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Die Messe sang der gute Pater Bartolomé de Olmedo, vom Orden der barmherzigen Brüder – de nuestra Señora de la Merced. Wenn mancher barmherzige Bruder zum Hohn der barmherzigen Mutter unter die armen Heiden gezogen – Pater Olmedo wahrlich nicht. Mancher Kreuzfahrer dieses romantischen Kreuzzuges war mehr Zelot als er. Und redete Olmedo als gehorsamer Sohn der spanischen Kirche zuweilen auch ihre finstere Sprache – seine Taten waren immer menschlich.

Hünengroß war er. Bis an den Gürtelstrick der Kutte reichte ihm der graugesprenkelte Wildermanns-Bart. Mächtig wie sein Gliederbau war seine Stimme, er wurde als vortrefflicher Sänger gerühmt. Predigte er, so hallte der Baß seiner Worte weit über die Tore des Lagers hinaus.

Die Responsorien las der fette Dominikaner-Mönch, der Lizentiat Juan Diaz mit den wulstigen Lippen. Und als Chorknabe, im spitzenverbrämten Röckchen, waltete ein alter, halberblindeter Soldat, Alonso Duran, seines Amtes. In Ermangelung einer Orgel begleiteten der Tanzmeister Ortiz und der Musikus Rodrigo Moron auf ihren Gitarren. Und der Trommler Canillas, der schon in Italien Tambour gewesen, rührte die Trommel, um auf die mexikanischen Gäste Eindruck zu machen.

Die Predigt des Paters Olmedo, erbaulich für Soldatenherzen, nahm auch auf die Mexikaner Bezug:

» ... Seht hier die verlorenen Kinder des allgütigen Vaters«, rief er donnernd und mit ausdrucksvollen Armbewegungen. – »Sie gleißen in Gold und Smaragden wie die große Hure Babylon, die auf dem Tier daherritt und die Schale göttlichen Zornes austrank. Arme verblendete Götzenanbeter! Ihr wißt nicht, daß am Ostersonntag – heute vor tausend und fünfhundert Jahren – Er vom Tode auferstand, der am Freitag verblutet war, eurethalb verblutet war, ja, eurethalb ...«

Die Mexikaner wußten es wirklich nicht. Sie verstanden von der Predigt kein Wort und sahen auch nichts weniger als schuldbewußt aus.

Nach der Messe schob Cortes die Unterredung noch einmal auf. Er lud die beiden vornehmen Mexikaner zum Frühstück. Sein Oberkoch, Juan Valera aus Burgos – ein immer scheu dreinblickendes Männchen mit einem violettroten Muttermal über dem linken Auge –, hatte einige der Truthähne gebraten, welche die Begleiter des Statthalters nebst Gemüse und gedörrten Fischen überbracht.

Mit Verwunderung beobachtete Cortes, daß die kultivierten Mexikaner das Geflügel sauberer mit den Händen zerlegten als die Capitane Diego de Ordas, Cristobal de Olid und andere Kavaliere von altkastilischem Adel. An den Weingläsern, die ihre Lippen berührt hatten, war kein Fettrand zu sehen wie z. B. am Glase des Don Alonso de Avila.

Der Statthalter befahl seinem Tlacatlacuilo, d. h. seinem Menschenmaler, die essenden Christen auf Pergament aus Hirschhaut mit Zypressenharz-Farbe abzubilden.

Der Malaga mundete den Mexikanern, und sie tranken viel davon.


Endlich ließ Cortes die Zunge – la lengua – rufen. Die Dolmetscherin, die Indianerin Marina, trat in die Laubhütte. Ihr folgte der frühere Franziskaner Jeronimo de Aguilar.

Seit Marina – kaum erst vor vier Wochen – an der Küste von Yucatan mit neunzehn anderen Sklavinnen Cortes geschenkt worden war, hatte sie erstaunlich schnell Spanisch reden gelernt, jedoch noch nicht genug, um bei so wichtigem Anlaß zu dolmetschen. Dafür konnte sie, als geborene Mexikanerin, sich elegant im Idiom der Azteken ausdrücken, und sie beherrschte gleichfalls die einem andern Sprachstamme angehörende Maya-Sprache der Bewohner Yucatans. Nun waren auch dem Spanier Jeronimo de Aguilar, nach siebenjähriger Haft im Innern Yucatans, die fast vergessenen Mutterlaute wieder vertraut geworden, und auch er hatte sich in schwerer Gefangenschaft die Maya-Sprache angeeignet.

