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Vom Z'samm'räumen

»Selbstverständlich!« entgegnete Herr Edgar seinem Freunde Schorsch mit warmer Überzeugung. »Selbstverständlich muß jede Wohnung alle Tag' z'sammg'räumt werden. Sei froh, daß du so eine Frau hast, die das gewissenhaft und freudig besorgt.«

Edgar geht auf Freiersfüßen. Das tut er schon viele Jahre lang, das tat er bereits, als er noch ein grüner Praktikant war. Seitdem er jedoch als fix angestellter Akzessist fürstliche Einkünfte bezieht, haben sich seine Heiratsabsichten erst recht verdichtet und stehen nun knapp vor der Verwirklichung. Georg dagegen blickt auf ein volles Jahrfünft gesetzlich und kirchlich anerkannter Ehegemeinschaft zurück. Aus diesem Unterschied der äußeren Umstände erklären sich vielleicht auch manche Verschiedenheiten in der Lebensauffassung und Weltanschauung der beiden.

»Wann du Junggesell geblieben wärst,« eiferte Edgar von neuem, »so wärst du wahrscheinlich längst in Staub und Pfeifenrauch erstickt. Dann hättest du ja deine Idealwohnung, die niemals z'sammg'räumt wird. Aber jetzt, wo du eine hast, die regelmäßig z'sammg'räumt wird, jetzt – jetzt ...«

Er suchte nach rügenden Worten. Georg ließ ihn ungerührt eine ganze Weile vergeblich suchen. Endlich aber sagte er:

»Ich hab' gar nicht von einer Wohnung geredet, die regelmäßig, in bestimmten Zwischenräumen, alle Tag' einmal, z'sammg'räumt wird. Sondern von einer solchen, die sich in einem unaufhörlichen, ununterbrochenen Zustande des Z'sammg'räumtwerdens befindet. Etwa so, wie wir in Wien von einem Platz sprechen können, wo demoliert wird, oder von einem Kabel, das gelegt wird, oder von einem Pflaster, das aufgerissen wird, oder von einer Gasse, die umgetauft wird. Das permanente Präsens der Passivität mein' ich. Daß man das im Deutschen leider nicht kürzer und präziser auszudrücken vermag, daß dazu unsere liebe Muttersprache zu arm ist, dafür kann ich nichts. Im Griechischen, wenn ich mich recht erinner', gibt es diese uns fehlende Form des Verbums, nicht wahr?«

Die letzte Frage war an meine Wenigkeit gerichtet. Ich beantwortete sie mit jener Vorsicht, die auch mir das einigermaßen veraltete Datum meines Maturitätszeugnisses gebot:

»Ja, so was Ähnliches, wie Sie meinen, Herr Schorsch, existiert tatsächlich in der althellenischen Grammatik. Aber darum handelt es sich wohl nicht, das ist jetzt vielleicht Nebensache. Wenn Sie uns nicht mit einem Worte klar machen können, was Sie beklagen, so tun Sie's halt mit vielen Worten. Wie, Herr Edgar? Also bitte!«

Georg räusperte sich, warf seine Zigarre weg, nickte ein paarmal höchst nachdenklich und begann:

»Meine Wohnung wird alle Tag' vierundzwanzig Stunden lang z'samm'g'räumt, um keine Minute mehr, aber auch um keine Sekunde weniger. Wann meine Frau und unser Dienstmädel eigentlich schlafen, weiß ich nicht. Aber das weiß ich, daß ich für meine Person in der Früh' niemals freiwillig aufwach', sondern immer infolge eines unangenehmen, kalten Windes, der schon meinen letzten, durch stärker und stärker werdendes Gepolter beeinträchtigten Schlummerzustand in Träume von Gletscherpartien, Seestürmen und Polarexpeditionen verwandelt hat. Dann kommt mir schön langsam zum Bewußtsein, daß bereits alle Fenster aufgerissen worden sind. Und obzwar diese Einrichtung wahrlich den Reiz der Neuheit für mich verloren haben könnte, so verblüfft und ärgert sie mich – so ein rätselvolles Geschöpf ist der Mensch – stets wieder wie eine Sensationspremiere. Manchmal steh' ich nun, ob es sechs oder fünf oder gar erst vier Uhr ist, rasch und gutwillig auf. Manchmal aber freilich, besonders im Winter, versuch' ich, nochmals einzuschlafen und mich gegen die Unbilden der Witterung durch Verkriechen in die Tuchent zu schützen. Da spür' ich dann bald, wie mir plötzlich beide Kopfpolster mit einem blitzschnellen, ungemein geschickten Ruck unterm Kopfe weggezogen werden. Will ich nun emporfahren, so drücken mich die milden Hände und die sanfte Stimme meiner Gattin nieder i ›Bleib' ruhig liegen, laß dich nicht stören ...‹ Richtig probier' ich's. Aber jetzt wird meine Tuchent schwer und schwerer: Sie muß als provisorischer Stapelplatz dienen für alles, was der fröhlichen Aufräumarbeit meiner Frau im Wege steht – entbehrlich gewordene Matratzen, Bettvorleger, Lambrequins, Leuchter, Aschenschalen, Schemel und Stühle. Mir wird zumute, wie ungefähr einem Lebendigbegrabenen zumute sein dürfte. Fluchend will ich mich meiner Gruft entwinden. ›Aber was hast du denn? Warum schimpfst du denn?‹ fragt meine Frau, die ich nun beim Morgendämmerschein oder auch bei einem trüben Lämpchen mit weit zurückgeschlagenen Ärmeln und mit einer Art von Turban um das Haupt emsig herumwirtschaften sehe. ›So schlaf' doch von mir aus, so lang du willst! Ich hinder' dich nicht!‹ Und dabei zerrt sie mit erstaunlicher Kraft und Beharrlichkeit an einem Zipfel meines Leintuches: ›Nur einen kleinen Augenblick erlaub'! Das muß auch zum Fenster, an die frische Luft ...‹ Na, den möcht' ich kennen, der da nicht mit einem Satz aus dem Bette springt! Aber den auch, der seinen schicklichen Gleichmut bewahrt, wenn er sofort in eine kühle Lache, einen plätschernden Teich tritt. Das passiert mir nämlich mit unfehlbarer Sicherheit jedesmal, denn meine Gemahlin hat sich's nicht verdrießen lassen, den Boden unseres Schlafzimmers bereits um Mitternacht gründlich unter Wasser zu setzen ...«

