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Montezuma hätte in dieser Nacht noch manche Frage gestellt, und Korn auf Korn wäre über die Felder gewandert, hätte nicht ein banges Gestöhn dem Zauberwerk ein Ende bereitet. Aus dem dunkeln Gemach nebenan, dessen Türöffnung nur durch eine Binsenmatte geschlossen war, erscholl das störende Geräusch. Der trunkene Spinner war mit einem Angstruf aufgewacht, weil mehrere Ratten in wilder Flucht über sein Antlitz gelaufen waren.

Die Gesichtszüge Montezumas verzerrte Schrecken erst und dann Zorn. Ein Geisterruf aus dem Reiche der Nebeltoten war ihm ans Ohr geklungen und hatte ihm das Herz erstarrt. Kalter Schweiß perlte ihm auf der Stirn. Doch nur einen Augenblick lang grauste ihm. Gleich darauf kam ihm zum Bewußtsein, daß er einen menschlichen Laut gehört. Und ein unverzeihlicher Frevel schien es ihm, daß ein Mensch sein heimliches Zwiegespräch mit dem Wahrsager mitanzuhören wagte. Des Todes würdig war der Lauscher, der den Bewohnern der Wasserstadt verraten konnte, daß der Großkönig von Sorgen gehetzt im Dunkel der Nacht und als Diener verkleidet sich hergeschlichen hatte, von Zauberwerken Rat und Trost erhoffend ...

Mit strafbereiter Strenge stellte er Zacatzin zur Rede. Das weiße, bis über die Augen niederhängende Haar des alten Medizinmannes und sein Borstenbart verhehlten jeglichen Ausdruck. Gelassen setzte er auseinander, warum er seinen Gast, den Dichter, nicht aus dem Hause habe schaffen können, als der König kam. Von Feuer-Juwel sagte er nichts, da er mit Recht annahm, dieser werde nach dem Schrei entwichen sein, hatte doch die Kammer einen Ausgang auf einen anderen Hof und von dort auf eine Gasse hinaus.

Vor hundert Jahren war von einem Vorgänger Montezumas, dem König Obsidian-Schlange, das Gesetz erlassen worden: nur Greisen solle der Genuß des Pulque, der Kräutertränke und des Honigweines gestattet sein, jüngeren Leuten aber und Kindern sei – außer zu gewissen Festlichkeiten – jeglicher Rauschtrank bei Strafe des Todes verboten. Möglich, daß zu den Zeiten des Königs Obsidian-Schlange das Gesetz befolgt wurde. Späterhin wurde es allerorten und tagtäglich übertreten. Die königlichen Richter drückten ein Auge zu. Und nur von Zeit zu Zeit ließen sie die Strenge des Gesetzes walten, wenn im Rausche eine Übeltat begangen worden war.

Hielt Montezuma den Fremden nebenan für einen Horcher, so konnte er ihn als Übertreter des Trinkverbotes dem Tode überliefern. Aber seine Trunkenheit führte der alte Wahrsager als Entschuldigung an und versicherte, der Dichter sei in einem solchen Zustande der Bewußtlosigkeit, daß er von den Vorgängen im Lichthof nichts wisse, hätte er auch, statt zu schlafen, gesehen und gehört.

Der Tempel-Feger hatte längst erraten, daß der Berauschte niemand anders sein könne als der Spinner. Er war mit ihm gut bekannt. Als der junge König von Tlacopan mit der tezcucanischen Prinzessin Perlmuschel die Nachtfahrt auf der schwimmenden Insel unternahm, waren der Dichter und der Annalenschreiber vom Tempel-Feger abgeholt worden, der sie in seinem Kanoe auf die Lagune hinausruderte. Und auch von früher her kannte er den Spinner, als er – noch ein blutjunger Adliger des Freistaates Huexotzinco – in den Gerichtssälen Tenuchtitlans sich die Redekunst aneignete und, ein Gast der Königin aller Städte, mit den Hochmögenden sowohl wie mit den Hochbegabten Beziehungen anknüpfte.

Jetzt spürte sein schnell fassender und zufassender Geist, daß der Dichter in Lebensgefahr schwebte, und er griff ein, um ihn zu retten.

»O großer König, o Herrscher!« sagte er. »Ohren glauben und vertrauen, – aber die Augen wissen! Laß eine Fackel die finstere Kammer erhellen! Schau selbst nach, denn kein Lebender schaut und durchschaut wie du! Überzeuge dich, ob der Mann dort ein Betrunkener ist, ob er ein Dichter ist.«

Das sagte er, weil er auf die liebenswürdige, entwaffnende Bezechtheit des Dichters rechnete.

