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Viertes Buch

Als das kastilische Heer von der Meeresküste aufgebrochen war, um dem freigebigen Montezuma in seiner Hauptstadt Mexico einen Besuch abzustatten, ritt der Hauptmann Diego de Ordas an der Spitze des langen Zuges. Er war ein mittelmäßiger Reiter, und seine magere, unfruchtbare Grauschimmelstute war ein ungern trabendes Pferd, doch die Sporen, mit denen er sie umklammert hielt, spornten mit ihrer auch seine eigene Tatenlust an, die schwellend wie der Trotz, oder wie Hochwasser, durch Widerstände wuchs. Hundert Schritte seinen Kameraden voraus ritt er, und hundert Meilen seinem Leib voraus ritt sein Geist. Wahrlich, er hatte Eile. War ihm doch tags zuvor von einem reisenden indianischen Händler – einem der vielen, die die halbfertige Stadt Vera Cruz zu bewundern kamen – ein Smaragd angeboten worden, und als er, mit brillantierten Glasperlen ihn bezahlend, nach der Herkunft des Edelsteines geforscht, hatte der Indianer gen Westen gewiesen: »Vierzig Sonnen westwärts« – so glaubte der Hauptmann ihn verstanden zu haben –, »vierzig Sonnen westwärts ragt ein grüner Fels zum Himmel empor, der ist ein einziger, riesenhafter Smaragd ...«

Dies Geheimnis verriet Ordas seinen besten Freunden nicht und verschwieg es sogar der Dona Isabel de Ojeda, wie sehr er sie auch sonst mit seiner väterlichen, verstiegenen, seraphischen Liebe betreute.

Ein Smaragdfels!

Mein Gott, wenn er ihn fände! ... Damit ließe sich das Heilige Grab den Moslemen abkaufen! ...

Schwierig würde es freilich sein, ihn ungebrochen an die Küste zu schaffen ... Auch ihm mit Schmirgel Facetten anzuschleifen, würde wohl schwierig sein ...

Allein schon die Abfälle beim Schliff wären Königreiche wert.

Nicht nur ausgesöhnt war Ordas mit dem General-Kapitän, nicht nur aus seinem Feinde sein Freund geworden. Er war Cortes sogar tief dankbar, daß er ihn an die Kette gelegt und durch die Einkerkerung auf dem Schiff seinen verwilderten, am Nichtstun krankenden Geist zur Vernunft gebracht hatte. Sich selbst diese Wohltat zu erweisen, hätte er nicht vermocht, das fühlte er.

Und nun war seiner Phantasie ein strahlendes Ziel gesetzt.

Darum hatte er es eilig und ritt allen Kameraden voran – dem Smaragdfels entgegen.

Dem Smaragdfels entgegen!


Die Vorhut bildeten Armbrustschützen und Musketiere. Es waren einige siebzig Mann, und viele von ihnen hatten schon in Venezuela und am Darien, andere auf Kuba und bei den Expeditionen von Cordova und Grijalva sich Narben und Ruhm erworben: so Juan Benitez, den man mit Recht das Auge des Heeres nannte, da er ebenso umsichtig war wie scharfsichtig und einem fliegenden Falken durch beide Augen schießen konnte. Dasselbe galt vom Bogenschützen Pedro de Guzman, einem der besten Soldaten des Heeres. Da war ferner Bernaldino de Coria, Alonso Hernandez aus Palo, der auch einen Bruder und einen alten Oheim bei der Infanterie hatte, dann der vornehme Büchsenspanner Juan de Najera – ein Hidalgo, verschmähte er es nicht, eigenhändig seine Pfeile mit Federn und Spitzen zu versehen und Nuß und Sehne instand zu halten. Sebastian Rodriguez, im Nebenberuf Trompeter, und sein Freund Peñalosa waren gleichfalls ausgezeichnete Armbrustschützen, und ebenso ein gewisser Arroyuelo und der alte Santisteban.

