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Auch Cortes hielt es für klüger, die Mißachtung des Goldes nicht in Frage zu ziehen, und wechselte leichtblütig und gewandt das Gespräch. Marina mußte den Mexikaner auffordern, ihnen ein Bild von der Macht Montezumas zu entwerfen.

Hatte vordem Cortes die Weltherrschaft des römischen Kaisers deutscher Nation mit allzu grellen Farben gemalt, so übertrumpfte ihn jetzt der Rollende Stein, indem er schlicht und wahrheitsgemäß die Gewalt Mexicos und des Colhuatecuhtli beschrieb. Es war keine Lüge, wenn er sagte, daß auf der Lagune und in den Kanälen Tenuchtitlans fünfzigtausend Boote schwammen. Es war keine Lüge, daß Montezuma dreißig Vasallen hatte, von denen jeder hunderttausend gutausgerüstete Krieger ins Feld stellen konnte. Es war keine Lüge, daß Montezuma jedes Jahr zwanzigtausend Kriegssklaven auf den Altären Tenuchtitlans opfern ließ, in manchen Jahren sogar bis zu vierzigtausend. Hinreißend und doch ohne Übertreibung malte er die unvergleichlich herrliche Lage Tenuchtitlans mitten im Schilfsee, den Prunk seiner Paläste, den träumerischen Zauber seiner Wassergassen und Steinbrücken, die Haus mit Haus verbanden, das Menschengewimmel, das Völkergemisch, den Farbentaumel seines großen Marktplatzes, die Wolkenhöhe seiner edelsteinbeladenen Pyramiden. Uneinnehmbar die Stadt, da jedes Haus, mit Zinnen gekrönt, sich in eine Festung verwandeln ließ. Nur drei Zuzüge habe die Stadt, drei breite Dämme, deren Steinmauerung in gewissen Abständen unterbrochen, durch Holzbrückenteile verbunden sei, und diese könnten – sollte Tenuchtitlan je in Gefahr schweben – als Ziehbrücken emporgehoben und entfernt werden. Wenn das aber geschähe, käme niemand nach Tenuchtitlan hinein – aber auch niemand aus Tenuchtitlan heraus! ...

Als Marina die Rede übersetzt hatte, saßen die Kastilier eine Weile kleinlaut da.

»Eine Mausefalle! ...« knirschte Olid.

Cortes wollte diese Stimmung und Verstimmung nicht aufkommen lassen.

»Je schwieriger das Wagnis, um so ruhmvoller wird es sein!« sprach er. Und seine Begleiter nickten zustimmend, schämten sich bereits ihrer Zagheit. Dem Statthalter aber ließ Cortes sagen:

»Eure Beschreibung von Mexico erhöht unser Verlangen, die schöne Stadt zu sehen!«


Der Rollende Stein antwortete nichts. Er erhob sich von seinem Thron und ging mit festen Schritten auf den Hund Becerrico zu. Furchtlos streichelte er ihm den Kopf, klopfte ihm den Rücken. Und das sonst so bissige Tier ließ sich die Berührung gefallen, wedelte mit dem Schwanz. Das Erstaunen der Kastilier war grenzenlos. Der Rollende Stein sagte:

»Ich besitze einen abgerichteten Jaguar und weiß mit Raubtieren umzugehen. Soll ich den Jaguar rufen, daß die beiden hier vor dem Angesicht des Himmels und der Erde kämpfen und wir sehen können, wer stärker ist: der Zahn des weißen Mannes oder die Kralle des roten?«

Ordas war für, die anderen Hauptleute waren gegen den Vorschlag. Der Hund war unentbehrlich, unersetzlich. Cortes ließ durch Marina entgegnen:

»Zahn und Kralle messen nur Feinde. Wir aber sind Freunde Montezumas.«


Der Rollende Stein lächelte.

»Hat der große Montezuma seine Freunde eingeladen, seine Freunde aufgefordert, die Stadt inmitten des Sees zu betreten?« fragte er mit kaum verhohlenem Hohn.

»Nein!« erhielt er zur Antwort. Cortes mochte den Stolzen nicht anlügen.