»Ich will ihn sehen!« sagte Montezuma. »Wehe ihm, wenn er trank! – und wehe ihm, wenn er nicht trank! Doch wenn er ein Dichter ist, sei ihm beides verziehen!«

Der Zauberer nahm die Kienfackel aus der Mauerspalte und leuchtete, die rissige Türmatte emporhebend. Der König und der Tempel-Feger traten in das dunkle Gemach.


Obgleich nur wenige Äugenblicke seit dem Aufschrei vergangen waren, war der Spinner wieder in Schlaf gesunken. Der Tempel-Feger rüttelte und schüttelte ihn derb. Umsonst. Erst als der Zauberer einen Finger des Dichters mit dem brennenden Kienspan versengte, schnellte dieser aus dem Schlummer empor, rieb sich den Finger und starrte mit gläsernen Augen die Umstehenden an. Vergnügt lachte er vor sich hin.

»Das ist ein schöner Traum!« sagte er. »Der Zornige Herr kommt mich besuchen! So schön habe ich noch nie geträumt!«

Dabei blickte er immer nur den Tempel-Feger an, dessen Prachtgewandung und große Ähnlichkeit mit Montezuma ihn wohl täuschen mußten, trunken wie er war. Nach einer Weile fuhr er fort:

»Nun wünschte ich, ich brauchte nicht mehr zu erwachen. Dann täte ich etwas!«

»Was würdest du tun, wenn dein Traum sich fortspinnt?« fragte ihn der als Diener gekleidete Weltherr.

»Ei, ich würde dem großen Montezuma ein Lehrer sein, ein Lehrer der Freude!« flüsterte der Spinner dem Diener ins Ohr. »Doch das darf er nicht hören, denn er haßt ja die Freude!«

»Wie willst du ihn die Freude lehren?« fragte der Diener.

»Indem ich ihn trinken lehre. Ach, wenn mein Traum noch andauern würde, ich wollte aus Montezuma einen Lacher und Tänzer machen!«

Da lächelte Montezuma und sprach: »O Dichter, du Junger! Dein Traum soll noch lange währen, denn ich sehe, daß du ein Berauschter bist. Nun aber laß mich hören, ob du auch ein Dichter bist.«

Zwischen spinnwebgrauem altem Hausgerümpel, Kehricht und Geschirrscherben ausgestreckt, den rechten Arm auf eine käfigartige, rohrgeflochtene Rattenfalle gestützt, trug der Spinner seine Verse liegend vor, denn aufrecht stehen konnte er nicht. Mit leiser Stimme sang er:

»Eine kurze Spanne Zeit wollen wir uns ergötzen, wollen wir singen, Mag es unser Los auch sein, für immer zu scheiden, Hinwegzuschwinden von der Stätte unseres Wohnens.

Eine kurze Spanne Zeit mit unseren Freunden allhier Und nie mehr fortan vereinigt mit ihnen. Nie mehr fortan Werden wir gemeinsam genießen, nie mehr einander kennen.

Wissen meine Freunde, wie sehr es mich härmt und bekümmert. Daß sie nie zurückkehren, daß sie nie wieder jung werden auf dieser Erde?

Wo wird meine Seele weilen? Wo wird mein Wohnort sein? Wo wird mein Haus stehen? Elend bin ich auf Erden.

Kostbarkeiten wollen wir nehmen und durch die Finger gleiten lassen. Blaue Blüten wollen wir zwischen weiße Narzissen weben, Schöne Kinder damit zu behängen.

O daß mein Herz sich in eine Blume verwandelte, O daß mein Herz sich berauschte mit den Blumen, Eh ich hinwegziehe, weinend vor dem Angesicht Unserer Mutter, Die sich von Hirschherzen nährt.«

Als der Spinner sein Lied beendet hatte, war Montezuma so entzückt, daß er ihn einlud, jeden Abend zur Zeit des Sonnenunterganges sich im großen Palastgarten einzufinden: dort solle er ihn mit Gesängen zerstreuen und erheitern und sein Lehrer im Trinken sein.

Ungläubig und selig lachte der Dichter. Doch zum Danken hatte er nicht mehr Zeit. Denn obgleich er aus seinem Traum nie erwachen wollte, schlummerte er allzubald wieder ein.


Nachdem am nächsten Morgen der Spinner seinen Rausch ausgeschlafen, erfuhr er von Zacatzin, daß sein Traum kein Traum gewesen. Wie ein Nachtwandler war er an einem Steilabsturz hingeschritten, ohne zu straucheln, ahnungslos war er zum Günstling des Zornigen Herrn geworden.