Bei der Abreise von Kuba hatten die Kastilier zwei Indianer, Julianillo und Melchorejo, als Dolmetscher mitgenommen. Als zwei Jahre früher der Statthalter Kubas, Don Diego Velazquez, drei Schiffe unter Führung des Feldhauptmannes Hernandez de Cordova ausgesandt hatte, Sklaven zu rauben, war Yucatan wieder entdeckt worden. (Schon Columbus hatte es berührt und über die Sittsamkeit der Maya-Frauen gestaunt, die an den Schiffsleitern emporkletternd ihre Röcke festhielten.) Die Mannschaft des Cordova – unter der sich manche Teilnehmer der beiden späteren Freibeuterzüge, des Grijalva erst und dann des Cortes, befanden – hatte nach schwerem Kampf mit den Einheimischen an der Punta de Cotoche diese beiden Indianer aufgegriffen. Trotz dem unerbetenen Taufwasser des fetten Lizentiaten Juan Diaz, trotz der christlichen Namengebung, europäischer Kleidung und zweijährigem Aufenthalt auf der Insel Kuba waren Julian und Melchior nur oberflächlich zivilisiert. Aber von Havanna absegelnd, war Cortes auf sie angewiesen, wie wenig Verlaß auch auf die verschmitzt grinsenden, verstockten und verschlossenen Burschen war. Sicher ist, daß er mit Julianillo und Melchorejo als Dolmetschern nie über die Sandhügel hinausgekommen wäre.

Es war sein übergütiges Glück, das ihn instand setzte, auf so zweifelhafte Dienste Verzicht zu leisten.

Das Glück hatte sich diesen Abenteurer zum Günstling ausersehn. Wie ein Schutzgeist mit weißen Flügeln begleitete es ihn und sollte hinfort kaum einmal im Laufe von drei Jahren von seiner Seite weichen. Es überschüttete ihn mit Geschenken. Das unerhörteste der Geschenke aber war Marina. Das Glück selbst hatte ihre Gestalt angenommen und sich diesem Manne geschenkt. Und als er sie, nach Jahren, fortwarf, verließ ihn sein weinendes Glück ...

Nicht gleich erkannte er, was er an ihr besaß. Erst allmählich wurde sie seine Beraterin, seine Freundin, seine Führerin. Erst allmählich weckte ihre Glockenstimme im Goldsucher den Kreuzfahrer. Er sah anfangs nur das zauberhafte Weib, die Geliebte. Und allzu viele hatte er schon besessen.

Marina war fünfzehn Jahre alt. Nicht übertrieben hatten die Wächter des Meeres, als sie Montezuma von ihr gemeldet: das Mädchen Malintzin – so sprachen sie den Taufnamen Marina nach – sei der Göttin der Blumen und der Liebe, Xochiquetzal, zu vergleichen. Auch spanische Chronisten schrieben später von ihr: era hermosa como diosa, »sie war schön wie eine Göttin«.

Ja, so schön war sie, daß die rohe Soldateska sie – die Sklavin – ehrfürchtig Doña Marina nannte. Und selbst Aguilar, welcher von seinem Sklavenhalter, einem Fürsten in Yucatan, drei Tage lang einer Keuschheitsprüfung unterzogen worden war (ähnlich der des heiligen Antonius), und welcher dank seiner Weiberscheu dem Opfertode entronnen war – selbst Aguilar senkte die brennenden Asketen-Augen nieder, wenn er mit ihr sprach, oder blickte an ihr vorbei ins Weite, um nicht dem gefährlichsten der Teufel zu erliegen.

Im Heere hatte nur einer keine Augen für sie: der Hauptmann Puerto Carrero. Bei der Verteilung der zwanzig geschenkten Sklaven war Marina ihm als Beutestück zugefallen. Er aber trauerte einem geliebten Wesen nach, und als er bemerkte, daß Cortes an der jungen Indianerin Gefallen fand, trat er sie ihm ab. Puerto Carrero war der vornehmste Teilnehmer dieses Freibeuterzuges. König Ferdinand der Katholische hatte einst seinen Vater zum Admiral der Armada gegen Calabrien ernannt, seine Mutter war die Schwägerin des großen Capitan Consalvo Ferrante. Aus der glänzenden Laufbahn, die dem Jüngling am kastilischen Hofe in Aussicht stand, schleuderte ihn die Leidenschaft zu einer verheirateten Frau. Er floh mit ihr nach Kuba und fand in der Verschollenheit dort einige wenige Jahre lang ein besseres Glück, als er hinter sich zerstört hatte. Am Biß einer giftigen Schlange ging sie zugrunde. Da schloß er sich Freibeutern an und suchte mit wilden Taten seinen Schmerz zu betäuben. Aber sein Herz und seine erloschenen Augen blieben tot. Darum sah er Marina nicht.