»Keiner von euch wird hinkommen, wenn ihr ungebeten hinzieht!« rief der Rollende Stein. »Auch euer Hund nicht, denn hierzulande werden Hunde gegessen, werden getötet, auf daß sie den Toten Wegweiser seien im Walde der Nebelhölle!«

»Die Vorsehung hat uns hergeführt zu euren Schädelbergen«, rief Cortes, »und wird uns weiterführen bis nach Mexico, eure Menschenschlachtereien auszurotten und euch die neue Lehre zu bringen!«

Die mexikanischen Kriegshäuptlinge, die bisher regungslos den Thronsitz umstanden, verloren ihre steinerne Unbewegtheit, murrten mit blitzenden Augen. Der Rollende Stein wies sie streng zur Ruhe. Er fragte Marina;

»Was ist das – die neue Lehre?«


Da predigte ihm Cortes das Evangelium. Und Marina übersetzte Satz für Satz, Wort für Wort. Dem Rollenden Stein entging keine Silbe – aufmerksam und doch völlig gleichgültig hörte er zu. Ein Weltmann, der das Gerede eines Schwachsinnigen aus Höflichkeit geduldig anhört, geringschätzig, doch nicht ohne Neugier. Aha! das also lehren diese armen Narren! Und er nickte teilnahmslos, als wäre ihm das alles nicht neu. Weltverbesserer! Nun ja, die gab es ja in mexikanischen Landen auch. Die Erde, die Blutfrau, soll kein Blut mehr trinken? – O ihr Schwärmer! Als ob die Welt ohne Kampf bestehen könne! Montezuma sollte Länder nicht mehr unterjochen, Völker nicht mehr knechten, keine Sklaven mehr opfern? – Ja, was denken sich diese Weißen, wovon soll denn Mexico leben? Und immer wieder nickte er stumm, lächelte verächtlich. Seine Götter wurden beschimpft – es erboste ihn nicht einmal, er nahm den begeisterten Prediger und Götterfeind nicht ernst.

Als Cortes mit der Vermahnung schloß: »So sage ich denn Euch, Rollender Stein, und euch anderen Kaziken, die ihr hier steht und die Botschaft der neuen Lehre gehört habt –: laßt ab von euren Opfergreueln, verzehrt das Fleisch eurer Nächsten nicht mehr, laßt ab von euren schändlichen Sodomitereien, denn so befiehlt es Unser Herr der allmächtige Gott, der uns das Leben gibt und den Tod und nach dem Tode das Himmelreich« – als Cortes mit diesen historischen, von einem Chronisten überlieferten Schlußworten die feurige, allzu feurige Bekehrungsrede schloß, merkte er, daß er seine Kleinodien in einen Abgrund geworfen. Keinerlei Eindruck hatte er auf die dünkelhaften Mexikaner gemacht. Der Rollende Stein sagte zu Marina:

»Schau, meine Tochter, die weißen Männer wollen den Krieg durch den Krieg beseitigen – denn sie führen flammenspeiende Waffen, Hirschmenschen und abgerichtete Raubtiere mit sich. Sie wollen unsere Götter durch ihre Götter ersetzen. Montezuma soll keine Länder mehr erobern, damit sie Länder erobern können; Montezuma soll keine Völker knechten, damit sie Völker knechten können. Aber ein Krieg, der den Krieg ausrottet, ist nichts als ein neuer Krieg!«

Von sich aus antwortete ihm Marina:

»Die weißen Götter werden den Bewohnern Anahuacs Glück, Befreiung und Frieden bringen, die Tränen der Witwen und Waisen trocknen und hindern, daß die Schädelberge höher wachsen!«

»Die Fremden werden an die Stelle alter Schädelberge neue Schädelberge setzen. Der Krieg ist unausrottbar. Als der Büßer Yappan den Krieg bedrohte, schickten ihm die Götter die Verführerin Ixcuinan, und weil Quetzalcoatl das Menschenschlachten verbot, mußte er, ein Flüchtling, davonziehen ins Land Tlillan-Tlapallan.«

Dies sprach der Rollende Stein zu Marina. Dann bat er sie höflich, Cortes zu sagen: Für die Erklärung der neuen Lehre danke er ihm. Doch würden er und seine Vasallen von den Menschenopfern nur lassen, wenn der große Montezuma es befehle. Auch fürchte er, der große Montezuma werde ihm vielleicht grollen, weil er die Fremden in seinem Palaste geduldet und zugelassen, daß ihnen im Roten Berg Speise und Trank verabreicht wurden ...