Dieser Santisteban war einer der drei Überlebenden des Gemetzels beim Hafen Matanzas auf Kuba. Dreißig Kastilier und zwei Kastilierinnen waren dort gestrandet, und durch den Schiffbruch angelockte Indianer hatten sich freundlich erboten, sie in Kanoes über den Fluß zu setzen. Mitten auf dem Fluß metzelten die Indianer die Wehrlosen nieder und ließen nur die beiden Frauen und drei der Männer am Leben, nämlich den alten Santisteban, Pedro Sanchez Farfan den Weißhändigen und Gonzalo Mejia Rapapelo, den Enkel der Räuberin. Die schönere der beiden Frauen, des Sanchez Farfan vor kurzem erst angetraute junge Gattin, wählte der Häuptling sich zum Kebsweib. Die drei Kastilier wurden an andere Häuptlinge verschachert und lernten als weiße Sklaven die Kehrseite des Sklavenhandels kennen: denn ihr Schiff war zu einer Sklavenjagd ausgesegelt, als es strandete. Ein Jahr später war es Cortes gelungen, Santisteban, Farfan und Rapapelo aus der Hand ihrer Peiniger zu befreien. Die beiden Frauen aber waren nach der Tierra firme hinübergerudert worden, ihre Spur blieb unauffindbar.

Noch zwei Arkebusiere verdienen Erwähnung: Vaena aus Trinidad, jener Scharfschütze, dem Cortes für die Goldborte eines Galakleides seinen Rappen Romo eingetauscht hatte, die Goldborte trug er noch immer in der Wamstasche versteckt. Und ein gewisser Pedro Lopez, der hatte den Ruf eines Rüpels, zugleich aber auch den eines trefflichen Schützen. Einer der wenigen war er, die zum unbeliebten, rüden Hauptmann Alonso de Avila hielten.

Pedro Barba, der Hauptmann der Armbrustschützen, bis vor kurzem noch Vizestatthalter und Stadtkommandant von La Havanna auf Kuba, hatte, als er Cortes – statt ihn in Ketten zu legen – den Haftbefehl des Gobernadors Diego Velazquez aushändigte, nicht mehr Zeit gehabt, sich vor der Einschiffung ein Pferd zu kaufen. So schritt denn auch er, wie seine Truppe, zu Fuß nach Mexico.

Angeführt wurde die Vorhut von drei Reitern. Außer Diego de Ordas, dem voraneilenden, waren dies der Hauptmann Francisco de Lugo und der jüngst zum Capitan ernannte Gonzalo de Sandoval. Seit dem Wettrennen auf den Sanddünen hatten Sandoval und sein dunkelbrauner Hengst Kotilla sich viel neue Gunst erworben. Das Heer liebte den pflichttreuen Jüngling, Cortes schätzte ihn. Unverändert bescheiden war wie damals sein breites, ernstes Gesicht, und der kleine herabhängende Schnurrbart verriet noch nicht den werdenden Helden.

Auch zwei Hunde trabten neben, vor oder hinter den Armbrustschützen her und umkreisten sie, als wären sie eine Herde Schafe. Der eine war jener begeisterte Jagdhund, der dem Grijalva am kaninchenreichen Terminos-Hafen entlaufen war und den dann auf der Rückreise Alvarado so wohlbeleibt wiederfand, daß er wie Metall vor Fettigkeit glänzte und kaum noch sich bewegen konnte. Die Hungerzeit an den Sanddünen von Vera Cruz hatte ihm inzwischen seine natürliche Gestalt wiedergegeben. Er hieß Moro.

Der andere Hund, eine dänische Dogge, gehörte dem Hauptmann Francisco de Lugo und war sein Stolz wie auch der Stolz des ganzen Heeres. Denn der Hund hatte einen fürstlichen Stammbaum: er war ein Enkel des großen Hundehelden Becerrico.

Mit Leonel de Salinas, seinem Herrn, war jener Hund Becerrico nach den Antillen gekommen und hatte sich bald als hervorragender Sklavenfänger erwiesen. Von den Indianern wurde er für einen abgerichteten Puma gehalten, sein Anblick allein nahm ihnen Mut und Kraft, sich zur Wehr zu setzen. Bei Scharmützeln sprang er den Feinden an die Gurgeln und erwürgte in kurzer Zeit mehr Karaiben, als zehn Spanier im selben Zeitraum zu töten vermochten. Doch verstand er es auch, ganze Indianerhaufen unverletzt einzufangen. Man rühmte ihm nach, er könnte bewaffnete von unbewaffneten, kriegerische von friedlichen, feindliche von befreundeten Indianern unterscheiden. Seiner Kriegstaten wegen wurden diesem Tier menschliche Ehren erwiesen. Während die Krone von Kastilien ein Fünftel aller Beute zugewiesen bekam, erhielt der Hund anderthalb Teile. So wurde der Hund zum Sklavenhalter und war auch Besitzer von Land. Sein Herr verwaltete die Güter in des Hundes Namen.

