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Waschtag

»Aha!« sagte Herr Edgar mit dem allerironischesten Ausdruck, dessen sein zukunftsfrohes Auge, sein flaumbärtiger Mund und seine vom Pflug der Zeit noch nicht durchfurchte Stirn fähig sind. »Jetzt werden wir also als große Neuigkeit hören, daß heißes Wasser Dampf entwickelt, daß Wasserdämpfe den Aufenthalt in der Wohnung ungemütlich machen, daß eine Magd, die von früh bis abend am Trog steht, dem Kochherde daneben nicht die notwendige Aufmerksamkeit zuwenden kann – kurz, daß das Wäschewaschen ebenso viel unangenehme und verwerfliche Seiten hat als wie das Z'samm'räumen.«

Herr Schorsch wiegte wehmütig-gutmütig sein erfahrenes Haupt und sprach dann, halb zu seinem Freunde, halb zu mir gewendet:

»Physikalische Kenntnisse sammelt man in der Schule, nicht bei mir. Feuchtwarme Luft im Zimmer ist äußerst zuträglich für die Gesundheit, besonders für Kehlkopf und Lunge. Und hie und da einmal ein nur halbgekochtes Stück Fleisch oder eine verbrannte Mehlspeise halt' ich noch nicht für ein so katastrophales Unglück, daß der weise Mann darüber ein Jammergeschrei erheben müßte.«

Durch diese Rede geriet Edgar in Verwunderung und Verblüffung. Als er sich wieder ein wenig gefaßt hatte, fragte er:

»Na also, was willst du denn nachher eigentlich ...?«

Der andere gab nicht geradezu Antwort, sondern fuhr fort:

»Mein lieber Freund Edgar scheint nicht zu wissen, daß längst kein besserer Mensch mehr die Wäsche in seiner Wohnung wäscht, sondern in einem eigens dazu bestimmten, gemeinsam zu benützenden Raum, der Waschküche heißt. Dort, nicht neben dem Kochherd, halten sich am Waschtag die Dienstmägde und häufig auch jene pflichtgetreuen Gattinnen und Hausfrauen auf, die überall ihr wachsames Auge und ihre emsige Hand mit dabei haben wollen. Selbstverständlich fühlt sich auch die Meinige verpflichtet, dem Mädchen wenigstens am Nachmittag ein bißchen in der Waschküche zu ›helfen‹. Dann muß ich einsam und allein die Wohnung hüten. Aber g'rad' an diesen Nachmittagen, es ist ganz zauberhaft merkwürdig, beehren uns, das heißt mich, die meisten, sonst monatelang nicht gesehenen Gäste. Kaum leg' ich mich aufs Ohr oder setz' ich mich an den Schreibtisch, so schrillt auch schon die Türklingel und reißt mich unfehlbar, sechs-, sieben-, achtmal und öfter, aus dem ersten Schlummer oder der besten Arbeit. Ein kohlschwarzer Gentleman zum Beispiel – Rauchfangkehrer nennen wir ihn, ›Kaminfecher‹ nennt ihn meine Magd, die aus dem nördlichsten Deutschböhmen stammt – weist mir grinsend seine blanken Zähne und erklärt aufs bestimmteste, er habe jetzt schon oft genug umsonst vorgesprochen, aber heute lasse er sich um keinen Preis mehr unverrichteter Dinge abweisen. Oder ein Rastelbinder – ›Drahtbinder‹ sagt mein Dienstmädchen – will sich den Eintritt mit der heftigen Behauptung erzwingen, daß er dringend bestellt sei. Oder auch eine verschollene Schwiegergroßtante aus Himberg oder Klein-Engersdorf taucht im Türrahmen auf und will mir in liebenswürdigster Weise Gesellschaft leisten. Hausierer mit Gips, Reibsand, Wascheln, Zwiebeln, Orangen, Strohpantoffeln, Fleckerlpatschen stellen sich zu Dutzenden, arme Reisende und almosenbedürftige, gestern aus dem Spital entlassene Familienväter zu Hunderten ein. An einem solchen Waschtagnachmittag komm' ich mir vor wie die letzte spätherbstliche Kirsche am Baum, um die sich die Spatzen raufen, oder wie ein verschütteter Milchtropfen, zu dem die durstigen Fliegen pilgern.«

»Hm!« machte Edgar und kräuselte die Lippen. »Das muß freilich furchtbar sein.«

»Es ist ziemlich unbequem und verstimmend. Aber ich beklag' mich nicht darüber. Ich bin's gewöhnt, ich hab' 's ertragen gelernt. Was liegt schließlich an mir? Jedoch der Waschtag birgt und bringt noch ganz andere, schwere Unannehmlichkeiten, Konflikte, die weit über die Schwelle des engsten Heims reichen, Dramen und Tragödien, in die viel mehr Leute als meine Person und meine kleine Familie verwickelt werden ...«

Jetzt horchte ich auf:

»Da wär' ich aber neugierig, Herr Schorsch!«

»Ihre Neugierde soll sofort befriedigt werden. Da die Waschküche, wie gesagt, sämtlichen Parteien des Hauses gemeinsam zur Verfügung steht, aber leider nicht groß genug ist, daß sie von allen oder auch nur von mehreren zu gleicher Zeit benützt werden könnte, so mußte ein ›Turnus‹ eingeführt werden, wie es im schönen Amtsstil heißt, eine Reihenfolge festgesetzt werden, in der die wäschereinigenden Herrschaften regelmäßig drankommen. Klar und einfach, meinen Sie? Ja freilich! Die Quadratur des Zirkels und das Perpetuum mobile sind lächerlich leichte, von einem Taferlklasser zu lösende Aufgaben – verglichen mit dem Problem, einen ›Turnus‹ für die Benützung unserer Waschküche zu finden, der sämtliche Beteiligten befriedigen könnte und von allen ohne Widersetzlichkeit eingehalten würde. Sie glauben natürlich, verehrter Herr, daß sich zum Waschtag jeder Tag der Woche gleichermaßen eignet. Aber das ist, entschuldigen Sie, ein kindlich naiver Glaube. Vor allem bedankt sich jede Partei höflich, aber auch sehr energisch dafür, den Montag oder den Samstag als Waschtag zugewiesen zu erhalten, jenen wegen des vorangehenden, für die notwendigen Vorbereitungen gänzlich ungeeigneten, diesen wegen des darauffolgenden, die Vollendung des begonnenen Werkes in Frage stellenden Sonntags. Auch der Donnerstag ist als Waschtag höchst unbeliebt, weil er die Woche mitten entzweischneidet und daher ›ganz verpatzt‹. Wirklich einsichtige und verständige Familienmütter werden daher mit allen Mitteln trachten, daß ihr Waschtag auf einen Mittwoch oder einen Freitag falle. Können sie das weder mit List noch mit Gewalt durchsetzen, dann fühlen sie sich begreiflicherweise zurückgesetzt, betrogen und vergewaltigt und verfallen dem Weltschmerz oder dem Menschenhaß. In unserem Haus wohnen lauter höchst anständige Parteien, aber es ist keine darunter, die nicht auf alle anderen mit bitterem Neid und glühendem Zorn schaut – wegen des Waschtags. So oft ich am Morgen in der Zeitung die Überschrift: ›Ein Racheakt‹ oder ›Eine Schreckenstat‹ oder ›Feindliche Nachbarn‹ oder ›Das Ende einer Freundschaft‹ les', gibt's mir einen Riß vom Wirbel bis zur Zehe, weil ich sofort an unsere Waschküche denken muß und den vielen mühsam gebändigten, explosionsreifen Groll, der sich ihretwegen in allen Ecken unseres Hauses aufgespeichert hat ...«

Sein Antlitz umschattete sich so, daß wirklich rohe Gemütsart dazu gehörte, jetzt laut zu lachen, wie es Edgar tat.

»Manchesmal,« sprach Schorsch weiter, »schien eine Katastrophe faktisch schon unvermeidlich. So bei unserem früheren Dienstmädchen, einer sehr steifnackigen und temperamentvollen Ungarin, die, kaum daß sie die Lage durchschaut hatte, sich mit Begeisterung an die Seite meiner Frau und schneidig gegen alle übrigen Waschküchenmitbenützerinnen stellte. ›Morgen‹, sagte meine Frau bald nach ihrem Dienstantritt zu ihr, ›morgen waschen die Gießkalt, diese vordringlichen, egoistischen Protzen, obwohl das eigentlich mein Tag wär', weil ihn die Hausmeisterin, das falsche, bestechliche Weib das, schon längst mir versprochen hat ...‹ – ›So?‹ sagt die Irma, nichts weiter. Aber bei der Nacht, wie wir schlafen, richtet sie alles für die große Wäsche her und trägt überdies einen frischen Laib Brot und eine Flasche Milch und ein Glas Eingesottenes und noch etlichen Proviant in die Waschküche hinunter, und dann sperrt sie von innen ab und fängt zu waschen an. Wie das Gießkaltische Dienstmädel am andern Tag die Waschküche zugesperrt und verriegelt findet, holt sie gleich ihre Gnädige, und jetzt fangen alle zwei zu lärmen und zu schelten an und rufen den Hausmeister und den Hausherrn und drohen mit der Polizei. Aber die Irma hat sich nicht einschüchtern lassen, sondern hat hinausgerufen, wenn man sie nicht in Ruhe läßt, so schüttet sie die Herrschaften mit Waschlauge an, und außerdem, hat sie zurückgedroht, bleibt sie noch drei Tage und drei Nächte in der Waschküche, sie kann's aushalten. Seitdem zitter' ich speziell vor der Rache der Gießkaltischen. Am nächsten Waschtag war die Irma nicht mehr bei uns, weil sie sich bald auch gegen meine Frau ein bißchen zu – charakterfest benommen hat. Aber heut' noch, wann die Red' auf sie kommt, seufzt meine Frau, so ein treues Mädel kriegt sie nie mehr wieder ...«