Es war eine höfliche und deutliche Hinausweisung. Cortes geriet in Wut. Zu den Hauptleuten gewandt, rief er:

»Gutwillig wollen diese Blutvergießer das Heil nicht empfangen, so sollen sie es denn mit einer Bluttaufe empfangen! Da Worte sie nicht bekehren, mag das Schwert sie bekehren! Laßt uns augenblicklich das heilige Kreuz in dieser Stadt errichten!«

Die Hauptleute scharten sich um ihn, bereit zum Äußersten. Und auch die Mexikaner waren zum Äußersten bereit. Von ihnen war die Herausforderung ergangen, und sie verstanden – ohne die Worte des weißen Anführers zu verstehen –, daß die Herausforderung angenommen wurde. Ein Blutbad stand bevor.


Da legte sich Pater Olmedo ins Mittel. Gewiß nicht aus Feigheit. Ein streitbarer, schwertbewaffneter Priester war dieser hünengroße Mönch vom Orden der Barmherzigen Brüder. Sein graugesprenkelter Wildermannsbart reichte ihm bis an den Gürtelstrick und verhüllte nicht den stahlblanken Panzer, den er über der Kutte trug. An einem silbernen Kettchen hing ein Silberkreuz über dem unteren Ende des langen Bartes, und wenn Olmedo ausschritt, pendelte das Silberkreuz zwischen seiner rechten und linken Schulter hin und her. Er sah das große Ziel durch Übereifer gefährdet und griff daher ein. Er hielt Cortes das Unvernünftige einer gewaltsamen Bekehrung vor, die hier schwieriger als in Sempoalla, vielleicht unausführbar sein werde – denn solche Kinder wie die Totonaken seien die Mexikaner nicht. Doch selbst wenn es gelänge – ob denn Cortes das Kreuz, das heilige Symbol, in einer nur äußerlich bekehrten Stadt zurücklassen wolle, damit es nach dem Abzug der Christen geschändet werde?

Während Pater Olmedo noch sprach, stürzte ein Sklave, der Verwahrer der Wohlgerüche, in den Saal, warf sich vor dem Rollenden Stein zu Boden, küßte ihm die Hände und flüsterte ihm hastig ins Ohr. Gesichtsausdruck und Haltung des hochmütigen Mexikaners verwandelten sich wundersam. Mit scheuen Blicken betrachtete er die Kastilier. Leise erteilte er Befehle. Der Verwahrer der Wohlgerüche und mehrere Würdenträger entfernten sich.


Und als der Pater mit mild-ernsten eindringlichen Worten erzielt hatte, daß die Hauptleute und Cortes und selbst Marina, die übereifrige Heilbringerin, ihm beipflichteten – traten, vom Vorsteher des Hauses der Teppiche und zwei anderen Hofbeamten hereingeführt, fünfzehn Diener und vier Sklavinnen in den Saal der Botschaften, und die Diener breiteten Cortes zu Füßen reiche Geschenke auf den steingetäfelten Boden hin: – buntgemusterte, mit Fransen versehene Mäntel, schöngewebte Hemden aus feinstem Leinen, Quetzalfederbandriemen, Halbedelsteine und vielen Goldschmuck, Goldstaub, Goldbarren und Goldbleche. Das höchste der Wunder aber war, daß der Rollende Stein die Gäste als weiße Götter und Söhne der Sonne bezeichnete und Marina ersuchte, den weißen Göttern zu sagen: er lege keinen Wert auf Gold, und da sich im Hause der Edelsteine noch etwas »Götterdreck« gefunden, gebe er es mit Freuden den Söhnen der Sonne zum Geschenk. Und entschuldigen möchten die weißen Götter, daß sich nicht mehr Götterdreck vorgefunden. Und er schenke den weißen Göttern die vier Sklavinnen, welche Brot für sie backen sollten, auch habe er angeordnet, daß dem Heer der weißen Götter reichlich Nahrungsmittel verabreicht würden. Und wünschten die Söhne der Sonne nach Westen zu ziehen, so wolle er ihnen gern Führer mitgeben. Doch rate er ihnen, den südlichen Weg zu wählen über Cholula, die gastfreundliche, friedliche, heilige Stadt, – keinesfalls aber sollten sie durch Tlascala ziehen, denn die Tlascalteken seien die Feinde der Menschheit, seien blutrünstige Mörder, und ihr schluchtenreiches Land, wie geschaffen für Hinterhalte, sei eine Mördergrube.