Von welchem Wert für den Freibeuterzug Marina als Dolmetscherin war, erkannte man erst beim Besuch der Wächter des Meeres auf den Schiffen. Es stellte sich heraus, daß weder Aguilar noch Julianillo und Melchorejo die Sprache der Mexikaner verstanden. Da meldete sich Marina. Sie übertrug die Worte der Mexikaner ins Maya, und Aguilar übertrug sie aus dem Maya ins Spanische.

Damit war der Riegel fortgeschoben, und nicht mehr verschlossen war das erzene Tor ins Wunderland.

Durch den Mund Marinas konnte nun auch Cortes mit dem mexikanischen Statthalter verkehren.


Auf der Universität Salamanca hatte einst Cortes nicht nur Weintavernen und Kemenaten freier Damen besucht. Auch mit Poesie und Rhetorik hatte er sich befaßt, bevor er seine militärischen Talente entdeckte. Seit jener Studentenzeit war seine Zunge ein glattgeschliffenes Rapier und sollte ihm noch zu manchem Sieg verhelfen, wo ein Haudegen versagt haben würde.

Ohne Stocken rieselte der Bach seiner Rede. Mit etwas zurückgeworfenem Kopfe und – nicht ohne Absicht – arrogant näselnd, setzte er dem Statthalter auseinander, warum das christliche Heer solche Sehnsucht hatte, die schöne Stadt Mexico zu sehen. Ausgesandt seien sie als Boten des mächtigsten Kaisers der Welt, Don Carlos de Austria. Dem seien Brabant, Kastilien und Aragon sowie alle Länder des Ostens untertan. (Cortes verschwieg, daß eine arme Irre auf dem Thron Spaniens saß, die wahnsinnige Johanna von Kastilien, und daß ihr Sohn und Mitregent, der spätere Karl V., ein neunzehnjähriger Prinz damals, eben erst der Vormundschaft des Kardinals Ximenes entwachsen, weniger Aussicht hatte, Kaiser zu werden, als sein Rival, der König von Frankreich.) Ausgesandt seien sie, weil der große Fürst des Sonnenaufgangs Kunde erhalten vom Fürsten des Sonnenuntergangs, Montezuma, und in seiner Gnade beschlossen habe, ihn sich zum Freund zu machen und eine Nachricht von weittragender Bedeutung für das mexikanische Reich durch seinen kaiserlichen Gesandten Hernando Cortes dem König Montezuma Auge in Auge mitzuteilen. Am Schluß seiner Rede forderte Cortes den Statthalter auf, ihn und sein Heer unverzüglich vor Montezuma zu führen.

Die Antwort des Mexikaners drückte den aufrechten Stolz eines alten Kulturvolkes aus, das in seinem höchsten Vertreter durch das taktlose Ansinnen dieses Abenteurers verletzt war.

Der Staub-Aufwirbler sagte: »Erst zwei Tage bist du im Lande und willst schon den Colhuatecuhtli, den großen Tlatoani Montezuma sehn? Es genügt vollkommen, wenn du seine Geschenke siehst und sie deinem Herrn, dem Fürsten des Ostens, überbringst.«

Darauf winkte der Statthalter einem seiner Begleiter und ließ eine mit Geschenken gefüllte Truhe herbeischaffen. Außerhalb der Baracke breiteten die Lastträger des Statthalters auf einer über den Sandboden gerollten Matte die Gaben aus: Edelsteine in kunstreicher Goldfassung, buntgemustertes Baumwollgewebe, mit Golddraht gebundene Büschel kostbarer Federn.


Nicht Montezumas Schatzhäusern entstammten die Gaben. Der Statthalter hatte sich begnügt, der eigenen Kleiderkammer einige entbehrliche Schmuckstücke und Stoffe zu entnehmen. Doch für die Spanier war es eine Augenlabe.