»Übertreib' nur nicht gar so schauderhaft!« unterbrach hier Edgar den Erzähler. »Ihr habt ja Parkettböden. Und die werden doch nicht ›unter Wasser gesetzt‹, sondern gewichst und gebürstet!«

Georg nickte:

»Natürlich, stimmt, eingelassen und gebürstet – und zwar so peinlich sorgfältig, daß ein Eislaufplatz dagegen der reine Schotterhaufen ist. Vorher aber, mein Lieber, vorher werden sie jedesmal aufgewaschen, bei uns zu Haus schon; das wirst du mir nicht abstreiten, das weiß ich besser, und der Herr, der unter uns wohnt, hat sich schon oft genug darüber beschwert ... Also, daß ich weiter erzähl: Toilett' mach' ich in der Küche, denn unser Waschtisch wird ja auch z'sammg'räumt; meine Zeitung les' ich auf dem Klosett, meinen Kaffee trink' ich stehend im Vorzimmer; denn unsere sämtlichen Sesseln sind auf den Betten und auf dem Diwan übereinandergetürmt, und der Speisetisch liegt – das ist beim Z'sammräumen unbedingt notwendig, warum, weiß ich nicht – auf dem Rücken und streckt seine vier Beine in die Luft ...«

»Kurz und gut,« sagte Edgar verächtlich, »du bist ein Langschläfer, und deine Frau Gemahlin ist eine Frühaufsteherin. Sie fangt eben zeitig an mit ihrer häuslichen Arbeit, damit sie auch zeitig fertig wird damit.«

»Fertig!« lachte Georg kraß und hob die Augen zum Himmel. »Eher läuft das Faß der Danaiden über, eh' unsere Wohnung z'sammg'räumt, fertig z'sammg'räumt ist. Wann ich nachmittags aus dem Bureau heimkomm', wird sie noch immer eifrig z'sammg'räumt, und wann ich am Abend über Barrikaden von Sesseln und Kasteln, über Verhaue von Besenstangeln und Mistschaufeln in mein Bett kriech', dann bin ich und das Dienstmädel ›fertig‹, aber meine Frau und die Wohnung sind so weit davon entfernt wie je. Schmutz und Schlamperei, behauptet meine Frau, richten das solideste Möblement zugrunde, Reinlichkeit ist das beste Konservierungsmittel. Eine wunderhübsche Regel! Aber von unserem sogenannten Silberservice fehlen, trotzdem wir es noch nie zum Essen benützt haben, schon drei Eßlöffel, zwei Gabeln und vier Kaffeelöffel. Nicht etwa, als ob sie uns gestohlen worden wären, Gott bewahre! Nein, Rehhäutel und Putzpulver haben sie einfach verzehrt, in unsichtbare Atome zerrieben und aufgelöst. Unsere Türklinken sind dünn wie Stricknadeln und klappern wie verrückt – ebenfalls vom vielen Putzen. Eine Fensterscheibe wird bei uns allerdings nie zerbrochen, ehe sie nicht, durch ununterbrochene kalte und warme Frottierungen von innen und außen dünn geworden wie das feinste Seidenpapier, jegliche Widerstandskraft verloren hat. Unsere Küchenkredenz hingegen, die ursprünglich in einer bescheidenen Ecke Platz gehabt hat, werden wir nächstens wegen – Raummangels verkaufen oder umtauschen müssen. So feist und dickbäuchig ist sie geworden vor lauter Ölfarb'. Alle sechs bis acht Stunden nämlich wird sie frisch gestrichen ...«

»Na, jetzt glaub' ich aber beinah' schon selber, das; Sie übertreiben, Herr Schorsch,« wendete ich lächelnd ein.