Die guten Eigenschaften des Becerrico vererbten sich auf seine Tochter, die Hündin Leoncico, die mehr als zweitausend Golddukaten erwarb.

Der Hund des Hauptmanns Francisco de Lugo war ein Sohn dieser Hündin Leoncico und hieß, wie sein berühmter Großvater, Becerrico. So edles Geblüt berechtigte zu allen Hoffnungen, nur seiner Jugend war es zuzuschreiben, wenn er bisher keine Ruhmestaten vollbracht.

Hauptmann Lugo schätzte den Stammbaum seiner Dogge um so höher ein, als er selbst der Bastard eines verarmten kastilischen Kavaliers war.


Cortes hatte Befehl gegeben, ein Stück Weges am Strande entlang nach Süden zu ziehen, wo die Dünen sich verflachten und wo es leichter sein würde, die Artillerie und den Troß hinüberzubringen, bei einer einsam dort stehenden Federpalme sollte das Heer nach Westen abbiegen.

Die Vorhut näherte sich der Stelle.

»Warum hält Ordas?« fragte der vornehme Najera die anderen Büchsenspanner.

»Sein Grauschimmel ist wohl schon außer Atem!« meinte der alte Santisteban.

»Nein, der Hauptmann wappnet sich«, sagte Rodriguez. »Er setzt sich den Helm auf und läßt das Visier herab. Da muß ein Feind sein. Ich will in die Trompete stoßen.«

Und Rodriguez ließ auf seiner lilienförmigen Kupfertrompete einen schmetternden Warnungsruf ertönen.

Die Hauptleute Lugo und Sandoval kamen nach vorn galoppiert und fragten, was geschehen sei. Der alte Santisteban zeigte auf Ordas, der die Hülle vom Schild genommen hatte und mit eingelegtem Speer sich eben zum Sturmangriff anschickte.

»Da sind keine Rothäute«, bemerkte Lugo.

»Was liegt dort für ein schwarzer Klumpen am Meer ?« fragte Sandoval.

»Vielleicht ein Wrack?« meinten einige.

Doch Juan Benitez, den man das Auge des Heeres nannte, schüttelte den Kopf.

»Das ist ein Fisch – groß wie Jonas' Fisch«, sagte er.

Lugo brach in helles Lachen aus.

»Schaut doch!« rief er. »Don Diego hält den Fisch für einen Meerdrachen und will ihm mit seinem Speer den Todesstoß versetzen!«

Alle lachten. Nur der Rüpel Pedro Lopez verzog keine Miene und knirschte einen Fluch über den narrenhaften Wolkenritter.

Als man zur Palme gekommen war, erwies es sich, daß Juan Benitez richtig gesehen hatte. Der schwarze Klumpen war ein toter Walfisch. Ordas hatte ihm seinen Speer tief in die Brust gebohrt und kniete jetzt am Strand, um den Schaft im Meerwasser abzuspülen, denn der Tran des halbverwesten Pottwales roch scheußlich.

Der Drachenkampf trug Ordas viel Spott ein.

»Ihr fragt nach Andromeda?« sagte er zum schmunzelnden Hauptmann Lugo. »Aber beweist mir doch erst, daß es in diesem Lande keine Drachen geben kann!«

Und da Lugo ihm den Beweis schuldig blieb, ritt er melancholisch weiter, immer hundert Schritt voraus, dem Smaragdfels entgegen.


Das Heer schlug nun den Weg nach Westen ein. Jenseits der Dünen breitete sich zunächst eine öde steinige Ebene hin. Der Marsch durch diese Wüste war wenig reizvoll, war qualsam in der blanken Junisonne. Für den Mangel an Wiesenwasser und Vegetation entschädigte jedoch der überwältigende Anblick der sich in der Ferne emportürmenden Kordilleren-Kette.