Nur Cortes hatte Mühe, seinen Ärger mit hochtrabenden Dankesworten und zur Schau getragener Freude zu bemänteln. Wenn der Kazike geglaubt, durch Bestechung seine Abreise zu erkaufen – ihn, Hernando Cortes, von seinem Ziel abzubringen –, er sollte sich täuschen! Jetzt galt es Zeit zu gewinnen.

Durch Marina und Aguilar ließ er dem Statthalter sagen: auch der Herr des Ostens habe Gaben gesandt für den Herrn des Westens. Dann befahl er seinem Haushofmeister Simon de Cuenca, die bereitgehaltenen Geschenke zu bringen.

Es war ein Lehnstuhl mit einer Abruzzenlandschaft auf der Rückenlehne – gute Florentiner Intarsien-Arbeit (nur schade, ein abgebrochenes Bein des Sessels war eben erst notdürftig vom Zimmermann Cristobal de Jaén angeleimt worden). Ferner ein geschliffener Aquamarin, in ein stark mit Levantiner Rosenöl parfümiertes Spitzentuch gewickelt, eine Schnur blauer Glasperlen und eine karmesinrote Nachthaube nach Art der Dogenmützen, an welcher ein emailliertes Heiligenbild von Dukatengröße – den heiligen Georg mit dem Drachen darstellend – befestigt war.

»Dies alles sendet mein kaiserlicher Herr dem König Montezuma«, sagte Cortes. »Überbringe ihm die Kleinodien und frage ihn, wann er mich – auf diesem Throne thronend und gekrönt mit dieser unschätzbaren Krone – empfangen will.«

Der Austausch der Geschenke hatte viel Neugierige angelockt. In ehrerbietiger Entfernung bildeten die Soldaten einen Halbkreis um die Feldobristen und ihre Gäste. Nach den letzten Worten des Cortes drängte sich plötzlich der Possenreißer Madrid durch die Zuschauermenge. Er war klein, bucklig, und seine Hühnerbrust war vorspringend wie ein Schiffsschnabel. Nie verlor sein rasiertes, überlanges Gesicht den unfrohen Ausdruck eines krähenden Hahnes. Blitzschnell, so daß niemand ihn hindern konnte, stellte er sich dicht vor die Mexikaner und kreischte aus Leibeskräften:

»Thronsessel hinkt,
Spitzentuch stinkt!
Glas die Perlen!
Krone nur nütze
Bübischen Kerlen
Zur Zipfelmütze!
Über die Ohren
Zieht euch das Fell
Ein Raubgesell,
O ihr armen Toren! ...«

Weiter kam er nicht. Ein junger schmucker Fähnrich, Bernal Diaz del Castillo, von seinen Waffengenossen der Galante genannt, hatte den Spaßmacher am Kragen gepackt und in den Sand geworfen. Er blickte Cortes fragend an.

»Soll ich ihn peitschen lassen?«

»Nein«, sprach Cortes. »Ein Hanswurst kann mich nicht kränken. Da, fang das Goldstück auf, Narr! Denn du hast mich lachen gemacht!«

Der Hofnarr des Gobernadors Diego Velazquez hatte viele Freunde im Heere ...

Der Staub-Aufwirbler wandte sich an Marina.

»Was hat dieser Krieger gesagt?« fragte er.

»Es ist ein Wahnsinniger«, antwortete Marina. »Er hat geweissagt.«

»Was?«

»Daß Montezuma meinen Herrn empfangen wird.«

Der Statthalter sann nach. Dann beriet er sich flüsternd mit dem Steuererheber. Den Wert oder Unwert des Sessels und der roten Nachtmütze vermochten sie nicht zu bemessen. Die Glasperlen schienen Juwelen zu sein. Dem Großkönig solche Schätze und ihres Überbringers kühn gefordertes Verlangen zu unterschlagen, wäre ein todeswürdiges Verbrechen gewesen.

»Ich bin Montezumas Sklave«, sagte der Statthalter. »Ich werde die Geschenke vor sein Angesicht tragen. Mag sein Mund entscheiden, ob du vor ihn treten darfst.«


Doch Cortes wollte die Gäste nicht ziehen lassen, ohne ihnen erst einen Begriff von der Fruchtbarkeit europäischer Kriegswaffen zu geben. Der »Menschenmaler« hatte nur friedliche Genre-Bilder auf das Hirschhaut-Pergament gemalt: die heilige Handlung vor dem Altare mit Gitarrenbegleitung, das Mittagsmahl in der Laubhütte, die Darbietung der Gaben sowie Bildnissse der elf Feldobristen und der Malintzin (wie die Indianer Marina nannten). Jetzt aber sollte er wilde Manöver-Szenen abkonterfeien, damit Montezuma, wenn er sie zu Gesicht bekommen, es sich wohl überlege, einem so unüberwindlichen Kriegsführer Wünsche abzuschlagen.