»Aber es muß sich doch ein Modus finden, ein Prinzip feststellen lassen ...«

Schorsch schüttelte langsam und nachdrücklich den Kopf:

»Nein. Bedenken Sie, es handelt sich um Damen und um ihre Ehre. Es sind alle möglichen Einreihungen versucht worden, nach der Höhe des Mietzinses, nach der Zahl der Gassen- und Hoffenster, nach den Türnummern, nach dem Anfangsbuchstaben der Familiennamen, nach dem Datum der Geburtstage – ohne Erfolg, das heißt mit dem einzigen Erfolg, daß unser Hausherr als Vorsitzender der permanenten Waschtagverteilungskommission und ich als ihr Schriftführer beinahe gelyncht worden wären. Darauf haben wir die Waschtage in der kleinen Lotterie auszuspielen probiert – da haben alle Nichtgewinnerinnen den Waisenknaben für bestochen und uns für blödsinnig erklärt. Kurz, wenn es sich um drei oder vier Interessenten handelte, so wär' es schon eine verwünscht zweifelhafte Sache, sie zufriedenzustellen. Nun wohnen aber in unserem Hause fünfzehn, wohlverstanden: fünfzehn Parteien. Und da jede von ihnen feierlich schwört, daß sie sich unbedingt selbst verachten müßte, wenn sie nicht alle vierzehn Tag' Waschtag hielte, so können Sie sich die Aussichtslosigkeit aller Programme, Vormerkungen, Kundmachungen und Einteilungen, sofern sie unsere Waschküche betreffen, beiläufig vorstellen, lieber Herr ... Unser Hausmeister ist auch tatsächlich bereits ein Opfer seiner aufreibenden vergeblichen Vermittlungsversuche geworden. Er, der früher strenger Abstinenzler war, niemals ein anderes Getränk als Hochquellenwasser kostete, hat sich jetzt resigniert dem stillen Suff ergeben, und zwar in dem Maße, daß ihn sein Veteranenverein demnächst von der Mitgliederliste streichen wird. Seine Ehehälfte wiederum, die Hausmeisterin, betrachtet die ihr unablässig von allen Seiten gemachten ungerechten Vorwürfe, sie übe nackteste Protektion bei der Vergebung der Waschküche, als himmlische Strafe für ihre Sünden, weint heimlich vor sich hin, ist um mehr als dreißig Pfund abgemagert und will den Schleier nehmen. Unser Hausherr, ein netter, ruhiger, friedfertiger Junggesell, klagt hundertmal im Tag: ›In der Stund' hat mich der Teufel g'ritten, wie ich die Kaluppen 'kauft hab'! Wann ich s' nur wieder so einem Dummen anhängen könnt'!‹«

Herr Schorsch schöpfte Atem und spielte traurig mit seinem Patentfeuerzeug.

»Aber warum gibt denn nicht Ihre Frau Gemahlin, damit sie Ruhe hat, die Wäsche außer Haus?« fragte ich teilnehmend.

»Weil das ein Heidengeld kostet und weil sie eine sparsame, wirtschaftliche Frau ist,« warf Edgar ein.

»Ja,« nickte Schorsch. »Aber noch aus einem zweiten, gewichtigeren Grund. Denn wie ich mich schließlich und endlich erbötig gemacht hab', die Mehrkosten einer solchen Reform aus meinem Taschengeld zu bestreiten, da hat sie entrüstet erklärt, wenn ich schon keinen Stolz und kein Selbstbewußtsein im Leibe habe, so besitze doch sie davon genug für zwei; die anderen sollten nachgeben, nicht sie ... Und dann hat sie noch was gesagt. ›Ihr vom sogenannten starken Geschlecht,‹ hat sie gesagt, ›ihr habt es freilich weit besser als wir armen, geplagten und unterdrückten Frauen. Wann ihr Herren der Schöpfung eure Wäsch', eure ganze schmutzige Wäsch' gründlich waschen wollt, dann braucht ihr nicht erst eine Zeit und einen Ort zu suchen, sondern dann ist euch jede Stunde passend und jeder Raum gelegen dazu: in Volks- und Wählerversammlungen, im Bezirksgerichts- und Schwurgerichtssaal, im Gemeinderat, im Landtag und im Reichsrat habt ihr vor aller Welt alle Augenblicke großen Waschtag ...‹ Jetzt bitt' ich Sie, meine Herren, was hätt' ich auf eine solche unlogische Beleidigung, einen so unmotivierten, weithergeholten Angriff erwidern sollen?«

Er sah uns beide fragend an. Aber ich konnte ihm beim besten Willen keine Auskunft erteilen. Und auch nicht einmal Edgar, der resolute Edgar, schien eine zu wissen.


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