Nach der Vorhut war das Gros des Heeres und schließlich, nicht ohne Mühe, auch die Artillerie und der Troß – vorgespannt waren Indianersklaven aus Kuba und Negersklaven, Peitschen knallten – über die Düne in die Ebene gekommen. Als einer der letzten, bloß in Begleitung seines neugewonnenen Freundes Juan Velazquez de Leon und eines Pagen, ritt Cortes hinter der Nachhut und überblickte, wo jetzt die Fernsicht unversperrt sich dehnte, zum erstenmal den beängstigend hohen schneeigen Bergwall, den es zu übersteigen galt, um nach Mexico zu gelangen. Zwei gletscherweiße Spitzen vor allem, der später von den Spaniern Cofre de Perote genannte erloschene Vulkan im Norden und der noch höhere Orizaba im Süden, fesselten das Auge. Neben dem siebzehntausend Fuß hohen Orizoba erschienen alle Berge, die Cortes in seiner Heimat gesehen, wie mäßige Hügel.

Zu Velazquez de Leon gewandt, äußerte Cortes:

»Gleich beim ersten Schauspiel, das sich uns bietet, wird die Alte Welt von der Neuen in den Schatten gestellt! Die kaiserlichen Kartographen werden begierig sein, den Namen dieses Ungetüms zu erfahren. Ob der Berg wohl einen Namen hat?«

»Der Berg dort im Süden heißt Citlaltepetl, Euer Gnaden!« sagte der Page. Er war der Sohn eines Infanteristen und war ein wunderhübscher Knabe von zwölf Jahren.

»Wie?« sagte Cortes. »Sitapepe? ... Der Teufel hat diese Sprache erfunden, um uns zu foppen!«

»Euer Gnaden sprechen es falsch aus. Nicht Sitapepe, sondern Citlaltepetl – das bedeutet Sternberg. Citlalin heißt nämlich Stern, und Tepetl heißt Berg.

»Schau mal an, kannst du Mexikanisch?« fragte Cortes lachend. »Wer hat dich das gelehrt?«

»Doña Marina«, antwortete der Page.

Cortes wurde nachdenklich. Nach einer Weile sagte er zu Velazquez de Leon:

»Ich selbst habe es versucht, habe es aber aufgegeben. Die Sprache lernt kein Erwachsener. Auch Marina beherrscht sie nur, weil sie es als Kind gelernt. Nun haben wir bloß sie als Dolmetscherin. Was sie uns wert ist, hat uns jeder Tag gezeigt. In künftigen Tagen wird sie uns erst recht unentbehrlich sein. Es könnte ihr aber etwas zustoßen, sie könnte erkranken – was Gott verhüte! ... Ich denke daher, es wäre angebracht, diesen Knaben das Mexikanische gründlich erlernen zu lassen.«

»Euer Gnaden muß ich zustimmen«, bemerkte Velazquez de Leon. »Gehirne der Kinder sind wie Wachs, ihre Ohren lassen mehr ein als unsere Augen. Ein Kind lernt solch eine Teufelssprache spielend. Und der Orteguilla zeigt Lust und Begabung hierfür. Wenn wir in die Stadt Sempoalla zum dicken Kaziken kommen, so sollte man ihm den Knaben in die Lehre geben.«

Cortes nickte und winkte dem Pagen, ihm rasch zu folgen. Dann ritt er an den Troß heran.

Die Frauen des Heeres gingen zu Fuß. Nur eine, die reiche Abenteuerin Maria de Estrada, hatte, als die Karavelle mit der Botschaft des Heeres an Kaiser Karl nach Europa absegelte, den Rappen des Puerto Carrero erstanden und hatte auch für die Bezahlung einiger Spielschulden des Montejo sich dessen Stahlpanzer und Helm schenken lassen. Sie ritt kampflustig weit vorn im Gros des Heeres unter den Reitern und Hauptleuten. Die anderen Frauen aber schritten hochgeschürzt und der Hitze wegen halb entkleidet, mit breiten strohgeflochtenen Federhüten auf den Köpfen und Bündeln auf dem Rücken, mitten im Troß dahin, die adligen Damen Doña Francisca de Valtierra, Isabel de Ojeda und Maria del Rincon nicht ausgenommen.