»So?« erwiderte er bitter. »Sie auch? Alsdann passen Sie gefälligst auf, was ich Ihnen jetzt noch anvertrauen werd' – Ihnen, nicht dem armen Hascher dort, der für nichts Sinn hat als wie für seine überstürzten Hochzeitspläne, und es gar nimmer erwarten kann, bis er mit beiden Füßen zugleich in den heiligen Ehestand tritt. Hören Sie: Unlängst nach dem Mittagessen lieg' ich auf dem Sofa ...«

»Nicht möglich!« fuhr Edgar spöttisch dazwischen. »Darfst du denn das? Hat deine Frau das Sofa nicht gebraucht? Wo war sie denn derweil'?«

»Zum Schwarzen Hund auf den Hohen Markt ist sie gegangen, weil sie erfahren hat, daß man dort einen ganz neuartigen, zauberhaft schnell trocknenden Emaillack in allen Farbenschattierungen kriegt – wann du mich hättest ausreden lassen, so hätt' ich das ungefragt aufgeklärt,« entgegnete Georg gelassen. »Also unlängst nach dem Mittagessen lieg' ich auf dem Sofa und schau' schläfrig auf unsere Menagerie hin, die gegenwärtig einen Kanarienvogel, einen Laubfrosch und einen Goldfisch umfaßt. Und g'rad', wie mir schon die Augen zufallen, hör' ich, wie der Kanari, der' kecke Kerl, sagt: ›Ah, das tut wohl, wann man einmal eine Stund' Ruh' hat, eine Stund', wo einen die Frau nicht sekkiert mit ihrer öden Z'sammräumerei!‹ – ›Halt ja!‹ quackt darauf der Laubfrosch. ›Niemand kann das mehr fühlen als ich. Eine schreckliche Person, unsere Frau!‹ – ›Na, ich will ihr nicht unrecht tun. Sie hat gewiß recht schöne Eigenschaften auch. Aber daß sie immer und ewig an meinem Häuserl herumkletzelt und herumbastelt, das bringt mich noch zur Verzweiflung. Kaum hab' ich mir mein Futter und mein Wasser appetitlich untereinander gemischt, kaum den Sand am Boden ein bissel nach meinem Geschmack hergerichtet, so kommt sie schon dahergestürzt und ruft: Du Schweinderl, du! Du garstiges Vogerl, du! ... Und gibt mir einen frischen Sand und ein frisches Wasser und ein frisches Futter. Es ist zum Federnausreißen! Und die Drahtstangerln von meinem Häuserl reibt sie alle Augenblick' mit Schmirgelpapier ab, und meine Sprießeln poliert sie mit Glaspapier, das; ich mich mit aller Anstrengung fast nimmer auf ihnen oben erhalten kann!« – Macht sie's denn mit meiner Leiter anders? Akkurat so macht sie's mit meiner Leiter! Da könnt' ich mir dann mit allerschönster Manier das Genick brechen, wenn ich nicht aufpass'. Aber, meiner Seel', ich kraxel' gar nicht mehr hinauf, und wann's noch so schön wird, das Wetter!‹ – ›Erlauben Sie, meine Herrschaften,‹ nahm jetzt der Goldfisch das Wort und schwamm so dicht an die Glaswand heran, daß er wie ein Kugelfisch aussah, ›erlauben Sie, wann Sie schon lamentieren, was soll denn da ich erst sagen? Steine und Muscheln hat sie mir in mein Wasser hineingetan, diese entsetzliche Frau, aber liegen – liegen laßt sie s' um keinen Preis darin. Wie kann sich denn da der köstliche grüne Schlamm ansetzen, der meine Leidenschaft ist, wenn sie jedes Steinchen und jede Muschel hunderttausendmal herausfischt und umdreht und blank reibt? Es ist ein Kreuz in dieser Wohnung!‹ – ›Ja, das ist es, beim Jupiter Pluvius!‹ sagte der Laubfrosch. – ›Ein rechtes Kreuz,‹ bestätigte der Kanari. ›Mich dauert am meisten unser armer Herr ...‹

Georg schwieg und zündete sich eine neue Zigarre an.

Edgar rümpfte die Nase und zuckte die Achseln:

»Gott, wie poetisch! Gott, wie witzig! Und sonst haben sie nichts mehr gesagt, deine Viecher?«

»Nein, denn dann ist meine Frau zur Tür hereingekommen, in einer Hand den Farbtopf, in der anderen den Pinsel, und da ist also die Z'sammräumerei und Verschönerungsraserei sofort wieder ausgebrochen, daß uns allen vieren, dem Goldfisch, dem Frosch, dem Kanari und mir, Hören und Sehen und Reden vergangen ist.«

»Mein Beileid!« sagte ich.

»Kellner, zahlen!« sagte Edgar.

»Er fährt zu seiner Braut. Fahr' hin, Unseliger!« sagte Georg.


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