Mit höflichem Dank für diese wertvolle Auskunft und die Geschenke verabschiedete sich Cortes. Er hinterließ etliche Glasperlen, kleine Spiegel und Taschenmesser als Gegengaben.

Da Marina die geflüsterten Worte des Verwahrers der Wohlgerüche nicht verstanden hatte, blieb die plötzliche Sinnesänderung des Rollenden Steines vorerst ein Rätsel.


Das Rätsel löste sich, als Cortes mit seinem Stabe zum kastilischen Heer zurückkehrte, welches unter freiem Himmel auf dem geräumigsten Platz des Roten Berges kampierte (während das Feldlager der totonakischen Bundesgenossen sich außerhalb der Stadtmauern befand). Zwei benachbarte, den Totonaken befreundete Landschaften hatten Boten und Ehrengaben geschickt, um den Söhnen der Sonne Ehrfurcht zu bezeigen, und stellten Hilfstruppen in Aussicht. Die Hauptstadt des einen dieser Gaue, das Weiße Mondgefilde genannt, lag eine Sonne westlich an der Straße nach Mexico. Das Heer wurde eingeladen, dort Aufenthalt zu nehmen.

Kaum hatte Cortes die neuen Bundesgenossen begrüßt, wurde ihm gemeldet, daß eine Gesandtschaft von Montezuma eingetroffen sei und darum ersuche, unverzüglich vorgelassen zu werden.

Cortes ließ die Abgesandten Montezumas warten. In aller Ruhe besprach er mit den neuen Bundesgenossen, was zu besprechen war. Und nachdem er sie entlassen, legte er die kriegerische Kleidung, Panzer und Helm ab, staffierte sich mit seinem reichsten Staatskleid und einem Straußenfeder-Barett aus, umgab sich mit den Besten seines Heeres, ließ Geschütze neben sein Zelt auffahren und ließ das Innere des Zeltes in einen kleinen Thronsaal verwandeln.

Die Gesandten wurden durch die Lagergassen geführt, und als sie sich dem Zelte näherten, vor welchem die schwarze Sammetfahne – mit dem gestickten, von weißen und blauen Flammen umloderten Goldkreuz – wehte, trat Cortes aus dem Zelt, prunkend wie ein kleiner König in der Korona seines Gefolges.

Anführer der aus zwei jüngeren Neffen Montezumas und anderen hochangesehenen Mexikanern bestehenden Gesandtschaft war des Großkönigs schweigsamer Freund und Lebensretter Quauhpopoca, das Schwelende Holz. Auf dem Wege nach der Meeresküste – da er zum Statthalter des Ostens, zum Verweser der huaxtekischen Provinz an Stelle des im Sterben liegenden Staub-Aufwirblers ernannt worden war – kam er, Montezumas Dank für die Befreiung und Errettung des Herabstoßnden Adlers sowie Dankgeschenke zu überbringen. In die huaxtekische Provinz – sie grenzte unmittelbar nördlich an die Hafenstadt Vera Cruz und das Land Totonacapan – begleitete ihn sein einziger Sohn, der Blitzende Schild, ein zwanzigjähriger Jüngling mit ernstem, edelgeformtem Indianergesicht.