Bei Sonnenuntergang begab er sich in die Rosengänge des Palastgartens. Und fast jeden Abend seitdem verbrachte er in Gesellschaft Montezumas, seiner Krüppel und Narren und einiger Auserlesener.

Zu diesen gehörte der Tempel-Feger. Die Gunst des Großkönigs hatte er sich erworben, als er ihm im Tierpark den mächtigen Holzkäfig – worin sein berühmter Gefangener, der Irdene Krug, gemästet worden war – als Geschenk darbrachte. Aber wenn damals zwar Montezuma den Flüchtling aus Huexotzinco an seinen Hof zog, so fühlte er sich doch anfangs ebensosehr abgestoßen wie angezogen durch seinen Doppelgänger. Die unheimliche Ähnlichkeit schreckte ihn immer wieder und hemmte ein Jahr lang jegliche Vertrautheit. Und trotzdem hatte er schon bei der ersten Begegnung sich schicksalhaft mit diesem Mann verknüpft gewußt und vorausgewußt, daß er ihn noch enger an sich binden werde.

Das war inzwischen geschehen, allmählich, und fast gegen Montezumas Willen. In kluger Voraussicht hatte der Tempel-Feger seine Zeit abgewartet und sich nicht vorgedrängt. Nachdem er aber beobachtet, daß der König Schutz vor dem Zorn der Götter beim Aberglauben suchte, verstand er es geschickt, aus dieser Geistesrichtung Vorteil zu ziehen, gab Ratschläge und machte sich unentbehrlich. Schließlich wurde er Herrscher über des Königs verängstigte Seele.

Er war es, der Montezuma zum alten Wahrsager geführt hatte. Und so verdankte Montezuma ihm ebenfalls die Bekanntschaft mit dem Spinner.

Jedoch schon nach wenigen Abenden und durchzechten Nächten fing die Begeisterung des Königs für den Dichter an, den Ränkespieler zu beunruhigen. Er sah, daß die Seele Montezumas ihm entglitt. Um den König beherrschen zu können, war er seinem Gaukelwahn nachgegangen und hatte unablässig die Flammen der Angst geschürt, statt sie zu löschen. Solange der König von Schreckensgespenstern verfolgt wurde, war er in seiner Hand.

Nun trieb der rauschselige Dichter bei Hofe sein Spiel und vertrieb die Gespenster. In seiner jugendhellen Nähe fühlte sich Montezuma wie von klarer Gebirgsluft umweht und durchheitert. Und er, der zeitlebens mäßig gewesen, wurde ein gelehriger Schüler des Trinkers. In der Berauschtheit wichen alle Nachtwolken vom Herzen.

Der Tempel-Feger beschloß, dem Spinner seinen glückstiftenden Becher aus der Hand zu winden. Wollte er aber den schwindenden Einfluß auf den Weltherrn zurückgewinnen, so mußte er dessen Besorgnis und Niedergeschlagenheit wach halten. Dazu fand sich bald Gelegenheit.

Eines Tages seufzte Tenuchtitlan auf wie ein Mädchen, das den Tod des Geliebten erfährt. Die Stadt inmitten des Sees legte Trauerkleidung an. Unbeglaubigt noch und dennoch von allen geglaubt war die Kunde, die reisende Kaufleute Tlatelolcos aus den Ostländern jenseits der Berge mitbrachten: festgenommen sei der Herabstoßende Adler in Sempoalla und von den Totonaken einer weißen Göttin geopfert worden, die weißen Götter aber seien auf dem Wege nach Mexico.

Der Tempel-Feger fand Gelegenheit, Montezuma allein zu sprechen, als dieser eben den kleinen Tempel der Trauer verließ, wo er vor dem Kristallschädel gekniet, gejammert und geweint hatte. Der Höfling hatte seinen Herrn noch nie so verstört, so zerschmettert gesehen. Der Augenblick war günstig. Unmerkbar führte er das Gespräch auf den weißen Kreuzträger Quetzalcoatl, der nach einem Jahrtausend zurückkehren wollte aus dem Lande Tlillan-Tlapallan. Die Zeit war um, das Schicksal erfüllte sich.

Der König seufzte –: daß man dem Schicksal nicht entgehen könne ...!

Diesen Gedanken griff der Tempel-Feger auf, hielt ihn fest, ließ hartnäckig nicht ab von ihm. Halb im Scherz äußerte er: ob man dem Verhängnis nicht doch entgehen könne? Freilich, falls die weißen Götter die Herren in Anahuac würden, sei hier nicht Bleibens mehr für Montezuma und die Mexikaner. Indes, es gäbe ja andere Welten noch außer dieser Erde, oberhalb und unterhalb der Erde. Jedes Kind kenne ja die Steinhöhle von Cincalco, die hinabführt in das Land der Nebel ...