Schon währenddes Mahles hatte Cortes seinem Stallmeister Martin de Camba Auftrag gegeben, den Romo zu satteln und dafür Sorge zu tragen, daß auch die übrigen Pferde des Heeres bereitstünden.

»Meine Herren«, sprach jetzt Cortes zu den Hauptleuten, »wir wollen den Kaziken unser Reitergeschwader vorführen und ihnen zeigen, wie kastilische Ritter zum Ritterspiel stürmen. Laßt uns am feuchten Sandufer hinsprengen, denn auf den weichen Sanddünen könnte eines der Rosse stolpern – und das würde einen mißlichen Eindruck hinterlassen, sowohl im Sande wie in den Augen dieser Wilden. Wir können bei der Gelegenheit feststellen, wer von uns am besten im Sattel sitzt und wessen Pferd der hitzigste Renner ist.«

Die Kavalkade bestand aus fünfzehn Reitern.

Cortes wollte seinem Romo einen Ehrentag bereiten. Aussicht auf den Preis hatten aber auch die Fuchs-Stute des Alvarado – feurig wie ihre Farbe – (Alvarado hatte sie dem Hernando Lopez abgekauft), der Hellbraune des Cristobal de Olid und des Juan Velazquez de Leon Grauschimmel, ein riesenhaftes Tier, der Stumpfschwanz geheißen. Die anderen Pferde taugten sicher nicht viel, wenn auch der Tanzlehrer Ortiz versicherte, sein Klepper, der Rotfuchs, könne fliegen wie Pegasus, er hatte ihm daher den Namen das Flügelpferd beigelegt.

Der von Trompetenfanfaren und Musketenschüssen umtobte Sturmangriff auf den unsichtbaren Feind am Meeresufer war eine Überraschung – nicht nur für die zuschauenden Mexikaner. Durchs Ziel – zwei leere Weinfässer – lief Romo als dritter und Stumpfschwanz sogar als achter. Das Flügelpferd hatte vor einem toten Tintenfisch gescheut und seinen Tanzmeister im Bogen ins Meer geworfen. Sieger war der Fähnrich Gonzalo de Sandoval auf seinem dunkelbraunen Hengst Motilla.

Sandoval war erst zweiundzwanzig Jahre alt. Ein geborener Reitersmann, war er nicht hoch von Gestalt, muskulös, breitschultrig und hatte etwas gekrümmte Beine. Ein kleiner herabhängender Schnurrbart schmückte sein breites, immer ernstes Gesicht. Er stammte aus einer alten, aber verarmten Hidalgo-Familie.

Cortes hatte den Cornelius Nepos und Plutarch auf die Reise mitgenommen und kannte die Namen seiner fünfhundertundfünfzig Begleiter. Von vielen aber wußte er nicht viel mehr als den Namen. Sandoval hatte bisher die Gelegenheit gefehlt, sich hervorzutun. Nur das war Cortes bekannt, daß der Jüngling aus seinem Heimatsort, Medellin, stammte, den Vater des Fähnrichs, den Festungskommandanten Gregorio de Sandoval, hatte er in seiner Jugend oft durch die Gassen Medellins schlendern sehen, gespornt, mit der Reitgerte in die Luft schlagend, verdrossen über ein vertanes Leben.

»Ich beglückwünsche Euch, Sandoval!« sagte Cortes.

Sandoval war ein Stotterer. Er errötete, streichelte verlegen sein Pferd. Dann sagte er stockend:

»Motilla ist ein gutes Pferd.«

»Und Ihr ein guter Reiter. Ihr reitet besser, als Ihr sprecht. Ich ernenne Euch zum Capitan!«

Der aztekische Menschenmaler verzeichnete mit leuchtenden Farben wild hüpfende Ungeheuer auf das Hirschhaut-Pergament – Menschen bis zum Nabel, und weiter abwärts Tiere (sinnschwer waren die Bilder!), und er vergaß auch nicht die Metamorphose eines der Ungeheuer – den hohen Flug und das Bad des Tanzmeisters.