Von zwei Negersklaven aber wurde in einer – aus Kassavebrot-Kisten vom Tischler Cristobal de Jaén roh gezimmerten – Sänfte die Sklavin Marina getragen. Das hatte Cortes angeordnet, auf daß sie nicht ermüde, nicht erkranke, nicht in die Gefahr komme, von Dornen oder einer Schlange gestochen zu werden. Sie war ja unersetzlich. Und da er den Neid der zu Fuß gehenden Damen und ihrer Liebhaber befürchtete, hatte er einem seiner vornehmsten Soldaten, dem reichen und nicht mehr jungen Juan Pérez Arteaga, Befehl erteilt, nie von ihrer Sänfte zu weichen und ihr Beschützer, Oberhofmeister, Diener und Gesellschafter zu sein.

Jetzt war er an ihre Sänfte herangeritten und sagte ihr, daß der Knabe Orteguilla sie fortan als Page bedienen werde. Dafür sollte sie ihn Mexikanisch lehren. Vor Ergriffenheit schwieg sie, ihre Augen füllten sich mit Dankestränen. Sklavin, die sie war, hatte sie einen hochansehnlichen Oberhofmeister und nun auch einen zierlichen Pagen ...

Sie dachte an Joseph in Ägypten und das blutige Hemd.

Der Dolmetscher Aguilar ging auf der anderen Seite der Sänfte. Und plötzlich fühlte Marina das versengende Brennen seines Blickes so stark und peinvoll, daß sie scheu zu ihm hinschauen mußte. Und sie sah die rot umränderten, entzündeten, gemarterten und unreinen Augen des Asketen.

Sie erschrak, unwillig wendete sie sich ab. Es war nicht das erstemal, daß sie seinen Blick wie eine Befleckung empfand – obgleich Aguilar stets, wenn er mit ihr sprach, die Augen niedergesenkt hielt oder an ihr vorbei in die weite Welt blickte. Jedoch dieses Auflodern heute – was bedeutete es? War es Eifersucht oder war es Neid? Gier oder Anbetung? ...

Eben noch war ihr Herz feierlich und andächtig wie eine Kirche gewesen. Und sie scheuchte jene Fragen und wies sie von der Schwelle ihres Herzens.


Nicht lange hatte das Heer durch die öde Mark zu ziehen. Ein von hohen Bäumen umsäumter breiter Fluß mit starkem Gefälle hinderte den Weitermarsch. Obwohl, in Voraussicht solcher Hemmnisse, zwei Schiffsboote mitgeführt wurden, dauerte es doch Stunden, ehe das Heer übergesetzt werden konnte. Auf den Nachen, in denen jeweils nur wenige Mann Platz fanden, konnten die Pferde und die Artillerie nicht hinübergebracht werden, und das Herrichten der Flöße nahm viel Zeit in Anspruch.

Daher zogen es einige vor, hinüberzuschwimmen. Bernal Diaz, den man den Galanten nannte, war der erste, der sich in den Fluß wagte. Als er glücklich ans andere Ufer gelangt war, folgte sein Freund (und schon seit den Expeditionen Cordovas und Grijalvas sein Waffengenosse) Martin Ramos seinem Beispiel und auch noch einige zehn Soldaten, unter diesen Cristobal de Guzman, Gonzalo Dominguez und Galleguillo, der kleine Galicier. Andere versuchten es, konnten gegen die reißende Strömung nicht ankämpfen und kehrten um.

Nun entledigte sich auch Maria de Estrada, die blondlockige Amazone, ihres Helms und Panzers und warf ihre Kleider ab. Da die Weißhand Sanchez Farfan eben mit der Mulattin Beatriz de Palacios und deren Mutter, der alten Portugiesin Vaquera, in einen der Nachen stieg, bat sie ihn, ihre Rüstung und ihre Kleider hinüberzubringen. Dann warf sie ihr Hemd ab. Das ganze Heer stieß einen Schrei der Bewunderung aus, so wundervoll knabenschlank gebaut war ihr Körper. Sie stieg ins Wasser, und als sie zu schwimmen begann, schillerten in den grünlichen Wellen ihre Schenkel und Hüften wie leuchtende Emaille.