Auch Montezuma wußte von der Höhle. Doch er wandte ein: kein Sterblicher sei bisher hinabgestiegen.

Der Tempel-Feger ließ den Einwand nicht gelten. Gewiß werde es beschwerlich sein. Doch er wisse, daß es Leute gebe, welche die Pfade ins Totenland oder in den Himmel der Sonne oder auch in die Höhle von Cincalco hinab zu beschreiten verstünden. Und wenn es erwünscht und nötig sei, werde es ihm glücken, hoffe er, seinem Herrn den Weg zu ebnen.

Die Seele Montezumas befand sich in einem Wirbel, war hinweggerissen von einem Meeresstrudel, hilflos, haltlos. Wie Ertrinkende zu tun pflegen, griff er ins Leere. An die Möglichkeit, die eine Unmöglichkeit war, klammerte er sich. Und er versprach dem Tempel-Feger den Tribut von eroberten Ländern, versprach, ihm jeglichen Wunsch zu erfüllen, falls ihm sein Vorhaben gelinge.

»Hast du einen Wunsch?« fragte er ihn.

»Ja«, entgegnete der Tempel-Feger. »Doch mein Wunsch ist ungewährbar und ist schwerer zu erfüllen als dein Wunsch, o großer König, o Herrscher!«

Montezuma bestand darauf, daß er seinen Wunsch nenne. Da sprach der Tempel-Feger:

»O großer König, o Zorniger Herr! Ich liebe die Prinzessin Perlmuschel ...«

Das war zuviel der Dreistigkeit. Dieser Flüchtling aus Huextzinco wagte das Auge zu erheben zur Schwägerin des Weltherrn, zur Schwester des Königs von Tezcuco. Ein unwilliger Blick strafte ihn. Doch kein unwilliges Wort. Denn Montezuma bedurfte seiner, wie ein Kranker des Heilmittels bedarf. Sollte es diesem Manne gelingen, ihm den Weg zu ebnen ins untere Reich, so daß er eine Zufluchtsstätte fände vor dem Unentrinnbaren, das sich näher und näher heranwälzte, ihn zu zermalmen – oh! kein Lohn wäre zu hoch! ...

Auch war ja Perlmuschel nicht bloß die Schwester Cacamas, sie war auch Schwester der Schwarzen Blume und Witwe des unglücklichen Prinzen Grasstrick, welchen er um des roten Blütenbaumes von Yuquane willen umgebracht. Sie und ihre Mutter, die Herrin von Tula, wurden neuerdings, seit Ohrring-Schlange heimlich Tenuchtitlan verlassen, wie Geiseln behandelt und bewacht. Ihre Hinneigung zur Schwarzen Blume enthob ihn von jeder Rücksichtnahme ...

Montezuma schwieg. Und sein Schweigen war ein Versprechen.


In der Nacht nach diesem Gespräch trank Montezuma unmäßiger als sein Lehrer, der Dichter. Montezuma war schwer betrunken. Auf die zarten Verse des Spinners hörte er nicht mehr, er hörte nur noch auf die Einflüsterungen seines unheimlichen Doppelgängers. Das Gelage fand auf dem blumenbewachsenen Dache eines Gartenhäuschens statt, und auch die Krüppel und Narren des Königs nahmen teil daran. Feingliedrige nackte Mädchen und Tänzer reigten auf den Wiesen ringsher. Doch Montezuma sah sie nicht.

Und als die Muscheltrompeten von der Schlangenberg-Pyramide herab die Mitternacht verkündeten, gab der trunkene König den Befehl, vier Sklaven zu schlachten, ihnen die Haut abzuziehen und sofort ihm die vier Menschenhäute zu bringen. Der Befehl wurde rasch ausgeführt. Ein Priester, schwarz bemalt, mit einer Knochenrassel in der Hand, brachte die vier Menschenhäute, legte sie vor dem König nieder und entfernte sich stumm.

Und Montezuma trank mehr und mehr, und sinnlos betrunken war er, als er zum Dichter und zu seinen Krüppeln und Narren sprach:

»O meine Söhne, nun weiß ich, wie wir dem Schrecklichen entfliehen. Durch die Berghöhle von Cincalco steigen wir hinab zum König Huhemac, der einstmals ein König von Tula war. Und wenn wir hinabkommen in sein Reich, werden wir nie sterben, denn Speisen gibt es dort und Kräutertränke wie hier auf Erden, und schöne Rosen, weiß wie Knochen, wachsen dort und die Jaguarblume und die Blume, welche das kleine alte Weibchen heißt. Die Bewohner dort essen von so süßen Früchten, daß sie die glücklichsten Wesen aller Welten sind.«

Und als Montezuma dies gesprochen, äußerten die Krüppel und Narren ihre Zufriedenheit, obgleich ihre Glieder vor Schrecken schlotterten, denn Huhemac war ein König der Toten. Und sie hüpften umher und riefen: sie freuten sich, dem König Huhemac Gesellschaft zu leisten ...