Nicht zum erstenmal brachte das Schwelende Holz eine Botschaft und Gaben des Weltherrn ins Feldlager der Kastilier. Und wie damals an den moskitobedeckten Sanddünen war auch jetzt sein melancholisches Gesicht mit blauen Streifen bemalt.

Wohl entsann sich Cortes seiner und jenes auffällig kurzen Besuches, des Dünkels, der kränkenden Unnahbarkeit des Mexikaners. Und wie absichtlich umarmte er ihn; – der Mexikaner zuckte zurück vor der körperlichen Berührung, mußte sie sich jedoch gefallen lassen. Cortes behandelte ihn wie einen alten Bekannten, herablassend leutselig klopfte er ihm auf die Schulter. Die neuen Gaben Montezumas, von hundert Tlamamas herangeschleppt und auf Strohmatten ausgebreitet, glitzerten im Sonnenlicht – wenn auch nicht so überreich, so überhell flammend wie damals. Der Rechnungsführer Albornoz schätzte den Goldwert auf vierzigtausend Dublonen.

Aber außer Schulterdecken, Kolibrifedern, zwei jungen Jaguaren und Götterdreck schickte Montezuma diesmal auch Maiskuchen und fünf Sklaven. Feierlich sprach das Schwelende Holz:

»Euer Knecht Montezuma, der seinen Hof inmitten des Wassers hat, euer Knecht, der Edle Traurige, der am Seeufer wohnt, und euer Knecht, der Durch-Zauber-Verführende, der am Fuße der Berge herrscht, befahlen mir, euch zu sagen: Vor Freude schwillt ihr Herz, weil ihr, o ihr Söhne der Sonne, o ihr Gelbhaarigen, Anahuac aufsuchen wollt, das Land, wo euer Vorfahr, der weiße Gott, geherrscht hat, dessen Thron von Montezuma bereit gehalten wird für euch! Und vor Dank schwillt das Herz eures Knechtes Montezuma, weil sein Verwandter, der Herabstoßende Adler, Sohn des Königs Molch, befreit wurde durch euch, o ihr Söhne der Sonne, o ihr Gelbhaarigen! Euer Knecht Montezuma bittet euch, diese geringwertigen Kostbarkeiten anzunehmen als Dankesgaben. Und da euer Knecht Montezuma aus der großherzigen Errettung des Herabstoßenden Adlers ersehen hat, daß ihr wahrhaftig Söhne der Sonne seid, hat er den Gaben die Speise der Götter beigefügt –: Maiskuchen mit Menschenblut besprengt, und auch diese fünf Sklaven, auf daß die weißen Götter, wie auch die schwarzen Götter, ihren Durst an Menschenblut löschen können!«

Das Schwelende Holz wiederholte in diesen Sätzen wörtlich, was Montezuma ihm aufgetragen. Mit den schwarzen Göttern waren die Neger des kastilischen Heeres gemeint, von denen Montezuma Abbildungen besaß, hatte doch einst an den Sanddünen der Menschenmaler alles Sehenswerte des Feldlagers auf dem Hirschhaut-Pergament verzeichnet. Die Mitglieder der Gesandtschaft waren beauftragt, genau achtzugeben, wie die weißen Götter und die schwarzen Götter die ihnen dargebrachten Opfergaben aufnehmen würden, ob sie die Blutkuchen essen, ob sie das frische Menschenblut trinken würden. Denn daraus würde man schließen können, hatte Montezuma gesagt, ob sie starke Herzen haben, ob sie wirklich Söhne der Sonne sind.

Durch Marina erfuhr nun das Schwelende Holz, daß die schwarzen Götter gar keine Götter seien, sondern Götterdiener. Fast noch mehr enttäuscht wurden die Mexikaner durch die weißen Götter. Mäntel, Edelfedern, rohe Edelsteine und Götterdreck nahmen sie an, sie verschmähten aber und verabscheuten die mit Menschenblut besprengten Kuchen, und den fünf Opfersklaven schenkten sie die Freiheit. Es war erwiesen – sie hatten keine starken Herzen!