Sie schwamm neben dem Boote und unterhielt sich lachend mit Sanchez Farfan. Schon waren sie dem anderen Ufer nahe. Die Mulattin Beatriz de Palacios war seekrank geworden und hatte sich Farfan auf den Schoß gesetzt, ihre Arme um seinen Hals schlingend. Da plötzlich brüllte die alte Portugiesin vor Grausen und zeigte auf den aus dem Wasser ragenden Kopf eines Kaimans. Der große Alligator näherte sich rasch der Schwimmenden. Diese hatte ihn jetzt erst erblickt. Die Ruderer im Boot waren ohne Waffen. Farfan hatte die Hände nicht frei, mußte sich erst von der krampfigen Umklammerung der Mulattin befreien. Ihm blieb gerade noch Zeit genug, eine Hellebarde zu ergreifen und sie dem Kaiman in den Rachen zu stoßen. Das Tier verschwand mitsamt der Hellebarde. Maria de Estrada war gerettet und konnte unversehrt das Ufer erreichen. Nackt wie sie war, ging sie auf Sanchez Farfan zu, als er aus dem Boot stieg, und küßte ihm die weiße Hand.

»Mein Leben war verloren, Señior, und gehört Euch in Zukunft!« sagte sie mit strahlenden Blicken.

Die Mulattin Beatriz de Palacios hatte darauf einen Weinkrampf und war nicht zu beruhigen. Ihr alter Gatte, der kahlköpfige Suarez, mußte sie weit wegtragen, weil ihre gellen Schreie das Heer belästigten.


Erst am späten Nachmittage, nachdem der Feuerwerker Mesa mit den Artilleristen Arbenga, Juan Catalan und Bartolome de Usagre die Geschütze, die Singende Nachtigall und die anderen Kartaunen, Basilisken, lange Schlangen und Falkonette, über den Fluß geschafft, rührte der Trommler Benito Bejel die Pauke, und der Marsch konnte fortgesetzt werden. Da der Fluß nach Westen abbog, befahl Cortes, am Ufer entlangzuziehen.

Wunderbar gewandelt funkelte hier die Landschaft. War den Soldaten der steinige Weg bis zum Fluß wie ein Pfad in die Hölle erschienen, so glaubten sie sich jetzt in ein Land der Seligen versetzt. Sie hatten die Küstengegend, öde wie sie ihnen bislang erschienen war, la tierra caliente, das Glühende Land, genannt, jetzt tauften sie sie um, nannten sie das Irdische Paradies – el paraiso terrestre. Im hohen Gras blühten fremdartige, tierähnliche Blumen, von handgroßen Atlasfaltern, Kolibris und Honigsaugern umschwirrt. Zwischen weißen Terebinthen und Lorbeerbäumen ästen Hirschherden, liefen Marder, Gürteltiere und Kaninchen umher, im Geäst hingen Faultiere, tollten und kreischten Affen, schwarze Eichhörnchen und Papageien.

Die Jagdlust erwachte in den meisten der Wandernden, in einigen wenigen auch die Freude an Blumen. Ein gutmütiger kleiner Soldat, Hemando Alonso aus Villanueva, der bei den Kämpfen in Tabasco seinen linken Arm eingebüßt hatte, trat aus Reih und Glied, um eine Cypura-Blüte zu pflücken. Er hatte nicht bedacht, daß der unwirsche Hauptmann Avila hinter ihm ritt. Wild fluchend galoppierte Avila mit eingelegtem Speer heran und durchbohrte dem Einarmigen den leeren Ärmel. Die rohe Tat machte viel böses Blut. Der kleine Soldat aber wurde – obgleich es im Heer noch mehr Einarmige gab – hinfort el manguillo de Villanueva, d.h. der Einarm von Villanueva, genannt.

Gegen Abend ritt Diego de Ordas in ein Dorf und verkündete laut, daß er es im Namen Kaiser Karls in Besitz nehme. Außer ein paar Truthühnern hörte ihn jedoch niemand. Die Dorfbewohner hatten die Menschenwoge heranfluten sehen, und in wahnsinniger Angst vor den Hirschmenschen – als solche erschienen ihnen die Reiter – und der Dogge Becerrico, die sie für einen abgerichteten Puma hielten, hatten sie das Weite gesucht.