Da kamen Diener und meldeten dem König: der alte Zauberer, nach welchem er gesandt, sei gekommen. Und Montezuma befahl, ihn auf das Dach des Gartenhauses zu führen.

Zacatzin warf sich vor dem betrunkenen König zu Boden, küßte ihm die türkisenen Sandalen.

»O großer König, o Herrscher, was befiehlst du?« fragte er.

Und Montezuma sprach:

»Als meinen Boten sende ich dich zum König Huhemac, und als ein Geschenk von mir wirst du ihm diese vier Menschenhäute überbringen. In den unterirdischen Palast von Cincalco sollst du hinabsteigen, dem König Huhemac die Hände küssen und ihm sagen: Montezuma, dein Knecht, sendet dir diese Gewandung und bittet, bei dir wohnen zu dürfen als dein Hausflur-Feger.«

Dem Geheiß des betrunkenen Montezuma Einwände entgegenzuhalten, wäre Wahnsinn gewesen. Gehorsam entfernte sich Zacatzin, wanderte nach der Höhle von Cincalco, welche unweit von Chapultepec auf einer Bergspitze ihren Eingang hatte.

Als er aber nach vielen Stunden beim Morgengrauen zum Großen Palast zurückkehrte, wurde er nicht mehr vorgelassen. Denn der Herr der Herren schlief seinen Rausch aus.


Da begab sich der alte Zauberer zur Wohnung seines Freundes Feuer-Juwel. Trotz der frühen Stunde war der Annalenschreiber schon auf, er pflegte mit der Sonne aufzustehen. Sein Gelehrtenzimmer, wo er den Wahrsager empfing, war angehäuft mit alten Chroniken, Sammlungen heiliger Gesänge und astronomischen Werken. Jeder dieser Codices war eine farbige Bilder-Handschrift, zusammengefaltet nach Art einer Ziehharmonika. Manche auf Hirschhaut-Pergament, andere auf körniges, gelblich-weißes Agavefaser-Papier gemalt. In einem offenen Wandschrank befanden sich auch unschätzbare, aus Ruinen von Gräberstädten herstammende toltekische Altertümer. Der gelehrte Annalenschreiber war ein eifriger Sammler von Fundstücken aus alttoltekischer Zeit.

Nachdem Zacatzin ihm erzählt, welchen unausführlichen Auftrag ihm der trunkene König gegeben, sagte Feuer-Juwel:

»O Zauberer, sage mir: warum kehrtest du in den Palast zurück? Wolltest du den großen Montezuma belügen ? Denn in die Höhle von Cincalco stiegst du nicht hinab.«

»Alle Worte sind Bilder!« entgegnete Zacatzin, auf die Rede anspielend, die Feuer-Juwel dem Heilbringer Quetzalcoatl in den Mund gelegt. »Wenn ich ein Bild des Todes male, so weiß der Gott von Tlillan-Tlapallan, daß ich nicht lüge. Denn seit mir befohlen ward, zu König Huhemac hinabzusteigen, weile ich bei König Huhemac. Ob ich nach rechts blicke oder nach links, ich sehe König Huhemac vor mir. In einem brennenden Boot sitze ich: wenn das Feuer mich nicht verschlingt, so verschlingt mich das Wasser!«

Der Annalenschreiber sann nach und sprach:

»Wenn der Zornige Herr erwacht, so weiß er nicht mehr, was er in der Trunkenheit befohlen!«

Zacatzin schüttelte den Kopf:

»Der Tempel-Feger wird ihn erinnern. Er war es, der dies ihm eingeflüstert, er war es, der schon vordem Montezuma zu mir geführt. Der Listenreiche glaubt seinen Plänen zu dienen und dient doch nur meinen! ... Ein Fremdling ist er in Anahuac, sein Herz liebt Anahuac nicht. Mein Herz aber hängt am Land der Seen wie ein Kind an seiner Mutter! ...«