Sich verabschiedend, erteilte das Schwelende Holz Cortes den Rat, über Cholula zu ziehen und Tlascala zu meiden.


Und wieder ritt Don Diego de Ordas hundert Schritt dem Heer voraus, westwärts auf der Hochebene, durch ein Flußtal dann, dem Flusse entlang, an zahlreichen wohlhabenden Dörfern vorbei. Mittags wurde auf einer Wiese gerastet. Und als das Heer sich wieder in Bewegung setzte, entdeckte Juan Sedeño der Reiche, daß sein Grau-Füllen entlaufen war. Sedeños Stute hatte bei der Landung gefohlt, das war vor einem halben Jahr, zu Ostern, geschehen – seitdem war das Fohlen ein ganz stattlicher kleiner Renner geworden und hatte nun das Weite gesucht. Für Sedeño ein schwerer Schlag, ein fast noch schwererer für das gesamte Heer, welches nur siebzehn Pferde mitführte. Alvarado, dem Sedeño das Mißgeschick als erstem mitgeteilt hatte, geriet in höchste Aufregung.

»Wißt Ihr, Señor, in welcher Richtung es gelaufen ist? Oder glaubt Ihr, daß es von indianischen Buschkleppern gestohlen wurde?«

»Nein, nicht gestohlen ...«, stotterte Sedeño verwirrt. »Ich sah, es ist entlaufen. Es ist verhext worden!« rief er fast weinend.

»Narrenpossen! Von wem verhext?«

»Von La Medina!«

Seit dem Tanzabend im Indianerdorf ließ der reiche Sedeño der schüchternen Tänzerin keine Ruhe mit seinen Liebesanträgen. Immer und immer wieder hatte sie ihn abgewiesen. Jetzt haßte er sie.

»Unsinn!« sagte Alvarado. »Ihr selbst erzählt, es sei entlaufen. Also müßt Ihr doch gesehen haben, wohin es lief!«

Sedeño zeigte auf einen benachbarten Wald. Alvarado winkte die Amazone Maria de Estrada und die Reiter Dominguez und Lares heran, und sie galoppierten in den Wald. Nach einigem Suchen kamen sie zu einem Weideplatz. Ein Rudel Hirsche äste dort, das Grau-Fohlen stand zwischen den rötlich-grauen Hirschen, als gehörte es zu ihnen. Es trank am Euter einer Hirschkuh.

Die Reiter trennten sich, den Tieren die Flucht abzuschneiden. Doch die Herde hatte sie gewittert, stob plötzlich davon, verschwand im Unterholz. Auch das Fohlen. Die aussichtslose Verfolgung mußte aufgegeben werden.

»Mir ist, als hätte ich eine Rothaut im Dickicht gesehen«, sagte Maria de Estrada.

»Kundschafter unseres Freundes Montezuma!« meinte Alvarado achselzuckend.


Nach zehnstündigem Marsch näherte sich das Heer der Stadt Iztac-Metztitlan, das Weiße Mondgefilde, deren Bewohner, Freunde der Totonaken, tags zuvor Ehrengaben an Cortes gesandt hatten.

Das Angebot, das der Rollende Stein nach seiner plötzlichen Sinnesänderung Cortes gemacht, ihm Führer zur Verfügung zu stellen, war keine Höflichkeitsfloskel gewesen – er hatte tatsächlich zwanzig seiner Palastbeamten als Wegweiser für den Zug nach Anahuac mitgegeben. Diese Führer rieten nun Cortes, nicht durch das Weiße Mondgefilde zu ziehen, sondern einen nach Süden abzweigenden Weg einzuschlagen. Die totonakischen Kriegshäuptlinge Mamexi, Tehuch, Tamalli und Cuhextecatl widersprachen, warnten vor den Ratschlägen der Bewohner des Roten Berges: die südliche Straße führe nach Cholula, dem hinterlistigen Cholula, der Vasallenstadt Mexicos, die nördliche Straße aber ginge geradeswegs nach Tlascala, dem Lande des Blumenkrieges, dem Lande, das seit sechzig Jahren den Rosenkrieg mit dem Drei-Städte-Bund führte. Und sollten auch die Otomis zu den Waffen greifen, so sei die ehrliche Feindschaft Tlascalas der falschen Freundschaft Cholulas vorzuziehen.