Das Heer, das nun ins Dorf rückte, war enttäuscht. Denn hier sollte das Nachtlager aufgeschlagen werden, und indianische Männer zur Hilfeleistung, aber mehr noch indianische Mädchen zum Zeitvertreib, wären erwünscht gewesen. An Fackeln, Kochgerät und Mahlsteinen fehlte es indes nicht, Feuer brannten noch auf den Herden der sauberen, mit Stroh- und Binsen-Dächern pilzförmig überdeckten Hütten. Von Kaktusfeigen, Zwergbohnen, Mais und Chayotte – einer kürbisartigen Frucht – fanden sich reichliche Mengen vor.

Nur um ein weniges höher als die Häuser erhob sich am Ende des Dorfes eine bescheidene, aus Lehm erbaute Tempel-Pyramide. Der schöne Namenlose – er, dessen italienische, bronzene Sturmhaube an Montezuma gesandt und mit Goldkörnern gefüllt zurückgeschickt worden war – der schöne Namenlose stieg die Stufen des verlassenen Gotteshauses empor. Auf der kleinen Plattform vor dem Sanktuar blieb er stehen, wandte sich um und ließ den Blick schweifen über die Grasebene, von deren leuchtendem Wiesengrün sich die langgestreckten blauen Abendschatten der Bäume und Berge dunkel abhoben. Seine rechte Hand war ihm auf dem Schafott für schwere Schuld abgeschlagen worden, mit dem Armstumpf beschattete er sich die Augen, während die untergehende Sonne sein bartloses Antlitz karminrot belichtete. Ein Gottesfrieden hatte sich auf die Landschaft ringsum gesenkt. Selbst das Surren und Rufen der im Dorf sich tummelnden Soldateska schwirrte wie aus einer Ferne herüber. Er war von allen der einzige, der die weihevolle Abendschönheit dieser Stunde empfand. Ein Kardinalvogel sang melodiös nahebei im Gebüsch, zwei Reiher, mit lang herabhängenden, pendelnden Beinen, flogen am violetten Himmel der Sonne zu. Andächtigen Herzens ging er in das Sanktuar hinein. Gleich darauf kam er herausgestürzt und preßte den Armstumpf vors Gesicht und vor die Augen.

Vorbeigehende Kameraden fragten ihn, was er geschaut.

»Geht selbst hinein – ich mag es nicht beschreiben!« sagte er. Und er öffnete die Augen und wunderte sich, daß die Welt so weihevoll war ringsum und daß der Kardinalvogel sang ...

Bald strömte ein großer Teil der Soldaten und, allen voraus, die Frauen zum Sanktuar. Mit neugierigem, prickelndem Gruseln weideten sie sich am Anblick von fünf geschlachteten, halbwüchsigen Kindern. Vor kaum einer Stunde mochten die armen Wesen geopfert worden sein, augenscheinlich in der Absicht, die weißen Götter zu besänftigen, deren Herannahen die Dorfbewohner in Schrecken versetzt hatte: Schrecken sollte den Schrecken bannen. Den Kindern – drei Knaben und zwei Mädchen – waren die Brüste aufgeschnitten, die Herzen herausgerissen, die Arme und Beine abgehackt. Die flüchtigen Dorfbewohner hatten die Arme und Beine mitgenommen, um sie – dem Opfer-Ritus gemäß – zu verzehren.

Den weißen Göttern war das Opfer dargebracht, doch die weißen Götter lehnten das Opfer ab.

»Solche Greuel auszurotten, ist ein Ziel, wert, unser aller Leben dafür hinzugeben!« rief der weißbärtige Gaspar Diaz aus, ein ebenso kühner wie frommer Soldat. Und was er aussprach, empfanden ehrlich die meisten. Mochte Abenteuerlust oder Goldgier sie in dies Land gelockt haben, sie hielten sich doch vor allem für Kreuzritter. Und außer Gaspar Diaz, der als Eremit sein Leben beschloß, bekundeten drei Jahre später auch die Infanteristen Burguillos, Lencero, Villasinda, Quintero und noch manche andere, wie ernst es ihnen mit dem Kreuzzug gewesen, indem sie ihre in Mexico erworbenen Ländereien und Vermögen verschenkten und als arme Franziskaner und Dominikaner den Unterjochten das Evangelium predigten ...

Der Gedanke, den Panzer mit der Kutte zu vertauschen, kam manchem an diesem Abend zum erstenmal.


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