Und mit auffunkelnden Augen sprach der alte Zauberer von seiner Liebe zu Anahuac, dem Gefilde am Wasserrande. Nicht Mexico, nicht Tezcuco, nicht Tlacopan galt seine flammende Hingabe, sondern der Gemeinsamkeit der Länder an den Ufern der Gewässer. Ihre Bewohner hatten die gleiche Zunge, die gleiche Abstammung, den gleichen Glauben. Durch Eifersucht gespalten und geschwächt, wurden sie jetzt an einen Abgrund geführt durch einen haltlosen König. Nicht die kleine Schar weißer Götter war das hereinbrechende Unheil, sondern die Unstetigkeit, das frevelhafte Schwanken Montezumas. Er aber hatte seit lange die Angstrufe Anahuacs, seiner Mutter, gehört, und ihr ein Helfer zu sein, hatte er sich in Tenuchtitlan niedergelassen und gewartet, daß Montezuma ihn suche. Das sei nun geschehen. Und auserwählt von den Bewohnern des Himmels, dem schwächlichen König das Gewissen zu wecken, werde er vor nichts mehr zurückschrecken, werde vollführen, wozu er durch Götterspruch sich berufen fühle ...

Die Glut dieser Rede setzte den Annalenschreiber in Staunen. Wer war der Alte? Niemand wußte, von wo er herstammte. Den Schleier, der seine Vergangenheit umhüllte, hatte er nie gelüpft. Bei den Zusammenkünften mit dem Spinner hatte er wohl hie und da ein kluges Wort ins Gespräch fallen lassen wie ein Goldkorn, war aber doch nie aus seiner geheimnisreichen Zurückhaltung herausgetreten. Und nun legte er rückhaltlos sein Herz offen, zeigte, daß es litt und wund war.

Feuer-Juwel liebte Anahuac, dachte wie der Zauberer. Magisch hingezogen zu ihm, wußte er sich rätselhaft verbunden mit ihm. Und als Zacatzin, Abschied nehmend, ihn um ein unschätzbares alttoltekisches Gefäß bat, schlug er es ihm nicht ab. Aus gehämmertem Gold war das Trinkgefäß und stammte aus einem Grabhügel bei Tula, der Sagenreichen Toltekenstadt.


Unter dem Mantel verborgen trug Zacatzin das Kleinod in seine Bettlerwohnung im Stadtviertel Cuepopan. Und tagsüber wartete er, daß Montezuma ihn holen lassen werde, um von ihm Aufschluß zu erhalten über das Land der Nebeltoten. Der Tag verging, doch in den Palast gebeten wurde Zacatzin nicht. Der Herr der Herren schlief seinen Rausch aus.

In der darauffolgenden Nacht meldete der blinde Knabe dem Wahrsager, daß die beiden vermummten Fremden wieder um Einlaß bäten. Er empfing Montezuma im Lichthof, wo das unverlöschliche Feuer auf dem Hausherd rötlich flackerte. Der Tempel-Feger, der erst mit eingetreten war, verließ auf einen Wink des Königs den Lichthof.

Nachdem Zacatzin sich zu Boden geworfen und den Mund an die Türkis-Sandalen des Königs gelegt hatte, bewillkommte er mit einem Segensspruch den hohen Gast.

Montezuma forschte ihn aus:

»O kluger Zauberer, du Alter!« sagte er, »bist du hinabgestiegen in die Höhle von Cincalco? Hast du dem König Huhemac die vier Menschenhäute überbracht von mir? Hast du ihn gefragt, ob ich wohnen darf im Haus der Glückseligkeit, seinem unterirdischen Schloß, als sein Hausflur-Feger?«

Und Zacatzin gab Bericht über seine Höllenfahrt:

»O großer König, o Zorniger Herr! Ich stieg hinab in die Höhle von Cincalco, wie dein Mund es mir befohlen. Und der Weg spaltete sich in vier Wege, ich aber wählte den engsten Pfad, der am steilsten hinabführt in die blaue Hölle. Und tiefer und tiefer stieg ich hinab, da kam mir ein Mann entgegen, auf einen Stab gestützt. Und der Mann nannte sich Felsengesicht. Blind war er und hatte in den Augenhöhlen winzige Spitzen von Strohhalmen statt der Augen. Und Felsengesicht fragte mich: wes Weges ich ginge? Und als ich ihm gesagt, daß ich von Montezuma ein Sendbote sei an den König der blauen Hölle, führte er mich durch den Wald der Hölle, und er führte mich vor den König Huhemac. Auf einem Thron aus weißgebleichtem Gebein saß Huhemac und war gekleidet in ein Gewand aus Gras, auch sein königliches Stirnband und sein Kopfputz waren aus Gräsern geflochten: – denn Gräser welken schnell wie die Menschen dahin.