Cortes vertraute den Totonaken und war auf der Hut vor den unerbetenen Ratschlägen der Mexikaner und Montezumas. Allzu beflissen hatten sowohl der Rollende Stein wie die Abgesandten Montezumas Tlascala angeschwärzt und die Friedlichkeit Cholulas gepriesen.

Nach kurzem Kriegsrat mit den Feldobristen entschied er sich endgültig für den Weg über Tlascala. Er beschloß, an den Rat der Alten in Tlascala Boten zu senden und vorerst im Weißen Mondgefilde die Antwort und Einladung abzuwarten.

Zu Boten wählte er den Kriegshäuptling Tehuch, der ein Vetter des dicken Kaziken war, und Cuhextecatl, den Schwiegervater des Hauptmanns Andrés de Tapia, außerdem noch zwei gut aussehende totonakische Speerwerfer. Durch den Notar und kaiserlichen Sekretarius Diego de Godoy ließ er einen Brief an den Freistaat Tlascala aufsetzen, und Guillén de la Loa, den putzigen kleinen Schreiber des Garay, beauftragte er, das Schriftstück in pompöser, mächtig geschwungener Zierschrift auf Pergament zu Schnörkeln. Da anzunehmen war, daß der Rat der Alten den Brief nicht werde entziffern können, wurden die Boten durch Marina instruiert, den Inhalt des Schreibens mündlich vorzutragen. Und Cortes gab ihnen außer diesem Brief auch noch eine venezianische Mütze aus dunkelgrünem Seiden-Sammet, einen Degen, eine Muskete und eine Armbrust als Ehrengeschenke an den Hohen Rat mit. Der Anblick der überlegenen Waffen sollte dem Rat der Alten die Überlegenheit und Unbesiegbarkeit der Söhne der Sonne zu bedenken geben.

Während die vier Boten nach Tlascala vorauseilten, zog das Heer in das Weiße Mondgefilde ein. Die anmutige Architektur und die überreichen Relief-Skulpturen des auf steiler Kuppe ragenden Kastells weckten die Bewunderung der Kastilier. Die freundlichen Bewohner des Weißen Mondgefildes empfingen an den Stadttoren die Einziehenden mit Weihrauch und Blumenspenden, hielten in großen Mengen Nahrungsmittel bereit, warnten vor Cholula und empfahlen den Weg über Tlascala.


Tehuch und Cuhextecatl, wie auch ihre beiden Begleiter, hatten Gesandtenkleidung angelegt und waren von weitem schon als Sendlinge kenntlich. Zur Grenze Tlascalas gelangt, wurden sie als Boten ehrerbietig von den Grenzwächtern behandelt, durch ein Tor der Großen Mauer eingelassen und nach der – wie das Land – Tlascala genannten Hauptstadt eskortiert. Man führte sie in den großen Tecpan, wo die Sitzungen des Hohen Rates stattfanden, und reichte ihnen Speise und Trank dar. Vollzählig versammelte sich der Rat der Alten, setzte sich feierlich auf die hundert kurulischen Stühle nieder, die Botschaft der weißen Götter entgegenzunehmen. Die Boten wurden in den Saal der Botschaften geführt, wurden willkommen geheißen und gefragt, was sie brächten. Da übergaben sie das dunkelgrüne Sammet-Barett, den Degen, die Muskete und die Armbrust. Stehend vor der thronenden Ratsversammlung, begann Tehuch so zu reden:

»O ihr hochmächtigen Väter, o ihr hochedlen Herren, mögen die Götter euch Sieg über eure Feinde verleihen! Die Mexikaner sind eure Erbfeinde, und sie sind auch die Feinde und Bedrücker der Totonaken. Darum gibt das Volk der Totonaken durch unseren Mund euch Kunde von den Enkeln Unseres Herrn Quetzalcoatl, den weißen Göttern, den Söhnen der Sonne, die über das Meer des Himmels aus einem fernen östlichen Reich herübergekommen sind in großen Wasserhäusern und gelandet sind an der Küste unweit der Stadt Sempoalla, das Kreuz aufrichtend, das Wahrzeichen Unseres Herrn Quetzalcoatl. Sie haben jenseit des Himmelswassers erfahren von der Unmenschlichkeit, der Ländergier, der Blutgier der Mexikaner. Und darum hat ihr Fürst, der große König des Ostens, sie ausgesandt, daß sie die Völker befreien, auch euch Tlascalteken befreien von der Gewaltherrschaft Montezumas und vom Blutdurst der falschen Götter Anahuacs, welche einst Unseren Herrn Quetzalcoatl, den weißen Gott, den Kreuzträger, hinweggetrieben haben ins Land Tlillan-Tlapallan. Sie, seine Enkel, bitten um freien Durchzug durch euer Land und senden euch diesen Brief, diesen Kopfschmuck und diese Waffen. Mögt ihr daran erkennen, wie erfinderisch, mutig und unbesieglich sie sind, und mögt ihr wie Brüder an ihrer Seite fechten gegen das mörderische, blutrünstige Mexico, bis sie euch erlösen, wie sie uns von der Knechtung Montezumas erlöst haben. Tut ihr das aber nicht, so wißt ihr selbst, o ihr hochmächtigen Väter, ihr edlen Herren, daß Mexico nie ablassen wird, euch zu bedrohen und zu drangsalen.«

Stumm nahm die hundertköpfige Versammlung die Rede auf. Keine Äußerung, weder des Mißfallens noch des Beifalls, wurde laut. Die Geschenke gingen von Hand zu Hand, wurden mit Befremden betrachtet. Da erhob sich einer der vier Tetrarchen des Landes, der angesehene alte Maxixca – das Offene Gesicht –, und sprach:

»O ihr Götterboten, ihr tapferen Krieger! Wir haben gehört, wir haben vernommen, was euer Mund geredet hat, was euer Mund verkündet hat vor dem Angesicht des Hohen Rates. Haben die Söhne der Sonne euch Beistand geleistet, haben sie euch befreit von der schwerlastenden Hand Montezumas? Wir freuen uns darob, und wir danken dem großen weißen Gott für seine Gaben. Geht, ruht euch aus, denn weite Wege seid ihr gegangen. Der Hohe Rat aber wird Beschluß fassen, welche Antwort er erteilen will!«

Darauf wurden Tehuch, Cuhextecatl und ihre Begleiter aus dem Beratungssaal hinausgeführt.


Das Volk der Tlascalteken setzte sich zusammen aus vier Stämmen, welche gesondert in vier Landschaften wohnten und die Namen führten: Die-auf-den-Bergen, Die-unter-den-Pinien, Die-auf-der-Kalkerde und Die-im-Regenlande. Auch in der Stadt Tlascala besaß und bewohnte jeder dieser Stammverbände ein Stadtviertel. Im Lauf der Jahrhunderte hatten sich die vier Stammverbände in viele Unterstämme gespalten, und sämtliche Unterstämme waren im Hohen Rat vertreten. Die Leitung der Staatsgeschäfte aber lag in den Händen von vier Fürsten, Oberhäuptern der vier Hauptstämme. Damals hatten Die-auf-den-Bergen den Häuptling Maxixca, das Offene Gesicht, zum Oberhaupt, Die-auf-der-Kalkerde den hundertjährigen Xicotencatl, die Sammelnde Biene, Die-im-Regenlande Uhexolotzin, den Truthahn, und Die-unter-den-Pinien Chimalpopoca, den Rauchenden Schild.

Die Eintracht des Rates der Alten hatte in letzter Zeit eine Trübung erfahren, seit die beiden einflußreichen Stammes-Oberhäupter – das Offene Gesicht und die Sammelnde Biene – in Zwist geraten waren. Die Ursache dieses Zwistes war in hohem Grade seltsam.


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