Inzwischen hatte der Feuerwerker Alonso de Mesa, unterstützt von den Artilleristen Juan Catalan, Bartolomé de Usagre und dem Levantefahrer Arbenga, mehrere der langen Kartaunen auf die Spitze der vierzig Fuß hohen Düne hinaufgeschafft. Als die Singende Nachtigall zu brüllen begann, verloren selbst der Statthalter und der Steuererheber ihre unverdrossene Selbstbeherrschung. Sie fielen zu Boden, husteten, niesten und erstickten fast im ungewohnten Pulverdampf. Steinkugeln, groß wie Kinderköpfe, schwirrten zischend über die verängstigten Mexikaner hinweg in den nahen Wald und knickten dort einige Bäume.

Mit Genugtuung sah Cortes, daß die erhoffte Wirkung nicht ausgeblieben. Das Grausen der Mexikaner war augensichtlich, wie sehr sie sich auch zu steinerner Ruhe zurückzwangen. Der Menschenmaler, der eben erst Fabelwesen, kentaurenähnliche Dämonen mit Menschenleib und Tierbeinen, aufs Pergament gemalt, mußte jetzt das Übermenschliche malen, die geistverstörenden, grauenhaften Zauberkräfte der Sonnensöhne.

Nun wurden die Gäste an den Waldrand geführt: sie sollten die vernichtende Macht der Zauberei bewundern. Cortes zeigte ihnen einen wadendicken Palmbaum, dem eine Steinkugel die Krone abgerissen hatte.

»Hat Montezuma so furchtbare Waffen?« ließ er durch Marina den Staub-Aufwirbler fragen.

»Nein«, erwiderte Teuhtliltzin. »Wir haben nur hölzerne Schwerter, gefiederte Pfeile und Speere. Doch ein mexikanisches Schwert vermag das auch.«

»Das möchte ich sehen, ehe ich es glaube!« rief Cortes.

Der Statthalter winkte einem seiner bewaffneten Begleiter. Es war ein Chimalitquic, ein schildtragender Krieger mit einem habichtgroßen, stilisierten Schmetterling aus Federmosaik an den Schultern. In den Händen hielt er – außer dem buntbemalten Schild – ein Speerbündel und ein Macquahuitl, das gefährliche Sägeschwert der Azteken. Wohl war es nur aus Holz, doch an beiden Schneiden waren Obsidianspitzen eingelassen, scharf wie Rasiermesser.

Auf Befehl des Statthalters durchschnitt der Krieger den Baumstamm mit einem einzigen Hieb.

Da verstummten die stolzen Kastilier für eine Weile.

»Ein solcher Degen taucht in Stahlpanzer wie in Butter!« bemerkte der stets spöttische Francisco de Lugo etwas beklommen.

Nur die elf Kavaliere besaßen Panzer. Die übrigen Landsknechte der Expedition hatten sich mit wattierten Schutzröcken versehen, wie man sie auf den Inseln Haiti und Kuba trug, zur Abwehr von Pfeilen nackter Wilder.

»Ihr seid ein Wahnsinniger, Don Hernando!« platzte der verträumte, bizarre und stets melancholische Diego de Ordas heraus. »Wollt Ihr mit so trefflich bewaffneten Leuten Händel suchen? Das ist Narretei!«

»Wenn Ihr glaubt, an Montezumas Tafelfreuden teilnehmen zu müssen«, sagte der ungeschlachte Alonso de Avila, »so reitet allein hin mit Eurem Romo! Guten Appetit! Ich prophezeie, Ihr kommt nicht weiter als bis zur nächsten Stadtmauer! Aber setzt gefälligst Eure Kameraden der Gefahr nicht aus, als Rostbraten in den Töpfen des Mexikaner-Königs zu schmoren!«

»Ich meinte, Don Diego«, versetzte Cortes, ohne Avila zu beachten, »ein Ritter wie Ihr fürchte Tod und Teufel nicht.«

»Valgame Dios! Ich fürchte weder den Teufel noch seine Großmutter! Aber dieser Montezuma scheint hunderttausend Teufel zu haben. Übrigens, dort den roten Satan, ihn meine ich, der den Baum geköpft hat, wie es kein Henker besser macht – ihn werde ich zum Zweikampf fordern!«

»Und was wollt Ihr mit dem – Teufelsurteil beweisen?« fragte Alvarado lachend.