Und Huhemac fragte:

›Von wannen kommst du, Mensch? Was begehrst du, Mensch?‹

Darauf meldete ich ihm, daß du, o großer König, mir aufgetragen, ihm die Hände und Füße zu küssen und ihm die vier Menschenhäute zu überbringen als ein kleines Geschenk von dir und ihn zu fragen, ob er dich wohnen lassen werde im Hause der Glückseligkeit, seinem unterirdischen Schloß, als sein Hausflur-Feger.

Da rief Huhemac aus:

›Armer Montezuma! Ist seine Pein so groß? Sucht er Schutz im Haus des Vergessens, in der dritten Hölle ? Glaubt er bei mir Zuflucht zu finden, er, der auf Warnungen nie gehört? Sein Oheim, der Herr des Fastens, hat ihm die Nebelwolke unter den Gestirnen gezeigt. Weiß Montezuma nicht, was die Wolke bedeutet? Will er's von mir erfahren? Doch was denkt Montezuma? Denkt er hier herrschen zu können wie in der oberen Welt? Tanz und Gesang sind hier nicht wie droben. Er würde fliehen, erblickte er mein Haus, keinen Tag würde er hier weilen. Doch mag er kommen, wenn sein Herz ihn treibt, mag er kommen, daß ich ihm die weiße Wolke zwischen den Gestirnen deute und ihm zeige, was ihm droht. Bring ihm diesen Trank, daß er ihn trinke. Denn ohne diesen Trank gelangt er nie zu mir.‹

Und als er dies gesprochen, reichte er mir dies Gefäß, daß ich es dir überbringe, o großer König, o Herrscher!«


Der Zauberer hatte seinen Bericht beendet. Montezuma saß sinnend auf einem Schemel, brachte lange Zeit kein Wort hervor. Dann fragte er nach dem Gefäß, ließ es sich zeigen.

Aus gehämmertem Gold war das Gefäß, angefüllt mit einem duftenden Kräutertrank.

»Ich will hinab zu Huhemac!« sprach Montezuma. »Wann soll ich den Trank trinken?«

»O großer König! Trinke, wenn die Stunde günstig ist. Ob jetzt die Stunde günstig ist? Ich will es das Herdfeuer – den alten Herrn – fragen!«

Und Zacatzin trat zum Hausherd, der würfelförmig, aus drei Quadersteinen erbaut, sich in der Mitte des Hofes befand. In das rote Herdfeuer warf Zacatzin drei Kakaobohnen. Niederfallend flammten sie bläulich auf. Und dies war ein Zeichen, daß das Feuer – der alte Herr – die Frage bejahte. Im Feuerherd lebte ja der alte Feuergott, der Türkisherr, der Herr mit dem gelben Gesicht.

Da trank Montezuma den Kräutertrank des Königs der Toten.


