor legte wie immer den Arm um der Freundin Hals und diese den ihren um die Hüfte der anderen, die schwärmerisch seufzte: »Ein Mann von Bildung mit schwarzen Locken – so stelle ich mir ihn vor . . .«

»Ich hab die Schwarzen auch sehr gern – weißt noch, 29 Helen, der große Schwarze in Wels – die Schwarzen habn so viel Feuer . . .«

»Aber Schatzerl, wirst nicht still sein, das sagt man ja nicht – aber Feuer habn sie schon, die Schwarzen, halt ja – – um Gotteswillen, mir scheint gar, die Furie sperrt schon das Haustor zu und es ist noch gar nicht einmal zehn – das ist gemein, komm, laufen wir . . .!«

 


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