Ordas blieb die Antwort schuldig. Cortes ließ ihn gewähren, obgleich der Vorschlag des Zweikampfs nichts als ein törichter, grillenhafter Einfall war – sinn- und zwecklos und aus Langerweile geboren wie fast alle Handlungen des Diego de Ordas.

Marina mußte die großspurige Herausforderung, die Ordas ihr vorsprach, den verdutzt dreinschauenden Mexikanern übersetzen.

Der junge Krieger mit dem großen Falter auf dem Rücken schien nicht übel Lust zu haben, seine Haut zu Markte zu tragen. Doch die Besonnenheit des Statthalters vereitelte das unsinnige Duell. Noch benommen vom Pulverdampf und Getöse der Singenden Nachtigall, war der Statthalter sich bewußt, daß er Schreckensnachrichten nach Tenuchtitlan zu tragen habe, er wollte nicht auch noch Überbringer der Trauerkunde sein, daß beim ersten Waffentanz ein Azteke unterlegen. Mit artigen Worten lehnte er ab. Es sei Zeit, aufzubrechen. Er habe Eile, die Geschenke und die Botschaft dem Colhuatecuhtli vorzulegen.


Man war ins Lager zurückgekehrt. Die Träger standen mit den Sänften bereit. Der lahme Sessel, der parfümierte Aquamarin, die Glasperlen und die karmesinrote Tuchmütze mit dem emaillierten Drachenkämpfer wurden sorgfältig verpackt.

Noch fehlten drei Schildträger von der Gefolgschaft des Statthalters. Es mußte nach ihnen gesucht werden.

Kastilische Soldaten hatten sich an sie herangemacht und einen Tauschhandel mit ihnen begonnen. Ohne Dolmetscher, durch die Sprache der Finger und Augen, hatten sie sich verstanden und sogar Freundschaft geschlossen. Arm in Arm war man schließlich zur Marketenderlaube der Feuerlilie gewandert, um mit hitzigem Portwein auf die Verbrüderung des kastilischen und aztekischen Volkes zu trinken ...

Dort wurden die Gesuchten gefunden. Schuldbewußt kamen sie jetzt auf den freien Platz vor die Hütte mit der schwarzen Standarte. Eine johlende Menge folgte ihnen. Den drei Mexikanern, die an den einheimischen Rauschtrank Pulque gewöhnt waren, hatte der spanische Wein nicht sonderlich geschadet, nur daß sie Barette statt der Federbüsche auf den harzigen Strähnen trugen. Dafür prangte Ribadeo der Weinschlauch in einer Federkrone und rülpste grölend, der weißhändige Sanchez Farfan schwenkte ein mexikanisches Sägeschwert, verlor das Gleichgewicht und stolperte bei jedem Schritt, und Pedro d' Ireio, der Agramant ohne Taten, angetan mit einem Maxtlatl, einem Lendenschurz, den er über die Pluderhosen gestreift hatte wie eine Badehose, erzählte den mexikanischen Kriegern seine alten Geschichten von einem Don Pedro Jiron und einem Grafen von Urueña. Am tollsten aber benahm sich die junge Mulattin Beatriz de Palacios. Sie hatte einem der Mexikaner auf dem Schoße gesessen und aus seinem Glase getrunken, bis sie kreischte, sie trug sein Nasengehänge als Ohrring. Jetzt rollte sie dem Statthalter vor die Füße und übergab sich, des stolzen Herrn Goldsandalen beschmutzend.

Der Statthalter fragte liebenswürdig:

»Ist die Blume des Ostens krank?«

Cortes ließ durch Marina und Aguilar antworten:

»Die junge Frau leidet an der Krankheit des Meeres, weil sie lange auf der See gefahren ist. Wir alle leiden an dieser Krankheit.«

Der Statthalter drückte in bildreichen Wendungen sein Bedauern aus über die Leiden der weißen Götter. Cortes fuhr fort:

»Es gibt nur ein Heilmittel gegen diese furchtbare Krankheit. Aber die Medizin ist hier auf den Sandhügeln schwer erhältlich. Wenn Montezuma Freundschaft hegt für uns und unseren kaiserlichen Herrn, Don Carlos de Austria, so soll er uns viel, viel von der Medizin gegen die Seekrankheit senden.«

»Wie heißt die Medizin ?« fragte der Statthalter.

Und Cortes antwortete:

»Gold!«


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