Vor den Augen Montezumas war schwarze Nacht, denn er war in die Höhle von Cincalco eingetreten. Und obgleich er nichts sah außer Finsternis, wußte er, daß der alte Zauberer neben ihm war und ihn hinabführte. Und der Weg spaltete sich in vier Wege, und der Zauberer schritt voraus, wählte den engsten Pfad, der am steilsten abstürzte in die blaue Hölle. Und tiefer und tiefer stiegen sie, bis ein bläulicher Lichtschein ihnen entgegendämmerte aus den Tiefen der blauen Hölle. Und heller ward der Lichtschein und war doch nur ein matter Schimmer, als sie angelangt waren auf der Flur des Landes ohne Sonne. Keine Straßen und Gassen gab es dort, keine Fußpfade und Wegweiser, traurig blühten die Rosen dort, weiß wie Knochen. Zurückfliehen wollte Montezuma und konnte nicht. Und er hörte die Stimme des Zauberers neben sich, der fragte: »Siehst du den Todesboten, den Affen mit dem Schädelkopf?« Voll Entsetzen wandte sich Montezuma um, wollte und konnte nicht fliehen. Ein großer Affe, dessen Kopf ein weißgeblichener Schädel war, sprang auf ihn zu, bedrohte ihn mit bleckendem, weit aufgerissenem Kiefer, versperrte ihm den Rückweg. Und der Zauberer drängte, weiter, immer weiter zu schreiten. Und ihnen entgegen kam, auf einen Stab gestützt, jener Mann, der sich Felsengesicht nannte. Blind war er und hatte in den Augenhöhlen winzige Spitzen von Strohhalmen statt der Augen. Und der Mann fragte sie, wohin sie gingen. Und als der Zauberer zur Antwort gegeben, sie suchten den König Huhemac, führte sie der Blinde. Nebel wogten auf und ab, weiße Nebel umringten und umdrängten Montezuma. In den Nebeln, mit den Nebeln umschwebten ihn die Nebeltoten. Und wieder hörte er die Stimme des Zauberers neben sich, der fragte: »Erkennst du die acht stolzen Gestalten dort nicht? Die Könige, deine Vorfahren, sind es, sie, die Mexico groß gemacht haben!« – Und Montezuma sah, daß acht Gestalten abseits schwebten von den anderen Nebeltoten, und näher kamen sie und umringten ihn von allen Seiten und hoben die Fäuste gegen ihn. Und er erkannte seinen Vorgänger König Molch, den Vater des Herabstoßenden Adlers, verzerrt vor Wut und Trauer war sein Antlitz. Fliehen wollte Montezuma und konnte nicht. Und er sah seinen Vater König Wassergesicht und König Himmelspfeil und König Obsidian-Schlange und die früheren Könige alle. Und einige streckten den Zeigefinger aus nach ihm, und andere ballten ihm die Fäuste entgegen, und dräuend und jammernd riefen sie: »Elender Montezuma, warum vernichtest du unser Werk? Du bist der Tod, du bist der Moder, du bist der Verfall für die Mauern, die wir aufgerichtet, für die Tempel, die wir geschmückt, für die Herzen, die wir stark gemacht! Der schönen Blüte Mexico waren wir der Sommerwind, und in deinem Herbststurm muß sie entblättern! ...« Da verhüllte Montezuma mit den Händen sein Antlitz. Und Felsengesicht, der blinde Totendiener, nahm ihn bei der Hand, zerrte ihn fort und brachte ihn vor den König der Toten. Auf einem Thron aus weißgebleichtem Gebein saß der Fürst der Toten und war gekleidet in ein Gewand aus Gras, auch sein königliches Stirnband und sein Kopfputz waren aus Gräsern geflochten. Und vor ihn hintretend, gewahrte Montezuma, daß nicht König Huhemac dort saß, der dort saß, war kein anderer als sein eigener toter Bruder Prinz Grasstrick – er, den er aus Liebe zur roten Blume von Yuquane hatte fangen und opfern lassen. Seine Brust klaffte weit und blutig, und kein Herz war in der Brust.

Auf die Knie stürzte Montezuma, küßte Hände und Füße dem König der Toten, seinem unglücklichen Bruder. Und stammelnd sprach er:

»Ich ließ dir vier Menschenhäute überbringen als ein kleines Geschenk von mir. Laß mich wohnen in deinem Palast als dein Hausflur-Feger! ...«

Der Schatten auf dem weißen Knochenthron rührte sich nicht. Aber aufrecht neben ihm stand ein Greis und gab für ihn Antwort. Und als Montezuma dem Greis ins Antlitz sah, erkannte der den dahingeschiedenen König von Tezcuco, seinen tiefsichtigen Oheim und Feind, den Herrn des Fastens. Da erbebte Montezuma.

Der Herr des Fastens sprach:

»Wer ist dieser Montezuma? Ist es nicht der Schänder Mexicos? Watet er nicht durch Blut, seit er das blaue Stirnband trägt? Hat er nicht um einer Blume willen seinem Bruder die Brust aufgerissen? Erwacht er nun endlich? Hat ihn die Furcht gepackt? Das Verderben ist nicht mehr aufzuhalten – zu viel Blut hat er vergossen. Die Götter haben sich abgekehrt von Mexico, sie haben die Königin aller Städte verlassen – wie will er sie zurückrufen? Durch neue Verbrechen etwa? Hat er nicht eben erst den Herabstoßenden Adler ausgeschickt, eine Ruhmestat zu vollbringen? Wo weilt der Herabstoßende Adler jetzt, der Liebling Mexicos? Die Jubelrufe der Mädchen Mexicos waren des Jünglings Verderben! Wenn der beste Sohn Mexicos nicht zurückkehrt, kehren auch die Götter nie mehr zurück! ...«

Montezuma schrie auf. Sein Herz blieb stehen. Er erstickte vor Grausen, erstickte im Schleierdunst der Nebelwolken, die ihn dichter und dichter umhüllten und andunkelten, bis er nichts mehr sah. Er rang nach Atem, er erblickte den gräßlichen Thron nicht mehr, die Augen verweigerten ihm den Dienst. Als er wieder sehen konnte, als die Nebelwolken sich zerteilten, befand er sich im Lichthof der Wohnung des Zauberers. Auf dem Hausherd qualmten und schwelten Weihrauchkörner.

Finster, ohne ein Wort zu sprechen, verließ der König das Haus, als könne er nicht schnell genug aus dem Reich und dem Bereich der Toten flüchten.


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